Leonhard Hutter (1563-1616):
Inbegriff der Glaubens-Artikel (Compendium locorum theologicorum)
Zweiundzwanzigster Artikel. Von den Opfern und der katholischen Messe.
1. Was ist ein eigentliches Opfer?
„Ein Opfer ist eine Zeremonie oder ein Werk, von Gott befohlen, das wir Gott geben, ihn damit zu ehren.“ Apol. Art. 12. S. 428. (S. 147)
2. Wie unterscheidet sich das Opfer von dem Sakrament?
„Das Sakrament ist eine Zeremonie, oder ein Werk, dadurch uns Gott gibt dasjenige, so die göttliche Verheißung, welche derselbigen Zeremonie angeheftet ist, anbietet: das Opfer aber ist, wie schon gesagt, ein Werk, wodurch wir Gott etwas darbringen. Ebend. S. 427.
3. Wie viel Arten der Opfer gibt es?
Es gibt nur zwei Arten der Opfer: „das Eine ist ein Versühn-Opfer, dadurch genug getan wird für Pein und Schuld, Gottes Zorn gestillt und versühnt, und Vergebung der Sünde für Andere erlanget.“ Solches Opfer ist nur ein einziges in der Welt dargebracht worden, und zwar nur einmal, kann und soll auch nicht wiederholt werden, nämlich das Opfer des Todes Christi. Ebr. 7,27 und Kap. 10,12. Die andere Art ist „ein Dankopfer, dadurch nicht Vergebung der Sünde oder Versühnung erlangt wird; sondern geschieht von denjenigen, welche, schon versühnt sein, dass sie für die erlangte Vergebung der Sünde, und andere Gnaden und Gaben danksagen.“ Der Art Opfer waren im Alten Bunde das Schuldopfer, Speisopfer, das Dankopfer, die Erstlinge, und der Zehnte. Ebend. S. 428.
+ 4. Waren denn einige levitische Opfer auch Sühnopfer?
Ja; aber sie wurden also genannt um der Bedeutung willen, nicht dass sie durch ihre Kraft oder an sich Vergebung der Sünden vor Gott verdienten: sondern teils deshalb, weil sie Vorbilder waren des verheißenen, reinen, einzigen und wahren Sühnopfers des Messias, teils deshalb, weil sie eine Sühnung der Sünden waren nach dem Gesetz. Denn diejenigen, für welche sie geschahen, wurden durch solche Opfer versühnt, dass sie nicht aus der Gemeine des Volks Israel verstoßen würden. Und in dieser kirchlichen Rücksicht wurden sie Sühnopfer für Sünde und Vergehen, und Brandopfer genannt. Ebend.
+ 5. Finden diese levitische Sühnopfer noch jetzt in der Kirche Gottes statt?
Nein. Denn weil das levitische Gesetz mit der Offenbarung des Evangeliums aufhören musste, so hörten auch diese Opfer auf. Oder sie waren vielmehr deshalb nicht wahre Sühnopfer, weil das Evangelium zu dem Zwecke gegeben ward, dass es die wahre Versöhnung bringe. (S. 148)
+ 6. Sind die Dankopfer nur von einerlei Art?
Nein. Denn einige waren nur äußerliche Opfer, welche im 3. Buch Mosis beschrieben, und schon längst veraltet sind. Andere aber sind geistliche Dankopfer, und diese sind beiden Testamenten gemein, und werden bis zu dem Ende der Welt dauern; zu welcher Art die Lobopfer gehören, als: die Predigt des Evangeliums, der Glaube, das Gebet, die Danksagung, das Bekenntnis und Kreuz der Heiligen: kurz, alle Werke der Heiligen. Und von diesen geistlichen Opfern sagt Malachias Kap. 1,11: „Vom Aufgang der Sonne bis zum Niedergang soll mein Name herrlich werden unter den Heiden; und an allen Orten soll meinem Namen geräuchert und ein reines Speisopfer geopfert werden.“ Und Sct. Petrus 1 Ep. Kap. 2,5 und 9: „Ihr seid das königliche Priestertum, zu opfern geistliche Opfer, die Gott angenehm sind durch Jesum Christum.“ Ebend. S. 433.
* 7. Verdienten die levitischen Opfer etwas, ex opere operato, d. i. bloß dadurch, dass sie geschahen, ohne Rücksicht auf den Opfernden?
Nein. Denn die Propheten des Alten Testaments selbst verdammten die Meinung, dass die Opfer schon an sich genug täten, und verlangten die Gerechtigkeit und Opfer des Geistes. Jerem. 7,22. „Ich habe nicht mit euern Vätern von Opfern geredet, oder Brandopfer, da ich sie aus Ägyptenland führte; sondern dies Wort habe ich ihnen geboten: Höret meine Stimme und ich will euer Gott sein.“ Ps. 50,13. „Meinst du, dass ich Ochsenfleisch essen wolle? etc. Rufe mich an in der Zeit der Not, so will ich dich erretten, und du sollst mich preisen.“ Ps. 51,18. „Du hast nicht Lust zum Opfer etc. Die Opfer, die Gott gefallen, sind ein geängsteter Geist; ein geängstetes und zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verachten.“
* 8. Ist denn die katholische Messe ein eigentliches Opfer?
Die Katholischen sagen zwar Ja dazu, indem sie behaupten, dass in der Messe, d. i. in der Feier des heiligen Abendmahls, der Leib und das Blut Christi von dem Priester Gott dem Vater dargebracht werde, für die Sünden der Lebendigen und Toten. Aber diese Meinung verwerfe und verdamme ich als gottlos und lästerlich. S. Augsb. Conf. Art. 24. S. 64. (S. 149)
* 9. Warum denn?
Erstens, weil Christus, nach dem Zeugnis der heil. Schrift, nur einmal, in seinem Leiden am Kreuz, dargebracht werden musste und dargebracht worden ist, Ebr. 7,27. Kp. 9,12. Kp. 10,2 und 12. Daher kann es nicht geschehen, dass er in der Messe, und zwar unablässig, dargebracht werde. Ebend. Zweitens lehrt die heil. Schrift, dass wir vor Gott gerechtfertigt werden durch den Glauben an Jesum Christum, wenn wir nämlich glauben, dass uns die Sünden um Christi willen vergeben werden. Wenn nun die katholische Messe, an und für sich, bloß als Werk, die Sünden der Lebendigen und Toten tilgte, so käme wahrlich die Rechtfertigung nicht aus dem Glauben, sondern aus dem Werk der Messe. Ebend. Drittens wird in den Einsetzungsworten ein doppelter Gebrauch des heil. Abendmahls ausgedrückt: 1) ein äußerlicher, welcher im Essen und Trinken besteht; 2) ein innerlicher, dass es nämlich geschehe zum Gedächtnis des Herrn. Aber keiner dieses zwiefachen Gebrauchs kann die Andeutung zu einer Opfer-Einsetzung sein, ja der letztere wirft das ganze Messopfer von Grund aus um. Denn wenn hier das Gedächtnis eines Opfers begangen wird, so kann das heil. Abendmahl gewiss nicht dieses Opfer selbst sein. Viertens endlich hat diese katholische Messe, gleichwie ein Drachen-Schwanz, vielen Missbrauch und Götzendienst erzeugt, als: die Lehre vom Fegfeuer, Geistererscheinungen, Wallfahrten, Brüderschaften, Heiligen-Reliquien, auch Ablass, der zu Gunsten der Lebendigen und Toten für Geld verkauft wurde.