Chemnitz - Sünde
VON DER SÜNDE.
WAS IST UND HEIßT SÜNDE VOR GOTT?
Alles, was wider Gottes Gesetz oder die Zehn Gebote ist, nicht allein was im Werk und mit der Tat, äußerlich und innerlich dawider geschieht, sondern auch was in unserer Natur dem Gesetze ungemäß und zuwider ist. Röm. 3 und 7.
SO WIRD DAS NICHT SÜNDE SEIN, WAS WIDER DER OBRIGKEIT GEBOT GESCHIEHT?
Ja; denn die Obrigkeit mit ihren rechtmäßigen Mandaten gehört in das vierte Gebot. Röm 13.
SO WIRD ES AUCH SÜNDE SEIN, WAS WIDER DER BISCHÖFE UND PRÄLATEN SATZUNGEN GESCHIEHT? DENN DIE GEHÖREN INS DRITTE GEBOT.
Wenn die Bischöfe Gottes Wort lehren und gebieten, was Christus befohlen hat, so spricht Christus: „Wer euch höret, der höret mich; wer euch verachtet, der verachtet mich“, Luk. 10. Matth. 12. 1 Thess. 4. Wenn sie aber etwas lehren und gebieten, das wider Gottes Wort ist, oder wenn sie ohne Gottes Wort und Befehl etwas auf die Gewissen legen wollen als nötig zum Gottesdienst und Gerechtigkeit, so heißt es: „Hütet euch vor dem Sauerteige der Pharisäer“, Luk. 11; „Vergebens dienen sie mir“, Matth. 15; „Lasst euch nicht fangen mit Menschensatzungen“, Kol. 2, Gal. 5.
WIE KOMMT ES, DASS DAS ALLEINE SÜNDE IST, WAS WIDER GOTTES GEBOT IST?
Denn Gott will alleine in seiner Kirche, als in seinem großen Hause zu gebieten und verbieten haben und über die Gewissen alleine regieren, wie er darum die Gebote also anhebt: „Ich bin der Herr, dein Gott“, Exod. 20. Hes. 20; hat derhalben eine gewisse Regel gestellet, nach welcher erkennet und geurteilet solle werden, was er für recht und gut, item, was er für unrecht und Sünde halte.
WAS IST GOTTES SENTENZ UND URTEIL ÜBER DIE SÜNDE, WO IN DIESEM LEBEN DER SÜNDER MIT GOTT NICHT AUSGESÖHNT WIRD?
Er hasset die Sünde, hat einen Greuel daran und zürnet darüber, Ps. 5. Deuteron. 32; und das nicht alleine mit Drohworten, sondern er ist ein eifriger Gott, der die Missetat mit zeitlichen und ewigen Strafen an Leib und Seele heimsucht, Exod. 20, item Röm. 2: „Ungnade und Zorn, Trübsal und Angst über alle Seele, die Böses tut“; Gal. 3: „Verfluchet sei, der nicht in allem bleibet, was im Gesetz geschrieben ist“; Röm. 6: „Der Sünden Sold ist der Tod“; Mark. 9: „Ihr Wurm wird nicht sterben und ihr Feuer nicht verlöschen.“
WIE MANCHERLEI IST DIE SÜNDE?
Erstlich zweierlei: Erbsünde und wirkliche Sünde.
WARUM SPRICHT MAN NICHT: VIERERLEI, DASS ETLICHE DER SÜNDEN TÖDLICH, ETLICHE VERGEBLICH WÄREN?
Wenn man von der Sünde redet, was sie sei an ihr selbst, nach Gottes Gesetz, so ist nullum peccatum veniale (Anm.: keine Sünde vergeblich oder erlässlich), sondern tragen alle auf sich die Schuld des ewigen Todes. Darum gehöret distinctio mortalis et venialis (Anm.: die Unterscheidung zwischen Todsünde und erlässlicher Sünde) dahin, wenn die Person mit Gott durch den Glauben an Christum versöhnet ist, soll derhalben davon hernach gesaget werden.
WAS IST DIE ERBSÜNDE?
Recitetur usitata definitio, et ad ejus explicationem subjungantur aliae quaestiones (Anm.: man gebe die gebräuchliche Definition an, und an die Erklärung derselben lasse man andere Fragen sich anschließen).
WO IST DIE ERBSÜNDE HERGEKOMMEN?
Durch einen Menschen ist die Sünde in die Welt gekommen, und der Tod durch die Sünde. Röm. 5.
IST SIE DENN ALSO VON ADAM HERGEKOMMEN, DASS DERSELBE NUR DURCH SEINEN UNGEHORSAM EIN BÖSES EXEMPEL GEGEBEN HAT, ODER DASS WIR ALLEIN DIE STRAFE DES FALLES ADAMS TRAGEN MÜSSEN, UND DOCH IN UNSERER NATUR REIN UND UNSCHULDIG SIND?
Die Erbsünde ist nicht schlecht eine wirkliche Nachfolgung des bösen Exempels Adams, auch ist sie nicht ein solcher bloßer reatus (Anm.: Schuld), als wenn ein frommes, unschuldiges Kind seiner bösen Mutter entgelten muss, sondern
Durch Adams Fall ist ganz verderbt
Menschlich Natur und Wesen;
Dasselb Gift ist auf uns geerbt, etc.
IST DENN DIE NATUR ALSO BLIND, ZERRÜTTET UND VERDERBET ANFÄNGLICH VON GOTT GESCHAFFEN?
Nein; sondern Gott hat den Menschen anfänglich geschaffen nach seinem Bilde, dass in des Menschen Verstande, Gemüt, Willen, Herz, ja in der ganzen Natur, in allen Kräften geleuchtet hat eine heilige, reine Gleichförmigkeit mit Gottes Willen. Aber aus des Teufels Anreizungen haben die ersten Eltern durch ihren freien Willen von Gottes Gehorsam sich abgewendet und durch solchen Fall dieselbigen herrlichen, schönen Gaben und Güter verloren.
WAS KANN UNS DAS SCHADEN, WAS ADAM UND EVA VERLOREN HABEN?
Adam ist der Hauptstamm, aus welchem das ganze menschliche Geschlecht sollte propagieret (Anm.: fortgepflanzt) werden, und hat Gott in desselben Natur die gemeldten Güter also gleich deponiert und beleget, dass er sie, wo er in derselbigen Gerechtigkeit bestanden wäre, allen seinen Nachkommen durch die leibliche Geburt hätte sollen auferben als eine Erbgerechtigkeit. Und also hat er die Güter nicht ihm allein, sondern uns allen verloren; denn wir sind nach seinem Bilde gezeuget, Gen. 5, und tragen das Bild des Irdischen, dass, wie er durch den Fall verderbet ist, also sind wir auch von Natur. 1 Kor. 15. Eph. 2. Röm. 5.
WORIN STEHET NUN EIGENTLICH DIE ERBSÜNDE, DASS WIR DIESELBIGE IN UNSERER NATUR ERKENNEN MÖGEN?
Erstlich in defectu seu carentia (Anm.: in einem Fehlen oder Ermangeln), dass unsere Natur in und aus der ersten Geburt nicht hat noch mit sich bringt vorgemeldte Gleichförmigkeit mit Gottes Wort und Willen, hat auch nicht die Kräfte und Vermögen, solche Gleichförmigkeit anzufangen und anzurichten, sondern ist beraubet, entblößet und mangelt derselbigen Gaben und Güter. 1 Kor. 2 und 4, und 2 Kor. 3. Zum andern ist nicht allein solcher Mangel in unserer Natur, sondern anstatt der verlorenen Erbgerechtigkeit ist in die Natur eingesessen eine böse, giftige Unart, Zerrüttung und Verderbung aller Kräfte des Menschen, also dass der Mensch von Natur zu dem, was Gottes Wille erfordert, unlustig und unwillig ist, hängt aber, neiget, reizet, locket, treibet mit Lust, Liebe und Willen zu dem, was Gottes Willen entgegen ist, also dass aus der bösen Wurzel nichts Anderes, denn böse Früchte hervor kommen können. Gen. 6 und 8. Ps. 51. Matth. 7.12.15. Jer. 15. Joh. 3. Röm. 5 und 7. Zum dritten, um solcher Erbsünde willen sind alle Menschen, so vom Fleisch geboren, von Natur Kinder des Zorns, Eph. 2, zur Verdammnis, Röm. 5.
WIE BEWEISET MAN AUS DER SCHRIFT, DASS DIE ERBSÜNDE SEI, UND WAS SIE SEI?
Hier soll Erklärung und rechter Verstand jetzt angezogener Sprüche erfordert werden: Gen. 2. 3. 5. 6. 8. Ps. 51. Jer. 15. Röm. 5 und 7. Eph. 2. 1 Kor. 15. Joh. 3. Matth. 15 etc.
IST ES AUCH NÖTIG, DASS MAN DIE ERBSÜNDE ERKENNE UND WAHRHAFTIG FÜR SÜNDE HALTE?
Gottes Wort lehret, dass Christen für Sünde halten und erkennen sollen nicht allein die wirklichen Übertretungen der Gebote Gottes, welche auch die Vernunft etlichermaßen für Sünde erkennet, sondern dass vornehmlich der greuliche Erbschade der angebornen Erbsünde, dadurch die ganze Natur des Menschen verkehret und verderbet ist, wahrhaftig solle für Sünde gehalten und erkennet werden, ja für die Hauptsünde, welche eine Wurzel, Brunnquell und Ursache ist aller wirklichen Sünde, wie die vorgemeldten Zeugnisse der Schrift beweisen, und wird von Dr. Luther genennet Natursünde oder Personsünde, anzuzeigen, dass nicht allein Gedanken, Lüste, Worte und Werke am Menschen böse seien, sondern dass auch seine Natur oder Person sündlich, das ist durch die Erbsünde vergiftet, verkehret und verderbet sei.
IST DENN DES MENSCHEN NATUR, PERSON UND WESEN, ODER SEIN LEIB UND SEELE DIE ERBSÜNDE SELBST?
In den Schmalkaldischen Artikeln wird die Erbsünde also beschrieben, dass sie sei eine tiefe Verderbung der ganzen Natur am Menschen. Nun ist aber ja dasselbige, so verderbet ist, und dasjenige, dadurch es verderbet ist, nicht ein Ding, wie auch der Aussatz und der aussätzige Leib nicht ein Ding ist, wenn man eigentlich reden will. Und weil Paulus saget Röm. 7, die Erbsünde wohne im Fleisch, so kann das Fleisch, darin die Sünde wohnet, und die Sünde, so im Fleisch wohnet, nicht ein Ding sein proprie loquendo (Anm.: eigentlich zu reden).
HAT ES DENN DIE MEINUNG, DASS DIE MENSCHLICHE NATUR NACH DEM FALL FÜR SICH NOCH REIN, GUT UND UNVERDERBET, UND DASS ALLEIN DIE ERBSÜNDE IN DER NATUR BÖSE SEI?
Durch Adams Fall ist ganz verderbt menschlich Natur und Wesen, also dass wir alle abgewichen, untüchtig und ungerecht sind, Röm. 3, und von wegen solcher Verderbung wird die ganze verderbte Natur des Menschen durch das Gesetze angeklaget und verdammet, wo nicht solche Sünde um Christus willen vergeben wird.
IST DENN DIE ERBSÜNDE EIN SCHLECHTER ANFLIEGENDER SCHADE, ALS EIN ANGESPRENGTER FLECK ODER MAKEL, SO LEICHTLICH KANN ABGEWISCHET WERDEN, DABEI ODER DARUNTER DIE NATUR NOCH GAR GUT SEI, ODER JA IN GEISTLICHEN SACHEN NOCH ETWAS VON SICH SELBST GUTES HABE UND VERMÖGE?
Die Erbsünde ist, wie droben gemeldet, eine tiefe Verderbung, dadurch die menschliche Natur an Leib, an Seele und an allen Kräften ganz und gar, durch und durch, zu Grunde verkehret und verderbet ist, also dass vor Gott, sonderlich in geistlichen Sachen, nichts Gutes im Fleische wohne, Röm. 7, sondern alles Dichten und Trachten des menschlichen Herzens von Natur nur böse sei, Gen. 6 und 8. Und wie tief, greulich und schwer der Erbschade sei, weiß und kennet keine Vernunft nicht, sondern es muss aus der Schrift Offenbarung gelernet und geglaubet werden. Denn des Menschen Herz ist so böse und verderbt, dass es unerforschlich ist, Jerem. 17, und ist der Erbschade so groß, dass er allein durch des H. Geistes Wiedergeburt und Erneuerung kann geheilet werden, welches doch in diesem Leben nur angefangen, aber allererst in jenem Leben vollkommen sein wird.
WOZU IST ES DENN NÜTZE ODER NOT, DASS MAN UNTERSCHIED MACHE UND HALTE ZWISCHEN DES MENSCHEN NATUR ODER WESEN, DAS IST SEIN LEIB UND SEEL, SO DURCH DIE SÜNDE VERDERBET, UND ZWISCHEN DER SÜNDE, DAMIT UND DADURCH DER MENSCH VERDERBT IST?
Wiewohl die Erbsünde die ganze menschliche Natur wie ein geistlich Gift und Aussatz, wie Luther redet, vergiftet und verderbet hat, dass man augenscheinlich nicht zeigen und weisen kann die Natur besonders für sich und die Erbsünde auch besonders für sich, weil die Erbsünde nicht etwas Selbständiges ist außer der menschlichen Natur, so müssen doch unterschiedlich betrachtet werden des Menschen Natur oder Wesen, das ist, sein Leib und Seele, welche Gottes Geschöpf und Creatur sind, und die Erbsünde, welche ein Werk des Teufels ist, dadurch die Natur verderbet. Und dazu dringen uns die vornehmsten Artikel des Glaubens. Als erstlich der Artikel der Schöpfung. Denn die Schrift zeuget, dass Gott nicht alleine vor dem Falle menschliche Natur geschaffen habe, sondern dass auch nach dem Falle Gott ein Schöpfer, formator et factor (Anm.: Bildner und Macher) sei dieser unserer Natur, dieses unsers Wesens, unsers Leibes und unserer Seele, also, dass der Mensch nach dem Wesen, wie er Leib und Seele hat, eine Creatur und Werk Gottes sei, wiewohl dieselbe Creatur und das Werk Gottes durch die Sünde jämmerlich verderbet ist. Deut. 32. Jes. 45. 54. 64. Act. 17. Hiob 10. Ps. 138 und 139. Eccles. 12, item Apoc. 4: „Herr, du hast alle Dinge erschaffen, und aus deinem Willen haben sie das Wesen und sind erschaffen“, wie auch unser Kleiner Katechismus in der Auslegung des Ersten Artikels solches bekennet. Weil aber die Erbsünde nicht von Gott herkommt, Gott auch nicht ein Schöpfer oder Stifter der Sünde ist, die Erbsünde auch nicht eine Creatur oder Werk Gottes, sondern des Teufels Werk ist: auf dass nun nicht entweder Gott zum Stifter der Sünde, oder der Satan zum Schöpfer unserer Natur und Wesens, unsers Leibes und Seelen gemacht, sondern dass Gottes Geschöpf und Werk am Menschen von des Teufels Werk unterschieden möge werden, derhalben muss ein Unterschied gehalten werden zwischen der Natur oder Wesen unsers Leibes und Seele, welches Gottes Werk und Geschöpf ist, und zwischen der Sünde, welche unserer Natur Verderbung und ein Werk des Teufels ist. Zum andern, im Artikel der Erlösung zeuget die Schrift gewaltig, dass Gottes Sohn unsere menschliche Natur, welche in der Empfängnis durch den H. Geist von der Sünde gänzlich gereiniget, angenommen habe, also, dass er uns, seinen Brüdern, allenthalben gleich (et sicut veteres locuti sunt, consubstantialis – Anm.: und, wie die Alten geredet haben, consubstantial oder gleiches Wesens) worden sei, ausgenommen der Sünde, Hebr. 2. Wenn nun ganz und gar kein Unterschied wäre zwischen unserer menschlichen Natur, so durch die Sünde verderbet, und zwischen der Erbsünde, dadurch die Natur in uns verderbet, so müsste folgen, dass entweder Christus unsere menschliche Natur, dieses unsers Wesens nicht hätte angenommen, weil er die Sünde nicht hat angenommen; oder, weil er unsere Natur angenommen, dass er auch die Sünde angenommen hätte. Weil aber beides wider die Schrift ist, so ist hieraus der oftgemeldte Unterschied unwidersprechlich klar. Zum dritten, im Artikel der Heiligung lehret die Schrift, dass Gott den Menschen von der Sünde abwasche, reinige und heilige, erstlich durch gnädige Vergebung und Zudeckung, darnach auch durch die angefangene Erneuerung und Heiligung. So kann ja die Sünde der Mensch selber nicht sein. Denn die Person oder den Menschen nimmt Gott um Christus willen zu Gnaden und zur Kindschaft auf. Die Sünde aber wird nimmermehr Gottes angenehmes Kind. So wird auch die Sünde einmal in den Gläubigen nach diesem Leben aufhören; aber Leib und Seele wird im ewigen Leben bleiben. Zum vierten, im Artikel von der Auferstehung der Toten und vom ewigen Leben zeuget die Schrift, dass eben dieses unsers Fleisches Substanz, Hiob 30, aber verkläret und ohne Sünde auferstehen wird, und dass wir im ewigen Leben eben diese unsere Seele, aber verkläret und ohne Sünde, haben werden. Wenn nun gar kein Unterschied wäre zwischen unserm Leib und Seele und zwischen der Erbsünde, so würde wider diese Artikel unsers christlichen Glaubens folgen, dass entweder dies unser Fleisch am jüngsten Tage nicht auferstehen, und dass wir im ewigen Leben nicht dies Wesen unsers Leibes und Seelen, sondern eine andere Substanz haben würden, weil die Auserwählten da werden ohne Sünde sein, – oder dass auch die Sünde auferstehen und im ewigen Leben in den Auserwählten sein und bleiben würde, weil dies unser Leib und Seele da sein und bleiben wird. Hieraus ist klar, wie und warum, auch wiefern Unterschied müsse gehalten werden zwischen der Natur oder Substanz des Menschen, so durch die Sünde verderbet und zwischen der Sünde, damit und dadurch der Mensch verderbet ist.
SOLL MAN DIE ERBSÜNDE NENNEN SUBSTANTIAM VEL ACCIDENS?
Weil die philosophica et dialectica vocabula substantiae et accidentis (Anm.: die philosophischen und dialektischen Ausdrücke Substanz und Accidens) dem gemeinen Manne unbekannt, und nicht genugsam erkläret können werden, soll billig die einfältige Kirche mit solchen Schulworten verschonet werden, weil man sonst in dem Vorbilde der gesunden Worte andere bekannte, gebräuchliche Rede hat, dadurch man diese Lehre dem gemeinen Volke kann vortragen und erklären. Quando vero eruditi inter se in hisce disputationibus vocabulis artium vel terminis dialecticis utuntur, notum est, quod vulgo pro immediata divisione habetur, ut quidquid sit, vel substantia sit, vel accidens. Cumque Augustinus illam propositionem ut Manichaeam recte damnarit, peccatum esse substantiam vel naturam, manifestum est, quod vocabula dialectica ad doctrinam de peccato originis congruunt. Quia enim id, quod non per se subsistit, nec pars est alterius, sed in alio inest mutabiliter, usitate et vulgo accidens appellatur, Augustinus in hac disputatione a vocabulo accidentis non abhorruit. Quia vero philosophica illa vocabula accidentis et qualitatis leviora et frigidiora sunt, quam quae magnitudinem, gravitatem et abominationem peccati originalis exprimere possunt; ne igitur per aristotelica illa vocabula peccatum originis contra scripturae sententiam extenuetur, sicut scholastici scriptores per sua philosophica accidentia et dialecticas qualitates vim peccati originalis falso extenuarunt, diligenter cavendum est, ne philosophicis disputationibus et argumentis de formis substantialibus, de accidentibus et qualitatibus simplicitas doctrinae de peccato originali in scriptura traditae turbetur, aut depravetur. Addenda igitur est diserta declaratio, peccatum originis non esse tale leve accidens aut levem qualitatem, sicut dialectica de suis accidentibus et qualitatibus philosophatur, sed talem ac tantam esse totius naturae hominis depravationem, quam nec mens cogitando concipere, nec lingua dicendo eloqui potest. Ita Lutherus scribit in Ps. 90: Sive qualitatem, sive morbum vocaveris peccatum originis, certe extremum malum est (Anm.: Wenn aber die Gelehrten unter sich in solchen Disputationen die Kunstausdrücke oder dialektischen Redeweisen gebrauchen, so ist bekannt, dass es gemeiniglich als unmittelbare Einteilung gilt, dass alles, was ist, entweder Substanz oder Accidens ist. Und wenn Augustinus den Satz mit Recht als einen manichäischen verworfen hat, dass die Sünde Substanz oder Natur sei, so ist offenbar, dass sich die dialektischen Ausdrücke auf die Lehre von der Erbsünde anwenden lassen. Weil nämlich das, was nicht für sich besteht, auch nicht ein Teil eines Andern ist, sondern wandelbar an etwas Anderem haftet, gewöhnlich und gemeiniglich Accidens genannt wird, so hat Augustinus nicht Bedenken getragen, in Besprechung dieser Sache das Wort Accidens zu gebrauchen. Weil aber diese philosophischen Wörter „Accidens“ und „Qualität“ zu schwach und matt sind, um die Größe, Schwere und Abscheulichkeit der Erbsünde auszudrücken, damit also nicht durch jene aristotelischen Ausdrücke die Erbsünde gegen die Lehre der Schrift abgeschwächt werde, wie die scholastischen Schriftsteller durch ihre philosophischen „Accidentien“ und dialektischen „Qualitäten“ die Kraft der Erbsünde fälschlich abgeschwächt haben, so gilt es sorgfältig Acht zu haben, dass nicht durch philosophische Disputationen und Argumente von „Wesenssubstanz“, von „Accidens“ und „Qualität“ die Einfalt der Lehre von der Erbsünde, wie sie die Schrift vorträgt, getrübt oder verderbt werde. Es ist also die ausdrückliche Erklärung hinzuzufügen, dass die Erbsünde nicht sei so ein leichtes Accidens oder eine leichte Qualität, wie die Dialektik von ihrem „Accidens“ und ihren „Qualitäten“ philosophiert, sondern dass sie eine solche und so tiefe Verderbnis der ganzen Natur des Menschen ist, wie sie der Geist mit seinem Denken nicht fassen und die Sprache in Worten nicht ausreden kann. So schreibt Luther zu Ps. 90: Mag man nun die Erbsünde eine Qualität, mag man sie eine Krankheit nennen, jedenfalls ist sie gewiss das äußerste Übel).
WANN HEBT SICH DIE ERBSÜNDE IM MENSCHEN AN?
Nicht allererst, wenn er zu Verstande kömmt, gut und böse unterscheiden kann, ja nicht allein, wenn er erst auf diese Welt geboren wird, sondern wann er erst in Mutterleibe empfangen wird. Gen. 8. Joh. 3. Ps. 51.
WIE WERDEN WIR VON DER ERBSÜNDE ERLÖSET?
Durch Christum, welches Verdienst uns durch das Wasserbad im Wort applizieret wird, dass wir gereiniget und neugeboren werden. Joh. 3. Eph. 5. Tit. 3.
IST DENN NACH DER TAUFE IN DEN CHRISTEN IN DIESEM LEBEN NICHTS MEHR ÜBRIG VON DER ERBSÜNDE?
Paulus klaget mit allen lieben Heiligen Röm. 7, Gal. 5, dass in seinem Fleisch die Sünde noch wohne, errege in ihm allerlei böse Lust, nehme ihn oft gefangen, dass er stets durch den Geist dawider streiten muss, und bittet, dass ihm solches um Christi willen nicht zugerechnet werde.
WAS SCHAFFET DENN DIE TAUFE WIDER DIE ERBSÜNDE, SO SIE AUCH HERNACH NOCH BLEIBET?
Zweierlei, spricht Paulus Tit. 3, die Wiedergeburt und Erneuerung. Denn erstlich werden da die Sünden abgewaschen zur Vergebung, dass sie nicht zugerechnet werden, so die Getauften durch den Glauben in Christo bleiben. Act. 22. Ps. 32. Röm. 7 und 8. Und diese Vergebung ist nicht gestücket, sondern ganz und vollkommen. Zum andern, anstatt des Mangels der Erbgerechtigkeit wird durch den H. Geist angefangen die Erneuerung, die auch anhebet die angeborne Unart zu kreuzigen und abzutöten. Aber dasselbige wird in diesem Leben nicht gänzlich vollendet und gar ausgerichtet, sondern währet, muss wachsen und zunehmen durch das ganze Leben des Menschen, 2 Kor. 4. Röm. 7 und 8. Gal. 5.
IST DENN DASSELBIGE, SO VON DER ERBSÜNDE IN DEN GETAUFTEN NOCH ÜBRIG IST, AUCH WAHRHAFTIG AN IHM SELBST SÜNDE?
Die Erbsünde wird durch die Taufe nicht geheiliget, dass sie nun nach der Taufe in den Christen ein gutes, heiliges, Gott wohlgefälliges Ding sei; sondern sie ist und bleibet an ihr selbst ein Ding, das nicht gut, sondern böse und Gottes Gesetze zuwider ist; das ist, sie ist Sünde, wie sie Paulus ausdrücklich also nennet Röm. 7, ist auch für sich selbst des Todes würdig, wenn Gott damit in sein Gericht nach dem Gesetze gehen wollte. Allein dass sie denen, so durch den Glauben in Christo sind und bleiben, zur Verdammnis nicht zugerechnet wird. Röm. 7 und 8.
WANN HÖRET DENN DIE ERBSÜNDE IM MENSCHEN AUF?
Wenn der Leib der Sünden durch den leiblichen Tod zu Erde und Asche wird. Denn so lange wir hier im Fleisch leben, müssen wir uns mit derselbigen Sünde tragen, dawider kämpfen und streiten etc.
WAS SIND WIRKLICHE SÜNDEN?
Alle bösen Früchte, so aus der verderbten Wurzel der Erbsünde entspringen, innerlich in Gedanken, Willen, Affecten, äußerlich in Geberden, Worten und Werken, so wider Gottes Gebot sind.
WIE MANCHERLEI SIND DIE WIRKLICHEN SÜNDEN?
Etliche sind innerliche, etliche äußerliche Sünden; etliche öffentliche, etliche heimliche; etliche stehen im Tun, etliche im Lassen; etliche geschehen mit Gedanken, etliche mit bösem Willen, etliche mit Affecten, etliche mit Worten, etliche mit Geberden, etliche mit Werken. Etliche geben Ursach zu Sünden, etliche machen sich fremder Sünden teilhaftig. Etliche Sünden sind stracks und ohne Mittel wider Gott; etliche geschehen wider den Nächsten; mit etlichen sündiget der Mensch wider sich selbst. Diese distributiones (Anm.: Einteilungen) dienen dazu, dass wir etlichermaßen erkennen, wie vielerlei, mancherlei Sünde wir haben; und bleibet doch gleichwohl Ps. 19: Wer kann merken, wie oft er fehlet!
IST ES GENUG, DASS DIESE LEHRE VON DER SÜNDE ALSO GEMEIN VORGETRAGEN WERDE?
Nein, sondern es ist eine Anleitung, wie im Katechismus bei einem jeden Gebot die Leute unterrichtet sollen werden, dass sie erkennen mögen, was für Erbsünde in ihnen wohnet, und was daraus für mancherlei wirkliche Sünde bei ihnen entspringe wider ein jedes Gebot. Und hier sollen die Pastoren examinieret werden, ob und wie sie solches bei einem jeden Gebot zeigen können, und soll ihnen Unterricht gegeben werden, wie dasselbige bei einem jeden Gebot auf das einfältigste gehandelt möge werden, auf dass die Leute nicht allein insgemein hin sagen lernen: „Wir sind arme Sünder; wir haben viel Sünde“, sondern dass sie solches bei einem jeden Gebot unterscheidentlich etlichermaßen erkennen lernen.