Leonhard Hutter (1563-1616):
Inbegriff der Glaubens-Artikel (Compendium locorum theologicorum)
Siebenundzwanzigster Artikel. Von der Obrigkeit und bürgerlichen Dingen.
1. Was ist die weltliche Obrigkeit?
Sie ist ein von Gott geordneter Stand, welcher das Gesetz, und zwar die Gebote beider Tafeln, in äußerlicher Zucht erhalten, und den Frieden verteidigen soll. Auch hat sie Macht, mit leiblicher Gewalt zu bestrafen. Melanchth. im Exam.
2. Welche sind die vorzüglichsten Pflichten der weltlichen Obrigkeit?
Vier: die erste, dass sie Sorge trage für die Gebote beider Tafeln, soweit sie die äußerliche Zucht angehen. Die zweite, über bürgerliche und häusliche Angelegenheiten Gesetze zu geben, welche mit dem göttlichen und natürlichen Rechte übereinstimmen. Die dritte, dass sie sorgfältig darauf achte, dass die gegebenen Gesetze auch vollzogen werden. Die vierte, dass sie die Sünder, nach Maßgabe ihrer Verbrechen, bestrafe, die Gehorsamen aber begünstige und belohne.
3. Ist es erlaubt, ein obrigkeitliches und andere bürgerliche Ämter zu übernehmen?
„Von Polizei und weltlichem Regiment wird gelehrt, dass alle Obrigkeit in der Welt, und geordnete Regiment und Gesetze, gute Ordnung von Gott geschaffen und eingesetzt sind. Und dass Christen mögen in Obrigkeit-, Fürsten- und Richter-Amt, ohne Sünde sein, nach Kaiserlichen und andern üblichen Rechten Urteil und Recht sprechen, Übeltäter mit dem Schwert strafen, rechte Kriege führen, streiten, kaufen und verkaufen, aufgelegte Eide tun, eigens haben, ehelich sein etc.“ Augsb. Conf. Art. 16. S. 46 f.
4. Also hebt das Evangelium die bürgerlichen Verfassungen nicht auf?
Nein: denn das Evangelium handelt vom Reiche Christi, welches geistlich ist, d. i. welches „mehret in uns den Glauben, Gottesfurcht, Liebe, Geduld inwendig im Herzen, und sähet hie auf Erden in uns Gottes Reich und das ewige Leben an. So lange aber dies Leben währt, lässt es uns nichts desto weniger (S. 162) brauchen der Gesetze, der Ordnung und Stände, so in der Welt gehen, darnach eines jeden Beruf ist, gleich wie es uns lässt brauchen der Arznei: Item, Bauens und Pflanzens, der Luft, des Wassers.“ „Und das Evangelium bringet nicht neue Gesetze im Weltregiment, sondern gebeut und will haben, dass wir den Gesetzen sollen gehorsam sein, und der Oberkeit, darunter wir wohnen, es sein Heiden oder Christen, und dass wir in solchem Gehorsam unsere Liebe erzeigen sollen.“ Apol. Art. 8. S. 359.
+ 5. Beweis' aus der heil. Schrift, dass der Gebrauch bürgerlicher Dinge erlaubt ist?
Den Stand der weltlichen Obrigkeit bestätigt erstens der Befehl Gottes, 5 Mos. 16,18: „Richter und Amtleute sollst du dir setzen in allen deinen Toren dass sie das Volk richten, mit rechtem Gericht.“ Den Gehorsam aber, welchen wir der Obrigkeit schuldig sind, bestätigt Sct. Paulus Röm. 13,1 und 2: „Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat – Wer sich nun wider die Obrigkeit setzet, der widerstrebet Gottes Ordnung etc.“ Kl. Katech. S. 600.
* 6. Ist es erlaubt, Gericht zu halten?
Dass es erlaubt sei, Gericht zu halten, geht deutlich hervor aus dem Beispiele des Herrn selbst, Joh. 18,23., und des Apostels Paulus, welcher sich im Gericht verteidigt, Apostelgesch. 23,5., und an das römische Recht, Apstlgesch. 22,25., ja an den Kaiser selbst appelliert, Apstlgesch. 25,11.
+ 7. Ist es recht, die Sünde mit dem Tode zu bestrafen?
Das Recht, über die Gottlosen die Todesstrafe zu verhängen, geht wiederum aus dem Worte des Apostels hervor, Röm. 13,4: „Tust du Böses, so fürchte dich; denn sie trägt das Schwert nicht umsonst, sie ist Gottes Dienerin, eine Rächerin zur Strafe über den, der Böses tut.“
+ 8. Ist es erlaubt, Krieg zu führen?
Ja; denn Gott selbst hat durch Moses die Kriegsweise vorgeschrieben, 5 Mos. 20,1. Auch kommen hie und da in der heiligen Schrift Beispiele von Kriegern vor, von denen bekannt ist, dass sie Gott angenehm gewesen, als Abraham, 1 Mos. 14; Moses, David etc. Und sogar Johannes der Täufer bestätigt die Kriegsordnung, indem er den Soldaten gebietet, dass sie mit ihrem Sold zufrieden sein sollen. Luc. 3,13. (S. 163)
* 9. Aber erlaubt die heil. Schrift auch, bürgerlichen Handel und Wandel zu führen?
Die heil. Schrift billigt solchen Handel und Wandel, wenn sie rechtmäßiger Weise geführt werden, 1 Thess. 4,6: „Dass Niemand zu weit greife, noch vervorteile seinen Bruder im Handel; denn der Herr ist der Rächer über das Alles.“ Apol. Art. 8. S. 363.
* 10. Darf ein Christ Eigentum besitzen?
Den Besitz irdischer Güter hebt das Evangelium nicht auf, und der Apostel befiehlt denen, welche an solchen reich sind, nicht, derselben sich zu entäußern, sondern untersagt ihnen nur, ihr Vertrauen auf diese Schätze zu setzen, 1 Timoth. 6,17. So sagt Salomo, Sprüche 5,15: „Trink Wasser aus deiner Grube, und Bäche aus deinem Brunnen mögen aus deinen Quellen herausfließen auf die Gasse, und Flüsse auf die Straßen. Habe du sie aber allein, und kein Fremder mit dir.“ Und dasselbe deutet auch das siebente Gebot an: Du sollst nicht stehlen. Apol. Art. 8. S. 362.
+ 11. Darf der Christ schwören?
Dass dem Christen erlaubt ist, zu schwören, geht schon daraus hervor, dass Gott selbst vorhersagt, dies werde auch ein Kenn- und Merkzeichen der Bürger des Reichs Christi sein, dass sie bei dem Namen des wahren Gottes schwören würden, Jes. 65,15. Jerem. 4,2. Kp. 12,19. Ja, Gott selbst befiehlt: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, fürchten, und ihm dienen, und bei seinem Namen schwören.“ 5 Mos 6,13. S. Gr. Katech. S. 644.
+ 12. Kannst du ebendasselbe von der Ehe dartun?
Ja; denn die Ehe ist in der heil. Schrift nicht nur als nützlich und löblich gepriesen, sondern sogar als notwendig befohlen. 1 Mos. 2,24. „Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen, und an seinem Weibe hangen, und sie werden sein Ein Fleisch.“ Matth. 19,4 und 6. „Er antwortete aber und sprach zu ihnen: Habt ihr nicht gelesen, dass, der im Anfang den Menschen gemacht hat, der machte, dass ein Mann und Weib sein sollte; und sprach: Darum wird ein Mensch Vater und Mutter verlassen, und an seinem Weibe hangen, und werden die zwei Ein Fleisch sein.“ Hebr. 13,4. „Die Ehe soll ehrlich gehalten werden bei allen, und das Ehebett unbefleckt.“ – Vgl. den ganzen 128. Psalm. (S. 164)
* 13. Ist denn aber der Gebrauch solcher bürgerlichen Dinge nicht der christl. Vollkommenheit entgegen?
So lehren zwar die Wiedertäufer, welche den Christen solche bürgerliche Dinge geradezu untersagen, weil sie mit der christlichen Vollkommenheit im Widerspruch seien. Aber dies ist eine lautere Lüge und Betrug; „denn christliche Vollkommenheit stehet nicht darinne, dass ich mich äußerlich fromm stelle, und von dem Weltwesen mich absondere; sondern der Glaube und rechte Gottesfurcht im Herzen ist die Vollkommenheit. Denn Abraham, David, Daniel sind im Königlichen Stande, in großen Fürsten-Räten und Ämtern gewesen, haben auch große Reichtümer gehabt, und sind doch heiliger, vollkommener gewesen, denn je ein Mönch oder Kartäuser ist auf Erden kommen.“ Apolog. Art. 8. S. 362.
+ 14. Muss man der Obrigkeit in allen Stücken gehorchen?
„Die Christen sind schuldig, der Obrigkeit untertan und ihren Geboten gehorsam zu sein, in allem, so ohne Sünde geschehen mag. Denn so der Obrigkeit Gebot ohne Sünde nicht geschehen mag, soll man Gott mehr gehorsam sein, denn den Menschen, Apstlgesch. 4,9.“ Augsb. Conf. Art. 16. S. 47. Vgl. Gr. Katech. S. 663 ff.
+ 15. Wenn man immer mit dem Urteil der Obrigkeit zufrieden sein muss, so darf ja wohl die Privatrache nicht mehr statt finden?
Ganz recht; denn die Privatrache wird nicht durch einen Rath, sondern durch einen Befehl verboten, Matth. 5,44: „Liebet eure Feinde; segnet, die euch fluchen; tut wohl denen, die euch hassen; bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen. Röm. 12,17 und 19. „Vergeltet Niemand Böses mit Bösem: rächet euch selber nicht, sondern gebet Raum dem Zorn; denn es stehet geschrieben: Die Rache ist mein, ich will vergelten, spricht der Herr.“ Die öffentliche Rache aber, welche die Obrigkeit Amtshalber vollzieht, wird nicht verboten, sondern geboten, und ist ein Werk Gottes, Röm. 13,2. Dahingehören: Gerichte, Todesurteile, Kriege, Kriegsdienste usw. (S. 165)