Leonhard Hutter (1563-1616):

Inbegriff der Glaubens-Artikel (Compendium locorum theologicorum)


Vierzehnter Artikel. Von den guten Werken.

 

+ 1. Will Gott, dass die Gläubigen in guten Werken wandeln?

 

Darüber ist gar kein Streit, dass alle Menschen, vorzüglich aber diejenigen, welche durch den heiligen Geist wiedergeboren und erneuert sind, gute Werke zu tun schuldig sind. Matth. 5,16. „Also lasset euer Licht leuchten vor den Leuten, dass sie eure gute Werke sehen.“ 2 Korinth. 9,8. „Dass ihr reich seid zu allerlei guten Werken.“ 1 Thessal. 4,7. „Gott hat uns nicht berufen zur Unreinigkeit, sondern zur Heiligung.“ Ephes. 2,10. „Wir sind sein Werk, geschaffen in Christo zu guten Werken, zu welchen Gott uns zuvor bereitet hat, dass wir darinnen wandeln sollen.“ Und wie es unmöglich ist, dass ein guter Baum schlechte Früchte trage, Matth. 7,18., ebenso ist es unmöglich, dass ein durch den Glauben Gerechtfertigter der guten Werke ermangele. Conc. Form. Summ. Begr. Art. 4. S. 827. „Wir glauben, lehren und bekennen auch, dass alle Menschen, sonderlich aber, die durch den heiligen Geist wiedergeboren und erneuert, schuldig sein, gute Werke zu tun.“ Erkl. Art. 4. S. 966. „Erstlich ist in diesem Artikel von folgenden Punkten unter den Unsern kein Streit, als, dass Gottes Wille, Ordnung und Befehl sei, dass die Gläubigen in guten Werken wandeln sollen.“ S. Augsb. Conf. Art. 6 und 20. (S. 95)

 

2. Was sind gute Werke?

 

Gute Werke sind die inneren und äußeren Handlungen, welche von Gott geboten, und in den heiligen zehn Geboten zusammengefasst sind, und welche von den Wiedergeborenen im Glauben durch den heiligen Geist geschehen, zur Verherrlichung Gottes, und um unsern Gehorsam sowohl, als unsere Dankbarkeit gegen Gott darzulegen.

 

* 3. Also behauptest du, dass keine Werke wahrhaft gut sind, außer die, welche von Gott selbst geboten sind?

 

Gewiss; denn das sind keine wahrhaft gute Werke, „die ihm ein jeder, aus guter Meinung, selbst erdenket, oder, die nach Menschen-Satzung geschehen, sondern die Gott selber in seinem Wort vorgeschrieben und befohlen hat.“ Conc. Form. Erkl. Art. 4. S. 966. 5 Mos. 12,8.32. „Ihr sollt derer keines tun, das wir heute allhier tun, ein jeglicher, was ihm recht dünket. Sondern alles, was Ich euch gebiete, das sollt ihr halten, dass ihr darnach tut. Ihr sollt nichts dazu tun, noch davon tun.“

 

4. Wie geschehen wahrhaft gute Werke?

 

„Rechtschaffene gute Werke geschehen nicht aus eigenen natürlichen Kräften, sondern also, wenn die Person durch den Glauben mit Gott versöhnet, und durch den heiligen Geist erneuert, oder, wie Paulus redet (Eph. 2,10), in Christo Jesu neu geschaffen wird zu guten Werken.“ Conc. Form. a. a. O.

 

5. Gefallen denn, und warum gefallen die guten Werke Gott?

 

Die guten Werke gefallen Gott und sind ihm angenehm wegen unseres Herrn Jesu Christi, der im Glauben ergriffen wird: welcher Glaube macht, dass die Person Gott angenehm und wohlgefällig ist. Conc. Form. a. a. O. Apol. Art. 3. S. 193 f.

 

6. Also gefallen die guten Werke der Heiden Gott nicht?

 

„Die Werke, so zu Erfüllung äußerlicher Zucht gehören, welche auch von den Ungläubigen und Unbekehrten geschehen, obwohl vor der Welt dieselben löblich, darzu auch von Gott in dieser Welt mit zeitlichen Gütern belohnet werden: jedoch weil sie nicht aus rechtem Glauben gehen, sind sie vor Gott Sünde, das ist, mit Sünden beflecket, und werden vor Gott für Sünde und unrein gehalten, weil die Person mit Gott nicht versöhnet ist: denn ein böser Baum kann nicht gute Früchte bringen. Und: Was nicht aus dem (S. 96) Glauben geht, das ist Sünde. Röm.14,23.“ S. Conc. Form. Art. 4. S. 966 und 967.

 

7. Aus welchen Ursachen müssen die guten Werke geschehen?

 

Die guten Werke müssen geschehen: 1) Wegen des Befehles Gottes. 2) Wegen der Übung des Glaubens. 3) Um des Bekenntnisses willen. 4) Wegen des Dankes. 5) Wegen der Belohnungen, welche ihnen aus Gnaden verheißen und zugesagt sind. Apolog. Art. 3. „Denn gute Werke müssen geschehen, wegen des Befehles Gottes, ferner den Glauben zu üben, wegen des Bekenntnisses und des Dankes. Aus diesen Ursachen müssen die guten Werke notwendig geschehen, welche, obgleich sie im noch nicht völlig erneuerten Fleische geschehen, das die Bewegungen des heil. Geistes aufhält und etwas von seiner Unreinigkeit ansprützet: doch wegen des Glaubens heilige, göttliche Werke sind, Opfer und Staatsregierung Christi, welcher sein Reich vor dieser Welt zeigt. Denn in denselben heiliget er die Herzen, und treibt den Teufel zurück, und setzt, damit er das Evangelium unter den Menschen erhalte, dem Reiche des Teufels das Bekenntnis der Heiligen entgegen, und offenbart in unsrer Schwachheit seine Macht.“ Anmerk. Diese Stelle der Apologie ist aus dem latein. Grundtext ganz wörtlich übersetzt, weil sie im deutschen Original nur mehr den Sinn wiedergebend, als wortgetreu übertragen ist, und deshalb zur Erhärtung unserer Frage nicht geeignet war. Sie steht in der Leipziger Ausgabe S. 193 ff.

 

8. Sind diese Belohnungen der guten Werke eben die Gnade selbst, durch welche wir gerechtfertigt werden?

 

Nein: denn die Gnade Gottes, Vergebung der Sünden, Rechtfertigung und ewiges Leben erlangen wir nur durch den Glauben, nicht durch unsere Verdienste. Richtig werden daher die Belohnungen der guten Werke erklärt teils durch leibliche Güter dieses Lebens, teils durch die Stufen der Herrlichkeit im ewigen Leben. Doch diese Belohnungen selbst hängen nicht von dem Verdienste unserer Werke ab, sondern einzig und allein von der Gnade Gottes, welcher sie zugesagt hat.

 

+ 9. Können wir denn durch gute Werke unsere Rechtfertigung und das ewige Leben verdienen?

 

Nicht im geringsten. „Denn wir empfangen Vergebung der Sünde und Gerechtigkeit allein durch den Glauben an Christum, wie Christus selbst spricht, Luc. 17,10: „So ihr dies alles (S. 97) getan habt, sollt ihr sprechen, wir sind untüchtige Knechte.“ Augsb. Conf. Art. 6. S. 42. Dann verdunkelt die Meinung von dem Verdienst der guten Werke den Ruhm Christi, weil die Menschen diese ihre Werke Gott vorstellen als den Preis und die Versöhnung. Augsb. Conf. Art. 20. S. 51. „Wer nun vermeint, solches durch Werke auszurichten, und Gnade zu verdienen, der verachtet Christum, und sucht einen eignen Weg zu Gott wider das Evangelium.“ Drittens: „erschrockene Gewissen finden nicht Frieden in solchen Werken; sondern indem sie in wahrem Schrecken stets eines auf das andere häufen, verzweifeln sie endlich, weil sie kein Werk finden, das rein genug sei; so dass das Gesetz dieselben stets anklaget und verdammet.“ Apolog. Art. 3. vgl. Augsb. Conf. Art. 20. S. 52. Viertens: diejenigen, welche auf ihre Werke vertrauen, erlangen niemals die Erkenntnis Gottes, sondern erzürnt fliehen sie vielmehr den zürnenden und strafenden Gott: und meinen auch nie, dass sie erhört werden: Aber der Glaube zeigt, dass Gott wegen des Sohnes umsonst vergebe und erhöre. Endlich widerstreitet es der heiligen Schrift, welche bezeugt, dass wir ohne Werke, allein durch den Glauben gerecht und selig werden, wie im vorigen Artikel gezeigt ist. Apolog. Art. 3.

 

+ 10. Sind die guten Werke notwendig, oder freiwillig?

 

Dass die guten Werke notwendig sind, nicht zwar zur Seligkeit, sondern aus andern Ursachen, geht aus dem schon Gesagten deutlich genug hervor. Denn sie werden von den Gläubigen verlangt als Früchte des Glaubens: und der Glaube ohne die Liebe ist tot, obgleich die Liebe nicht die Ursache unserer Seligkeit ist. Conc. Form. Art.4. S.964 ff. Augsb. Conf. Art. 20.

 

* 11. Dies scheint zu widerstreiten mit der Freiheit der Kinder Gottes, als deren Werke nicht notwendig, sondern freiwillig sind?

 

Diese zwei streiten durchaus nicht wider einander, was völlig klar wird, sobald man eine doppelte Unterscheidung beobachtet. Denn erstens wird das Wort „notwendig“ in dem Sinne gebraucht, dass es eine unumgängliche Notwendigkeit oder einen Zwang bedeutet. Zweitens wird das Wort „notwendig“ in einem bedingten Sinne gebraucht, so dass man darunter einen schuldigen Gehorsam versteht, der geleistet wird wegen Gottes Ordnung, (S. 98) Befehls und Willens. Im ersteren Sinne hebt die Notwendigkeit alle Freiheit zu handeln auf: im letzteren aber ist sie der Freiheit untergeordnet. Conc. Form. Summ. Begr. Art. 4. Anf. Erkl. Art. 4. Anf.

 

* 12. Welche ist die andere Unterscheidung?

 

Diese betrifft das Wort frei, oder Freiheit, welches entweder eigentlich, oder uneigentlich gebraucht wird. In seinem eigentlichen Sinne genommen, wird es der sklavischen Notwendigkeit und dem Zwange entgegengesetzt: uneigentlich genommen aber wird es der Ordnung, dem Befehl und der Pflicht des Gesetzes gegenüber gestellt; denn das Gesetz ist der Freiheit nicht geradezu entgegengesetzt, sondern sie sind einander untergeordnet.

 

* 13. Eigene nun diese Unterscheidungen zu der vorliegenden Frage, und zeige: Ob die guten Werke notwendig sind oder frei?

 

Wenn jene Unterscheidungen beobachtet werden, so ist klar, dass die guten Werke der Wiedergeborenen sowohl freiwillige, als auch notwendige sind. Notwendige sind sie aber nicht aus Notwendigkeit des Zwanges: sondern nur aus der Notwendigkeit des Befehls, oder jenes schuldigen Gehorsams, welchen die Rechtgläubigen, so viel sie wiedergeboren, nicht aus Zwang oder Treiben des Gesetzes, sondern aus freiwilligem Geiste leisten, weil sie nicht mehr unter dem Gesetze, sondern unter der Gnade sind.“ Conc. Form. Summ. Begr. Art. 4. S. 827. Wiederum sind dieselbigen Werke frei, das Wort Freiheit eigentlich genommen, sofern nämlich die Wiedergeborenen mit freiwilligem Geiste wirken: nicht aber sind sie auf solche Weise frei, „als ob es in des wiedergeborenen Menschen Willkür stehe, Gutes zu tun oder zu lassen, wenn er wolle, und gleichwohl den Glauben behalten möge, wenn er in Sünden vorsätzlich verharret.“ Ebend. S. 828.

 

+ 14. Wenn die guten Werke notwendig, sind sie dann zur Seligkeit notwendig?

 

In den vorigen Jahren, bald nach dem Tode unseres sel. Luthers, gab es Einige, welche diese Redensarten gebrauchten: „Gute Werke sind nötig zur Seligkeit; Es ist unmöglich, ohne gute Werke selig zu werden; Es ist niemals jemand ohne gute Werke selig worden.“ Aber aus gewissen und wichtigen Gründen sind diese Sätze, als solche, die von der Form der gesunden Worte abweichen, von den Rechtgläubigen gemissbilligt und ver- (S. 99) worfen worden. S. Conc. Form. Summ. Begr. Art. 4. S. 825. – Erkl. Art 4. S. 964.

 

+ 15. Nenne diese Gründe?

 

1) Diese Redensarten streiten schlechthin wider die Lehre von den ausschließenden Partikeln, d. i. den Worten, mit welchen Sct. Paulus unsere Werke und Verdienst aus dem Artikel der Rechtfertigung ausschließt. Denn der heil. Paulus schließt unsere Werke und Verdienste von jenem Artikel völlig aus, und schreibt Alles der alleinigen Gnade und Barmherzigkeit Gottes und dem Verdienste Christi zu, versichernd, dass der Seligkeit nur der Mensch teilhaftig werde, dem Gott die Gerechtigkeit zurechnet ohne Werke. Röm. 4,6. 2) Diese Sätze nehmen den angefochtenen und betrübten Gewissen den wahren Trost des Evangelii, und geben Ursach zum Zweifel an der Gnade Gottes. 3) Diese Redensarten stärken die Vermessenheit und den falschen Wahn eigener Gerechtigkeit, nebst dem Vertrauen auf eigene Würdigkeit. S. Conc. Form. Erkl. Art. 4. S. 971 ff. 4) Sie sind aus der Formel des Interim hervorgegangen, und haben daher offenbare Feinde der Wahrheit zu Urhebern. S. 973. 5) Der sel. Luther hat diese Sätze an den falschen Aposteln, welche die Galater in Irrtum führten, an den Papisten, Anabaptisten und endlich an einigen andern verworfen und verdammt. S. 972.

 

* 16. Erhalten denn die guten Werke nicht den Glauben, die Gerechtigkeit und die Seligkeit?

 

Nein. „Denn der Glaube ergreift die Gerechtigkeit und Seligkeit nicht also, dass er darnach sein Amt den Werken übergebe, dass dieselbigen hinfürder den Glauben, die Gerechtigkeit und Seligkeit erhalten müssen: sondern der Glaube ist das eigentliche einige Mittel, dadurch Gerechtigkeit und Seligkeit nicht allein empfangen, sondern auch erhalten wird.“ Conc. Form. Erklär. Art. 4. S. 974 f. – Summ. Begr. Art. 4. S. 628. X. „Wir glauben, lehren und bekennen auch, dass den Glauben und die Seligkeit in uns nicht die Werke, sondern allein der Geist Gottes die Seligkeit durch den Glauben erhalte, dass Gegenwärtigkeit und Inwohnung die guten Werke Zeugen sein.“

 

* 17. Lieber, beweise solches aus der heil. Schrift?

 

„Der heil. Paulus gibt Röm. 5,1 und 2 dem Glauben nicht allein den Eingang zur Gnaden, sondern auch, dass wir in (S. 100) der Gnaden stehen, und uns rühmen der zukünftigen Herrlichkeit; das ist, Anfang, Mittel und Ende gibt er alles dem Glauben allein, indem er sagt: „Nun wir denn gerecht geworden durch den Glauben; so haben wir Friede mit Gott, durch unsern Herrn Jesum Christ, durch welchen wir auch einen Zugang haben im Glauben zu dieser Gnade, darinnen wir stehen, und rühmen uns der Hoffnung der Herrlichkeit Gottes. Ebend. S. 975. Röm. 11,20. „Sie sind zerbrochen um ihres Unglaubens willen; du stehest aber durch den Glauben.“ Kol. 1,22.23. „Auf dass er euch darstellete heilig und unsträflich, und ohne Tadel vor ihm selbst, so ihr anders bleibet im Glauben gegründet und fest.“ 1 Petr. 1,5. „Euch, die ihr aus Gottes Macht durch den Glauben bewahret werdet zur Seligkeit.“

 

+ 18. Wenn die guten Werke zur Seligkeit nicht notwendig sind, so werden sie schädlich und verderblich zur Seligkeit sein?

 

„Wenn jemand die guten Werke in den Artikel der Rechtfertigung ziehen, seine Gerechtigkeit oder das Vertrauen der Seligkeit darauf setzen, damit die Gnade Gottes verdienen, und dadurch selig werden wollte: hierauf saget Paulus selbst, dass einem solchen Menschen seine Werke nicht allein unnützlich und hinderlich, sondern auch schädlich sein.“ Conc. Form. a. a. O. S. 976. Phil. 3,7.8. „Aber was mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Schaden geachtet. Denn ich achte es alles für Schaden gegen der überschwenglichen Erkenntnis Jesu Christi, meines Herrn, um welches willen ich alles habe für Schaden gerechnet, und achte es für Dreck, auf dass ich Christum gewinne.“

 

+ 19. Auf diese Weise wären die guten Werke an sich schädlich und verderblich?

 

Du schließest schlecht von dem Zufälligen auf das, was an sich ist. Denn durch das Zufällige geschieht es, dass die guten Werke schädlich sind: sofern nämlich ein falsches Vertrauen gegen das ausdrückliche Wort Gottes auf sie gesetzt wird. Doch deshalb ist es nicht erlaubt, einfach und nackt zu behaupten: gute Werke sind den Gläubigen zu oder an ihrer Seligkeit schädlich. Denn diese Redensart, also bloß gesetzt, ist falsch und ärgerlich, dadurch Zucht und Ehrbarkeit geschwächt, das rohe, wilde, sichere, epikurische Leben eingeführt und gestärkt wird. Concord. Form. a. a. O. S. 976 ff. (S. 101)

 

- FORTSETZUNG -