D. Martin Luthers Antwort an Erasmus von Rotterdam,

daß der freie Wille nichts sei (De servo arbitrio, 1525)


Erster Theil dieses Buches. a.

Wider den ersten Theil der Diatribe, dadurch sie den freien Willen aufzurichten sucht.

 

Und zuerst wollen wir, wie es sich gehört, mit der Erklärung des freien Willens den Anfang machen, welche du folgendermaßen abgibst: „Ferner: unter dem freien Willen verstehen wir hier das Vermögen des menschlichen Willens, nach welchem es der Mensch vermag, entweder sich zu dem, was zur ewigen Seligkeit führt, zu wenden, oder sich davon abzukehren.“ Fürwahr klüglich stellst du die nackte Erklärung auf, ohne auch nur irgend ein Stücklein derselben deutlich zu machen (wie andere zu thun pflegen), weil du vielleicht gefürchtet hast, du werdest mehr als einmal Schiffbruch leiden. Ich werde deshalb gezwungen, die einzelnen Stücke durchzugehen. Wenn man genau zusieht, so findet man, daß dasjenige, worüber die Erklärung abgegeben wird (definitum), sicherlich eine viel umfassendere Bedeutung hat, als die Erklärung (definitio). Von solcher Definition würden die Sophisten sagen, daß sie nichts tauge, weil nämlich die Erklärung das Erklärte nicht deckt; denn oben haben wir gezeigt, daß der freie Wille niemandem als Gotte zukomme. Einen Willen könntest du dem Menschen vielleicht einigermaßen mit Recht zuschreiben, aber das ist zu viel, ihm einen Willen in göttlichen Dingen beizulegen, weil das Wort freier Wille nach dem Urtheil eines jeden, der es hört, gesagt wird von dem, der da vermag und thut gegen Gott, was ihm nur beliebt, durch kein Gesetz, durch keine Herrschaft gebunden. Denn einen Knecht, der unter der Herrschaft eines Herrn handelt, könnte man nicht frei nennen, wie viel weniger aber läßt sich das in Wahrheit von einem Menschen oder einem Engel sagen, welche unter der unumschränktesten Herrschaft Gottes (ich geschweige der Sünde und des Todes) so ihr Leben zubringen, daß sie aus ihren eigenen Kräften auch nicht einen Augenblick bestehen können. Deshalb streiten schon hier sogleich im Eingang wider einander die Erklärung des Wortes und die Erklärung der Sache, weil das Wort etwas Anderes bezeichnet, als man unter der Sache selbst sich vorstellt. Richtiger hätte man es einen Wankel-Willen oder einen veränderlichen Willen genannt. Denn so thun Augustinus und nach ihm die Sophisten der Ehre und der Kraft dieses Wortes „frei“ Abbruch und machen jenen verkleinernden Zusatz, daß sie ihn einen wandelbaren freien Willen nennen. Und so gebührte es uns zu reden, damit wir nicht mit schwülstigen und prächtigen Worten, da nichts hinter ist, die Herzen der Menschen betrügen, wie auch Augustinus dafürhält, daß wir nach einer bestimmten Regel mit nüchternen und eigentlichen Worten reden müssen. Denn beim Lehren ist Einfachheit und vernunftgemäße Wahl der eigentlichen Ausdrücke (proprietas dialectica) vonnöthen, nicht aber hochtönende Worte und Redebilder, um dadurch zu überreden. Aber damit es nicht scheine, als ob wir Lust hätten um Worte zu streiten, so wollen wir bei alle dem das dem Mißbrauche nachgeben, wiewohl es ein großer und gefährlicher Mißbrauch ist, daß freier Wille eben dasselbe sei als Wankel-Wille. Wir wollen dem Erasmus auch das nachlassen, daß er aus der Kraft des freien Willens eine Kraft nur des menschlichen Willens macht, als wenn die Engel keinen freien Willen hätten, weil er in diesem Büchlein nur vom freien Willen der Menschen zu handeln sich vorgesetzt hat; sonst wäre auch in diesem Stücke die Erklärung enger als das, was erklärt wird. Nun wollen wir zu den Stücken kommen, um welche sich die Hauptsache dreht. Einige derselben sind klar genug, andere fliehen das Licht, gleichsam als hätten sie ein böses Gewissen und fürchteten alles, da doch nichts deutlicher und gewisser an den Tag gegeben werden sollte, als die Erklärung (definitione); denn etwas dunkel erklären ist gerade so viel, als nichts erklären. Diese Stücke sind offenbar: „das Vermögen des menschlichen Willens“, desgleichen: „nach welchem der Mensch vermag“, desgleichen: „zur ewigen Seligkeit“; aber diese Stücke sind blinde Streiche: „sich wenden“, desgleichen: „zudem, was da führt“; desgleichen: „sich abkehren“. Auf was soll ich nun rathen, um zu verstehen, was dies „sich wenden“ sei? desgleichen das „sich abkehren“? desgleichen, was das für Dinge sind, „die zur ewigen Seligkeit führen“? Worauf erstrecken sich diese Dinge? Ich habe, wie ich sehe, mit einem rechten Scotus oder Heraclitus zu thun, so daß ich von doppelter Arbeit ermüdet werde; zuerst, daß ich (was ein verwegenes und gefährliches Unternehmen ist) meinen Gegner tappend und tastend in Fallgruben und Finsterniß suchen muß, und, wenn ich ihn nicht finde, vergebens und mit Gespenstern kämpfe, und Luftstreiche thue in der Finsterniß, aber erst dann, wenn ich ihn ans Licht hervorgezogen habe, kann ich endlich, bereits vom Suchen ermüdet, unter gleichem Vortheil gegen ihn kämpfen. Ich glaube nun, daß du die Kraft des menschlichen Willens nennst die Gewalt, oder Fähigkeit, oder Geschicktheit, oder Tauglichkeit, zu wollen oder nicht zu wollen, zu erwählen oder zu verachten, anzunehmen oder auszuschlagen, und andere derartige Handlungen des Willens. Was das aber sein soll, daß diese Kraft sich hinwende und abkehre, das verstehe ich nicht, es sei denn das Wollen und Nichtwollen selbst, das Erwählen und Verachten, das Annehmen und Ausschlagen, nämlich die Thätigkeit des Willens selbst; daß wir uns also vorstellen müssen, diese Kraft sei eine Art Mittelding zwischen dem Willen und seiner Thätigkeit, so daß der Wille selbst die Thätigkeit des Wollens und Nichtwollens hervorbringt und so die Handlung des Wollens und Nichtwollens zuwege gebracht wird. Etwas Anderes kann man sich hier weder vorstellen noch denken. Wenn ich mich irre, so fällt die Schuld auf den Verfasser, der die Erklärung gegeben hat, nicht auf mich, der ich es mit Fleiß zu erforschen trachte. Denn es ist ein rechtes Wort bei den Juristen: Die Worte dessen, der da dunkel redet, da er doch klarer hätte reden können, sind wider ihn selbst zu deuten. Und hier will ich von meinen neuen Theologen (Modernos) mit ihren Spitzfindigkeiten nichts wissen, denn man muß grob herausreden, um lehren und verstehen zu können. Das aber, was zur ewigen Seligkeit führt, glaube ich, sind die Worte und Werke Gottes, welche dem menschlichen Willen angeboten werden, daß er sich denselben zuwende oder sich davon abkehre. Gottes Worte nenne ich aber sowohl das Gesetz, als das Evangelium; durch das Gesetz werden Werke gefordert, durch das Evangelium der Glaube. Denn es sind sonst keine anderen Dinge, die sowohl zur Gnade Gottes als auch zur ewigen Seligkeit führen, als Gottes Wort und Werk. Denn die Gnade oder der Geist ist ja das Leben selbst, zu dem wir durch Gottes Wort und Werk geführt werden. Dieses Leben aber, oder die ewige Seligkeit ist eine Sache, welche das menschliche Begreifen übersteigt, wie Paulus den Spruch des Jesaias (64,4.) im ersten Briefe an die Corinther Cap. 2,9. einführt: „Das kein Auge gesehen hat, und kein Ohr gehöret hat, und in keines Menschen Herz gekommen ist, das Gott bereitet hat denen, die ihn lieben.“ Denn das ist auch einer der höchsten Artikel unseres Glaubens, da wir bekennen: „Und ein ewiges Leben.“ Was aber in diesem Artikel der freie Wille vermöge, bezeugt Paulus 1 Cor. 2,10.: „Gott (spricht er) hat es uns geoffenbart durch seinen Geist“, das heißt, wenn der Geist es nicht geoffenbart hätte, so würde keines Menschen Herz davon etwas wissen oder denken können, so wenig vermag er sich dazu zu wenden oder es zu begehren. Siehe die Erfahrung an, was die trefflichsten, höchstbegabten Leute unter den Heiden vom künftigen Leben und von der Auferstehung gehalten haben. Ist's nicht so, je herrlicheren Verstand sie gehabt haben, desto lächerlicher ist ihnen die Auferstehung und das ewige Leben gewesen? Sind denn das nicht auch hochverständige Philosophen und (noch dazu) Griechen gewesen, welche zu Athen den Paulus (Apost. 17,18.), der dies lehrte, einen Lotterbuben nannten und einen Verkündiger neuer Götter? Porcius Festus, Apost. 26,24., nannte den Paulus einen Rasenden wegen der Predigt vom ewigen Leben. Was lästert (latrat) doch Plinius über diese Dinge im siebenten Buche? Was Lucian, der einen so hohen Verstand hatte? Sind die denn alle Dummköpfe gewesen? So geht es auch noch heutzutage bei sehr vielen. Je höheren Verstand und Gelehrsamkeit sie haben, desto mehr verlachen sie diesen Artikel und halten ihn für ein Märlein und zwar öffentlich. Denn heimlich (im Herzen), er sei denn vom Heiligen Geiste durchdrungen, weiß, glaubt oder wünscht gar kein Mensch das ewige Leben, wenngleich er sich dessen in Wort und Schrift rühmt. Und, wollte doch Gott, daß du und ich frei wären von diesem Sauerteige, lieber Erasmus, so selten ist in diesem Artikel ein recht gläubiges Herz. Habe ich nun nicht den Sinn deiner Erklärung getroffen? So ist also, nach Erasmus, der freie Wille eine Kraft des Willens, welche Gottes Wort und Werk aus sich selbst wollen und nicht wollen kann, wodurch er zu dem geführt wird, was all sein Fassen und Verstehen übersteigt. Wenn er aber wollen und nicht wollen kann, so kann er auch lieben und hassen. Wenn er aber lieben und hassen kann, so kann er auch etlichermaßen das Gesetz erfüllen und dem Evangelium glauben. Denn es ist unmöglich, wenn ich etwas wollen oder nicht wollen kann, daß ich durch diesen Willen nicht wenigstens etwas von einem Werke sollte auszurichten vermögen, wenn ich es auch nicht ganz durchführen könnte, da es ein anderer verhindert. Ja, da unter die Werke Gottes, die zur Seligkeit führen, auch der Tod, Kreuz und alle Uebel in der Welt zu rechnen sind, so wird der menschliche Wille auch den Tod und sein eigenes Verderben wollen können. Ja, er kann alles wollen, da er das Wort und das Werk Gottes wollen kann; denn was kann es doch irgend geben unter oder über, innerhalb oder außerhalb des Wortes und Werkes Gottes, als Gott selbst? Was bleibt aber nun hier übrig für die Gnade und den Heiligen Geist? Das heißt dem freien Willen völlig die Gottheit beilegen, denn das Gesetz und das Evangelium wollen, die Sünde nicht wollen und zum Tode Lust haben, kommt allein der göttlichen Kraft zu, wie Paulus an vielen Stellen sagt. Demgemäß hat nach der Zeit der Pelagianer niemand richtiger vom freien Willen geschrieben als Erasmus. Denn wir haben oben gesagt, der freie Wille sei ein göttlicher Name und bezeichne eine göttliche Kraft. Diese hat ihm (dem freien Willen) bisher aber niemand beigelegt als die Pelagianer, denn die Sophisten, was für Meinungen sie auch immer gehabt haben mögen, reden sicherlich ganz anders. Ja, Erasmus übertrifft sogar die Pelagianer bei weitem, denn jene legen diese Gottheit dem ganzen freien Willen bei, Erasmus aber dem halben. Denn jene machen zwei Theile des freien Willens, die Kraft zu unterscheiden und die Kraft zu erwählen; jene legen sie dem Verstande, diese aber dem Willen bei, was auch die Sophisten thun. Aber Erasmus setzt die Kraft zu unterscheiden bei Seite und erhebt allein die Kraft zu wählen hoch, und macht so einen lahmen und halbfreien Willen zu einem Gotte. Was, glaubst du, würde er gethan haben, wenn er den ganzen freien Willen beschrieben hätte? Aber hiermit nicht zufrieden, geht er auch noch über die Philosophen hinaus. Denn bei ihnen ist es noch nicht entschieden, ob sich ein Ding von sich selbst bewegen könne, und darüber sind die ganzen Körperschaften der Philosophen, die Platoniker und Peripatetiker, noch uneinig, aber bei dem Erasmus bewegt sich der freie Wille nicht nur aus seiner eigenen Kraft, sondern er wendet sich auch zu dem, was ewig ist, das ist, zu dem, was ihm unbegreiflich ist: ein ganz neuer und unerhörter Erklärer des freien Willens, der die Philosophen, die Pelagianer, die Sophisten und alle weit hinter sich zurückläßt. Und auch dies ist ihm noch nicht genug; er schont auch seiner selbst nicht und ist mehr uneinig mit sich selbst und streitet mehr wider sich selbst, als gegen alle anderen. Denn vorher hatte er gesagt, der menschliche Wille vermöge ganz und gar nichts ohne die Gnade (er hat aber vielleicht gescherzt), hier aber, wo er im Ernste seine Erklärung gibt, sagt er, der menschliche Wille habe eine solche Kraft, dadurch er im Stande sei, sich zu dem zu schicken, was zur ewigen Seligkeit dient, das heißt, zu den Dingen, die unermeßlich hoch über jener Kraft stehen; so geht Erasmus in diesem Stücke auch über sich selbst hinaus. Siehst du nun, lieber Erasmus, daß du dich durch diese Erklärung selbst an den Tag gibst (ich glaube, unversehens), daß du von diesen Dingen gar nichts verstehst, sondern vielmehr ganz unbedacht und gleichgültig darüber schreibst, und weißt nicht, was du redest oder behauptest? Und, wie ich oben gesagt habe, du bringst weniger für den freien Willen auf und legst ihm doch mehr bei, als alle anderen; da du nicht einmal den ganzen freien Willen beschreibst, legst du ihm doch alles bei. Viel eher ist noch zu leiden, was die Sophisten lehren, wenigstens ihr Vater Petrus Longobardus, welche sagen, der freie Wille sei das Vermögen zu unterscheiden, dann auch zu wählen, nämlich das Gute, wenn die Gnade da ist, aber das Böse, wenn die Gnade hinweg ist. Und er hält es ganz mit Augustinus, der da sagt, der freie Wille vermöge aus seiner eigenen Kraft nichts, als zu fallen, und er habe keine andere Kraft, als die zu sündigen. Daher nennt ihn Augustinus im zweiten Buche wider den Julianus vielmehr einen geknechteten Willen (servum arbitrium), als einen freien Willen. Du aber machst die Kraft des freien Willens nach beiden Seiten hin gleich, daß er aus seinem eigenen Vermögen ohne die Gnade sich sowohl zum Guten wenden, als auch sich vom Guten abkehren könne. Denn du bedenkst nicht, ein wie Großes du ihm beilegst durch das Fürwort „sich“ oder „sich selbst“. Da du sagst: Er kann sich wenden, schließest du nämlich den Heiligen Geist mit aller seiner Kraft gänzlich aus, gleichsam als überflüssig und nicht notwendig. Darum ist deine Erklärung auch nach dem Urtheil der Sophisten verwerflich. Wenn diese nicht, verblendet durch ihren Haß gegen mich, so unsinnig wären, so würden sie vielmehr wider dein Buch wüthen. Jetzt aber, weil du den Luther angreifst, so ist alles, was du sagst, heilig und christlich, wenn du gleich wider dich selbst und wider sie redest; so groß ist die Geduld der heiligen Leute. Dies sage ich nicht um deß willen, weil ich die Meinung der Sophisten vom freien Willen billige, sondern weil ich glaube, daß sie leidlicher ist, als die des Erasmus, denn sie kommen näher zur Wahrheit. Denn sie sagen nicht, wie ich, daß der freie Wille nichts sei, jedoch, da sie sagen, daß er ohne die Gnade nichts vermöge, besonders der Magister Sententiarum, so streiten sie wider den Erasmus; ja, sie scheinen auch wider sich selbst zu streiten und sich in bloßem Wortgezänk abzumühen, und sind mehr beflissen auf Streit als auf die Wahrheit, wie das den Sophisten wohl ansteht. Denn setze den Fall, daß mir ein durchaus nicht böswilliger Sophist verschafft würde, mit welchem ich insgeheim in vertraulicher Unterredung diese Sachen besprechen könnte und ein aufrichtiges und freies Urtheil fordern auf diese Weise: Wenn jemand zu dir sagte, das sei frei, was aus seiner Kraft nur nach Einer Seite hin etwas vermöchte, nämlich zum Bösen, aber nach der andern Seite hin, nämlich zum Guten, vermöchte es zwar etwas, aber nicht aus eigener Kraft, sondern nur mit Hülfe eines Anderen, könntest du dann wohl das Lachen unterdrücken, lieber Freund? Denn auf solche Weise möchte ich leicht beweisen, daß auch ein Stein oder ein Klotz einen freien Willen hätten, denn diese können sich nach unten und nach oben kehren, aber aus eigener Kraft nur nach unten, doch allein mit eines Anderen Hülfe nach oben. Und wie ich oben gesagt habe, zuletzt möchten wir den Gebrauch aller Sprachen und Worte umkehren: Keiner ist alle; nichts ist alles; indem wir das eine Wort auf die Sache selbst beziehen, das andere aber auf eine nicht dazugehörige Sache, die dabei sein und dazu kommen könnte. So sind sie durch allzuvieles Zanken über den freien Willen endlich dahin gekommen, daß sie ihn zu einem freien machen durch etwas, was zufällig hinzukommt (per accidens), weil er ja durch einen Andern wohl einmal frei gemacht werden könne. Die Frage ist aber, was der freie Wille an und für sich selbst vermöge, und von dem Wesen des freien Willens. Wenn diese Frage gelöst werden soll, so bleibt nichts übrig als das leere Wort „freier Wille“, sie mögen wollen oder nicht. Es fehlen die Sophisten auch darin, daß sie dem freien Willen das Vermögen beilegen, das Gute vom Bösen zu unterscheiden; desgleichen verschweigen sie auch die Wiedergeburt und Erneuerung des Heiligen Geistes und schreiben ihm gleichsam nur ganz äußerlich jene fremde Hülfe zu, davon ich nachher reden werde. Doch dies ist genug von der Erklärung (definitione). Nun wollen wir die Gründe ansehen, mit denen man dies leere Wörtlein hat aufblasen wollen. Zuerst ist die Stelle Sirach 15,14-17.: „Gott hat den Menschen von Anfang geschaffen, und ihm die Wahl gegeben. Willst du, so halte die Gebote, und thue, was ihm gefällt, in rechtem Vertrauen. Er hat dir Feuer und Wasser vorgestellet, greife, zu welchem du willst. Der Mensch hat vor sich Leben und Tod; welches er will, das wird ihm gegeben werden.“ Ich könnte freilich dieses Buch mit Recht verwerfen, doch nehme ich es einstweilen an, damit ich nicht in die Frage hineingezogen werde und die Zeit darüber verliere, welche Bücher in den Canon der Hebräer aufgenommen seien, gegen den du ziemlich bissig bist und ihn verspottest, indem du die Sprüche Salomonis und das Hohelied (wie du es mit zweideutiger Stichelei nennst), ein Liebeslied, vergleichst mit den beiden (letzten) Büchern Esrä, Judith, der Historie von Susanna und dem Drachen, und Esther. Obgleich sie dieses im Canon haben, so wäre es, nach meinem Urtheile, doch mehr werth als alle, nicht für canonisch gehalten zu werden. Ich könnte aber kurz mit deinen eigenen Worten antworten: Die Schrift ist an dieser Stelle dunkel und zweideutig, darum beweist sie nichts Gewisses. Weil wir aber auf der verneinenden Seite stehen, so fordern wir von euch, daß eine Stelle beigebracht werde, welche mit hellen Worten überzeugend darthue, was der freie Wille sei und was er vermöge. Dies werdet ihr vielleicht thun, wenn auf dem Eise Rosen wachsen, wiewohl du, um dieser unvermeidlichen Forderung zu entgehen, viele gute Worte verlierst und auf Eiern gehst, und erzählst so viele Meinungen über den freien Willen, daß du den Pelagius fast zu einem Evangelischen machst. Desgleichen erdichtest du eine vierfache Gnade, damit du auch den Philosophen einen gewissen Glauben und Liebe beilegen könnest; desgleichen ein dreifaches Gesetz, der Natur, der Werke und des Glaubens, freilich eine neue Fabel, um steif und fest behaupten zu können, die Vorschriften der Philosophen kämen überein mit den Vorschriften des Evangeliums. Dann die Stelle, Psalm 4,7.: „Herr, erhebe über uns das Licht deines Antlitzes“, welche eigentlich von der Erkenntnis des Antlitzes Gottes, das ist, vom Glauben redet, das ziehst du auf die Vernunft, welche ganz blind ist. Wenn ein Christ dies alles gegen einander hält, so wird er dich im Verdacht haben müssen, du verspottest und verlachest die Lehren und die Religion der Christen. Denn daß ich dem, der alle unsere Sache mit so großer Sorgfalt genau durchforscht und sie so wohl im Gedächtniß behalten hat, eine so große Unwissenheit beilegen sollte, das will mir ganz und gar nicht gelingen. Jetzt aber will ich dies fahren lassen und mir daran genügen lassen, daß ich es angedeutet habe, bis sich eine geeignetere Gelegenheit darbietet. Doch bitte ich dich, lieber Erasmus, stelle uns nicht so auf die Probe, als wärest du einer von denen, die da sagen: Wer sieht uns? denn es ist gefährlich, in einer so großen Sache vor allerlei Leuten und immerfort mit Wankelworten zu scherzen. Doch zur Sache. Du machst aus Einer Meinung über den freien Willen eine dreifache: „hart scheint dir die Meinung derjenigen, aber doch ziemlich wahrscheinlich, welche leugnen, daß der Mensch ohne besondere Gnade das Gute wollen könne, leugnen, daß er anfangen könne, leugnen, daß er fortfahren und vollführen könne etc. Diese Meinung billigst du darum, weil sie dem Menschen ein Bestreben und Bemühen übrig läßt und doch nicht zugibt, daß er seinen eigenen Kräften das Geringste zuschreiben soll. Härter sei die Meinung derjenigen, welche behaupten, der freie Wille vermöge nichts als sündigen, allein die Gnade wirke in uns das Gute etc. Am härtesten aber sei die Meinung derjenigen, welche sagen, der freie Wille sei ein leerer Name, aber Gott wirke sowohl das Gute, als auch das Böse in uns, und alles, was geschehe, geschehe aus reiner Nothwendigkeit. Gegen diese beiden letzten Meinungen habest du vor zu schreiben.“ Weißt du auch, was du redest, lieber Erasmus? Du machst hier drei Meinungen, gleich als ob es drei Secten wären, weil du nicht verstehst, daß eine und dieselbe Sache bald mit diesen, bald mit jenen Worten auf verschiedene Weise dargelegt ist von uns, die wir uns zu einer und derselben Sache bekennen. Aber wir wollen dir die Unachtsamkeit oder vielmehr die Schwachheit deines Urtheils vorhalten und nachweisen. Ich frage: wie kommt die Erklärung des freien Willens, die du oben gegeben hast, überein mit dieser ersten ziemlich wahrscheinlichen Meinung? Denn du hast gesagt, „der freie Wille sei das Vermögen des menschlichen Willens, nach welchem sich der Mensch zum Guten wenden kann“; hier aber sagst du und billigst es, daß man sage, der Mensch könne ohne die Gnade das Gute nicht wollen. Die Erklärung bejaht, was das dafür angeführte Beispiel verneint. In deinem freien Willen findet sich zugleich „Ja“ und „Nein“, so daß du zugleich uns beipflichtest und uns verwirfst, ja, auch dich selbst verdammst und Recht haben lässest in einer und derselben Lehre und Artikel. Oder glaubst du, daß es nicht etwas Gutes sei, sich zu dem zu wenden, was die ewige Seligkeit anbetrifft, was deine Erklärung dem freien Willen beilegt? Denn es wäre ja keine Gnade nöthig, wenn nur das Gute auch im freien Willen wäre, dadurch er sich zum Guten wenden könnte. Darum ist das ein anderer freier Wille, welchen du erklärst, als der freie Wille, welchen du vertheidigst. So hat nun Erasmus vor allen anderen Leuten voraus zwei freie Willen, die sich selbst ganz und gar widerstreiten. Aber wir wollen das fahren lassen, was deine Erklärung erdichtet hat, und besehen, was im Gegensatz dazu jene erste Meinung aufstellt. Du gibst zu, daß der Mensch ohne besondere Gnade das Gute nicht wollen könne (denn wir handeln jetzt nicht davon, was Gottes Gnade vermöge, sondern was der Mensch ohne Gnade vermöge), du gibst also zu, daß der freie Wille das Gute nicht wollen könne; dies ist nichts Anderes, als daß er sich nicht wenden kann zu dem, was die ewige Seligkeit anbetrifft, wie deine Erklärung gelautet hat. Ja sogar, kurz vorher sagst du, „daß der menschliche Wille nach der Sünde in einem solchen Grade verderbt gewesen sei, daß er, nachdem die Freiheit verloren war, ein Knecht der Sünde sein mußte und sich nicht zu bessern vermochte“. Und wenn ich mich nicht täusche, so sagst du, die Pelagianer hätten diese Meinung gehabt. Ich glaube, daß dem Proteus hier nun endlich kein Entrinnen mehr möglich ist; er wird festgehalten, gefangen in deutlichen Worten, nämlich, daß der Wille, nachdem er die Freiheit verloren hat, unter dem Zwange stehe und in der Knechtschaft der Sünde festgehalten werde. O ein trefflich freier Wille, von dem Erasmus selbst sagt, daß er seine Freiheit verloren hat und der Sünde dienstbar ist! Wenn Luther das sagte, so hätte man nie etwas Ungereimteres gehört und nichts Unnützeres hätte können ausgebreitet werden, als dieser sonderbare Ausspruch, so daß man auch Diatriben gegen ihn hätte schreiben müssen. Aber vielleicht wird mir niemand glauben, daß Erasmus dies gesagt habe; man lese nur seine Diatribe an dieser Stelle und wundere sich. Ich wundere mich aber doch nicht groß darüber, denn, wer diese Sache nicht für eine ernste hält, und die Sache nicht einigermaßen zu Herzen nimmt, sondern ganz und gar mit dem Gemüthe nicht dabei ist, einen Ekel davor hat, oder kalt ist, oder sich damit würgt: wie sollte der nicht hie und da Ungereimtes, Abgeschmacktes und Widersprechendes sagen, da er gleichsam trunken oder träumerisch die Sache handelt, und unter dem Schnarchen herausrülpst: Ja, Nein, je nachdem ihm verschiedene Stimmen vor den Ohren rauschen? Darum verlangen die Redner von dem, der eine Sache führt, daß sein Herz dabei sei; vielmehr erfordert die Theologie eine solche Theilnahme an der Sache, welche (den Sachwalt) wachsam, genau, sorgfältig, vorsichtig und wacker mache. Wenn also der freie Wille, ohne die Gnade, nachdem er die Freiheit verloren hat, gezwungen wird, der Sünde zu dienen, auch nicht Gutes wollen kann, so möchte ich wohl wissen, was das für ein Bestreben sei? was für ein Bemühen, welches jene erste und annehmbare Meinung übrig läßt? Ein gutes Bestreben, ein gutes Bemühen kann es nicht sein, weil der freie Wille das Gute nicht wollen kann, wie die erste Meinung sagt, und wie es zugegeben ist. So bleibt also nur noch ein böses Bestreben, ein böses Bemühen übrig, welches, nachdem die Freiheit verloren ist, der Sünde zu dienen gezwungen wird. Ja, was ist auch damit gesagt, ich bitte dich? Diese Meinung läßt ein Bestreben und ein Bemühen übrig und läßt doch nichts übrig, was den eigenen Kräften zugeschrieben werden kann? Wer kann dies begreifen? Wenn ein Bestreben und Bemühen für die Kräfte des freien Willens übrig ist, warum sollte es ihnen nicht auch zugeschrieben werden? Wenn es ihnen aber nicht zugeschrieben werden soll, wie kann es noch übrig sein? Oder soll dies Bestreben und Bemühen vor der Gnade auch der zukünftigen Gnade und nicht dem freien Willen übrig sein, so daß es zugleich übrig sei und nicht übrig sei für denselben freien Willen? Wenn dies nicht sonderbare Sätze, oder vielmehr Ungeheuerlichkeiten sind, was sind dann Ungeheuerlichkeiten? Aber es träumt der Diatribe vielleicht dieses, daß zwischen den beiden Dingen, das Gute wollen können und das Gute nicht wollen können, noch ein Mittelding liege, nämlich das Wollen an und für sich selbst (absolutem velle), wo keine Rücksicht genommen wird, weder auf Gutes, noch auf Böses, damit wir so durch eine dialectische Spitzfindigkeit den Klippen entgehen und sagen: Im Willen des Menschen sei ein gewisses Wollen, welches zwar ohne die Gnade nichts zum Guten vermöge, aber doch ohne die Gnade nicht sofort nur das Böse wolle, sondern es sei ein reines und bloßes Wollen, das sich durch die Gnade nach oben zum Guten wenden könne, durch die Sünde nach unten zum Bösen. Aber wo bleibt dann das, was (oben) gesagt ist: Nachdem die Freiheit verloren ist, muß der Wille der Sünde dienen? Wo bleibt dann jenes Bestreben, welches noch übrig ist, und das Bemühen? wo die Kraft, sich zu dem zu wenden, was zur ewigen Seligkeit gehört? Denn das Vermögen, sich zur Seligkeit zu bereiten, kann nicht ein bloßes Wollen sein, wenn man nicht sagen will, die Seligkeit selbst sei nichts. Ferner kann auch das Bestreben und Bemühen nicht ein bloßes Wollen sein, denn das Bestreben muß auf irgend etwas (nämlich aufs Gute) gerichtet sein und sich darum bemühen und kann nicht auf Nichts gewendet werden oder ruhen. Kurz, wohin auch immer die Diatribe sich wendet, so kann sie doch den Widersprüchen und widerstreitenden Aussprüchen sich nicht entwinden, daß nicht ebensowohl gerade der freie Wille, welchen sie vertheidigt, ein gefangener sei, als sie selbst gefangen ist. Denn bei dem Freimachen des Willens wird sie so verstrickt, daß sie selbst zusammen mit dem freien Willen in unlöslichen Banden festgehalten wird. Ferner ist es ein völlig dialectisches Fündlein, daß im Menschen ein in der Mitte stehendes, bloßes Wollen sei, und diejenigen, welche es behaupten, können das nicht beweisen; es ist entstanden aus der Unkenntniß der Dinge und der Ehrerbietung gegen Worte, als ob es sich in Wirklichkeit beständig so verhielte, wie es in Worten dargelegt wird; dergleichen Dinge sind ohne Zahl bei den Sophisten. Die Sache verhält sich vielmehr so, wie Christus sagt (Luc. 11,23.): „Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich“; er sagt nicht: Wer nicht mit mir ist, und auch nicht wider mich, sondern in der Mitte ist. Denn wenn Gott in uns ist, so ist der Teufel fort, und nur das Wollen des Guten ist da. Wenn Gott weg ist, so ist der Teufel da, und nur das Wollen des Bösen ist in uns. Weder Gott noch der Teufel lassen ein reines und bloßes Wollen in uns zu, sondern, wie du richtig gesagt hast, nachdem die Freiheit verloren ist, werden wir gezwungen, der Sünde zu dienen, das ist, wir wollen die Sünde und das Böse, wir reden Sünde und Böses, wir thun Sünde und Böses. Siehe, dahin hat die unüberwindliche und überaus kräftige Wahrheit deine Diatribe ganz unversehens getrieben, und ihre Weisheit zur Thorheit gemacht, daß sie gegen sich selbst reden mußte und für uns, da sie gegen uns reden wollte: ganz ebenso, wie der freie Wille etwas Gutes thut; denn dann, wenn er gegen das Böse etwas thut, thut er am meisten übel gegen das Gute, so daß die Diatribe gerade so ist im Reden, wie der freie Wille im Thun. Doch ist auch die Diatribe ganz und gar nichts Anderes, als ein treffliches Werk des freien Willens, denn durch ihr Vertheidigen verwirft sie, und durch ihr Verwerfen vertheidigt sie, das heißt, sie ist zwiefach thöricht, wenn sie weise scheinen will. So verhält es sich mit der ersten Meinung, wenn man sie für sich betrachtet, daß sie leugnet, daß der Mensch etwas Gutes wollen könne, und doch sei ein Bestreben übrig, welches aber auch nicht sein eigenes sei. Nun wollen wir sie gegen die beiden anderen halten. Denn die eine ist härter, welche dafürhält, der freie Wille habe kein anderes Vermögen als zu sündigen. Dies ist aber die Meinung des Augustinus, welche er an vielen anderen Stellen ausspricht, aber insonderheit in dem Buche „vom Geist und Buchstaben“, wenn ich nicht irre, im vierten oder fünften Capitel, wo er gerade diese Worte gebraucht. Die dritte, allerhärteste Meinung ist die Wyclefs und Luthers, der freie Wille sei ein leerer Name, und alles, was geschehe, geschehe aus reiner Notwendigkeit. Mit diesen beiden Meinungen streitet die Diatribe. Hier sage ich, daß wir vielleicht nicht genug Lateinisch oder Deutsch verstehen, so daß wir die Sache selbst nicht völlig haben mit Worten anzeigen können. Aber ich rufe Gott zum Zeugen an, daß ich mit den Worten der beiden letzten Meinungen nichts Anderes habe sagen wollen, auch nichts Anderes habe verstanden wissen wollen, als das, was in der ersten Meinung ausgesprochen wird. Ich glaube auch nicht, daß Augustinus etwas Anderes gewollt habe, ich verstehe auch aus seinen Worten nichts anders, als was die erste Meinung sagt, so daß die drei von der Diatribe angeführten Meinungen bei mir nichts sind, als jene meine Eine Meinung. Denn nachdem es zugegeben und angenommen ist, daß der freie Wille, nach Verlust seiner Freiheit, gezwungen wird unter die Knechtschaft der Sünde und nichts Gutes wollen kann, so kann ich aus diesen Worten nichts Anderes vernehmen, als daß der freie Wille ein leeres Wort ist, dessen Inhalt verloren ist. Mein Deutsch (Grammatica) nennt eine verlorne Freiheit keine Freiheit. Wenn man aber dem, was keine Freiheit hat, den Titel der Freiheit beilegt, so heißt das, ein leeres Wort beilegen. Wenn ich hier irre, so weise mich zurecht, wer da kann; wenn dies dunkel und ungewiß ist, so mache, wer da kann, es hell und gewiß. Ich kann eine verlorene Gesundheit nicht Gesundheit nennen, und wenn ich dieselbe einem Kranken beilegen sollte, so glaube ich, daß ich ihm nichts Anderes beigelegt habe, als einen leeren Namen. Doch weg mit diesen Mißgeburten von Worten! Denn wer könnte einen solchen Mißbrauch im Reden leiden, daß man zugleich sage, der Mensch habe einen freien Willen, und doch auch zugleich fest behaupte, er werde, nachdem er die Freiheit verloren habe, unter die Knechtschaft der Sünde gezwungen und könne nichts Gutes wollen? Dies streitet wider die gesunde Vernunft und hebt den Sprachgebrauch gänzlich auf. Vielmehr muß die Diatribe angeklagt werden, die ihre Worte schläfrig herplaudert und auf die Worte anderer Leute nicht Acht hat. Ich sage, sie erwägt nicht, was das sei und wie viel das in sich halte, wenn man sagt: Der Mensch hat die Freiheit verloren, er wird gezwungen, der Sünde zu dienen, und er kann nichts Gutes wollen. Denn wenn sie wachte und Achtung gäbe, so würde sie klar sehen, daß die drei Meinungen nur Einen Sinn haben; sie aber macht daraus verschiedene, einander widerstreitende Meinungen. Denn wer die Freiheit verloren hat und gezwungen wird, der Sünde zu dienen, was kann über den wohl richtiger gefolgert werden, als daß er (von Noth) sündigen oder das Böse wolle? Denn so würden auch die Sophisten in ihren Schlußreden schließen. Darum streitet die Diatribe auf unglückliche Weise über die Maßen wider die beiden letzten Meinungen, während sie die erste billigt, welche mit jenen eine und dieselbe ist, indem sie nach ihrer Weise sich selbst verwirft und unsere Sache beweist in einem und demselben Artikel. Nun wollen wir auf die Stelle aus Jesus Sirach kommen und damit jene erste annehmbare Meinung vergleichen. Die Meinung sagt: Der freie Wille könne das Gute nicht wollen; die Stelle aus Sirach wird aber angezogen, um zu beweisen: Der freie Wille sei und vermöge etwas. Es begreift also die Meinung, welche aus dem Sirach bewährt werden sollte, etwas Anderes in sich, als das Andere, wofür Sirach angezogen wird, um es zu bestätigen; gleich als wenn jemand beweisen wollte, Christus sei der Messias, und eine Stelle anführen wollte, welche bewiese, daß Pilatus Landpfleger in Syrien gewesen sei, oder sonst irgend etwas, was zu zwei Octaven zugleich stimmen möchte. In solcher Weise wird auch hier der freie Wille bewiesen; davon zu schweigen, was ich oben gefordert habe, daß nichts in klarer und gewisser Weise gesagt oder bewiesen wird, was der freie Wille sei und was er vermöge. Doch es ist der Mühe werth, die ganze Stelle genau anzusehen. Zuerst sagt er: „Gott hat den Menschen von Anfang geschaffen.“ Hier redet er von der Schöpfung des Menschen, sagt aber noch nichts, weder vom freien Willen, noch von den Geboten. Es folgt: „Und hat ihm die Wahl gelassen.“ Was steht denn hier? Wird etwa hier der freie Wille behauptet? Aber hier wird der Gebote nicht einmal gedacht, für die der freie Wille gefordert wird, noch wird darüber irgend etwas gelesen bei der Schöpfung des Menschen. Was daher hier (unter der Wahl) verstanden wird, muß vielmehr darnach gedeutet werden, was im ersten und zweiten Capitel des ersten Buchs Mosis gesagt wird (Cap. 1,26.): Der Mensch ist zum Herrn aller Creaturen gesetzt, daß er frei über sie herrschen sollte, wie Moses sagt: „Lasset uns Menschen machen, die da herrschen über die Fische im Meer.“ Und aus diesen Worten kann nichts Anderes erwiesen werden. Denn da konnte der Mensch mit den Creaturen nach seinem Willen handeln, als solchen Dingen, die ihm unterworfen waren. Endlich nennt er dies des Menschen Rath, gleichsam ein anderes als Gottes Rath. Hierauf aber, nachdem er gefügt hat, daß ihm die Wahl gegeben und gelassen sei, fährt er fort: „Er that hinzu seine Gesetze und Gebote.“ Wozu hat er sie hinzugethan? Freilich zu dem Rathe und Willen des Menschen und zur Einsetzung der menschlichen Herrschaft über die anderen Dinge. Durch diese Gebote nahm er dem Menschen die Herrschaft über einen Theil der Creaturen (nämlich über den Baum der Erkenntniß des Guten und des Bösen), und wollte vielmehr, daß er nicht frei sein sollte. Nachdem aber die Gebote hinzugethan waren, konnte von einem Willen des Menschen gegen Gott und das, was Gottes ist, die Rede sein. „Willst du die Gebote halten, so werden sie dich erhalten“ etc. Also von dieser Stelle: „Willst du“ fängt die Frage vom freien Willen an, so daß wir aus Sirach verstehen können, der Mensch sei unter zwei Reiche zertheilt, eines, in welchem er durch seinen Willen und Rath geleitet wird, ohne Gottes Gebote und Befehle, nämlich in Sachen, die unter ihm sind. Hier herrscht er und ist Herr, da ihm seine Wahl freigegeben ist. Nicht, daß Gott ihn so verließe, daß er nicht in allen Dingen mitwirkte, sondern, daß er ihm den freien Gebrauch der Dinge nach seinem Willen eingeräumt und ihn durch keine Gesetze oder Gebote verhindert hat, als wenn man gleichnißweise sagen würde: das Evangelium hat es in unserer Wahl gelassen, daß wir über die Dinge herrschen und sie gebrauchen mögen, wie wir wollen. Aber Moses und der Pabst haben uns nicht in dieser Wahl gelassen, sondern haben uns mit Gesetzen in Zwang gehalten und uns vielmehr ihrem Willen unterworfen. Aber im anderen Reiche wird ihm die Wahl nicht gelassen, sondern er wird geführt und geleitet durch den Willen und Rath Gottes, so daß, gleichwie er in seinem Reiche durch seinen Willen ohne die Gebote eines anderen geleitet wird, er auf solche Weise im Reiche Gottes durch die Gebote eines anderen geleitet wird ohne seinen Willen. Und dies ist, was Sirach sagt: „Er that hinzu Gebote und Gesetze“; „Willst du“ etc. Wenn dies nun klar genug ist, so haben wir erstritten, daß diese Stelle Sirachs nicht für den freien Willen, sondern gegen den freien Willen gilt, weil dadurch der Mensch den Geboten und dem Willen Gottes unterworfen und seines Willens beraubt wird. Wenn dies nicht klar genug ist, so haben wir doch das ausgerichtet, daß diese Stelle nicht für den freien Willen gelten kann, weil sie in einem anderen Sinne als dem ihrigen verstanden werden kann, nämlich in unserem, den wir eben angegeben haben, welcher auch nicht ungereimt ist, sondern ganz passend und mit der ganzen Schrift übereinkommt, während der Sinn, welchen jene hineinlegen, mit der ganzen Schrift streitet und nur aus dieser Einen Stelle gezogen wird, gegen die ganze Schrift. Darum stehen wir sicher auf dem guten Verstande, der den freien Willen verneint, bis jene ihren bejahenden, schmierigen und gezwungenen Verstand bewiesen haben. Wenn daher Sirach sagt: „Willst du die Gebote halten, so werden sie dich erhalten und (willst du) den wohlgefälligen Glauben halten“, so sehe ich nicht, wie aus diesen Worten der freie Wille bewiesen werden kann. Denn es ist ein Wort in abhängiger Form (conjunctivi modi), „Wenn du willst“, welches nichts behauptet, wie die Dialectiker sagen: Daß die bedingende Rede nichts behauptend aussage, als: Wenn der Teufel Gott ist, so wird er mit Recht angebetet; wenn der Esel fliegt, so hat der Esel Flügel; wenn es einen freien Willen gibt, so ist die Gnade nichts. Sirach hätte aber so reden müssen, wenn er den freien Willen hätte behaupten wollen: Der Mensch kann die Gebote Gottes halten, oder der Mensch hat das Vermögen, die Gebote zu halten. Aber hier wird die Diatribe Spitzfindigkeiten erheben: Dadurch, daß Sirach sagt: „Wenn du halten willst“, zeigt er an, daß in dem Menschen der Wille sei zu halten und nicht zuhalten, denn was sollte das sonst heißen, daß man zu dem, der den Willen nicht hat, sagen sollte: „Wenn du willst“? Ist es nicht lächerlich, wenn jemand zu einem Blinden sagen wollte: Wenn du sehen willst, so wirst du einen Schatz finden, oder zu einem Tauben: Wenn du hören willst, so will ich dir eine gute Geschichte erzählen? Das hieße ihres Elendes lachen. Ich antworte: Dies sind Gründe der menschlichen Vernunft, welche solche Weisheit von sich zu geben pflegt. Deshalb haben wir bereits nicht mehr mit Sirach, sondern mit der menschlichen Vernunft zu streiten über die Folgerung, denn sie (die Vernunft) legt die Schrift Gottes mit ihren Folgerungen und Schlußreden aus und zieht sie, wohin sie will; und wir werden dies gern und zuversichtlich thun, weil wir ja wissen, daß sie nur thörichte und ungereimte Dinge schwatzt, besonders dann, wenn sie anfängt in heiligen Dingen ihre Weisheit zu zeigen. Und erstlich, wenn ich frage, womit denn bewiesen werde, daß dies die Meinung sei oder doch dies daraus folge, es sei ein freier Wille im Menschen, jedesmal, wenn gesagt wird: Wenn du willst. Wenn du thust. Wenn du hörst? so wird sie (die Vernunft) sagen: Weil es so scheint, daß es die Art der Worte und der Sprachgebrauch unter den Menschen erfordere. Also bemißt sie (die Vernunft) göttliche Dinge und Worte nach dem Gebrauche und den Sachen der Menschen. Was ist verkehrter als das? denn jenes ist göttlich, dieses menschlich. Sie erweist sich also selbst als thöricht, wie sie keine anderen als menschliche Gedanken von Gott haben kann. Doch wie, wenn ich beweise, daß die Art der Worte und der Sprachgebrauch auch bei den Menschen es nicht immer mit sich bringen, daß diejenigen verlacht werden, welche nicht vermögen, so oft man zu ihnen sagt: Wenn du willst. Wenn du thust. Wenn du hörst? Wie oft spielen doch Eltern mit ihren Kindern, wenn sie dieselben locken, entweder zu ihnen zu kommen, oder dies oder jenes zu thun, nur um deß willen, damit es offenbar werde, wie gar sie es nicht vermögen, und gezwungen werden, den Beistand des Vaters anzurufen? Wie oft heißt ein pflichtgetreuer Arzt einen eigensinnigen Kranken, etwas zu thun oder zu lassen, was ihm entweder unmöglich oder schädlich ist, damit er ihn durch die Erfahrung zur Erkenntniß seiner Krankheit oder seines Unvermögens bewege, wozu er ihn durch keinen anderen Grund bringen konnte? Und was ist gebräuchlicher und häufiger, als mit Worten Trotz zu bieten und herauszufordern, wenn wir entweder Feinden oder Freunden zeigen wollen, was sie vermögen und nicht vermögen? Dies führe ich nur an, um der Vernunft ihre Folgerungen zu zeigen, wie thöricht sie dieselben der Schrift andichte, dann auch, wie blind sie sei, daß sie nicht sieht, daß dieselben auch in menschlichen Dingen und Worten nicht immer statthaben. Aber wenn sie sieht, daß es bisweilen so geschieht, läßt sie sich alsbald voreilig hinreißen, und urtheilt, daß es ganz allgemein in allen Worten Gottes und der Menschen geschehe, und macht aus dem Besonderen ein Allgemeines, wie ihre Weisheit zu thun pflegt. Wenn nun Gott gleichwie ein Vater mit uns als mit seinen Kindern handeln wollte, um uns, die wir es nicht wissen, unser Unvermögen zu zeigen, oder wie ein getreuer Arzt uns unsere Krankheit bekannt zu machen, oder uns als seinen Feinden, die hoffährtig seinem Rathe widerstehen, Trotz zu bieten, und um deß willen seine Gebote uns vorhielte (durch welche er es am bequemsten ausrichten kann) und spräche: Thue, höre, halte, oder: Wenn du hören willst, wenn du willst, wenn du thust, würde denn etwa hieraus in richtiger Folgerung geschlossen werden können: Also können wir es frei thun, oder Gott spottet unser? Warum sollte nicht vielmehr das die Folgerung sein: Also versucht uns Gott, damit er uns durch das Gesetz zur Erkenntniß unseres Unvermögens bringe, so wir Freunde sind; oder dann würde er uns in Wahrheit und mit Recht Trotz bieten und verspotten, wenn wir hoffährtige Feinde sind? Denn dies ist die Ursache, weshalb Gott das Gesetz gegeben hat, wie Paulus lehrt. Denn die menschliche Natur ist blind, daß sie nicht ihre eigenen Kräfte oder vielmehr Krankheiten kennt, dazu ist sie stolz und läßt sich dünken, sie verstehe und könne alles. Diesem Stolz und dieser Unwissenheit hat Gott mit keiner wirksameren Arznei begegnen können, als dadurch, daß er sein Gesetz gegeben hat. Hierüber werden wir am gehörigen Orte mehr sagen; hier ist es genug, daß eine kleine Probe gegeben ist, um die Folgerung der fleischlichen und thörichten Weisheit zu widerlegen: Wenn du willst, also kannst du frei wollen. Die Diatribe träumt, daß der Mensch unversehrt und gesund sei, wie er dem menschlichen Ansehen nach in seinen Angelegenheiten ist; darum klügelt sie, daß mit diesen Worten: Wenn du willst. Wenn du thust. Wenn du hörst, der Mensch verspottet werde, wenn sein Wille nicht frei wäre. Die Schrift aber malt den Menschen so ab, daß er verderbt und gefangen sei, dazu, daß er seine Verderbniß und Gefangenschaft verachte und nicht erkenne. Darum sticht sie ihn mit diesen Worten und weckt ihn auf, damit er wenigstens durch handgreifliche Erfahrung zu der Erkenntniß gebracht werde, wie gar nichts von diesen Dingen er vermag. Aber ich will die Diatribe selbst angehen: Wenn du wirklich dafürhältst, o kluge Frau Vernunft, daß jene Folgerungen feststehen: „Wenn du willst, also hast du das freie Vermögen“, warum kommst du selbst ihnen denn nicht nach? Denn du sagst in jener annehmbaren Meinung, der freie Wille könne nicht irgend etwas Gutes wollen. Durch was für eine Folgerung mag nun wohl zugleich aus dieser Stelle: „Willst du halten“, dieses herkommen, da du sagst, es ergebe sich daraus, daß der Mensch frei wollen und nicht wollen könne? Fließt denn aus derselben Quelle süß und bitter? Oder verspottest auch du vielmehr hier den Menschen, indem du sagst, er könne das halten, was er weder wollen noch wünschen kann? Darum hältst auch du nicht von Herzen dafür, daß es eine gute Folgerung sei: „Wenn du willst, also hast du ein freies Vermögen“, obgleich du so großen Streit darüber erhebst; oder du sagst nicht von Herzen, daß jene Meinung annehmbar sei, welche dafürhält, der Mensch könne das Gute nicht wollen. So wird die Vernunft gefangen durch Folgerungen und Worte ihrer Weisheit, daß sie nicht weiß, was oder wovon sie rede. Es ist aber sehr angemessen, daß der freie Wille durch solche Gründe vertheidigt werde, welche sich gegenseitig verzehren und wider einander schließen, gleichwie die Midianiter sich durch gegenseitiges Würgen selbst verderbten, da sie wider Gideon und das Volk Gottes stritten (Richt. 7,22.). Ja, ich will noch weiter Beschwerde führen gegen diese Weisheit der Diatribe. Sirach sagt nicht: Wenn du das Bestreben oder Bemühen hast, zu halten, welches doch nicht deinen Kräften zugeschrieben werden soll, wie du schließest, sondern er sagt so: „Willst du die Gebote halten, so werden sie dich erhalten.“ Wenn wir nun nach dem Brauche deiner Weisheit Folgerungen ziehen wollen, so werden wir so schließen: Also kann der Mensch die Gebote halten. Aber so würden wir nicht ein ganz geringes Bestreben oder ein ganz kleines Bemühen hier im Menschen setzen, sondern die ganze Fülle und überreichliches Halten der Gebote würden wir ihm beilegen; sonst würde ja Sirach des Menschen spotten, dadurch, daß er ihm das beföhle zu halten, wovon er doch wußte, daß er es nicht halten könnte. Und es würde nicht genug sein, daß er das Bemühen und Bestreben hätte, denn auch so würde er dem Verdachte des Verspottens nicht entgehen, wenn er nicht anzeigte, daß er die Kraft besäße, es zu halten. Wir wollen aber annehmen, daß jenes Bestreben und Bemühen des freien Willens etwas sei; was wollen wir zu jenen, nämlich den Pelagianern, sagen, welche auf Grund dieser Stelle die Gnade ganz und gar leugneten und dem freien Willen alles beilegten? Die Pelagianer hätten völlig gesiegt, wenn die Folgerung der Diatribe feststände. Denn die Worte Sirachs lauten vom Halten, nicht vom Bemühen oder Bestreben. Wenn du nun den Pelagianern die Folgerung vom Halten ableugnen wolltest, so werden sie wiederum mit viel größerem Rechte dir die Folgerung von dem Bemühen ableugnen. Und wenn du ihnen den ganzen freien Willen nehmen willst, so werden sie dir auch das übrige kleine Stücklein wegnehmen, da du von einem Stücklein das nicht behaupten kannst, was du dem Ganzen absprichst. Was du daher auch wider die Pelagianer sagen möchtest, welche auf Grund dieser Stelle dem freien Willen alles beilegen, das können wir viel beweiskräftiger gegen das ganz geringe Bestreben deines freien Willens sagen. Und die Pelagianer stimmen insofern mit uns überein, daß, wenn ihre Meinung aus dieser Stelle nicht bewiesen werden kann, viel weniger irgend eine andere daraus würde bewiesen werden können. Denn wenn die Sache mit Folgerungen gehandelt werden muß, so beweist Sirach aufs allerstärkste für die Pelagianer, da er mit klaren Worten vom ganzen Halten redet: „Willst du die Gebote halten.“ Ja, er sagt auch vom Glauben: „Willst du den wohlgefälligen Glauben halten“, so daß nach derselben Folgerung auch den Glauben zu halten in unserem Vermögen stehen müßte, der doch Gottes besondere und eine seltene Gabe ist, wie Paulus sagt. Kurz, da so viele Meinungen für den freien Willen aufgestellt werden, und keine ist, die nicht diese Stelle für sich in Anspruch nimmt, und dieselben verschieden und unter einander widersprechend sind, darum können sie nichts aus ihr beweisen. Doch, wenn jene Folgerung zugelassen wird, so beweist sie allein für die Pelagianer gegen alle anderen; darum beweist sie auch gegen die Diatribe, welche an dieser Stelle mit ihrem eigenen Schwerte erwürgt wird. Wir aber sagen, wie im Anfang, daß diese Stelle Sirachs durchaus keinem von denen günstig ist, welche den freien Willen behaupten, sondern, daß sie gegen alle streitet. Denn jene Folgerung darf nicht zugelassen werden: Wenn du willst, also wirst du auch können; sondern sie muß so verstanden werden, daß durch dieses und ähnliche Worte der Mensch seines Unvermögens erinnert werde, welches er ohne diese göttlichen Ermahnungen aus Unwissenheit und Hochmuth nicht erkennen noch fühlen würde. Wir reden hier aber nicht von dem ersten Menschen allein, sondern von einem jeglichen, obwohl wenig daran gelegen ist, ob man es verstehe vom ersten Menschen oder von irgend einem beliebigen. Denn obgleich der erste Mensch nicht unvermögend war, da ihm die Gnade beistand, so zeigt ihm doch Gott in diesem Gebote genugsam, wie unvermögend er wäre, wenn die Gnade nicht da ist. Da nun dieser Mensch, als noch der Geist bei ihm war, nicht vermochte, mit einem neuen Willen das Gute zu wollen, welches ihm von neuem vorgelegt war, das ist, den Gehorsam, weil der Heilige Geist diesen nicht hinzufügte, was vermöchten wir ohne den Geist in dem Guten, welches wir verloren haben? Deshalb ist uns an diesem Menschen gezeigt worden, mit einem schrecklichen Beispiele, um unseren Stolz zu brechen, was unser freier Wille vermöge, wenn er sich selbst überlassen ist, und nicht beständig mehr und mehr getrieben und gestärkt wird durch den Geist Gottes. Adam vermochte nicht zu einem stärkeren Geist zu kommen, dessen Erstlinge er hatte, sondern fiel von den Erstlingen des Geistes: wie sollten denn wir vermögen, zu den Erstlingen des Geistes zu gelangen, nachdem sie weggenommen sind, da wir gefallen sind, zumal da der Teufel bereits in uns herrscht mit voller Gewalt, welcher jenen, da er noch nicht in ihm herrschte, durch die Eine Anfechtung gestürzt hat? Nichts Stärkeres könnte gegen den freien Willen vorgebracht werden, als wenn diese Stelle Sirachs zusammen mit dem Falle Adams behandelt würde; aber jetzt ist es nicht am Orte, und vielleicht anderswo wird sich die Gelegenheit bieten. Für jetzt ist es genug, daß gezeigt worden ist, daß Sirach an dieser Stelle durchaus nichts für den freien Willen redet, welche sie doch für die Hauptstelle halten, und daß diese Stelle und ähnliche: Wenn du willst, Wenn du hörst. Wenn du thust, nicht zeigen, was der Mensch vermöge, sondern, was er schuldig ist. Eine andere Stelle wird von unserer Diatribe angezogen, 1 Mos. 4,7., wo der Herr zu Kain sagt: „Aber laß du der Sünde nicht ihren Willen, sondern herrsche über sie.“ „Hier wird zu erkennen gegeben (sagt die Diatribe), daß „die Lust zum Bösen leicht könnte überwunden werden und keine Nothwendigkeit zu sündigen mit sich brächte.“ Dieses „die Lust zum Bösen könnte überwunden werden“, obgleich es zweideutig geredet ist, wird doch nach dem Zusammenhang, und dem, was folgt, und nach der Sache selbst so verstanden werden müssen, daß der freie Wille vermöge, seine Regungen zum Bösen zu überwinden, und daß jene Regungen nicht die Nothwendigkeit zu sündigen mit sich bringen. Was wird denn hier wieder ausgelassen, das dem freien Willen nicht zugeschrieben wird? Wozu ist der Geist nöthig? wozu Christus? wozu Gott? wenn der freie Wille die Regungen des Herzens zum Bösen überwinden kann? Wo ist nun wiederum die annehmbare Meinung, welche sagt, daß der freie Wille auch nicht einmal das Gute wollen kann? Hier aber wird dem (freien Willen) der Sieg über das Böse beigelegt, welcher das Gute weder will, noch wünscht. Die Unbedachtsamkeit unserer Diatribe ist doch allzu übergroß! Nimm die Sache einfach, wie ich gesagt habe. Durch solche Aussprüche wird dem Menschen gezeigt, was er zu thun schuldig ist, nicht was er thun kann. Zu Kain wird deshalb gesagt, daß er über die Sünde herrschen und ihren Willen unter sich halten solle. Aber dies hat er nicht gethan, auch nicht thun können, da er schon unter der fremden Herrschaft des Teufels lag. Denn es ist bekannt, daß die Hebräer von einer Sache, die geschehen soll, oft so reden, daß sie sagen, sie wird geschehen (indicativo futuro uti pro imperativo), wie 2 Mos. 20.: „Du wirst nicht andere Götter haben“, „Du wirst nicht tödten“, „Du wirst nicht ehebrechen“, und unzählige derartige Aussprüche. Sonst, wenn sie nach Art einer Aussage (indicative) genommen würden (wie sie lauten), so wären es Verheißungen Gottes, und da er nicht lügen kann, so würde es geschehen, daß kein Mensch sündigte, und die Gebote wären ohne Noth gegeben. So hätte unser Dolmetscher an dieser Stelle richtiger so übersetzen sollen: „Aber ihr Begehren soll unter dir sein und du herrsche über sie.“ Wie es auch vom Weibe hätte heißen sollen (1 Mos. 3,16.): „Du sollst unter deinem Manne sein und er soll über dich herrschen.“ Denn daß es nicht nach Art einer Aussage zu Kain gesagt worden ist, beweist das, weil es dann eine göttliche Verheißung gewesen wäre; aber es ist keine Verheißung gewesen, weil das Gegentheil eintrat und durch Kain geschah. Die dritte Stelle ist aus Moses (5 Mos. 30,15.19.): „Ich habe dir vorgelegt den Weg zum Leben und den Weg zum Tode, erwähle das Gute“ etc. Was (sagt sie (die Diatribe)) kann Deutlicheres gesagt werden? Die Freiheit der Wahl überläßt er dem Menschen. Ich antworte: Was ist offenbarer, als daß du hier blind bist? Wo, ich bitte dich, hat er die Freiheit der Wahl überlassen? Etwa in dem, daß er sagt: Erwähle? Also sofort, wie Moses sagt „erwähle“, so geschieht es, daß sie erwählen? Also wiederum ist der Geist nicht nothwendig. Und da du dasselbe so oft wiederholst und einbläuest, so wird es mir auch gestattet sein, dasselbe öfter wieder zu sagen. Wenn die Freiheit der Wahl da ist, warum hat denn die annehmbare Meinung gesagt, der freie Wille könne das Gute nicht wollen? kann er denn erwählen, ohne daß er will, oder wenn er nicht will? Doch wir wollen das Gleichniß hören: „Es wäre lächerlich, wenn man zu einem, der bei einer Wegscheide stille steht, sagen wollte: hier siehest du zwei Wege, gehe, welchen du willst, da doch nur der eine ihm offen stände.“ Dies fällt unter das, was ich oben von den Gründen der fleischlichen Vernunft gesagt habe, daß sie meint, der Mensch werde verspottet durch ein unmögliches Gebot, wovon wir sagen, daß er dadurch ermahnt und aufgeweckt werden soll, damit er sein Unvermögen erkenne. Wir sind also in Wahrheit an der Wegscheide, aber nur der eine Weg steht offen, ja, keiner steht offen; es wird aber durch das Gesetz gezeigt, wie der eine zum Guten unmöglich ist, wenn Gott nicht den Geist schenkt, der andere aber, wie breit und leicht der ist, wenn Gott ihn zuläßt. Es wäre also nicht lächerlich, sondern es würde dem bei einer Wegscheide stille Stehenden mit einem nothwendigen Ernste gesagt: gehe, welchen Weg du willst, wenn er, obwohl er schwach ist, sich stark dünken wollte, oder behauptete, keiner der beiden Wege wäre versperrt. Darum werden die Worte des Gesetzes geredet, nicht, daß sie die Kraft des Willens bestätigen sollen, sondern, daß sie die blinde Vernunft erleuchten, damit sie dadurch erkenne, wie ihr Licht gar nichts sei und die Kraft des Willens nichts. „Durch das Gesetz (sagt Paulus (Röm. 3,20.)) kommt Erkenntniß der Sünde“; er sagt nicht, Abthun oder Vermeiden der Sünde. Die ganze Ursache und Kraft des Gesetzes liegt allein in der Erkenntniß, und zwar nur der Sünde, um die zuwege zu bringen, nicht aber darin, daß irgend eine Kraft angezeigt oder übertragen werde. Denn die Erkenntniß ist nicht eine Kraft, noch gibt sie Kraft, sondern unterrichtet und zeigt, daß da keine Kraft sei, und wie groß da die Schwachheit sei. Denn die Erkenntniß der Sünde, was kann sie anders sein, als die Kenntniß unserer Schwachheit und unseres Uebels? denn er sagt nicht: durch das Gesetz kommt Erkenntniß der Kraft oder des Guten; sondern alles, was das Gesetz thut (wie Paulus bezeugt), ist, daß es uns zur Erkenntniß der Sünde bringen soll. Und dies ist die Stelle, aus der ich diese Antwort genommen habe, daß der Mensch durch die Worte des Gesetzes ermahnt und unterrichtet werde, was er thun solle, nicht, was er thun könne, das ist, daß er die Sünde erkenne, nicht daß er glaube, er habe irgend welche Kraft. Demgemäß, lieber Erasmus, so oft du mir die Worte des Gesetzes entgegenhältst, werde ich dir jenen Ausspruch des Paulus entgegenstellen: „Durch das Gesetz kommt Erkenntniß der Sünde“, nicht Kraft des Willens. Bringe daher aus den größten Sammlungen von Bibelstellen (ex Concordantiis majoribus) alle Worte, die gebotsweise geredet sind, auf einen Haufen, nur daß es nicht Verheißungen seien, sondern Forderungen und Worte des Gesetzes, so werde ich alsbald sagen, daß durch dieselben immer angezeigt werde, was die Menschen thun sollen, nicht was sie thun können oder wirklich thun. Und das wissen auch die Sprachlehrer und die Kinder auf den Gassen, daß durch Worte in der Befehlsform nichts mehr bezeichnet werde, als das, was geschehen soll. Was aber geschieht oder geschehen kann, das muß durch Worte, welche die Wirklichkeit ausdrücken (indicativis), gesagt werden. Wie kommt es daher, daß ihr Theologen so narret, gleich als wäret ihr zwiefältig Kinder, daß ihr alsbald, wenn ihr ein Wort in Befehlsform findet, daraus die Wirklichkeit schließet, als ob sogleich, wie nur befohlen ist, es auch notwendiger Weise gethan, oder zu thun möglich sei. Wie oft geschieht es, daß jemand das Bißlein, welches er schon im Munde zu haben vermeint, nicht bekommt; wie oft, daß das, was du befiehlst, mag es auch noch so möglich sein, nicht geschieht? So weit sind befehlende Wörter und Wörter, welche die Wirklichkeit anzeigen, von einander, auch in gewöhnlichen und ganz leichten Dingen. Und ihr macht uns in diesen Dingen, die weiter auseinander sind als Himmel und Erde, und die sogar unmöglich sind, so plötzlich Wörter der Wirklichkeit aus befehlenden Wörtern, daß ihr wollt, sie seien alsbald gehalten, gethan, erwählt und erfüllt, so gar, daß sie solche werden aus unseren Kräften, sobald ihr die Stimme dessen hört, der da befiehlt: Thue, halte, erwähle. Viertens, aus dem fünften Buche Mosis im dritten und dreißigsten Capitel bringst du viele ähnliche Worte vom Erwählen, Abwenden und Halten bei, wie: „Wenn du hältst, wenn du dich abwendest, wenn du erwählst“ etc. Dies, sagst du, wäre alles vergeblich ausgesprochen, wenn der Wille des Menschen nicht frei wäre zum Guten. Ich antworte: Und du, liebe Diatribe, nimmst aus diesen Worten ganz ungeschickt die Freiheit des Willens ab. Denn nur das Bemühen und Bestreben des freien Willens hast du beweisen wollen, du ziehst aber keine Stelle an, welche ein solches Bemühen beweise. Du führst aber solche Stellen an, welche, wenn deine Folgerung statthätte, dem freien Willen alles beilegen. Hier müssen wir daher wiederum die angezogenen Worte der Schrift und die daran gehängte Folgerung der Diatribe unterscheiden. Die angeführten Worte sind befehlende, sie sagen nur, was geschehen soll, denn Moses sagt nicht: Du hast Kraft oder Vermögen zu erwählen, sondern: Erwähle, halte, thue. Er gibt Gebote, was man thun soll, er beschreibt aber nicht das Vermögen des Menschen. Die Folgerung aber, welche die kluge Diatribe daran gehängt hat, schließt: Also kann der Mensch solches, sonst wäre es vergeblich geboten. Darauf wird geantwortet: Frau Diatribe, ihr schließet schlecht, ihr beweist auch nicht die Folgerung, sondern eurer Blindheit und Schläfrigkeit scheint das zu folgen und bewiesen zu werden. Es wird aber nicht ungeschickt und vergeblich befohlen, sondern damit der hochmüthige und blinde Mensch dadurch die Krankheit seines Unvermögens lerne, wenn er versucht zu thun, was geboten wird. So taugt auch dein Gleichniß nichts, da du sagst: „Sonst wäre es eben, als wenn man zu einem Menschen, der so angebunden wäre, daß er den Arm nur auf die linke Seite ausstrecken könnte, sagen wollte: Siehe, da hast du zur Rechten den köstlichsten Wein und zur Linken Gift, strecke die Hand aus, zu welchem du willst.“ Ich glaube, daß diese deine Gleichnisse dich sonderlich kitzeln, aber zu gleicher Zeit siehst du nicht, daß, wenn deine Gleichnisse bestehen, sie viel mehr beweisen, als du zu beweisen vorgenommen hast, ja, daß sie beweisen, was du leugnest und verworfen wissen willst, nämlich, daß der freie Wille alles vermöge. Denn beständig hast du in diesem Handel vergessen, daß du gesagt hast, der freie Wille vermöge nichts ohne die Gnade, und beweisest, daß der freie Wille alles vermöge ohne die Gnade. Denn das bringen deine Folgerungen und Gleichnisse mit sich, daß entweder der freie Wille von sich selbst das vermöge, was gesagt und geboten wird, oder daß es vergebens, lächerlich und ungeschickt geboten sein muß. Dies sind aber die alten Lieder der Pelagianer, welche auch von den Sophisten verworfen sind, und welche du selbst verdammt hast. Doch indessen zeigst du durch diese Vergeßlichkeit und dein schlechtes Gedächtniß, wie gar nicht du diese Sache verstehst, und wie dir daran nichts liegt. Denn was ist schimpflicher für einen Redner, als beständig andere Dinge zu behandeln und zu beweisen, die mit seiner Sache nichts zu thun haben, ja, als daß er immer gegen seine Sache und sich selbst redet? Ich sage daher von neuem: Die Worte der Schrift, welche du anführst, sind befehlende und beweisen nichts, lehren nichts in Bezug auf menschliche Kräfte, sondern schreiben vor, was man thun und lassen soll. Die Folgerungen aber oder Zusätze und deine Gleichnisse, wenn sie überhaupt etwas beweisen, beweisen dies, daß der freie Wille alles vermöge ohne die Gnade. Das aber zu beweisen hast du dir nicht vorgenommen, ja, du hast es in Abrede genommen; darum sind Beweise der Art nichts Anderes, als die stärksten Gegenbeweise. Denn wenn ich schließe (ob ich vielleicht die Diatribe aus ihrer Schlafsucht aufwecken kann): Wenn Moses sagt: Erwähle das Leben und halte das Gebot, der Mensch aber das Leben nicht erwählen und das Gebot nicht halten könnte, so hätte Moses dem Menschen jenes lächerlicherweise befohlen; hätte ich dann etwa durch diesen Grund bewiesen, daß der freie Wille nichts Gutes vermöge, oder daß er sich bemühen könne ohne eigene Kräfte? Nein, vielmehr habe ich mit gar starkem Grunde bewiesen, daß der Mensch entweder das Leben erwählen und das Gebot halten könne, wie ihm befohlen wird, oder Moses wäre ein lächerlicher Gesetzgeber; aber wer würde es wagen zu sagen, daß Moses ein lächerlicher Gesetzgeber sei? Also folgt, der Mensch vermöge das, was geboten wird. Auf diese Weise streitet die Diatribe gegen das, was sie selbst aufgestellt hat, wovon sie versprochen hat, daß sie auf solche Weise nicht davon handeln werde, sondern sie wolle ein gewisses Bemühen des freien Willens darthun. Dessen aber erinnert sie sich nicht viel in der ganzen Reihe von Gründen, noch viel weniger beweist sie es, ja sogar, sie beweist vielmehr das Gegentheil, so daß sie vielmehr alles spöttisch sagt und handelt. Mag es nun gleich lächerlich sein, nach dem angeführten Gleichniß, daß einer, der mit dem rechten Arme angebunden ist, aufgefordert werde, die Hand nach der rechten Seite hin auszustrecken, da er es nur nach der linken Seite hin vermag: ist es denn etwa auch lächerlich, wenn er selbst, an beiden Armen gebunden, hochmüthig behaupten oder aus Unwissenheit sich vermessen sollte, daß er nach beiden Seiten hin alles vermöge, und ihm dann befohlen würde, nach beiden Seiten hin die Hand auszustrecken, nicht um seiner Gefangenschaft zu spotten, sondern damit der falsche Wahn von Freiheit und eigenem Vermögen ihm genommen würde, oder damit die Unkenntniß seiner Gefangenschaft und seines Elendes ihm bekannt würde? Die Diatribe bildet uns beständig einen solchen Menschen vor, der entweder vermöge, was befohlen wird, oder doch wenigstens erkenne, daß er es nicht vermöge. Aber ein solcher Mensch ist nirgends. Und wenn es einen solchen gäbe, dann würden uns in Wahrheit entweder unmögliche Dinge geboten, oder der Geist Christi wäre vergeblich. Die Schrift aber hält uns einen solchen Menschen vor, welcher nicht nur gebunden ist, elend, gefangen, krank und todt, sondern der durch Wirkung seines Fürsten, des Teufels, zu allem seinem Jammer noch das Elend der Blindheit hinzufügt, daß er glaubt, er sei frei, glückselig, ungebunden, stark, gesund und lebendig. Denn der Teufel weiß, daß, wenn der Mensch sein Elend erkennen würde, er keinen in seinem Reiche behalten könnte, weil Gott nicht umhin könnte, sich der Menschen, welche ihr Elend erkennen und ihn anrufen, sofort zu erbarmen und ihnen zu helfen. Denn von Gotte wird in der ganzen Schrift mit großem Lobe gepredigt, daß er nahe ist bei denen, die zerschlagene Herzen haben, so daß auch Christus bezeugt, Jes. 61,1.2., er sei gesandt, den Armen das Evangelium zu predigen und die Zerschlagenen zu heilen. Demgemäß ist es ein Werk des Teufels, die Menschen festzuhalten, daß sie ihr Elend nicht anerkennen, sondern sich vermessen, daß sie alles können, was gesagt wird. Das Werk Mosis aber und eines Gesetzgebers ist dem entgegengesetzt, daß er durch das Gesetz dem Menschen sein Elend offenbar mache, damit er ihn, wenn er auf solche Weise zerschlagen und durch die Erkenntniß seiner selbst zu Schanden geworden ist, zur Gnade vorbereite und zu Christo bringe, und er so selig werde. Es ist darum nicht lächerlich, sondern sehr ernst und nothwendig, was durch das Gesetz gethan wird. Diejenigen, welche dieses jetzt verstehen, verstehen zu gleicher Zeit auch leicht, daß die Diatribe mit der ganzen Reihe von Gründen durchaus nichts ausrichte, da sie aus der Schrift nur befehlende Wörter zusammenbringt, von denen sie nicht versteht, was sie bedeuten und weshalb sie gesagt sind; dann aber macht sie durch die Hinzufügung ihrer Folgerungen und fleischlichen Gleichnisse einen so großen Brei, daß sie mehr behauptet und beweist, als sie vorhatte, und wider sich selbst streitet, so daß es nicht nöthig wäre, ferner noch das Einzelne durchzugehen, denn durch Eine Lösung wird alles gelöst, da sich auf Einen Grund alles stützt. Doch damit die große Menge, womit sie mich hat überschütten wollen, überschüttet werde, will ich fortfahren und noch einige Sprüche anführen. Jes. 1,19.: „Wenn ihr wollt und mich hören werdet, so werdet ihr die Güter des Landes essen“, wo es sich, nach dem Urtheile der Diatribe, „besser geschickt haben würde, wenn keine Freiheit des Willens da wäre, daß da stände: Wenn ich will, wenn ich nicht will.“ Nach dem Obengesagten ist die Antwort klar. Ferner, was für eine schickliche Rede wäre da, wenn gesagt wäre: Wenn ich will, so werdet ihr die Güter des Landes essen? Oder hält die Diatribe vor übergroßer Weisheit etwa dafür, daß die Güter des Landes gegessen werden können wider den Willen Gottes, oder daß das etwas Seltsames und Neues ist, daß wir die Güter nicht anders empfangen, außer wenn Gott will? So ist auch die Stelle Jes. 21,12.: „Wenn ihr schon fraget, so fraget doch, bekehret euch und kommt wieder.“ Wozu hilft es, sie zu ermahnen, wenn sie durchaus nicht ihrer selbst mächtig sind? als wenn man zu einem, der in Ketten liegt, sagen wollte, „mache dich von dannen“, sagt die Diatribe. Ja, wozu hilft es doch (sage ich), Stellen anzuführen, welche für sich allein nichts beweisen, und die, wenn man Folgerungen anhängt, das ist, ihren Sinn verdreht, alles dem freien Willen beilegen, da doch allein ein gewisses Bemühen, welches aber auch nicht dem freien Willen zugeschrieben werden darf, hätte bewiesen werden sollen? Dasselbe kann gesagt werden zu der Stelle Jes. 45,22.: „Versammelt euch und kommet herzu; wendet euch zu mir, so werdet ihr selig“, und Cap. 52,1.2.: „Mache dich auf, mache dich auf, mache dich aus dem Staub, mache dich los von den Banden deines Halses“; desgleichen Jer. 15,19.: „Wo du dich zu mir hältst, so will ich mich zu dir halten; wo du die Frommen lehrest, sich sondern von den bösen Leuten, so sollst du mein Lehrer sein.“ Deutlicher aber zeigt Sacharja das Bemühen des freien Willens an und die Gnade, welche dem, der sich bemüht, bereit ist (Sach. 1,3.): „Kehret euch (sagt er) zu mir, spricht der Herr Zebaoth, so will ich mich zu euch kehren, spricht der Herr.“ In diesen Stellen macht unsere Diatribe durchaus keinen Unterschied zwischen Worten des Gesetzes und des Evangelii, nämlich so blind und unwissend ist sie, daß sie nicht sieht, was Gesetz und was Evangelium ist. Denn aus dem ganzen Jesajas führt sie kein Wort des Gesetzes an, außer der Einen Stelle: „Wenn ihr wollt“; alle anderen sind evangelische Sprüche, durch welche die Zerschlagenen und Betrübten durch das Wort der angebotenen Gnade gerufen werden zum Troste. Aber die Diatribe macht aus ihnen Worte des Gesetzes. Ich bitte dich aber, was kann der in einer theologischen Angelegenheit oder in der heiligen Schrift ausrichten, der noch nicht so weit gekommen ist, daß er wüßte, was Gesetz, was Evangelium ist, oder, wenn er es weiß, es doch verachtet in Obacht zu nehmen? Der muß alles durcheinander mengen, Himmel und Hölle, Leben und Tod, und wird sich durchaus nicht bemühen, etwas von Christo zu wissen. Davon werde ich unten mit der Diatribe noch weiter reden. Siehe die Sprüche Jeremiä und Sacharjä: „Wo du dich zu mir hältst, so will ich mich zu dir halten“, und: „Kehret euch zu mir, so will ich mich zu euch kehren.“ Folgt denn etwa: Kehret euch, also könnt ihr euch bekehren? Folgt etwa: Liebe den Herrn, deinen Gott, von ganzem Herzen, also kannst du ihn lieben von ganzem Herzen? Was beweisen also Gründe der Art anders, als daß der freie Wille der Gnade Gottes nicht bedürfe, vielmehr alles aus eigener Kraft vermöge? Wie viel richtiger werden daher die Worte so genommen, wie sie da gesetzt sind? „Wenn du dich bekehrst, so will auch ich mich zu dir bekehren“, das heißt, wenn du aufhören wirst zu sündigen, so werde auch ich aufhören dich zu strafen, und wenn du umkehren wirst und recht leben, so will ich auch wohlthun und deine Gefangenschaft und dein Uebel wenden. Aber aus denselben folgt nicht, daß sich der Mensch aus seiner eigenen Kraft bekehren könne, auch sagen dies die Worte selbst nicht, sondern sie sagen einfach: Wenn du dich bekehren möchtest; wodurch der Mensch dessen erinnert wird, was er zu thun schuldig ist. Wenn er aber erkannt und eingesehen hat, daß er es nicht thun kann, so möchte er suchen, woher er die Kraft nehmen möge, wenn nicht der Leviathan der Diatribe (das ist, der Zusatz und ihre Folgerung) dazwischen käme, welche sagte: Sonst wäre es vergeblich geredet: „Bekehret euch“, wenn sich der Mensch nicht aus eigener Kraft bekehren könnte. Was das auf sich habe, und was es werth sei, darüber ist genug gesagt. Es ist eine Art Stumpfsinn oder Schläfrigkeit, daß man glaubt, durch jene Worte: Bekehret euch, Wenn du dich bekehrst, und ähnliche, werde die Kraft des freien Willens bestätigt, und nicht Acht hat, daß aus demselben Grunde sie auch mit diesem Worte bestätigt würde: Du sollst lieben Gott, deinen Herrn, von ganzem Herzen, da an beiden Stellen ein gleicher Ausdruck des Befehlens und Forderns ist. Es wird aber die Liebe gegen Gott nicht weniger gefordert, als unsere Bekehrung und das Halten aller Gebote, da die Liebe gegen Gott unsere wahre Bekehrung ist. Und doch folgert niemand aus jenem Gebote der Liebe den freien Willen, aber aus jenen Worten: Wenn du willst. Wenn du hörst, Bekehre dich, und ähnlichen, folgern ihn alle. Wenn also aus jenem Worte „Du sollst lieben Gott, deinen Herrn, von ganzem Herzen“ nicht folgt, daß der freie Wille etwas sei oder vermöge, so ist es gewiß, daß er auch aus diesem nicht folgt: Wenn du willst, Wenn du hörst, Bekehret euch, und ähnlichen, welche entweder weniger fordern oder weniger streng fordern, als jenes: Liebe Gott, Liebe den Herrn. Alles, was man daher antwortet auf jenes Wort „Liebe Gott“, daß es nicht für den freien Willen beweise, dasselbe kann man auch sagen in Bezug auf alle anderen Worte, durch welche etwas befohlen oder gefordert wird, daß sie nichts beweisen für den freien Willen. Nämlich durch das Wort „lieben“ wird die Form des Gesetzes gezeigt, was wir schuldig sind, nicht aber die Kraft des Willens oder was wir vermögen; vielmehr, was wir nicht vermögen. Dasselbe wird auch angezeigt durch alle anderen Worte, welche etwas erfordern. Denn es ist bekannt, daß auch die Scholastiker behaupten, mit Ausnahme der Scotisten und der Neueren (Modernis), daß der Mensch Gott nicht von ganzem Herzen lieben könne. So kann er auch keines von den anderen Geboten halten, da in diesem Einen Gebote alle anderen hangen, wie Christus bezeugt. So bleibt nur übrig, auch nach dem Zeugniß der scholastischen Doctoren, daß die Worte des Gesetzes die Kraft des freien Willens nicht darthun, sondern daß sie anzeigen, was wir schuldig sind und was wir nicht vermögen. Aber unsere Diatribe folgert aus dem Spruch Sacharjä (1,3.): „Bekehret euch“, nicht allein die Wirklichkeit der Bekehrung (indicativum), sondern behauptet, auch das Bemühen des freien Willens und die Gnade, welche dem bereitet ist, der sich bemüht, daraus zu beweisen. Und hier erinnert sie sich doch endlich einmal ihres Bemühens. Und nach der neuen Sprachlehre bedeutet bei ihr „sich bekehren“ ebendasselbe, was bemühen, daß der Sinn sein soll: „Bekehret euch zu mir“, das heißt, bemühet euch, daß ihr euch bekehret, und: „ich will mich zu euch kehren“, das heißt, ich will mich bemühen, mich zu euch zu kehren, damit sie auch einmal Gotte ein Bemühen zuschreibe und vielleicht auch seinem (Gottes) Bemühen Gnade bereiten will; denn wenn an Einer Stelle „sich kehren“ bedeutet, sich bemühen, warum nicht überall? Wiederum, durch die Stelle Jer. 15,19.: „Wenn du das Kostbare vom Unwerthen scheiden wirst“, sagt sie, werde die Freiheit, zu erwählen, nicht allein das Bemühen, bewiesen, da sie doch vorher gelehrt hatte, dieselbe sei verloren und verkehrt in die Nothwendigkeit, der Sünde zu dienen. Du siehst also, daß die Diatribe in Wahrheit den freien Willen hat in Behandlung der heiligen Schrift, so daß bei ihr Wörter in derselben Form an einer Stelle das Bemühen, an einer anderen Stelle die Freiheit beweisen müssen, wie es ihr nur belieben mag. Doch diese nichtigen Dinge wollen wir fahren lassen. Das Wort „bekehren“ (convertere) wird in der Schrift in doppelter Weise genommen, in gesetzlichem Gebrauche und in evangelischem Gebrauche. In gesetzlichem Gebrauche ist es ein Wort eines Treibers und Gebieters, welches nicht ein Bemühen, sondern die Aenderung des ganzen Lebens erfordert, wie Jeremias es häufig gebraucht, wenn er spricht (35,15.): „Kehre sich ein jeglicher von seinem bösen Wesen“; (4,1.:) „Bekehre dich zum Herrn.“ Denn da schließt er die Forderung ein, daß alle Gebote gehalten werden sollen, wie genugsam am Tage ist. Nach evangelischem Gebrauche ist es ein Wort des Trostes und der Verheißung Gottes, wodurch nichts von uns erfordert, sondern uns die Gnade Gottes angeboten wird. Wie das Wort, Ps. 126,1.: „Wenn der Herr die Gefangenschaft Zions wenden wird“, und Ps. 116,7.: „Kehre dich, meine Seele, zu deiner Ruhe.“ Sacharja macht daher in der größten Kürze die zwiefache Predigt ab, sowohl die des Gesetzes als auch die der Gnade. Das ganze Gesetz und die Summa des Gesetzes ist, da er sagt: „Bekehret euch zu mir“; die Gnade ist, wo er sagt: „Und ich will mich zu euch kehren.“ Nun, ebenso wenig als der freie Wille bewiesen wird aus diesem Worte: „Liebe den Herrn“, oder aus irgend einem Worte eines einzelnen Gesetzes, ebenso wenig wird er bewiesen aus diesem Worte, welches ein kurzer Inbegriff des Gesetzes ist: „Bekehret euch.“ Deshalb gebührt es einem verständigen Leser der Schrift, Acht darauf zu geben, welches Worte des Gesetzes und welches Worte der Gnade sind, damit er nicht alles durcheinander werfe nach der Weise der unreinen Sophisten und unserer schläfrigen Diatribe. Denn siehe, wie sie die herrliche Stelle Hesek. 18,23. (33,11.) behandelt: „So wahr als ich lebe, spricht der Herr, ich habe keinen Gefallen am Tode des Gottlosen, sondern vielmehr, daß er sich bekehre und lebe.“ „Zuerst (spricht sie) wird in diesem Capitel gar oft wiederholt: Wo er sich kehret, wo er thut, wo er begehet (Hes. 18,22.), und zwar in gutem und bösem Verstand; und wo ist wohl jemand, der da sagte, der Mensch thäte nichts?“ Ich bitte, siehe doch die treffliche Folgerung. Sie wollte das Bemühen und Bestreben des freien Willens beweisen, und beweist, daß das Ganze gethan ist, daß alles erfüllt ist durch den freien Willen. Lieber, wo sind nun die, welche die Gnade und den Heiligen Geist bedürfen? Denn so klügelt sie und spricht: Hesekiel sagt (18,21.): „Wo sich der Gottlose bekehret und hält alle meine Rechte und thut recht und wohl, so soll er leben“, also thut der Gottlose alsbald so, und kann es thun. Hesekiel zeigt an, was gethan werden soll, die Diatribe versteht aber, daß dies geschehe und gethan sei, und will uns wieder mit ihrer neuen Sprachlehre lehren, daß es ein und dasselbe sei, schuldig sein und haben, fordern und leisten, heischen und geben. Ferner dies Wort des allersüßesten Evangeliums (Hesek. 18,23.): „Ich will nicht den Tod des Sünders“ etc., dreht sie so herum: „Beklagt etwa hier der heilige Gott den Tod seines Volkes, den er selbst an ihm wirkt? Will er den Tod nicht, so ist es allerdings unserem Willen beizulegen, wenn wir verloren gehen. Allein, was kann man dem zurechnen, der nichts thun kann, weder Gutes noch Böses?“ Dasselbe Liedlein hat Pelagius auch gesungen, als er nicht das Bestreben und Bemühen, sondern die ganze Kraft, alles zu erfüllen und zu thun, dem freien Willen beilegte. Denn diese Folgerungen (wie wir gesagt haben) beweisen diese Kraft, wenn sie überhaupt etwas beweisen, so daß sie ebenso stark, und noch stärker gegen die Diatribe selbst streiten, welche jene Kraft des freien Willens leugnet und nur das Bemühen behauptet, als sie gegen uns streiten, die wir den ganzen freien Willen leugnen. Doch wir wollen ihre Unwissenheit fahren lassen und von der Sache selbst reden. Es ist ein evangelisches Wort und der süßeste Trost für die elenden Sünder, da Hesekiel (18,23.) sagt: „Ich habe keinen Gefallen am Tode des Gottlosen, sondern vielmehr, daß er sich bekehre und lebe“, in jeder Weise, wie auch die Stelle Ps. 30,6.: „Denn sein Zorn währet einen Augenblick und er hat Lust zum Leben“; und Ps. 69,17.: „Wie lieblich ist deine Barmherzigkeit, o Herr“; desgleichen: „Weil ich barmherzig bin“; und das Wort Christi Matth. 11,28.: „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken“; desgleichen der Ausspruch 2 Mos. 20,6.: „Ich thue Barmherzigkeit an vielen Tausenden, die mich lieb haben.“ Und was ist fast mehr als die Hälfte der heiligen Schrift Anderes, als reine Gnadenverheißungen, durch welche von Gott den Menschen Barmherzigkeit, Leben, Friede und Seligkeit angeboten werden? Denn was haben die Worte der Verheißung anders in sich als jenes: „Ich will nicht den Tod des Sünders“? Ist es nicht dasselbe, wenn er sagt (Jer. 3,12.): „Ich bin barmherzig“, als wenn er sagte: Ich zürne nicht, ich will nicht strafen, ich will nicht, daß ihr sterbet, ich will verzeihen, ich will verschonen? Und wenn diese Verheißungen Gottes nicht festständen, durch welche die zerschlagenen Gewissen aufgerichtet werden könnten, welche erschreckt sind durch das Gefühl der Sünde und die Furcht vor dem Tode und dem Gerichte, wie könnte da noch Vergebung oder Hoffnung statthaben? Welcher Sünder würde nicht verzweifeln? Aber wie der freie Wille nicht bewiesen wird aus anderen Worten der Barmherzigkeit, oder der Verheißung, oder des Trostes, so auch nicht aus diesem: „Ich will nicht den Tod des Sünders“ etc. Aber unsere Diatribe unterscheidet hier wieder nicht zwischen Worten des Gesetzes und der Verheißung, macht aus dieser Stelle des Hesekiel ein Wort des Gesetzes und legt sie so aus: „Ich will nicht den Tod des Sünders“, das ist, ich will nicht, daß er tödlich sündige, oder ein des Todes schuldiger Sünder werde, sondern vielmehr, daß er sich bekehre von der Sünde, die er etwa gethan hat, und so lebe. Denn wenn sie sie nicht so auslegte, so würde sie nichts zur Sache dienen. Aber das heißt, das allerlieblichste Wort des Hesekiel ganz umstoßen und wegnehmen: „Ich will nicht den Tod.“ Wenn wir die Schrift so lesen und verstehen wollen nach unserer Blindheit, was Wunder, wenn sie dann dunkel und zweideutig ist? Denn er sagt nicht: Ich will nicht die Sünde des Menschen, sondern: „ich will nicht den Tod des Sünders“, und zeigt deutlich an, daß er von der Strafe der Sünde rede, welche der Sünder für seine Sünde zu fühlen bekommt, nämlich von der Furcht des Todes. Und den Sünder, welcher in diesem Jammer und Verzweiflung steckt, richtet er auf und tröstet ihn, damit er „das glimmende Tocht nicht auslösche und das zerstoßene Rohr nicht zerbreche“ (Jes. 42,3), sondern Hoffnung auf Vergebung und Seligkeit mache, daß er sich desto eher bekehre, nämlich dadurch, daß er sich kehrt zur Seligkeit von der Strafe des Todes, und lebe, das ist, daß er gutes Muthes sei und ein festes, fröhliches Gewissen gewinne. Denn auch das ist zu beachten: Wie das Wort des Gesetzes nur ergeht über die, welche ihre Sünde nicht fühlen noch erkennen, wie Paulus sagt, Röm. 3,20.: „Durch das Gesetz kommt Erkenntniß der Sünde“, so kommt das Wort der Gnade nur zu denen, welche ihre Sünde fühlen, zerschlagen sind und mit Verzweiflung angefochten werden. Darum siehst du, daß in allen Worten des Gesetzes die Sünde angezeigt wird, da gezeigt wird, was wir thun sollen. Dagegen wird, wie du siehst, in allen Worten der Verheißung das Uebel angezeigt, an welchem die Sünder leiden, oder diejenigen, welche aufgerichtet werden sollen, wie hier: „Ich will nicht den Tod des Sünders“; da nennt er klar den Tod und den Sünder; sowohl gerade das Uebel, welches empfunden wird, als auch gerade den Menschen, welcher es empfindet. Aber in dem „Liebe Gott von ganzem Herzen“ wird angezeigt, was für Gutes wir schuldig sind zu thun, nicht was für Uebel wir fühlen, damit wir erkennen, wie wir dies Gute nicht vermögen. Daher konnte nichts Ungeschickteres für den freien Willen angeführt werden, als dieser Spruch Hesekiels, ja, er streitet aufs stärkste wider den freien Willen. Denn es wird hier angezeigt, wie der freie Wille bei der Erkenntniß der Sünde oder in der Bekehrung sich verhalte und was er da vermöge, nämlich, daß er nur noch tiefer fiele und Verzweiflung und Unbußfertigkeit zu seinen Sünden hinzufügte, wenn Gott ihm nicht bald zu Hülfe käme und ihn durch das Wort der Verheißung zurückriefe und aufrichtete. Denn daß Gott, der die Gnade verheißt, es sich so angelegen sein läßt, den Sünder zurückzurufen und aufzurichten, ist ein gar großer und zuverlässiger Grund dafür, daß der freie Wille für sich selbst nur schlimmer werden und (wie die Schrift sagt) zur Hölle sinken kann, wenn du nicht glaubst, daß Gott so leichtfertig sei, daß er, ohne daß es zu unserer Seligkeit nothwendig wäre, sondern aus Lust am Schwatzen die Worte der Verheißung so reichlich ausschütte; daß du so daraus erkennen kannst, daß nicht allein alle Worte des Gesetzes gegen den freien Willen stehen, sondern, daß auch alle Worte der Verheißung ihn völlig widerlegen, das ist, daß die ganze Schrift gegen denselben streitet. Darum siehst du, daß mit diesem Worte „Ich will nicht den Tod des Sünders“ nichts Anderes bezweckt wird, als daß die göttliche Barmherzigkeit in der Welt gepredigt und angeboten werde, welche allein die Betrübten und vom Tode Gequälten mit Freude und Dankbarkeit aufnehmen, da in ihnen das Gesetz bereits sein Amt, das ist, die Erkenntniß der Sünde ausgerichtet hat. Jene aber, welche das Amt des Gesetzes noch nicht erfahren haben und ihre Sünde nicht erkennen, auch den Tod nicht fühlen, die verachten die Barmherzigkeit, welche durch dies Wort verheißen ist. Uebrigens, warum einige vom Gesetze getroffen werden, andere nicht getroffen werden, daß jene die angebotene Gnade annehmen, diese sie aber verachten, das ist eine andere Frage und wird hier nicht von Hesekiel behandelt, denn er redet von der gepredigten und angebotenen Barmherzigkeit Gottes, nicht von jenem verborgenen, mit Ehrfurcht zu betrachtenden Willen Gottes, welcher nach seinem Rathe verordnet, welche und was für Leute nach seinem Willen der gepredigten und angebotenen Barmherzigkeit fähig und theilhaftig sein sollen. Dieser Wille darf nicht erforscht werden, sondern er ist mit Ehrerbietung anzubeten als das allertiefste heiligste Geheimniß der göttlichen Majestät, welches sie sich allein vorbehalten und uns verboten hat, und welches in viel größerer Ehrfurcht zu halten ist, als Corycische Höhlen in unendlicher Menge. Wenn nun die Diatribe klügelt: „Beklagt etwa der heilige Gott den Tod seines Volks, den er selbst an ihnen wirkt?“ denn dies scheint ihr allzu ungereimt: So antworten wir, wie wir schon gesagt haben: Man muß anders reden von Gotte oder dem Willen Gottes, der uns gepredigt wird, der uns offenbart ist, der uns angeboten wird, mit dem wir uns beschäftigen, als von dem Gotte, der nicht gepredigt wird, nicht offenbart, nicht angeboten worden ist, mit dem wir nichts zu schaffen haben. Darum, so fern Gott sich verbirgt und von uns nicht erkannt sein will, geht er uns nichts an. Denn hierher gehört in Wahrheit das Wort: Was über uns ist, ist nicht für uns. Und damit niemand glaube, daß dies meine Unterscheidung sei, folge ich dem Paulus, der an die Thessalonicher vom Antichrist schreibt (2. Ep. 2,4.), daß er sich erheben werde über jeden gepredigten und verehrten Gott, und zeigt deutlich an, daß sich jemand über Gott erheben kann, sofern er gepredigt und ihm gedient wird, das heißt, über das Wort und den Dienst, nach welchem Gott uns bekannt ist und mit uns Verkehr hat. Aber über den Gott, der nicht verehrt noch gepredigt wird, wie er in seinem Wesen und seiner Majestät ist, kann nichts sich überheben, sondern alles ist unter seiner mächtigen Hand. Wir müssen daher Gott in seiner Majestät und in seinem Wesen ungeforscht lassen, denn darin haben wir nichts mit ihm zu schaffen und er will auch nicht, daß wir in der Weise mit ihm zu thun haben sollen, sondern, sofern er in sein Wort gekleidet ist und sich durch dasselbe an den Tag gegeben hat, dadurch er sich uns angeboten hat, handeln mir mit ihm. Das ist sein Schmuck und sein Ruhm, womit, wie der Psalmist (Ps. 21,6.) rühmt, er gekleidet ist. So sagen wir, der heilige Gott beklagt nicht den Tod des Volkes, den er in ihm wirkt, sondern er beklagt den Tod, den er im Volke findet und wegzuschaffen sich bemüht. Denn damit geht der gepredigte Gott um, daß er die Sünde und den Tod wegnehme und wir selig werden möchten. Denn (Ps. 107,20.): „Er hat sein Wort gesendet und sie gesund gemacht.“ Dagegen Gott, wie er verborgen ist in der Majestät, trauert nicht, nimmt auch den Tod nicht weg, sondern wirkt das Leben, den Tod und alles in allen. Denn da hat sich Gott nicht durch sein Wort eingegrenzt, sondern hat sich frei erhalten über alles. Die Diatribe macht sich aber selbst zum Gespötte durch ihre Unwissenheit, indem sie keinen Unterschied macht zwischen dem gepredigten und dem verborgenen Gotte, das heißt, zwischen dem Worte Gottes und Gott selbst. Gott thut vieles, was er uns in seinem Worte nicht anzeigt, er will auch vieles, wovon er uns in seinem Worte nicht anzeigt, daß er es wolle. In solcher Weise will er nicht den Tod des Sünders, nämlich nach seinem Worte; er will ihn aber nach jenem unerforschlichen Willen. Nun aber müssen wir auf das Wort sehen und jenen unerforschlichen Willen anstehen lassen; denn wir müssen uns durch das Wort leiten lassen, nicht durch jenen unerforschlichen Willen. Ja, wer könnte sich richten nach dem durchaus unerforschlichen und unerkennbaren Willen? Es ist genug, daß wir nur das wissen, daß in Gotte ein gewisser unerforschlicher Wille ist; aber was, warum und wie weit er wolle, das gebührt uns durchaus nicht zu fragen, wissen zu wollen, uns darum zu kümmern oder uns damit zu befassen (tangere) sondern nur mit Furcht (und Zittern) anzubeten. Daher sagst du recht: „Wenn Gott den Tod nicht will, so ist es allerdings unserem Willen beizulegen, wenn wir verloren gehen.“ Recht, sage ich, wenn du von dem gepredigten Gotte reden solltest, denn der will, daß alle Menschen selig werden, weil er mit dem Worte des Heils zu allen kommt, und es ist die Schuld des Willens, welcher ihn nicht zuläßt, wie es heißt Matth. 23,37.: „Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, und du hast nicht gewollt.“ Aber, warum die (göttliche) Majestät dieses Gebrechen unseres Willens nicht wegnimmt oder nicht in allen (Menschen) ändert, da es nicht in der Macht des Menschen steht, oder warum Gott ihm dieses zurechnet, da der Mensch ohne dasselbe nicht sein kann? das darf man nicht forschen, und wenngleich du viel forschen wolltest, so könntest du es doch nie finden, wie Paulus Röm. 9,20. sagt: „Wer bist du denn, daß du mit Gott rechten willst?“ Dies mag genug sein in Bezug auf diese Stelle des Hesekiel; nun wollen wir zum Folgenden übergehen. Hierauf gibt die Diatribe vor: „es würden nothwendiger Weise so viele Ermahnungen in der Schrift ihre Kraft verlieren, desgleichen so viele Verheißungen, Drohungen, Aufforderungen, Vorwürfe, Betheurungen, Segen und Flüche, eine so große Menge von Geboten, wenn es in niemandes Vermögen steht, zu halten, was geboten ist.“ Beständig vergißt die Diatribe, um was es sich handelt, und geht mit etwas Anderem um, als sie sich vorgenommen hat, sieht auch nicht, wie alles stärker gegen sie streitet als wider uns. Denn aus allen diesen Stellen beweist sie die Freiheit und das Vermögen, alles zu halten, wie es auch die Folgerung aus den Worten ergibt, welche sie daruntersetzt, während sie doch hatte beweisen wollen, der freie Wille sei derartig, daß er ohne die Gnade nichts Gutes wollen könne, und daß irgend ein Bemühen seinen Kräften nicht zugeschrieben werden könne. Ich sehe nicht, daß ein solches Bemühen in irgend einem dieser Sprüche bewiesen werde, sondern, daß sie nur fordern, was gethan werden sollte, wie schon öfter gesagt worden ist. Aber es muß so vielmal wiederholt werden, weil die Diatribe soviel auf Einer Saite geigt und den Leser mit unnützem Wortschwalle hinhält. Als einen der letzten Sprüche aus dem Alten Testamente führt sie 5 Mos. 30,11-14. an: „Das Gebot, das ich dir heute gebiete, ist dir nicht verborgen, noch zu ferne, noch im Himmel, daß du sagen möchtest: Wer will uns in den Himmel fahren, und uns holen, daß wir's hören und thun? Sondern es ist das Wort fast nahe bei dir in deinem Munde und in deinem Herzen, daß du es thust.“ Es behauptet die Diatribe, daß an dieser Stelle erklärt werde, „es liege das, was geboten wird, nicht allein in uns, sondern es falle uns sogar zu (in proclivi esse)“, das heißt, es sei leicht oder wenigstens nicht schwer. Schönen Dank für so große Gelehrsamkeit! Wenn also Moses so klar ausspricht, daß in uns nicht bloß das Vermögen ist, alle Gebote zu halten, sondern sogar, daß uns dies ganz leicht sei, warum mühen wir uns dann so sehr ab? Warum haben wir diese Stelle nicht gleich vorgebracht und den freien Willen unbehindert (libero campo = auf freiem Felde) behauptet? Was bedürfen wir noch Christi? Was bedürfen wir des (Heiligen) Geistes? Denn nun haben wir den Spruch gefunden, der allen den Mund stopft und in ganz deutlicher Weise nicht nur die Freiheit des Willens behauptet, sondern auch lehrt, daß die Gebote leicht gehalten werden können. Wie thöricht handelte Christus, daß er auch sein Blut vergoß, um uns den Geist zu erwerben, deß wir nicht bedürfen, damit uns das Halten der Gebote leicht würde, denn wir sind schon von Natur solche Leute. Ja, auch die Diatribe muß ihre Worte widerrufen, durch welche sie ausgesagt hat, der freie Wille ohne die Gnade könne nichts Gutes wollen; sie sage dagegen jetzt: der freie Wille habe so große Kraft, daß er nicht allein das Gute wolle, sondern auch mit leichter Mühe die höchsten und alle Gebote halten könne. Siehe doch, ich bitte dich, was ein solcher Mensch macht, der nicht mit seinem Herzen bei der Sache ist, wie er nicht umhin kann, sich selbst kund zu geben. Ist es denn nun noch nöthig, die Diatribe zu widerlegen? Oder wer kann sie stärker widerlegen, als sie selbst sich widerlegt? Dies ist das Thier, welches sich selbst auffraß; wie wahr ist es doch: Ein Lügner muß ein gut Gedächtniß haben. Wir haben von dieser Stelle im 5. Buche Mosis gesprochen; nun wollen wir sie kurz vornehmen, in der Weise, daß wir sie, ohne Bezug auf Paulus, welcher sie Röm. 10. gewaltig handelt, besprechen. Du siehst, daß hier durchaus nichts gesagt wird, und nicht die geringste Silbe dahin lautet, daß es leicht oder schwer sei, daß der freie Wille oder der Mensch es vermöge oder nicht vermöge, es zu halten oder nicht zu halten: nur daß diejenigen, welche durch ihre Folgerungen und Gedanken die Schrift gefangen nehmen, sie sich selbst dunkel und ungewiß machen, um so alles Beliebige aus ihr machen zu können. Wenn du nun nicht sehen kannst, so höre doch wenigstens, oder greife es mit Händen. Moses sagt: „Es ist nicht über dich, noch zu ferne, noch im Himmel, noch jenseit des Meeres.“ Was heißt: über dich? Was: ferne? Was: im Himmel? Was: jenseit des Meeres? Wollen sie uns etwa auch die Sprachlehre und die gebräuchlichsten Wörter verdunkeln, so daß wir nichts Gewisses reden können, nur damit sie das aufrecht halten, die Schrift sei dunkel? Unsere Sprachlehre bezeichnet mit diesen Wörtern nicht die Eigenschaft oder Größe der menschlichen Kräfte, sondern eine räumliche Entfernung. Denn „über dich“ heißt nicht eine gewisse Kraft des Willens, sondern ein Ort, der über uns ist. So ist „ferne, jenseit des Meeres, im Himmel“ nicht eine Kraft im Menschen, sondern ein Ort, welcher nach oben, nach der Rechten hin, nach der Linken hin, rückwärts oder vorwärts von uns entfernt ist. Es möchte mich wohl jemand auslachen, daß ich so grob disputire und gleichsam das, was man den Kindern, die das ABC noch nicht können, vorkaut, so großen Männern vorlege, und sie lehre, die Silben aneinanderzufügen. Was soll ich thun? da ich sehe, daß man in so hellem Lichte Finsterniß sucht, und diejenigen geflissentlich blind sein wollen, welche uns eine so lange Reihe von Jahrhunderten aufzählen, so viele kluge Köpfe, so viele Heilige, so viele Märtyrer, so viele Lehrer und mit so großem Ansehen diesen Spruch Mosis aufwerfen und sich doch nicht dazu herbeilassen, die Silben recht anzusehen oder ihre Gedanken nur soweit zu beherrschen, daß sie über die Stelle, welche sie hoch rühmen, nur einmal nachdächten. Jetzt möge die Diatribe hingehen und sagen, wie es möglich sein sollte, daß Ein einzelner unbekannter Mensch (privatus) das sehen könnte, was so viele allbekannte Leute (publici), die Größten in vielen Jahrhunderten, nicht gesehen haben? Sicherlich dieser Spruch überführt sie, das erkennt selbst ein kleines Kind, daß sie nicht selten blind gewesen sind. Was will nun Moses mit diesen überaus deutlichen und klaren Worten anders (sagen), als daß er sein Amt als ein treuer Gesetzgeber aufs beste ausgerichtet habe? Daß es nicht an ihm liege, wenn sie nicht alles wüßten und ihnen nicht alle Gebote vor die Augen gelegt worden wären, und sie könnten sich nicht mehr damit entschuldigen, daß sie die Gebote nicht wüßten oder hätten, oder daß sie dieselben anderswo herholen müßten: so daß, wenn sie dieselben nicht hielten, die Schuld weder am Gesetze noch am Gesetzgeber läge, sondern an ihnen. Denn das Gesetz sei da, der Gesetzgeber habe es gelehrt, so daß keine Entschuldigung der Unwissenheit mehr statthabe, sondern nur Anklage wegen Nachlässigkeit und Ungehorsams. Es ist, sagt er, nicht nöthig, Gesetze vom Himmel oder aus Gegenden jenseits des Meeres oder von ferneher zu holen, auch kannst du nicht vorwenden, du habest sie nicht gehört und habest sie nicht: du hast sie nahebei. Denn Gott hat sie dir geboten, und durch meinen Dienst hast du sie gehört; mit dem Herzen hast du sie erfaßt und sie so empfangen, daß sie, durch die Leviten in deiner Mitte, beständig gepredigt werden sollen. Deß ist mein Wort und Buch Zeuge; nur das mangelt noch: daß du sie thuest. Ich bitte dich, was wird hier dem freien Willen zugeschrieben? Es wird nur gefordert, daß er die Gesetze thue, welche er hat, und es wird ihm die Entschuldigung genommen, er kenne die Gesetze nicht und es seien keine Gesetze da. Dies ist es ungefähr, was die Diatribe aus dem Alten Testamente für den freien Willen anführt. Da dies widerlegt ist, so bleibt nichts übrig, was nicht gleicherweise widerlegt wäre, sei es, daß sie noch mehr anführe, sei es, daß sie noch mehr anführen wolle, da sie nichts Anderes beibringen kann als Worte, welche entweder einen Befehl oder eine Verbindlichkeit (verba conjunctiva) oder einen Wunsch ausdrücken, durch welche bezeichnet wird, nicht, was wir können oder thun (was wir der so oft wiederholenden Diatribe so oft gesagt haben), sondern, was wir schuldig sind und was von uns gefordert wird, damit uns unser Unvermögen kund werde und die Erkenntniß der Sünde gewirkt werde. Oder, wenn sie etwas beweisen durch hinzugefügte Folgerungen und Gleichnisse, welche durch menschliche Vernunft erfunden sind, so beweisen sie dies, nämlich: daß der freie Wille nicht bloß ein Bemühen, oder ein gewisses ganz geringes Bestreben habe, sondern völlige Kraft und das freieste Vermögen, alles zu thun ohne die Gnade Gottes, ohne den Heiligen Geist. Und so wird durch jene ganze wortreiche, wiederholte und breitgetretene Erörterung nichts weniger bewiesen als das, was bewiesen werden sollte, nämlich jene annehmbare Meinung, durch welche über den freien Willen die Erklärung abgegeben wird, daß er so unvermögend sei, daß er ohne die Gnade nichts Gutes wollen könne, unter die Knechtschaft der Sünde gezwungen werde und ein Bemühen habe, welches seinen Kräften nicht zuzuschreiben sei. Nämlich jenes Unding (kommt dabei heraus), daß er zugleich nichts vermag aus seinen Kräften und doch ein Bemühen hat aus eigenen Kräften, welches (Unding) in einem ganz offenbaren Widerspruche besteht.

 

- FORTSETZUNG -