D. Martin Luthers Antwort an Erasmus von Rotterdam,
daß der freie Wille nichts sei (De servo arbitrio, 1525)
Der dritte Theil, daß alles Gottes Gnade und nicht der freie Wille thue.
Nun kommen wir zum letzten Theile dieses Buches, in welchem wir, wie wir versprochen haben, unsere Truppen wider den freien Willen vorführen müssen. Aber wir können sie nicht alle anrücken lassen, denn wer könnte das in einem kleinen Büchlein ausrichten, da die ganze Schrift auf unserer Seite steht mit allen ihren einzelnen Tütteln und Buchstaben? Dies ist auch nicht nöthig, sowohl weil der freie Wille durch einen zwiefachen Sieg schon besiegt und darniedergelegt ist – der eine, da wir beweisen, daß alles das wider ihn stehe, von dem sie (die Diatribe) meinte, daß es für sie diene, der andere, da wir nachweisen, das bleibe noch unüberwunden, was sie widerlegen wollte –, als auch, weil schon genug ausgerichtet ist, wenngleich er noch nicht besiegt wäre, wenn er durch ein oder das andere Geschoß niedergelegt wird. Denn was ist es nöthig, den Feind, der durch irgend Ein Geschoß getödtet ist, nachdem er todt ist, noch mit vielen anderen Waffen zu durchbohren? Wir wollen daher, wenn es die Sache leidet, jetzt ganz kurz handeln und aus einer so großen Zahl der Heere zwei Feldherren mit einigen ihrer Heere herbringen, nämlich Paulus und den Evangelisten Johannes. Paulus im Briefe an die Römer fängt seine Erörterung wider den freien Willen für die Gnade Gottes so an (Röm. 1,18.): „Denn Gottes Zorn vom Himmel (spricht er) wird geoffenbaret über alles gottlose Wesen und Ungerechtigkeit der Menschen, die die Wahrheit in Ungerechtigkeit aufhalten.“ Du hörst hier einen allgemeinen Ausspruch über alle Menschen, daß sie unter dem Zorne Gottes seien; was ist das anders, als daß sie des Zornes und der Strafe werth sind? Er bezeichnet die Ursache des Zorns, daß sie nur solche Dinge thun, welche des Zorns und der Strafe werth sind, nämlich, daß alle gottlos und ungerecht sind und die Wahrheit in Ungerechtigkeit aufhalten. Wo ist jetzt die Kraft des freien Willens, welche sich um irgend etwas Gutes bemüht? Paulus zeigt an, es sei das des Zornes Gottes werth, und urtheilt, es sei gottlos und ungerecht. Was aber Zorn verdient und gottlos ist, das strebt an und vermag etwas wider die Gnade, aber nicht für die Gnade. Hier wird die Schläfrigkeit Luthers verlacht werden, weil er den Paulus nicht ordentlich angesehen habe, und es möchte jemand sagen: Paulus rede da nicht von allen Menschen, auch nicht von allen ihren Bestrebungen, sondern nur von denen, die gottlos und ungerecht sind, und, wie die Worte lauten, von denen, welche die Wahrheit in Ungerechtigkeit aufhalten; daraus folge nicht, daß alle derartig seien. Hier sage ich: bei Paulus gilt es einerlei, ob es heißt: über alles gottlose Wesen der Menschen, oder ob es heißt: über das gottlose Wesen aller Menschen. Denn Paulus redet fast überall nach der Weise der hebräischen Sprache, so daß der Sinn ist: Alle Menschen sind gottlos und ungerecht und halten die Wahrheit in Ungerechtigkeit auf, deshalb sind alle des Zorns werth. Ferner, im Griechischen wird nicht (wie in der Vulgata) das bezügliche Fürwort „derjenigen (Menschen), welche (die Wahrheit)“ gesetzt, sondern der Artikel, auf diese Weise: Gottes Zorn wird geoffenbaret über das gottlose Wesen und die Ungerechtigkeit der Menschen, „der die Wahrheit in Ungerechtigkeit aufhaltenden“, so daß dieses gleichsam ein allen Menschen beigelegtes Wort (epitheton) ist, „daß sie die Wahrheit in Ungerechtigkeit aufhalten“, wie das ein Beiwort (epitheton) ist, wenn man sagt: unser Vater, „der du bist im Himmel“, was man sonst so ausdrücken würde: Unser „himmlischer“ Vater, oder „im Himmel“. Denn es wird gesagt zum Unterschied von denen, welche glauben und gottselig sind. Doch es soll nichtig und eitel sein, wenn es die Erörterung des Paulus nicht selbst erzwingt und davon überführt. Denn Paulus hatte zuvor gesagt (V. 16.): „Das Evangelium ist eine Kraft Gottes, die da selig macht, die daran glauben, die Juden vornehmlich und auch die Griechen.“ Hier sind nicht dunkele oder zweideutige Worte; den Juden und den Griechen, das heißt, allen Menschen ist das Evangelium der Kraft Gottes nothwendig, damit sie glauben und errettet werden von dem geoffenbarten Zorn. Ich bitte dich, der, welcher die Juden, die an Gerechtigkeit, Gottes Gesetz und Vermögen des freien Willens stark wären, ohne Unterschied so darstellt, daß sie leer sind und der Kraft Gottes bedürfen, damit sie durch dieselbe von dem geoffenbarten Zorne errettet werden möchten, und diese Kraft für sie als eine nothwendige anzeigt, sollte der nicht dafür halten, daß sie unter dem Zorne seien? Was für Menschen würdest du dann aufzeigen können, die dem Zorne Gottes nicht unterworfen wären, da du gezwungen wirst zu glauben, daß die höchsten Leute der Welt, nämlich die Juden und die Griechen, von solcher Beschaffenheit seien? Ferner, welche, selbst unter den Juden und Griechen, wirst du ausnehmen können, da Paulus ohne irgend einen Unterschied alle mit Einem Worte zusammenfaßt und alle demselben Urtheil unterwirft? Ist es denn zu glauben, daß unter diesen beiden überaus trefflichen Völkern nicht Menschen gewesen seien, die sich der Ehrbarkeit beflissen hätten? oder sollten sich keine nach den Kräften des freien Willens bemüht haben? Aber Paulus kümmert sich nicht darum, sondern wirft alle unter den Zorn, ruft alle als Gottlose und Ungerechte aus. Muß man nicht glauben, daß so auch die übrigen Apostel mit gleicher Predigt auch alle anderen Heiden, ein jeglicher in seinem Bezirk, unter diesen Zorn geworfen haben? Es steht daher diese Stelle Pauli ganz fest und dringt stark darauf, daß der freie Wille, oder das Vorzüglichste in den Menschen, sie seien auch noch so vortrefflich mit Gesetz, Gerechtigkeit, Weisheit und allen Tugenden begabt, gottlos, ungerecht und des Zornes Gottes werth sei. Sonst hätte die Erörterung Pauli keine Kraft; hat sie aber Kraft, so läßt seine Theilung keinen Mittelzustand zu, nach welcher er denen, welche dem Evangelio glauben, die Seligkeit, allen anderen den Zorn zutheilt, die Gläubigen als Gerechte, die nicht Glaubenden als Gottlose, Ungerechte und dem Zorn Unterworfene anzeigt. Denn er will soviel sagen: Die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, wird im Evangelio offenbart, daß sie aus dem Glauben sei, also sind alle Menschen gottlos und ungerecht. Denn Gott wäre thöricht, wenn er den Menschen eine Gerechtigkeit offenbaren würde, welche sie entweder schon kenneten oder deren Keime sie hätten. Da er aber nicht thöricht ist, und ihnen dennoch die Gerechtigkeit zur Seligkeit offenbart, so ist es am Tage, daß der freie Wille, auch in den höchsten Menschen, nicht allein nichts habe oder vermöge, sondern nicht einmal wisse, was Gerechtigkeit vor Gott sei; es wäre denn etwa, daß die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, jenen höchsten Menschen nicht offenbart werde, sondern allein den geringsten; während sich Paulus rühmt, daß er dieser (Gerechtigkeit) gegenüber ein Schuldner sei (Röm. 1,14.) der Juden und der Griechen, der Weisen und der Unweisen, der Gebildeten und der Ungebildeten. Deshalb faßt Paulus an dieser Stelle durchaus alle Menschen in Einen Haufen zusammen und beschließt, daß alle gottlos, ungerecht, und der Gerechtigkeit und des Glaubens unkundig sind; so viel fehlt daran, daß sie etwas Gutes wollen oder thun können. Und dieser Schluß ist darum fest, weil Gott ihnen, da sie in Unwissenheit und Finsterniß sitzen, die Gerechtigkeit zur Seligkeit offenbart; also wissen sie von sich selbst nichts darum. Aber diejenigen, welche die Gerechtigkeit zur Seligkeit nicht wissen, sind sicherlich unter dem Zorn und der Verdammniß, können sich auch, wegen ihrer Unwissenheit, nicht herauswirken, noch sich darum bemühen, daß sie herauskommen möchten. Denn wie könntest du dich bemühen, wenn du nicht weißt, um was, wo, wie oder inwiefern man sich bemühen soll? Mit diesem Schluß kommt die Sache selbst und die Erfahrung überein. Denn zeige mir in dem ganzen Menschengeschlechte Einen, sei er auch der Heiligste und Gerechteste von allen, dem es jemals in den Sinn gekommen wäre, daß dies der Weg zur Gerechtigkeit und zur Seligkeit sei, nämlich, zu glauben an den, der zugleich Gott und Mensch ist, gestorben für die Sünden der Menschen und wieder auferweckt und gesetzt zur Rechten des Vaters, oder der sich hätte träumen lassen von diesem Zorne Gottes, von dem Paulus hier sagt, daß er vom Himmel offenbart werde. Siehe die höchsten Weltweisen an, welche über Gott eine Meinung abgegeben haben, was sie uns in ihren Schriften über den künftigen Zorn überliefert haben. Siehe die Juden an, die durch so viele Zeichen, durch so viele Propheten anhaltend unterrichtet worden sind, was sie von diesem Wege gehalten haben; sie haben ihn nicht allein nicht angenommen, sondern so gehaßt, daß keine Nation auf Erden Christum grausamer verfolgt hat bis auf den heutigen Tag. Aber wer würde es wagen zu sagen, daß in einem so großen Volke auch nicht ein Einziger gewesen sei, der den freien Willen hochgehalten und sich in Kraft desselben bemüht habe? Wie kommt es daher, daß alle sich nach verschiedenen Richtungen hin bemühen und das, was das Vorzüglichste in den vortrefflichsten Menschen gewesen ist, diese Weise der Gerechtigkeit nicht allein nicht hochgehalten hat, nicht allein nicht gekannt hat, sondern dieselbe auch, nachdem sie kundgethan und offenbart worden war, zurückstieß und sie hat austilgen wollen? so daß Paulus 1 Cor. 1,23. sagt, dieser Weg sei den Juden ein Aergerniß und den Heiden eine Thorheit. Da er aber Juden und Heiden ohne Unterschied nennt, und es gewiß ist, daß Juden und Heiden die hauptsächlichsten Völker auf Erden sind, so ist es zugleich gewiß, daß der freie Wille nichts Anderes ist, als der höchste Feind der Gerechtigkeit und der Seligkeit der Menschen, da es unmöglich war, daß nicht einige unter den Juden und Heiden mit der höchsten Kraft des freien Willens sollten gehandelt und sich bemüht haben, und doch gerade dadurch nur Krieg gegen die Gnade geführt haben. Du gehe jetzt nur hin und sage, daß der freie Wille sich des Guten bestrebe, da ihm doch das Gute (bonitas = die Güte) selbst und die Gerechtigkeit ein Aergerniß und eine Thorheit sind. Du kannst auch nicht sagen, daß dies nur einige, nicht alle angehe. Paulus redet ohne Unterschied von allen, da er sagt: den Heiden eine Thorheit und den Juden ein Aergerniß, und nimmt niemanden aus, ausgenommen die Gläubigen. Uns (sagt er), das ist, den Berufenen und Heiligen, ist es (1 Cor. 1,18.) eine Gotteskraft und Weisheit Gottes. Er sagt nicht: etlichen Heiden, etlichen Juden, sondern einfach, Juden und Heiden (sagt er), welche nicht von uns sind, indem er mit deutlicher Theilung die Gläubigen von den Ungläubigen scheidet und kein Mittleres übrig läßt. Wir aber disputiren von den Heiden, die ohne die Gnade handeln; denen, sagt Paulus, sei die Gerechtigkeit Gottes eine Thorheit, welche sie verabscheuen; und das ist das lobenswerthe Bemühen des freien Willens um das Gute. Ferner siehe, ob er nicht selbst die höchsten Leute unter den Griechen anführt, da er sagt (Röm. 1,21.), sie seien albern geworden und das Herz derer verfinstert, welche die Weiseren unter ihnen waren; desgleichen sie seien eitel (das ist, thöricht) geworden in ihren schärfsten Gedanken (dialogismois), das heißt, in ihren spitzfindigen Disputationen. Ich bitte dich, rührt er denn hier nicht jenes Höchste und das Vorzüglichste der gebildeten (Graecis) Leute an, indem er ihre schärfsten Ueberlegungen anrührt? Denn diese sind ihre höchsten und besten Gedanken und Meinungen gewesen, welche sie für rechte beständige Weisheit gehalten haben. Aber wie er anderswo diese Weisheit eine Thorheit nennt, so sagt er hier, sie sei eitel in ihnen, und durch das Bemühen um vielerlei Dinge dahin gekommen, daß sie ärger wurde, und sie endlich in verfinstertem Herzen Götzenbilder anbeteten (Röm. 1,23.), und die Greuel begingen, welche er im Folgenden (V. 24.) erwähnt. Wenn also das beste Bestreben und Werk bei den Besten unter den Heiden böse und gottlos ist, was willst du dann von dem übrigen großen Haufen, gleichsam den ärgeren Heiden halten? Denn er macht auch hier nicht einen Unterschied unter den Besten, da er ohne Ansehen der Person das Bestreben ihrer Weisheit verdammt. Indem aber das Werk selbst, oder gar das Bestreben verdammt wird, so werden auch diejenigen verdammt, so viel ihrer auch sein mögen, welche sich bestrebt haben, wenngleich sie aus höchster Kraft des freien Willens gehandelt haben. Selbst von ihrem besten Bemühen, sage ich, wird behauptet, daß es sündhaft sei; wie viel mehr von denen, welche das auch ins Werk setzen. So verwirft er auch bald darauf (Röm. 2,28.29,) die Juden, ohne irgend einen Unterschied, welche dem Buchstaben, aber nicht dem Geiste nach Juden sind. Du (sagt er), der du unter dem Buchstaben und der Beschneidung bist, schändest Gott (V. 27.23.); desgleichen (V. 28.29.): Denn nicht der ist ein Jude, welcher auswendig ein Jude ist, sondern, welcher verborgen ein Jude ist. Was ist deutlicher als diese Theilung? Ein Jude, der es auswendig ist, ist ein Uebertreter des Gesetzes. Aber wie viele Juden, meinst du, sind wohl ohne den Glauben überaus weise, gewissenhafte, ehrbare Leute gewesen, welche mit höchstem Bemühen nach Gerechtigkeit und Wahrheit gestrebt haben? Wie er ihnen oft das Zeugnis gibt, daß sie um Gott eifern (Röm. 10,2. 9,31.), daß sie dem Gesetz der Gerechtigkeit nachstehen, daß sie Tag und Nacht sich bemühen selig zu werden, daß sie ohne Tadel leben; und doch sind sie Uebertreter des Gesetzes, weil sie nicht im Geiste Juden sind, vielmehr hartnäckig der Gerechtigkeit des Glaubens widerstehen. Was bleibt daher übrig, als daß der freie Wille, wenn er am besten ist, am ärgsten ist, und je mehr er sich bemüht, um so ärger wird und sich (desto schlimmer) verhält? Die Worte sind klar, die Theilung ist gewiß; es kann nichts dawider gesagt werden. Aber wir wollen Paulus selbst als seinen eigenen Ausleger hören. Im dritten Capitel macht er gleichsam den Schluß (epilogum) und spricht (V. 9.): „Was sagen wir denn nun? Haben wir einen Vortheil? Gar keinen.“ Denn wir haben droben bewiesen, daß beide, Juden und Griechen, alle unter der Sünde sind. Wo ist nun der freie Wille? Alle (sagt er), Juden und Griechen sind unter der Sünde. Sind etwa hier bildliche Reden oder Knoten? Was kann die Auslegung der ganzen Welt gegen diesen überaus klaren Ausspruch vermögen? Er nimmt niemanden aus, da er sagt „alle“, er läßt nichts Gutes übrig, da er erklärt, sie seien unter der Sünde, das heißt, Knechte der Sünde. Wo hat er aber diese Ursache angegeben, daß alle, Juden und Heiden unter der Sünde seien? Nirgends als da, wo wir es angezeigt haben, nämlich da er sagt (Röm. 1,18.): „Gottes Zorn vom Himmel wird geoffenbart über alles gottlose Wesen und Ungerechtigkeit der Menschen.“ Und das beweist er folgends durch die Erfahrung, daß sie als Undankbare gegen Gott so vielen Lastern unterworfen waren, gleichsam durch die Früchte ihrer Gottlosigkeit überführt, daß sie nichts als Böses wollen und thun. Dann richtet er die Juden besonders, da er sagt, daß der Jude unter dem Buchstaben ein Uebertreter sei, und dies gleicherweise durch die Früchte und Erfahrung beweist, indem er sagt (Röm. 2,21.f.): „Du predigest, man solle nicht stehlen, und du stiehlst, dir greuelt vor den Götzen und raubst Gott, was sein ist“; durchaus niemanden nimmt er aus, außer die da Juden sind im Geiste. Und hier ist keine Gelegenheit, daß du eine Ausflucht machen und sagen könntest: Wiewohl sie unter der Sünde sind, so hat doch das Beste in ihnen das Bestreben nach dem Guten. Denn wenn ein gutes Bestreben übrig ist, so ist es falsch, daß er sagt, sie seien unter der Sünde. Denn da er Juden und Heiden nennt, so begreift er hier zugleich alles mit ein, was in den Heiden und Juden ist, wenn du nicht Paulum umkehren willst und sagen, er habe so geschrieben: Das Fleisch aller Juden und Heiden (das heißt), ihre gröberen Neigungen seien unter der Sünde; aber der Zorn vom Himmel, der über sie offenbart ist, wird sie ganz verdammen, wenn sie nicht durch den Geist gerechtfertigt werden, was nicht geschehen würde, wenn sie nicht ganz unter der Sünde wären. Wir wollen aber sehen, wie Paulus seine Meinung aus der heiligen Schrift beweist, ob vielleicht die Worte bei Paulus stärkere Beweiskraft haben als an ihrer ursprünglichen Stelle. (Röm. 3,10-12.:) „Wie denn geschrieben steht“ (sagt er Ps. 14, 3.): „Da ist nicht, der gerecht sei, auch nicht Einer; da ist nicht, der verständig sei, da ist nicht, der nach Gott frage; sie sind alle abgewichen und allesammt untüchtig geworden; da ist nicht, der Gutes thue, auch nicht Einer“ etc. Hier möge mir eine geschickte Auslegung geben, wer da kann; es erdichte bildliche Reden, gebe vor, die Worte seien zweifelhaft und dunkel, und vertheidige den freien Willen wider diese Verdammungsurtheile, wer es wagt. Dann will auch ich gern weichen und widerrufen und will dann ebenfalls ein Bekenner und Behaupter des freien Willens sein. Es ist gewiß, daß dies in Bezug auf alle Menschen gesagt wird. Denn der Prophet führt Gott ein, wie er auf alle Menschen schaut und über alle dieses Urtheil fällt. Denn so heißt es Ps. 14,2.: „Der Herr schauet vom Himmel auf der Menschen Kinder, daß er sehe, ob jemand klug sei und nach Gott frage; aber sie sind alle abgewichen“ etc. Und damit die Juden nicht glauben möchten, das gehe sie nicht an, so kommt Paulus dem zuvor, indem er behauptet, das gehe sie am meisten an. „Wir wissen“ (sagt er (Röm. 3,19.)), „daß, was das Gesetz sagt, das sagt es denen, die unter dem Gesetze sind.“ Hier hat er dasselbe ausdrücken wollen, als da er sprach (Röm. 2,9.): „Der Juden vornehmlich und auch der Griechen.“ Du hörst also, daß alle Menschenkinder, alle, welche unter dem Gesetze sind, das heißt, sowohl Heiden als auch Juden, vor Gotte ein solches Urtheil empfangen, daß sie ungerecht sind, nicht klug sind, nach Gott nicht fragen, auch nicht Einer, sondern alle abweichen und untüchtig sind. Ich glaube aber, daß unter die Menschenkinder und die, welche unter dem Gesetze sind, auch die gezählt werden, welche die Besten und Ehrbarsten sind, welche durch die Kraft des freien Willens sich bemühen um das Rechtschaffene und um das Gute, und von denen die Diatribe rühmt, daß sie die Gesinnung und die Keime der Ehrbarkeit, als ihnen eingepflanzt, besitzen; wenn sie nicht vielleicht behaupten will, daß jene der Engel Kinder seien. Wie können sich also diejenigen um das Gute bemühen, welche alle insgesammt Gott nicht kennen, noch sich um Gott kümmern oder nach ihm fragen? Wie können sie die Kraft haben, welche tüchtig ist zum Guten, da sie alle abweichen vom Guten und ganz und gar untüchtig sind? Oder wissen wir denn nicht, was es bedeutet, Gott nicht kennen, nicht klug sein, nicht nach Gott fragen, Gott nicht fürchten, abweichen und untüchtig sein? Sind dies denn nicht überaus klare Worte und lehren dies, daß alle Menschen sowohl Gott nicht kennen als auch Gott verachten, dann auch abweichen zum Bösen und untüchtig sind zum Guten? Denn hier handelt es sich nicht um die Unwissenheit in der Erwerbung des Lebensunterhaltes oder um die Verachtung des Geldes, sondern um die Unwissenheit und Verachtung der Religion und der Gottseligkeit. Aber solche Unwissenheit und Verachtung findet sich ohne Zweifel nicht in dem Fleische und den niedrigeren und gröberen Neigungen, sondern in jenen höchsten und vorzüglichsten Kräften der Menschen, in welchen Gerechtigkeit, Gottseligkeit, Erkenntniß und Verehrung Gottes herrschen soll, nämlich in der Vernunft und im Willen, und sogar in der Kraft des freien Willens selbst, in dem Keim der Ehrbarkeit selbst, oder in dem Vorzüglichsten, was im Menschen ist. Wo bist du jetzt, meine Diatribe, da du oben versprachst, du werdest gern zustimmen, daß das Vortrefflichste im Menschen Fleisch sei, das heißt, gottlos, wenn dies mit Schrift bewiesen würde? Stimme also nun bei, da du hörst, daß das Vorzüglichste in allen Menschen nicht allein gottlos sei, sondern Gott nicht kenne, Gott verachte, zum Bösen gekehrt und untüchtig zum Guten sei. Denn was ist ungerecht sein anders, als daß der Wille (welcher eins der vorzüglichsten Dinge ist) ungerecht ist? Was ist Gott und das Gute nicht kennen anders, als daß die Vernunft (welche ein anderes dieser vorzüglichsten Dinge ist) Gott und das Gute nicht kennt, das heißt, blind ist in der Erkenntniß der Gottseligkeit? Was heißt abweichen und untüchtig sein anders, als daß die Menschen nach keinem ihrer Theile, besonders aber nach ihren vortrefflichsten Stücken ganz und gar nichts vermögen zum Guten, sondern nur zum Bösen? Was heißt Gott nicht fürchten anders, als daß die Menschen nach allen ihren Theilen, besonders nach jenen vorzüglichsten, Verächter Gottes sind? Aber Verächter Gottes sein, das heißt zugleich, Verächter aller Dinge sein, die Gottes sind, nämlich der Worte, der Werke, der Gesetze, der Gebote, des Willens Gottes. Was sollte nun die Vernunft Richtiges vorschreiben, welche blind und unwissend ist? Was für Gutes sollte der Wille erwählen, welcher böse und untüchtig ist? Ja, wem sollte der Wille folgen, dem die Vernunft nichts vorschreibt als die Finsterniß ihrer Blindheit und Unwissenheit? Weil daher die Vernunft in Irrthum befangen ist, und der Wille (von Gott) abgewendet, was für Gutes kann der Mensch da noch thun oder sich darum bemühen? Aber es möchte sich vielleicht jemand erdreisten, Spitzfindigkeiten zu erheben: Wenngleich der Wille abweicht, und die Vernunft unwissend ist, so kann dennoch der Wille durch sein Thun sich um etwas bemühen, und die Vernunft etwas wissen aus ihren Kräften, da wir vieles vermögen, was wir doch nicht thun; nämlich, wir disputiren von der Kraft des Vermögens, nicht vom Thun. Ich antworte: Die Worte des Propheten schließen sowohl das Thun als auch das Vermögen ein; und es ist dasselbe, wenn man sagt: Der Mensch fragt nicht nach Gotte, als wenn man sagte: Der Mensch kann nicht nach Gott fragen. Das kannst du daraus abnehmen, daß, wenn in dem Menschen das Vermögen oder die Kraft wäre, das Gute zu wollen, da es ihm von dem Triebe der göttlichen Allmacht nicht zugelassen wird, müßig zu sein oder stille zu liegen (feriari), wie wir oben dargelegt haben, es unmöglich wäre, daß dies (Vermögen und Kraft zum Guten) sich nicht in irgend etwas, oder wenigstens in irgend Einem Menschen regen, und irgend wie in Brauch und Uebung kommen sollte. Aber dies geschieht nicht, denn Gott schauet vom Himmel und sieht auch nicht Einen, der (nach ihm) frage oder sich bemühe; deshalb folgt, daß diese Kraft, welche sich bemüht oder nach ihm fragen will, nirgends ist, sondern vielmehr alle abweichen. Ferner, wenn Paulus nicht zugleich vom Unvermögen verstanden würde, so würde seine Erörterung nichts ausrichten. Denn darauf geht die Absicht Pauli ganz und gar, allen Menschen die Gnade nothwendig zu machen. Wenn sie aber durch sich selbst irgend etwas anfangen könnten, so wäre ihnen die Gnade nicht nöthig. So siehst du, daß der freie Wille an dieser Stelle von Grund aus aufgehoben wird, und daß ihm auch nicht irgend etwas Gutes oder Ehrbares übrig gelassen wird, da über ihn die Erklärung abgegeben wird, er sei ungerecht, kenne Gott nicht, verachte Gott, sei abgekehrt (von Gotte) und untüchtig vor Gott, und der Prophet beweist stark genug, sowohl an der ursprünglichen Stelle, als auch bei Paulus, der ihn anführt. Und es ist nicht eine geringe Sache, wenn von dem Menschen gesagt wird, er kenne Gott nicht und verachte Gott, denn dies sind die Quellen aller Schandthaten, der Pfuhl der Sünden, ja, die Hölle des Bösen. Was für Böses sollte da nicht sein, wo Unwissenheit und Verachtung Gottes ist? Kurz, das Reich des Teufels in den Menschen hätte weder mit kürzeren noch auch mit gewaltigeren Worten beschrieben werden können, als daß er sie solche Leute nennt, welche Gott nicht kennen und Gott verachten. Da ist Unglaube, da ist Ungehorsam, da ist Gotte nehmen, was sein ist, da ist Lästerung gegen Gott, da ist Grausamkeit, da ist Unbarmherzigkeit gegen den Nächsten, da ist Selbstsucht in allen göttlichen und menschlichen Dingen. Da hast du den Ruhm und das Vermögen des freien Willens. Es führt aber Paulus fort und bezeugt, daß er von allen Menschen und besonders von den besten und vortrefflichsten rede, indem er sagt (Röm. 3,19.f.): „Auf daß aller Mund verstopfet werde, und alle Welt Gott schuldig sei, darum, daß kein Fleisch durch des Gesetzes Werke vor ihm gerecht sein mag.“ Ich bitte dich, wie sollte der Mund aller verstopft werden, wenn noch eine Kraft übrig ist, durch welche wir etwas vermögen? Denn man dürfte zu Gott sagen: Hier ist nicht durchaus nichts, sondern etwas, was du nicht verdammen kannst, da du ja selbst einiges Vermögen gegeben hast; dies wenigstens wird nicht schweigen, noch wird es straffällig vor dir sein. Denn wenn jene Kraft des freien Willens eine gesunde ist und etwas vermag, so ist es falsch, daß die ganze Welt vor Gott straffällig oder schuldig ist, da jene Kraft, der der Mund nicht verstopft zu werden braucht, nicht eine kleine Sache oder in einem kleinen Theile der Welt ist, sondern die vorzüglichste und die allgemeinste in der ganzen Welt; oder wenn ihr Mund gestopft werden muß, so ist es nothwendig, daß sie mit der ganzen Welt vor Gott straffällig und schuldig sei. Mit welchem Rechte kann aber etwas schuldig genannt werden, wenn es nicht ungerecht und gottlos ist, das heißt, der Strafe und der Rache werth ist? Ich möchte sehen, Lieber, durch was für eine Auslegung jene Kraft des Menschen von der Schuld freigesprochen werden könne, in welche die ganze Welt gegen Gott verstrickt ist, oder durch welche Kunstgriffe sie ausgenommen werden könne, daß sie in der ganzen Welt nicht mit einbegriffen sein sollte. Großartige Donnerschläge und durchdringende Blitze und wahrlich der Hammer, der Felsen zerschmeißt (wie Jeremias (23,29.) sagt), sind diese Worte Pauli (Röm. 3,12.19.10.): „Sie sind alle abgewichen“; „alle Welt ist schuldig“; „es ist keiner, der gerecht sei“, (Donnerschläge) durch welche alles zerschmettert wird, was es nur gibt, nicht allein an Einem Menschen, oder an einigen, oder an irgend einem Theile von ihnen, sondern auch in der ganzen Welt, an allen, durchaus ohne irgend eine Ausnahme, so daß die ganze Welt bei diesen Worten zittern, sich entsetzen und fliehen sollte. Denn was könnte Gewaltigeres und Stärkeres gesagt werden, als: Die ganze Welt ist schuldig, alle Menschenkinder sind abgewichen und untüchtig, keiner fürchtet Gott, keiner ist, der nicht ungerecht sei, keiner ist, der verständig sei, keiner fragt nach Gott. Nichtsdestoweniger war und ist die Härte und unvernünftige (insensata) Hartnäckigkeit unseres Herzens so groß, daß wir diese Donnerschläge und Blitze weder hörten noch fühlten, und den freien Willen und seine Kräfte unterdessen zugleich gegen dies alles erhoben und aufrichteten, so daß wir in Wahrheit das Wort Mal. 1,4. erfüllt haben: „Jene bauen, ich will abbrechen.“ Ebenso gewaltige Rede führt der Apostel an dieser Stelle (Röm. 3,20.): „Kein Fleisch wird durch des Gesetzes Werke vor ihm gerecht.“ Ein gewaltiges Wort ist „durch des Gesetzes Werke“, gleichwie auch jenes „die ganze Welt“, oder jenes „alle Menschenkinder“. Denn es muß beachtet werden, daß Paulus keine Personen einführt und nur ihrer Bestrebungen gedenkt, nämlich, damit er alle Personen einschließe und alles, was das Vorzüglichste an ihnen ist. Denn wenn er gesagt hätte, das geringe Volk unter den Juden, oder die Pharisäer, oder einige Gottlose werden nicht gerechtfertigt, so hätte es scheinen können, als ob er etliche übrig gelassen hätte, welche vermöge der Kraft des freien Willens und vermöge des Beistandes des Gesetzes nicht ganz und gar untüchtig wären. Aber da er selbst die Werke des Gesetzes verdammt und sie zu gottlosen macht vor Gotte, so wird offenbar, daß er alle verdammt, welche sich des Gesetzes und der Werke überaus sehr befleißigt haben. Es richteten aber nur die Besten und Vortrefflichsten ihr Bestreben auf das Gesetz und die Werke, und zwar nur mit ihren besten und vorzüglichsten Gaben (partibus), nämlich, mit ihrer Vernunft und ihrem Willen. Wenn nun also diejenigen, welche mit dem höchsten Eifer und Bemühen, sowohl der Vernunft als auch des Willens, das heißt, mit der ganzen Kraft des freien Willens sich übten im Gesetz und den Werken, dann auch durch das Gesetz selbst als mit göttlicher Hülfe unterstützt, unterrichtet und gereizt wurden, wenn, sage ich, diese wegen Gottlosigkeit verdammt werden, so daß sie nicht gerechtfertigt werden, sondern von ihnen erklärt wird, daß sie Fleisch seien vor Gotte, was bleibt dann in dem ganzen Menschengeschlechte noch übrig, das nicht Fleisch und gottlos wäre? Denn alle werden gleicherweise verdammt, welche mit des Gesetzes Werken umgehen, mögen sie sich nun mit dem größten, oder mit mittelmäßigem, oder mit keinem Eifer in dem Gesetze geübt haben, daran liegt nichts. Alle konnten nichts als Werke des Gesetzes leisten, Werke des Gesetzes rechtfertigen aber nicht; wenn sie nicht rechtfertigen, so beschuldigen sie diejenigen, welche sie thun, als gottlos und lassen sie so. Gottlose aber sind schuldig und des Zornes Gottes werth. Dies ist so klar, daß niemand dagegen auch nur mucken kann. Aber sie pflegen dem Paulus hier so zu entschlüpfen und zu entgehen, daß sie die Werke des Gesetzes Werke des äußerlichen Gottesdienstes nennen (ceremonialia), welche nach dem Tode Christi todbringend sein sollen. Ich antworte: Dies ist der Irrthum und der Unverstand des Hieronymus, dem freilich Augustin kräftig widerstanden hat, doch, da Gott seine Hand abzog und der Teufel die Oberhand behielt, ist er in die ganze Welt ausgegangen und bis auf den heutigen Tag geblieben. Daher ist es auch gekommen, daß es unmöglich war, den Paulus zu verstehen, und die Erkenntniß Christi verdunkelt werden mußte. Und wenn außerdem kein Irrthum in der Kirche gewesen wäre, so wäre dieser Eine verderblich und kräftig genug gewesen, um das Evangelium zu unterdrücken. Durch diesen Irrthum hat Hieronymus, wenn nicht Gottes sonderliche Gnade dazwischen getreten ist, vielmehr die Hölle als den Himmel verdient, so ferne liegt es, daß ich wagen möchte, ihn für einen Heiligen zu erklären oder zu sagen, daß er ein Heiliger sei. Deshalb ist es nicht wahr, daß Paulus nur von Werken des äußerlichen Gottesdienstes rede; wie sollte sonst seine Erörterung Bestand haben, durch welche er schließt, daß alle ungerecht seien und der Gnade bedürfen? Denn es möchte jemand sagen: Zugegeben, aus Werken des äußerlichen Gottesdienstes werden wir nicht gerechtfertigt, aber es könnte jemand aus den Werken der heiligen zehn Gebote, die das sittliche Leben betreffen, (ex moralibus) gerechtfertigt werden? Deshalb hast du durch deine Schlußrede (syllogismo) nicht bewiesen, daß für diese (Werke der heiligen zehn Gebote) die Gnade nothwendig sei. Was wäre (in diesem Fall) jene Gnade nütze, welche uns nur von Werken des äußerlichen Gottesdienstes befreite, die die leichtesten von allen sind und schon durch Furcht oder Selbstsucht erpreßt werden können? Nun ist auch jenes irrig, daß die Werke des äußerlichen Gottesdienstes todbringend und unerlaubt seien nach dem Tode Christi. Dies hat Paulus niemals gesagt, sondern er sagt, daß sie nicht rechtfertigen und dem Menschen vor Gotte nichts nütze sind, daß er dadurch von Gottlosigkeit frei werde. Hiermit kann das gar wohl bestehen, daß jemand sie thun möge und doch nichts Unerlaubtes thut, wie essen und trinken Werke sind, welche nicht rechtfertigen und uns vor Gott nicht angenehm machen, aber darum thut der nichts Unerlaubtes, welcher ißt und trinkt. Sie irren auch darin, (daß sie nicht erkennen) daß die Werke des äußerlichen Gottesdienstes im alten Gesetze gleicherweise geboten und gefordert worden sind wie die heiligen zehn Gebote, und daß diese deshalb weder weniger noch mehr galten als jene. Zu den Juden aber redet Paulus vornehmlich, wie er Röm. 2,9. sagt. Deshalb soll niemand daran zweifeln, daß unter den Werken des Gesetzes alle Werke des ganzen Gesetzes verstanden werden. Denn sie können nicht einmal Werke des Gesetzes genannt werden, wenn das Gesetz abgeschafft und todbringend ist, denn ein abgeschafftes Gesetz ist schon nicht mehr ein Gesetz. Dies wußte Paulus sehr wohl, deshalb redet er nicht von dem abgeschafften Gesetze, wenn er die Werke des Gesetzes erwähnt, sondern von einem gültigen und herrschenden Gesetze. Wie leicht hätte er sonst sagen können: Das Gesetz selbst ist schon abgethan! Das wäre dann deutlich und klar geredet gewesen. Aber wir wollen Paulus selbst anführen, der sich selbst am besten auslegt, da er Gal. 3,10. sagt: „Die mit des Gesetzes Werken umgehen, die sind unter dem Fluch. Denn es stehet geschrieben: Verflucht sei jedermann, der nicht bleibt in alle dem, das geschrieben stehet in dem Buch des Gesetzes, daß er es thue.“ Du siehst hier, daß Paulus, wo er dieselbe Sache wie (im Briefe) an die Römer und mit denselben Worten handelt, so oft er der Werke des Gesetzes gedenkt, von allen Gesetzen redet, die im Buche des Gesetzes geschrieben sind. Und was noch wunderbarer ist, er selbst führt Moses an, welcher die verflucht, welche nicht im Gesetze bleiben, während er doch predigt, daß die verflucht seien, welche mit des Gesetzes Werken umgehen, indem er eine entgegengesetzte Stelle für eine gegentheilige Meinung anführt, da nämlich jene (Stelle) verneinend, diese bejahend ist. Aber dies thut er, weil sich die Sache vor Gotte so verhält, daß die, welche sich am meisten der Werke des Gesetzes befleißigen, das Gesetz am wenigsten erfüllen, deshalb, weil sie den Geist nicht haben, der der Erfüller des Gesetzes ist. Sie können sich zwar mit ihren Kräften an das Gesetz machen, können aber nichts ausrichten. So ist beides wahr, daß, nach Moses, die verflucht sind, welche nicht bleiben, und, nach Paulus, die verflucht sind, welche mit des Gesetzes Werken umgehen. Denn beide fordern den Geist, ohne welchen die Werke des Gesetzes, wie viele derselben auch geschehen, nicht rechtfertigen, wie Paulus sagt; deshalb bleiben sie nicht in allem, was geschrieben stehet, wie Moses sagt. In Summa, Paulus bestätigt durch seine Theilung sattsam, was wir sagen, denn er scheidet die Menschen, die am Gesetz sich mühen, in zwei Theile; von etlichen sagt er, daß sie im Geiste wirken, von anderen, daß sie nach dem Fleische Werke thun, und läßt keine Mittelstellung übrig. Denn er sagt so (Röm. 3,20.): „Kein Fleisch mag durch des Gesetzes Werke gerecht werden.“ Was heißt das anders, als daß jene ohne den Geist im Gesetze sich mühen, da sie Fleisch sind, das heißt, gottlos und Gott nicht kennen, so daß ihnen diese Werke nichts nützen. So wendet er Gal. 3,2. (dieselbe Theilung) an und spricht: „Habt ihr den Geist empfangen durch des Gesetzes Werke, oder durch die Predigt vom Glauben?“ Und wiederum (Röm. 3,21.): „Nun ist ohne Zuthun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, geoffenbart“; und noch einmal (Röm. 3,28.): „So halten wir es nun, daß der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.“ Durch dies alles wird deutlich und klar, daß bei Paulus der Geist den Werken des Gesetzes gegenübergestellt wird, nicht anders als allen anderen nicht geistlichen Dingen und allen Kräften und Beziehungen (nominibus) des Fleisches, so daß es gewiß ist, die Meinung des Paulus sei dieselbe, welche Christus Joh. 3,6. ausspricht, daß alles, was nicht aus dem Geist geboren ist, Fleisch ist, es möge auch noch so ansehnlich, heilig, vortrefflich sein, ja, sogar selbst die allerschönsten Werke des göttlichen Gesetzes, sie mögen mit noch so großen Kräften gethan sein. Denn Christi Geist ist vonnöthen, ohne welchen alles nichts ist, und nur verdammlich. Deshalb soll man gewiß dafür halten, daß Paulus unter Werken des Gesetzes nicht die des äußerlichen Gottesdienstes, sondern alle Werke des ganzen Gesetzes verstehe. Zugleich wird auch das feststehen, daß an den Werken des Gesetzes alles verdammt wird, was ohne den Geist ist. Aber ohne den Geist ist jene Kraft des freien Willens, denn von dieser disputiren wir, das Vortrefflichste, nämlich, im Menschen. Denn „mit des Gesetzes Werken umgehen“ ist das Herrlichste, was von einem Menschen gesagt werden kann; denn er sagt nicht, welche mit Sünden und Gottlosigkeit wider das Gesetz umgehen, sondern, welche mit des Gesetzes Werken umgehen, das heißt, die Besten und die sich des Gesetzes befleißigen, das heißt, die über den freien Willen noch den Beistand des Gesetzes haben, das heißt, die darin unterwiesen und geübt worden sind. Wenn daher der freie Wille, der durch das Gesetz unterstützt worden ist und mit dem Gesetze nach höchstem Vermögen umgegangen ist, nichts hilft und nicht rechtfertigt, sondern in Gottlosigkeit und im Fleische zurückbleibt, was soll man glauben, daß er aus sich allein ohne Gesetz vermöge? „Durch das Gesetz (sagt er (Röm. 3,20.)) kommt Erkenntniß der Sünde.“ Hier zeigt er, wie viel und wie weit das Gesetz nützt, nämlich daß der freie Wille für sich allein so gar blind ist, daß er nicht einmal die Sünde erkennt, sondern das Gesetz als Lehrer nöthig hat. Aber, wer die Sünde nicht kennt, was könnte der unternehmen, um die Sünde wegzunehmen? Freilich das, daß er die Sünde nicht für Sünde und das, was nicht Sünde ist, für Sünde halten wird. Das zeigt die Erfahrung genugsam an, wie die Welt durch diejenigen, welche sie für die Besten und Eifrigsten in Gerechtigkeit und Frömmigkeit hält, die Gerechtigkeit Gottes haßt und verfolgt, die durch das Evangelium gepredigt wird, und sie schmäht als Ketzerei, Irrthum und mit anderen überaus schändlichen Namen. Ihre Werke und Anschläge aber, welche wahrhaft Sünde und Irrthum sind, rühmt sie und gibt sie aus für Gerechtigkeit und Weisheit. Daher verstopft Paulus mit diesem Worte dem freien Willen den Mund, indem er lehrt, daß ihm durch das Gesetz die Sünde angezeigt wird, als einem solchen, der seine Sünde nicht kenne. So viel fehlt daran, daß er ihm irgend eine Kraft zum Bemühen um das Gute zugestehen sollte. Und hier wird jene Frage der Diatribe gelöst, die so oft in dem Buche wiederholt ist: Wenn wir nichts vermögen, wozu dienen so viele Gesetze, so viele Gebote, so viele Drohungen, so viele Verheißungen? Hier antwortet Paulus: „Durch das Gesetz kommt Erkenntniß der Sünde.“ Er antwortet auf diese Frage ganz anders, als der Mensch oder der freie Wille denkt. Er sagt: Der freie Wille wird nicht bewiesen durch das Gesetz, er wirkt nicht mit zur Gerechtigkeit, denn durch das Gesetz kommt nicht Gerechtigkeit, sondern Erkenntniß der Sünde. Denn dies ist die Frucht, dies das Werk, dies das Amt des Gesetzes, daß es den Unwissenden und Blinden ein Licht ist, aber ein solches Licht, welches die Krankheit zeigt, die Sünde, das Uebel, den Tod, die Hölle, den Zorn Gottes, aber es hilft nicht, es befreiet auch nicht davon, sondern begnügt sich damit, daß es solches gezeigt hat. Nachdem dann der Mensch die Krankheit der Sünde erkannt hat, wird er betrübt, wird geängstet, ja, er verzweifelt; das Gesetz hilft nicht, viel weniger kann er selbst sich helfen. Es ist aber ein anderes Licht nöthig, welches das Heilmittel zeige. Dies ist die Stimme des Evangeliums, welches Christum als den Befreier von allem diesem zeigt. Den zeigt nicht die Vernunft oder der freie Wille, und wie sollte sie ihn zeigen, da sie selbst die Finsterniß selbst ist und das Licht des Gesetzes bedarf, um ihr die Krankheit zu zeigen, welche sie durch ihr eigenes Licht nicht sieht, sondern meint, es wäre Gesundheit? So behandelt er auch im Briefe an die Galater dieselbe Frage und spricht (Gal. 3,19.): „Was soll denn das Gesetz?“ Er antwortet aber nicht nach der Weise der Diatribe, daß er schlösse, es sei ein freier Wille, sondern sagt so: „Es ist dazu gekommen um der Uebertretungen willen, bis der Same käme, dem die Verheißung geschehen ist.“ Um der Uebertretungen willen (sagt er), und zwar nicht, um sie einzuschränken, wie Hieronymus träumt, da Paulus erörtert, daß dies dem künftigen Samen verheißen sei, daß er die Sünde wegnehme und einschränke durch seine geschenkte Gerechtigkeit, sondern um die Uebertretungen zu mehren, wie er Röm. 5,20. sagt: „Das Gesetz ist neben eingekommen, auf daß die Sünde mächtiger würde“; nicht als ob ohne das Gesetz die Sünden nicht geschähen oder nicht mächtig wären, sondern weil sie nicht als Uebertretungen erkannt würden, oder als so gewaltige Sünden, sondern die meisten und größten für Gerechtigkeit gehalten würden. Wo aber die Sünden nicht erkannt werden, da ist weder Gelegenheit noch Hoffnung für die Heilung, deshalb, weil sie die Hand des Heilandes nicht leiden, da sie sich für gesund halten und meinen, des Arztes nicht zu bedürfen. Darum ist das Gesetz nothwendig, um die Sünde kundzuthun, damit der stolze Mensch, der sich dünken läßt, er sei gesund, durch die Erkenntniß der Schändlichkeit und Größe der Sünde gedemüthigt werde und sich nach der Gnade sehne und seufze, die ihm in Christo vorgehalten wird. Siehe also, wie einfach die Rede ist: „Durch das Gesetz kommt Erkenntniß der Sünde“, und doch ist sie allein mächtig genug, den freien Willen umzustoßen und zu vertilgen. Denn wenn das wahr ist, daß er aus sich selbst nicht weiß, was Sünde und böse ist, wie er hier und Röm. 7,7. sagt: „Ich wußte nicht, daß die böse Lust Sünde sei, wo das Gesetz nicht hätte gesagt: Laß dich nicht gelüsten“; wie sollte er jemals wissen, was Gerechtigkeit und gut sei? Wenn er die Gerechtigkeit nicht kennt, wie kann er sich um sie bemühen? Die Sünde, in der wir geboren sind, in der wir leben, weben und sind, ja, die in uns lebt, treibt und herrscht, erkennen wir nicht. Und wie sollten wir die Gerechtigkeit, welche außer uns, im Himmel, herrscht, kennen? Zu nichts, ganz und gar zu nichts machen diese Aussprüche jenen elenden freien Willen. Da dies sich so verhält, so verkündigt Paulus mit voller Zuversicht und Nachdruck (autoritate), was er sagt (Röm. 3,21-25.): „Nun aber ist ohne Zuthun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, geoffenbaret, und bezeuget durch das Gesetz und die Propheten. Ich sage aber von solcher Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesum Christ, zu allen und auf alle, die da an ihn glauben. Denn es ist hie kein Unterschied; sie sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhms, den sie an Gott haben sollten, und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade, durch die Erlösung, so durch Christum Jesum geschehen ist, welchen Gott hat vorgestellt zu einem Gnadenstuhl, durch den Glauben in seinem Blut“ etc. Hier redet Paulus lauter Blitze wider den freien Willen. Zuerst (sagt er) „wird die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, ohne Zuthun des Gesetzes offenbart“; er scheidet die Gerechtigkeit Gottes von der Gerechtigkeit des Gesetzes, weil die Gerechtigkeit des Glaubens aus der Gnade kommt, ohne das Gesetz. Dies, daß er sagt, ohne Zuthun des Gesetzes, kann nichts Anderes sein, als daß die christliche Gerechtigkeit bestehe ohne die Werke des Gesetzes, so daß die Werke des Gesetzes nichts für sie vermögen oder ausrichten, um sie zu erlangen. Wie er bald darnach sagt (Röm. 3,28.): „So halten wir es nun, daß der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben“; und, wie er vorher (Gal. 2,16.) gesagt hat: „Durch des Gesetzes Werke wird kein Fleisch vor ihm gerecht.“ Aus diesem allen ist es ganz deutlich, daß das Bemühen oder Bestreben des freien Willens durchaus nichts ist; denn wenn die Gerechtigkeit vor Gott ohne das Gesetz und ohne des Gesetzes Werke besteht, wie sollte sie nicht viel mehr ohne den freien Willen bestehen? da dies das höchste Bestreben des freien Willens ist, wenn er sich in sittlicher Gerechtigkeit übt, oder in Werken des Gesetzes, wodurch seine Blindheit und sein Unvermögen unterstützt wird. Dieses Wort „ohne“ hebt die sittlich, guten Werke auf, es hebt die sittliche Gerechtigkeit auf, es hebt alle Vorbereitung zur Gnade auf; endlich, erdichte, was du nur immer kannst, das der freie Wille vermögen soll, so wird Paulus fest stehen bleiben und sprechen: Ohne solches besteht die Gerechtigkeit vor Gott. Und wenngleich ich zugestehen will, daß der freie Wille durch sein Bemühen etwas gefördert werden könnte, nämlich zu guten Werken oder zur Gerechtigkeit des bürgerlichen oder sittlichen Gesetzes, so kommt er doch der Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, nicht näher, und Gott sieht in keiner Hinsicht seine Bestrebungen an, die er macht, um seine Gerechtigkeit zu erlangen, indem er sagt, daß seine Gerechtigkeit Geltung habe ohne das Gesetz. Wenn er aber nicht fördert zur Gerechtigkeit vor Gott, was würde es ihm nützen, wenn er durch Werke und Bemühungen (so es möglich wäre) auch zur Heiligkeit der Engel fortschritte? Ich glaube, daß hier nicht dunkle oder zweideutige Worte sind, daß auch kein Raum für irgendwelche bildliche Reden gelassen wird, weil Paulus deutlich zweierlei Gerechtigkeit unterscheidet, von denen er die eine dem Gesetze, die andere der Gnade zuschreibt, und diese werde ohne jene und ohne die Werke derselben geschenkt, jene aber ohne diese rechtfertige nicht und vermöge auch nichts. Daher möchte ich sehen, wie der freie Wille dagegen bestehen und vertheidigt werden könnte. Der zweite Blitz ist, daß er sagt, „daß die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, geoffenbart werde und komme zu allen und auf alle, die an Christum glauben, und es sei da kein Unterschied“ (Röm. 3,22-24.). Wiederum theilt er mit ganz klaren Worten das ganze Menschengeschlecht in zwei Theile: den Gläubigen gibt er die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, denen, die nicht glauben, nimmt er sie. Deshalb kann niemand so unsinnig sein, daß er daran zweifeln sollte, die Kraft des freien Willens sei etwas Anderes als der Glaube an Jesum Christum. Aber Paulus sagt, daß alles, was außerhalb dieses Glaubens ist, nicht gerecht sei vor Gotte. Wenn es nicht gerecht vor Gotte ist, so muß es nothwendiger Weise Sünde sein. Denn bei Gott ist kein Mittleres zwischen Gerechtigkeit und Sünde, das keins von beiden (neutrum = neutral), gleichsam weder Gerechtigkeit noch Sünde wäre. Sonst wäre die ganze Erörterung Pauli vergeblich, welche aus dieser Theilung hervorgeht: Es sei das, was bei den Menschen geschieht oder gethan wird, vor Gott entweder Gerechtigkeit oder Sünde; Gerechtigkeit, wenn der Glaube da sei, Sünde, wenn der Glaube nicht da sei. Bei den Menschen steht es freilich so, daß es Mitteldinge (media) und gleichgültige Dinge (neutralia) gibt, in welchen die Menschen einander weder etwas schulden noch etwas leisten. Aber gegen Gott sündigt der Gottlose, mag er nun essen oder trinken oder sonst etwas thun, weil er der Creatur Gottes in beständiger Gottlosigkeit und Undankbarkeit mißbraucht, und auch nicht einen Augenblick von Herzen Gotte seine Ehre gibt. Auch dieses ist ein nicht geringer Blitz, daß er sagt (Röm. 3,23.): „Sie sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhms, den sie an Gott haben sollen, und es ist hie kein Unterschied.“ Ich bitte dich, was könnte doch Deutlicheres gesagt werden? Zeige einen auf, der im freien Willen wirkt (operarium liberi arbitrii), und antworte, ob er mit jenem seinem Bemühen auch sündige? Wenn er nicht sündigt, warum nimmt Paulus ihn nicht aus, sondern schließt ihn ein ohne Unterschied? Sicherlich nimmt der, welcher „alle“ sagt, niemanden aus, an keinem Orte, zu keiner Zeit, in keinem Werke, in keinem Bestreben. Denn wenn du einen Menschen in irgend einem Werke oder Bestreben ausnehmen wolltest, so würdest du Paulum zum Irrlehrer (falsum) machen. Denn auch der, welcher in freiem Willen wirkt und sich bemüht, wird mit einbegriffen unter „alle“ und in „allen“, und Paulus hätte seiner schonen und ihn nicht so frei und allgemein unter die Sünder zählen sollen. So auch das Wort, daß er sagt: „Sie mangeln des Ruhmes, den sie an Gott haben sollten.“ „Der Ruhm Gottes“ könnte hier in zwiefacher Weise genommen werden, in thätiger und in leidender Weise (active et passive). Das kommt von der hebräischen Redeweise des Paulus her, deren er sich häufig bedient. In thätiger Weise (active) ist der Ruhm Gottes der, durch den er sich vor uns rühmt; in leidender Weise (passive) der, durch welchen wir uns vor Gott rühmen. Jedoch scheint es mir jetzt passive genommen werden zu müssen, denn „der Glaube Christi“ drückt nach lateinischer Rede den Glauben aus, welchen Christus hat, aber bei den Hebräern wird „der Glaube Christi“ von dem Glauben verstanden, den man an Christum hat. So heißt „die Gerechtigkeit Gottes“ im Lateinischen diejenige, welche Gott hat, aber bei den Hebräern wird diejenige verstanden, welche man aus Gott und vor Gott hat. So nehmen wir den Ruhm Gottes nicht nach lateinischer, sondern nach hebräischer Redeweise, den, welchen wir an Gott und vor Gott haben, und es könnte der Ruhm an Gott genannt werden. Denn der rühmt sich an Gott, welcher gewiß weiß, daß Gott ihm gnädig ist und ihn seines gnädigen Anblicks würdigt, so daß vor ihm wohlgefällig ist, was er thut, oder daß ihm vergeben und an ihm getragen wird, was nicht wohlgefällt. Wenn daher das Bemühen oder Bestreben des freien Willens nicht Sünde ist, sondern etwas Gutes vor Gotte, so kann er sich sicherlich rühmen und zuversichtlich in diesem Ruhm sprechen: dies gefällt Gotte wohl, dem ist Gott gnädig gesinnt, dies läßt er sich gefallen und nimmt es an, oder wenigstens Gott trägt und verzeiht es. Denn dies ist der Ruhm der Gläubigen an Gotte; diejenigen, welche den nicht haben, werden vielmehr zu Schanden vor Gotte. Aber dazu sagt Paulus hier Nein und spricht, daß sie dieses Ruhmes durchaus mangeln. Und dies beweist auch die Erfahrung. Frage mir alle, die sich im freien Willen bemühen, insgesammt, ob du Einen wirst aufweisen können, der ernstlich und von Herzen sagen könne über irgend eine seiner Bestrebungen und Bemühungen: Dies, weiß ich, gefällt Gotte. Werde ich überwunden, so will ich (dir) die Siegespalme zugestehen, aber ich weiß, daß keiner gefunden werden wird. Wenn aber dieser Ruhm nicht da ist, so daß das Gewissen nicht wagen kann, gewiß zu wissen und zu vertrauen, dies gefalle Gotte, so ist es gewiß, daß es Gotte nicht gefällt. Denn wie er glaubt, so geschieht ihm, denn er glaubt nicht, daß er gewißlich wohlgefällig sei, was doch nothwendig ist, da gerade das die Sünde des Unglaubens ist, an der Huld Gottes zu zweifeln, welcher will, daß man mit der festesten Zuversicht glaube, daß er gnädig sei. So überführen wir sie mit dem Zeugnis ihres eigenen Gewissens, daß der freie Wille, weil er keinen Ruhm an Gott hat, beständig der Sünde des Unglaubens schuldig sei mit allen seinen Kräften, Bestrebungen und Bemühungen. Was wollen nun aber die Beschützer des freien Willens gar zu dem sagen, was da folgt (Röm. 3,24.): „Und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade“? Was ist das „ohne Verdienst“? Was ist „aus seiner Gnade“? Wie stimmen Bemühen und Verdienst mit geschenkter Gerechtigkeit, die umsonst gegeben wird? Vielleicht werden sie hier sagen, sie legten dem freien Willen äußerst wenig bei, keineswegs ein völliges Verdienst (meritum condignum). Aber dies sind leere Worte. Denn das sucht man durch den freien Willen, daß Raum da sei für Verdienste. Denn so hat die Diatribe beständig vorgegeben und geltend gemacht: „Wenn es keine Freiheit des Willens gibt, wie können dann Verdienste statthaben? Wenn keine Verdienste statthaben können, wie können dann Belohnungen statthaben? Wem kann etwas zugerechnet werden, wenn man ohne Verdienst gerecht wird?“ Hier antwortet Paulus, daß da durchaus kein Verdienst sei, sondern alle, so viel ihrer gerechtfertigt werden, ohne Verdienst gerechtfertigt werden, und dies werde niemandem zugerechnet, als der Gnade Gottes. Nachdem aber die Gerechtigkeit geschenkt worden ist, ist zugleich auch das Reich und das ewige Leben geschenkt. Wo ist jetzt das Bemühen? wo das Bestreben? wo die Werke? wo die Verdienste des freien Willens? Was ist der Nutzen von diesen? Dunkelheit und Zweideutigkeit kannst du nicht vorgeben; die Sachen und die Worte sind ganz klar und einfach. Denn zugegeben, daß sie dem freien Willen nur ein äußerst Geringes zuschreiben, so lehren sie doch nichtsdestoweniger, daß wir durch dieses ganz Geringe Gerechtigkeit und Gnade erlangen können. Denn mit keinem anderen Grunde lösen sie diese Frage auf: Warum Gott diesen rechtfertige und jenen verlasse? als dadurch, daß sie den freien Willen aufrichten, nämlich, dieser habe sich bemüht, jener habe sich nicht bemüht, und Gott sehe diesen gnädig an um seines Bemühens willen, jenen aber verachte er, damit er nicht ungerecht sei, wenn er anders thäte. Und wiewohl sie mündlich und schriftlich vorgeben, daß sie durch völliges Verdienst (condigno merito) die Gnade nicht erlangen, es auch nicht ein völliges Verdienst nennen, so narren sie uns doch mit dem Worte und halten nichtsdestoweniger die Sache fest. Denn wie kann die Entschuldigung gelten, daß sie es nicht ein völliges Verdienst nennen und ihm doch alles zuschreiben, was einem völligen Verdienst zukommt? nämlich, daß dieser, welcher sich bemüht, Gnade bei Gott erlangt, jener aber, welcher sich nicht bemüht, sie nicht erlangt? Ist dies nicht deutlich das, was dem völligen Verdienst zukommt? Machen sie nicht Gott zu einem, der Werke, Verdienste und Personen ansieht? Nämlich, daß jener durch seine Schuld der Gnade entbehrt, weil er sich nicht bemüht hat, dieser aber die Gnade erlangt, weil er sich bemüht hat, sie aber nicht erlangt haben würde, wenn er sich nicht bemüht hätte. Wenn dies nicht völliges Verdienst ist, so möchte ich gern belehrt werden, was dann ein völliges Verdienst genannt werden könnte. Auf diese Weise könntest du mit allen Worten dein Spiel treiben und sagen: Es ist zwar nicht ein völliges Verdienst, aber es richtet das aus, was das völlige Verdienst auszurichten pflegt; der Dornstrauch ist nicht ein böser Baum, sondern bringt nur das zuwege, was ein böser Baum zuwege bringt; der Feigenbaum ist nicht ein guter Baum, aber thut, was ein guter Baum pflegt; die Diatribe ist zwar nicht gottlos, aber sie redet und thut nur das, was ein Gottloser thut. Diesen Beschützern des freien Willens widerfährt das, was das Sprüchwort sagt: Mancher will dem Regen entlaufen und fällt ganz ins Wasser. Denn aus dem Bestreben, eine andere Meinung zu haben als die Pelagianer, fingen sie an das völlige Verdienst zu leugnen, und gerade dadurch, daß sie es leugnen, richten sie es um so stärker auf. In Wort und Schrift leugnen sie es, in der Sache selbst und im Herzen richten sie es auf, und sind in zwiefacher Hinsicht ärger als die Pelagianer. Erstlich, weil die Pelagianer einfach, aufrichtig und gerade heraus das völlige Verdienst bekennen und behaupten, ein jedes Ding bei seinem rechten Namen nennen und lehren, was ihre Meinung ist. Unsere Leute aber, während sie dasselbe (wie die Pelagianer) halten und lehren, spotten sie doch unser mit lügenhaften Worten und falschem Schein, als ob sie mit den Pelagianern uneinig wären, da dies doch durchaus nicht der Fall ist, so daß, wenn man auf die Heuchelei sieht, wir als die bittersten Feinde der Pelagianer angesehen werden möchten, wenn man aber auf die Sache und das Herz sieht, wir zwiefältige Pelagianer sind. Zweitens, weil wir durch diese Heuchelei die Gnade Gottes weit geringer schätzen und halten als die Pelagianer. Denn diese behaupten, es sei nicht etwas ganz Geringes in uns, wodurch wir die Gnade erlangen, sondern ganze, völlige, vollkommene, große und viele Bestrebungen und Werke; unsere Leute aber sagen, es sei ein ganz Geringes und fast nichts, wodurch wir die Gnade verdienen. Wenn nun also geirrt werden soll, so irren jene in redlicherer Weise und weniger hochmüthig, weil sie sagen, daß die Gnade Gottes hoch zu stehen komme, und sie für theuer und kostbar halten, als diejenigen, welche lehren, daß sie billig und nur auf ein ganz Geringes zu stehen komme, und sie für geringfügig und verächtlich halten. Aber Paulus wirft beide in Einen Klumpen durch Ein Wort, da er sagt: „Alle werden ohne Verdienst gerechtfertigt;“ desgleichen: „Daß sie ohne Zuthun des Gesetzes, ohne die Werke des Gesetzes gerechtfertigt werden.“ Denn, wer da behauptet, die Rechtfertigung geschehe ohne Verdienst, bei allen, die gerechtfertigt werden, der läßt keine übrig, welche wirken, verdienen und sich bereiten könnten, und läßt kein Werk übrig, welches ein etlichermaßen (congruum) oder völlig verdienendes (condignum) genannt werden könnte, und zermalmt mit dem Einen Donnerschlage dieses Blitzes sowohl die Pelagianer mit ihrem ganzen Verdienst als auch die Sophisten mit ihrem ganz winzigen Verdienst. Die Rechtfertigung ohne Verdienst leidet es nicht, daß du Leute setzest, welche sie erarbeiten (operarios), weil das offenbar wider einander streitet „umsonst geschenkt werden“ und „durch irgend ein Werk erworben werden“. Ferner leidet das „durch die Gnade Gerechtfertigt werden“ es nicht, daß du der Person irgend eines Menschen eine Würdigkeit beilegest, wie er auch nachher im 11. Cap. (V. 6.) sagt: „Ist es aber aus Gnaden, so ist es nicht aus Verdienst der Werke, sonst würde Gnade nicht Gnade sein; wie er auch Cap. 4,4. sagt: „Dem aber, der mit Werken umgehet, wird der Lohn nicht aus Gnaden zugerechnet, sondern aus Pflicht.“ Deshalb steht mein Paulus fest, als ein unüberwundener Vernichter des freien Willens und legt mit Einem Worte zwei Heere darnieder. Denn wenn wir ohne Werke gerechtfertigt werden, so werden alle Werke verdammt, mögen sie nun ganz klein oder groß sein, denn er nimmt keine aus, sondern blitzt gegen alle auf gleiche Weise. Und hier siehe die Schläfrigkeit von uns allen und was es helfe, wenn jemand sich stützt auf die alten Väter, die durch eine Reihe von so vielen Jahrhunderten gebilligt worden sind. Sind sie nicht ebenfalls gleicherweise alle blind gewesen und haben sogar die ganz klaren und deutlichen Worte Pauli bei Seite liegen lassen? Ich bitte dich, was kann für die Gnade wider den freien Willen klar und deutlich gesagt werden, wenn des Paulus Rede nicht klar und deutlich ist? In vergleichender Weise (per contentionem) geht er vor und rühmt die Gnade gegen die Werke; dann gebraucht er die klarsten und einfachsten Worte und sagt, daß wir ohne Verdienst gerechtfertigt werden, und daß Gnade nicht Gnade wäre, wenn sie mit Werken erworben würde, indem er aufs deutlichste alle Werke im Handel der Rechtfertigung ausschließt, um allein die Gnade und die Rechtfertigung ohne Verdienst aufzurichten. Und wir suchen in diesem Lichte noch Finsterniß, und da wir uns nichts Großes und alles beilegen können, so bemühen wir uns, uns ganz winzige und geringe Dinge zuzuschreiben, nur um das zu erlangen, daß die Rechtfertigung durch die Gnade Gottes nicht ohne Verdienst und ohne Werke sei, als ob der, welcher uns das Größere und alles absagt, nicht vielmehr auch Nein dazu sagte, daß das Kleine und Geringe förderlich dazu wäre, daß wir die Rechtfertigung erlangen, da er beschlossen hat, daß wir nur durch seine Gnade gerechtfertigt werden sollen, ohne alle Werke, und sogar selbst ohne Zuthun des Gesetzes, in welchem alle Werke begriffen sind, große und kleine, unzulängliche und völlige. Gehe jetzt hin und rühme dich des Ansehens der Alten und verlaß dich auf ihre Aussprüche, von denen du siehst, daß sie alle mit einander Paulum, den hellsten und deutlichsten Lehrer, verachtet haben, und gleichsam mit Fleiß den Morgenstern, ja, diese Sonne geflohen haben, nämlich, weil sie in der fleischlichen Meinung gefangen waren, daß es ungereimt zu sein schiene, daß kein Raum für Verdienste gelassen würde. Nun wollen wir das Beispiel anführen, welches Paulus in der Folge (Röm. 4,2.f.) von Abraham einführt. „Ist Abraham (sagt er) durch die Werke gerecht, so hat er wohl Ruhm, aber nicht vor Gott. Was sagt denn die Schrift? Abraham hat Gott geglaubet und das ist ihm zur Gerechtigkeit gerechnet.“ Beachte, ich bitte dich, auch hier die Theilung des Paulus, der eine zwiefache Gerechtigkeit Abrahams angibt. Die eine ist aus den Werken, das heißt, die sittliche und bürgerliche, aber er leugnet, daß er durch diese vor Gott gerechtfertigt werde, obgleich er durch dieselbe vor Menschen gerecht ist. Sodann hat er Ruhm vor den Menschen, aber durch diese Gerechtigkeit hat auch er keinen Ruhm vor Gott. Und es hat keinen Grund, wenn jemand sagen wollte, es würden hier die Werke des Gesetzes oder des äußerlichen Gottesdienstes verdammt, weil Abraham so viele Jahre vor dem Gesetze lebte. Paulus redet einfach von den Werken Abrahams und zwar nur von seinen besten. Denn es wäre lächerlich, wenn jemand darüber streiten wollte, ob man durch böse Werke möchte gerechtfertigt werden. Wenn also Abraham durch keine Werke gerecht ist, aber auch nicht mit einer andern Gerechtigkeit, nämlich der des Glaubens, bekleidet wird, so wird sowohl er selbst, als auch alle seine Werke, unter der Gottlosigkeit belassen. Es ist offenbar, daß kein Mensch durch seine Werke zur Gerechtigkeit irgend etwas beiträgt, dann auch, daß keine Werke, keine Bestrebungen, keine Bemühungen des freien Willens vor Gott etwas taugen, sondern daß sie alle als gottlos, ungerecht und böse verurtheilt werden. Denn wenn er selbst nicht gerecht ist, so sind auch seine Werke oder Bestrebungen nicht gerecht; sind sie aber nicht gerecht, so sind sie verdammlich und des Zornes werth. Die andere ist die Gerechtigkeit des Glaubens, welche nicht in irgend welchen Werken besteht, sondern darin, daß Gott gnädig ist und nach seiner Gnade zurechnet. Und siehe doch, wie Paulus sich gründet auf das Wort „zurechnen“, wie er darauf dringt, es wiederholt und einschärft. „Dem aber (sagt er (Röm. 4,4.f.)), der mit Werken umgehet, wird der Lohn nicht aus Gnaden zugerechnet, sondern aus Pflicht. Dem aber, der nicht mit Werken umgehet, glaubet aber an den, der die Gottlosen gerecht macht, dem wird sein Glaube gerechnet zur Gerechtigkeit“, nach dem Vorsatz der Gnade Gottes. Dann führt er ebendaselbst (Röm. 4,6.ff.) David ein, welcher von der Zurechnung der Gnade sagt (Ps. 32,2.): „Wohl dem Menschen, dem der Herr die Missethat nicht zurechnet“ etc. Wohl zehnmal wiederholt er in diesem Capitel das Wort „zurechnen“. Kurz, Paulus stellt den, der mit Werken umgeht, dem gegenüber, der nicht mit Werken umgeht, und läßt keine Mittelstellung zwischen diesen beiden; er leugnet, daß dem, der mit Werken umgeht, die Gerechtigkeit zugerechnet werde, aber behauptet, daß dem, der nicht mit Werken umgeht, die Gerechtigkeit zugerechnet werde, wenn er nur glaubt. Hier ist nichts, wodurch der freie Wille entgehen oder entschlüpfen könnte, durch sein Bemühen oder Bestreben. Denn er wird entweder denen zugezählt werden, die mit Werken umgehen, oder denen, die nicht mit Werken umgehen; wenn denen, die mit Werken umgehen, so hörst du hier, daß ihm keine Gerechtigkeit zugerechnet wird; wenn denen, die nicht mit Werken umgehen, aber doch Gotte glauben, so wird ihm die Gerechtigkeit zugerechnet. Aber dann wird nicht mehr irgend eine Kraft des freien Willens da sein, sondern eine durch den Glauben erneuerte Creatur; wenn aber dem, der mit Werken umgeht, die Gerechtigkeit nicht zugerechnet wird, so wird offenbar, daß seine Werke nichts als Sünden, böse und gottlos sind vor Gott. Und hier kann kein Sophist so frech sein, (daß er sage) daß, wiewohl der Mensch böse sei, sein Werk dennoch nicht böse sein könne. Denn Paulus macht sich hier an den Menschen, nicht schlechthin, sondern als einen solchen, der mit Werken umgeht, um mit einem ganz deutlichen Worte zu erklären, daß selbst die Werke und Bestrebungen des Menschen verdammt werden, welcher Art sie auch sein mögen, und mit was für einem Namen oder Schein sie auch ausgestattet werden mögen. Er handelt aber von guten Werken, weil er von dem Gerechtwerden und vom Verdienen disputirt. Und da er von dem redet, der mit Werken umgeht, so redet er insgemein von allen, die mit Werken umgehen, und von allen ihren Werken, besonders aber redet er von guten und ehrbaren Werken, sonst würde seine Theilung: von denen, die mit Werken umgehen, und denen, die nicht mit Werken umgehen, keinen Bestand haben können. Ich übergehe hier die sehr starken Beweisgründe, die aus dem Vorsatz der Gnade, aus der Verheißung, aus der Kraft des Gesetzes, aus der Erbsünde, aus der Erwählung Gottes hergenommen sind, deren keiner ist, der nicht schon für sich allein von Grund aus den freien Willen aufhöbe. Denn wenn die Gnade aus dem Vorsatz (Eph. 1,11.) oder der Vorherbestimmung kommt, so kommt sie mit Nothwendigkeit, nicht durch unser Bestreben oder Bemühen, wie wir oben gezeigt haben. Desgleichen, da ja Gott die Gnade verheißen hat vor dem Gesetz, wie Paulus hier und im Briefe an die Galater folgert (Gal. 3,17.18.), also kommt sie nicht aus den Werken oder dem Gesetze, sonst würde die Verheißung nichts sein. So würde auch der Glaube nichts sein (Röm. 4,14.) (durch den doch Abraham, ehe das Gesetz war, gerechtfertigt ist), wenn die Werke etwas vermögen. Desgleichen, da das Gesetz die Kraft der Sünde ist (1 Cor. 15,56.), die Sünde nur zeigt, aber nicht wegnimmt, so macht es das Gewissen schuldig vor Gott und droht den Zorn. Das ist es, was er sagt, Röm. 4,15.: „Das Gesetz richtet Zorn an.“ Wie wäre es also möglich, daß durch das Gesetz Gerechtigkeit erlangt werden sollte? Wenn uns aber durch das Gesetz nicht geholfen wird, wie könnte uns allein durch die Kraft des Willens geholfen werden? Desgleichen (Röm. 5,12.), da durch das Eine Vergehen (delicto) des Einen Adam wir alle unter der Sünde und der Verdammniß sind, wie können wir denn irgend etwas unternehmen, was nicht Sünde und verdammlich wäre? Denn da er sagt „alle“, so nimmt er niemanden aus, auch nicht die Kraft des freien Willens, auch nicht irgend einen Werktreiber (operarium), möge er nun mit Werken umgehen oder nicht mit Werken umgehen, möge er sich bemühen oder nicht bemühen, unter „alle“ wird er nothwendigerweise mit den anderen einbegriffen. Und wir würden durch das Eine Vergehen Adams nicht sündigen oder verdammt werden, wenn es nicht unser Vergehen wäre; denn wer sollte wohl je wegen eines fremden Vergehens verdammt werden, besonders vor Gotte? Es wird aber das unsrige nicht durch Nachahmen oder durch Thun, da dies nicht jenes Eine Vergehen Adams sein könnte, da ja nicht er, sondern wir es begangen hätten; es wird aber das unsrige durch die Geburt. Doch hierüber muß anderswo disputirt werden. Daher läßt selbst die Erbsünde den freien Willen durchaus nichts vermögen als sündigen und verdammt werden. Diese Beweisgründe, sage ich, übergehe ich, weil sie ganz offenbar und sehr stark sind, dann auch, weil wir oben schon etwas darüber gesagt haben. Wenn wir nun alles, was den freien Willen umstößt, allein in Paulus, anführen wollten, so könnten wir nichts Besseres thun, als in einer fortlaufenden Auslegung (commentario) den ganzen Paulus behandeln und zeigen, daß fast in jedem einzelnen Worte die so hoch gerühmte Kraft des freien Willens widerlegt sei, wie ich es schon beim dritten und vierten Capitel gethan habe. Diese habe ich hauptsächlich um deß willen behandelt, um die Schläfrigkeit unser aller zu zeigen, die wir den Paulus so lesen, daß wir in diesen ganz klaren Stellen nichts weniger lesen, als diese überaus starken Beweisgründe wider den freien Willen; und um jene Zuversicht, welche sich auf das Ansehen und die Schriften der alten Lehrer gründet, als eine thörichte aufzuzeigen; zugleich wollte ich zu bedenken übrig lassen, was jene ganz offenbaren Beweisgründe ausrichten würden, wenn sie mit Sorgfalt und rechtem Urtheil behandelt würden. Ich sage von mir, ich wundere mich sehr, daß, obgleich Paulus so oft jene allgemeinen Wörter gebraucht: alle, keiner, nicht, nirgends, ohne, wie (Röm. 3,12.): „Sie sind alle abgewichen“; (Röm. 3,10.) „da ist keiner, der gerecht sei“; (Röm. 3,12.) „da ist nicht, der Gutes thue, auch nicht Einer“; (Röm. 5,12.) „alle sind durch Eines Menschen Sünde Sünder und verdammt“; (Röm. 3,21.28.) „durch den Glauben ohne das Gesetz; ohne Werke werden wir gerecht“; so daß wenn jemand anders reden wollte, er es doch nicht klarer und deutlicher reden könnte; ich wundere mich, sage ich, wie es geschehen konnte, daß gegen diese allgemeinen Ausdrücke und Aussprüche entgegengesetzte, ja, widersprechende haben aufkommen können, nämlich: Einige sind nicht abgewichen, nicht ungerecht, nicht böse, nicht Sünder, nicht verdammt; es ist etwas im Menschen, was gut ist und nach dem Guten strebt, als ob der Mensch, welcher nach dem Guten strebt, er sei, wer er auch wolle, nicht mit einbegriffen wäre in diesem Worte alle, keiner, nicht. Ich hätte nichts, auch wenn ich wollte, was ich dem Paulus entgegenhalten oder antworten könnte, sondern wäre gezwungen, die Kraft meines freien Willens zusammen mit seinem Bemühen unter jene alle und keine, von denen Paulus redet, mit einzubegreifen, wenn nicht eine neue Sprachlehre oder ein neuer Sprachgebrauch eingeführt würde. Und man könnte vielleicht eine bildliche Rede vermuthen und herausgerissene Worte verdrehen, wenn er nur einmal oder an Einer Stelle eine solche Bezeichnung gebrauchte. Aber jetzt gebraucht er sie beständig, dann auch zugleich in bejahenden und verneinenden Sätzen, und hält überall die Meinung der allgemeinen Ausdrücke (partium) in vergleichender und theilender Rede (per contentionem et partitionem) so fest, daß nicht nur die Beschaffenheit der Ausdrücke und die Rede selbst, sondern auch das Folgende, das Vorhergehende, die Nebenumstände, die Absicht und gerade der Kern (corpus) der ganzen Erörterung den gesunden Verstand überführen, die Meinung Pauli sei, daß außer dem Glauben an Christum nur Sünde und Verdammniß ist. Und wir haben versprochen, daß wir den freien Willen auf solche Weise widerlegen wollten, daß alle Widersacher nicht widerstehen könnten. Das glaube ich erfüllt zu haben, auch wenn die Besiegten unserer Meinung nicht beistimmen oder schweigen sollten. Denn das steht nicht in unserer Macht, das ist eine Gabe des Geistes Gottes. Doch ehe wir den Evangelisten Johannes hören, wollen wir den Beschluß (coronidem) des Paulus hinzufügen und sind bereit, wo dies nicht genügen sollte, den ganzen Paulus mit einer fortlaufenden Erklärung wider den freien Willen ins Feld rücken zu lassen. Röm. 8,5., wo er das menschliche Geschlecht in zwei Theile theilt, in Fleisch und Geist, wie auch Christus Joh. 3,6. thut, sagt er so: „Die da fleischlich sind, die sind fleischlich gesinnt, die aber geistlich sind, die sind geistlich gesinnt.“ Daß Paulus hier alle fleischlich nennt, welche nicht geistlich sind, ist offenbar sowohl aus der Theilung selbst und der Gegenüberstellung von Geist und Fleisch, als auch aus den Worten Pauli selbst, da folgt (V. 9.): „Ihr aber seid nicht fleischlich, sondern geistlich, so anders Gottes Geist in euch wohnet. Wer aber Christi Geist nicht hat, der ist nicht sein.“ Denn was will er hier anders, da er sagt: „Ihr seid nicht fleischlich, wenn Gottes Geist in euch ist“, als daß die nothwendiger Weise fleischlich seien, welche den Geist nicht haben? Und wer nicht Christi ist, weß ist der anders als des Teufels? Daher steht fest, daß die, welche den Geist nicht haben, fleischlich und unter dem Teufel sind. Nun wollen wir sehen, was er halte von dem Bemühen und der Kraft des freien Willens derer, die fleischlich sind (Röm. 8,8.): „Die fleischlich sind, mögen Gott nicht gefallen“; und wiederum (V. 6.): „Fleischlich gesinnt sein, ist der Tod“; und wiederum (V. 7.): „Fleischlich gesinnt sein, ist eine Feindschaft wider Gott“; desgleichen (V. 7.): „Es ist dem Gesetz Gottes nicht unterthan, denn es vermag es auch nicht.“ Hier möge mir ein Beschützer des freien Willens antworten, wie sich das um das Gute bemühen kann, was der Tod ist, was Gotte nicht gefällt, was eine Feindschaft wider Gott ist, ungehorsam gegen Gott, und nicht gehorchen kann? Denn er hat nicht sagen wollen: Fleischlich gesinnt sein ist todt oder ein Feind Gottes, sondern der Tod selbst, die Feindschaft selbst, der es unmöglich ist, dem Gesetze Gottes unterthan zu sein oder Gotte zu gefallen, wie er es auch kurz zuvor gesagt hatte (Röm. 8,3.): „Denn das dem Gesetz unmöglich war (sintemal es durch das Fleisch geschwächet ward), das that Gott“ etc. Auch mir ist die Fabel des Origenes von einer dreifachen Richtung des Gemüthes (affectu) bekannt, deren eine er Fleisch, die andere Seele, die dritte Geist nennt; die Seele aber ist jenes Mittelding, welches man nach beiden Seiten hin, entweder des Fleisches oder des Geistes, wenden kann. Aber dies sind seine Träume, er sagt sie nur, aber beweist sie nicht. Paulus nennt hier Fleisch alles das, was ohne den Geist ist, wie wir gezeigt haben. Deshalb sind die höchsten Tugenden der besten Menschen fleischlich, das ist, todt und Gotte feindlich, dem Gesetze Gottes nicht unterthan, vermögen auch nicht, unterthan zu sein, und gefallen Gott nicht. Denn Paulus sagt nicht allein, daß sie nicht unterthan seien, sondern daß sie auch nicht vermögen, unterthan zu sein. So sagt auch Christus Matth. 7,18.: „Ein böser Baum kann nicht gute Früchte bringen“, und Cap. 12,34.: „Wie könnet ihr Gutes reden, dieweil ihr böse seid?“ Hier siehst du, daß wir nicht allein Böses reden, sondern auch nicht Gutes reden können. Und obgleich er anderswo (Matth. 7,11.) sagt, daß wir, wiewohl wir arg sind, dennoch unsern Kindern gute Gaben geben können, so leugnet er doch, daß wir Gutes thun, selbst auch in dem Geben guter Gaben, denn es ist ja die Creatur Gottes gut, welche wir geben: dennoch sind wir selbst nicht gut, geben jene guten Gaben auch nicht in guter Weise. Er redet aber zu allen, nämlich auch zu seinen Jüngern, so daß dieses zwiefache Urtheil Pauli feststeht: „Der Gerechte lebet seines Glaubens“ (Gal. 3,11.), und (Röm. 14,23.): „Was nicht aus dem Glauben gehet, das ist Sünde.“ Dies letztere folgt aus jenem. Denn wenn nichts ist, wodurch wir gerechtfertigt werden, außer dem Glauben, so ist es augenscheinlich, daß diejenigen, welche ohne Glauben sind, noch nicht gerechtfertigt sind; die aber nicht gerechtfertigt sind, sind Sünder; Sünder aber sind böse Bäume, und können nichts als sündigen und böse Früchte bringen. Deshalb ist der freie Wille nichts als ein Knecht der Sünde, des Todes und des Teufels, thut nichts und kann auch nichts thun oder unternehmen, als Böses. Hiezu nimm jenes Beispiel im 10. Capitel (Röm. 10,20.), welches aus Jesajas angezogen ist: „Ich bin erfunden von denen, die mich nicht gesucht haben, und bin erschienen denen, die nicht nach mir gefragt haben.“ Dies sagt er von den Heiden, daß ihnen gegeben worden sei, Christum zu hören und zu erkennen, da sie vorher doch nicht einmal einen Gedanken von Christo haben konnten, viel weniger ihn suchen oder sich mit der Kraft des freien Willens auf ihn vorbereiten. Durch dies Beispiel ist hinlänglich klar, daß die Gnade so gar ohne Verdienst kommt, daß nicht einmal ein Gedanke daran, geschweige denn ein Bemühen oder Bestreben vorhergeht. So auch Paulus; als er noch ein Saulus war, was that er mit jener höchsten Kraft des freien Willens? Sicherlich hatte er in seinem Herzen das Beste und Ehrbarste vor, wenn man die Vernunft ansieht. Aber siehe, durch welches Bemühen hat er die Gnade gefunden? Er sucht sie nicht nur nicht, sondern empfängt sie sogar, da er noch wider sie wüthete. Dagegen von den Juden sagt er im 9. Capitel (Röm. 9,30.f.): „Die Heiden, die nicht haben nach der Gerechtigkeit gestanden, haben die Gerechtigkeit erlangt, die aus dem Glauben kommt. Israel aber hat dem Gesetz der Gerechtigkeit nachgestanden und hat das Gesetz der Gerechtigkeit nicht überkommen.“ Was kann hiegegen irgend ein Beschützer des freien Willens mucken? Die Heiden erlangen zu der Zeit, wo sie mit Gottlosigkeit und allen Lastern erfüllt sind, die Gerechtigkeit ohne Verdienst aus Gottes Erbarmen, die Juden fehlen derselben, während sie sich der Gerechtigkeit mit dem höchsten Bemühen und Bestreben befleißigen. Ist dies denn nicht so viel gesagt, daß das Bemühen des freien Willens vergeblich sei, während er sich um das Beste bemüht, und wird nicht angezeigt, daß er vielmehr ärger werde und zurück gehe? Auch kann niemand sagen, daß sie sich nicht mit der höchsten Kraft des freien Willens bestrebt hätten. Selbst Paulus gibt ihnen im 10. Capitel (Röm. 10,2.) das Zeugniß, „daß sie eifern um Gott, aber mit Unverstand“. Deshalb mangelt bei den Juden nichts, was dem freien Willen zugeschrieben wird, und doch erlangt er nichts, sondern es erfolgt das Gegentheil. Bei den Heiden ist nichts vorhanden, was dem freien Willen zugeschrieben wird, und doch folgt die Gerechtigkeit Gottes. Was ist dies anders, als daß durch das ganz deutliche Beispiel an beiden Völkern (Juden und Heiden), dann auch durch das ganz klare Zeugniß des Paulus bestätigt wird, daß die Gnade umsonst denen geschenkt wird, die es nicht verdient haben und es gar nicht werth sind, und daß sie auch nicht erlangt wird durch irgend welche Bestrebungen, Bemühungen, winzigen oder großen, auch der besten und ehrbarsten Menschen, die mit brennendem Eifer die Gerechtigkeit suchen und ihr nachfolgen. Nun wollen wir auch zu Johannes kommen, der ebenfalls mit vielen Worten und gewaltiglich den freien Willen darnieder legt. Sofort im Anfang schreibt er dem freien Willen eine so große Blindheit zu, daß er nicht einmal das Licht der Wahrheit sehe; so viel fehlt daran, daß er sich um dasselbe bemühen könnte. Denn er sagt so (Joh. 1,5.): „Das Licht scheinet in der Finsterniß, und die Finsternis; haben es nicht begriffen“; und bald darnach (V. 10.11.): „Es war in der Welt, und die Welt kannte es nicht. Er kam in sein Eigenthum, und die Seinen nahmen ihn nicht auf.“ Was, meinst du, versteht er unter Welt? Wirst du wohl irgend einen anderen Menschen von diesem Namen ausnehmen können, als den, der durch den Heiligen Geist wiedergeboren ist? Und bei diesem Apostel ist ein eigenthümlicher Gebrauch dieses Wortes „Welt“; er versteht darunter das ganze menschliche Geschlecht. Alles, was er daher von der Welt sagt, muß vom freien Willen verstanden werden, da dieser das Vorzüglichste am Menschen ist. Also kennt bei diesem Apostel die Welt nicht das Licht der Wahrheit (Joh. 1,10.); die Welt haßt Christum und die Seinen (Joh. 15,19.); die Welt kennt und sieht nicht den Heiligen Geist (Joh. 14,17.); die ganze Welt liegt im Argen (1 Joh. 5,19.); alles, was in der Welt ist, ist des Fleisches Lust, der Augen Lust und hoffährtiges Leben; habt nicht lieb die Welt (1 Joh. 2,16.15.); ihr seid von der Welt (sagt er (Joh. 8,23.)); die Welt kann euch nicht hassen; mich aber hasset sie, denn ich zeuge von ihr, daß ihre Werke böse sind (Joh. 7,7.). Dies alles und vieles Aehnliche sind laute Zeugnisse (praeconia) vom freien Willen, nämlich über das hauptsächlichste Stück, das in der Welt unter des Teufels Reich regiert. Denn auch Johannes redet von der Welt im Gegensatz (zum Heiligen Geist), so daß die Welt ist, was von der Welt nicht zu dem Geiste gebracht worden ist, wie er zu den Aposteln sagt (Joh. 15,19.16.): Ich habe euch von der Welt erwählt und gesetzt etc. Wenn nun einige in der Welt da wären, welche sich aus Kraft des freien Willens um das Gute bemühten, wie es geschehen sollte, wenn der freie Wille etwas vermöchte, so würde Johannes mit Recht aus Rücksicht auf diese einen milderen Ausdruck gebraucht haben (temperasset verbum), damit er nicht durch das allgemeine Wort auch sie unter so viel Böses mit einbegriffe, dessen er die Welt anklagt. Da er dies nicht thut, so ist es augenscheinlich, daß er den freien Willen in jeder Hinsicht, ebenso wie die Welt, schuldig macht, denn alles, was die Welt auch immer thun mag, das thut sie durch die Kraft des freien Willens, das ist, durch Vernunft und Willen, die vorzüglichsten Stücke an ihr. Es folgt (Joh. 1,12.13.): „Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden, die an seinen Namen glauben. Welche nicht von dem Geblüt, noch von dem Willen des Fleisches, noch von dem Willen eines Mannes, sondern von Gott geboren sind.“ Durch diese vollkommene Scheidung verwirft er aus dem Reiche Christi das Geblüt, den Willen den Fleisches, den Willen des Mannes. Das Geblüt, glaube ich, sind die Juden, das heißt, die, welche Kinder des Reichs sein wollten, weil sie Kinder Abrahams und der Väter wären, nämlich, indem sie sich des Geblütes rühmten. Unter dem Willen des Fleisches verstehe ich die Bestrebungen des Volkes, durch welche sie sich im Gesetze und in Werken übten. Denn Fleisch bezeichnet hier fleischliche Leute ohne den Geist, die zwar den Willen und das Bemühen haben, aber es in fleischlicher Weise haben, weil der Geist nicht da ist. Unter Willen des Mannes verstehe ich ganz allgemein die Bestrebungen aller, mögen dieselben nun im Gesetze oder ohne das Gesetz sein, nämlich der Heiden und irgend welcher Menschen, so daß die Meinung ist: weder aus der Geburt des Fleisches, noch aus Bestreben im Gesetze, noch durch irgend ein anderes menschliches Bestreben werden Kinder Gottes, sondern allein durch göttliche Geburt. Wenn sie also nicht aus dem Fleisch geboren, noch durch das Gesetz aufgezogen, noch durch irgend eine Zucht des Menschen bereitet, sondern aus Gott wiedergeboren werden, so ist offenbar, daß der freie Wille hier nichts vermöge. Denn ich glaube, daß „Mann“ an dieser Stelle nach hebräischer Weise genommen wird für irgend einen Beliebigen oder vielmehr für einen jeglichen, wie „Fleisch“, um des Gegensatzes willen, für das Volk ohne den Geist genommen werden muß; „Wille“ aber für die höchste Kraft in den Menschen, nämlich, für das hauptsächlichste Stück des freien Willens. Doch zugegeben, wir verständen nicht alle einzelnen Worte, so ist doch das Hauptstück (summa) der Sache selbst ganz klar, weil Johannes durch diese Theilung alles verwirft, was nicht göttliche Geburt (generatio) ist, indem er sagt, daß Gottes Kinder nicht anders werden, als durch Geburt aus Gott, welche, wie er selbst es auslegt, geschieht durch glauben an seinen Namen. Unter dieser Verwerfung ist der Wille des Menschen oder der freie Wille nothwendiger Weise mit einbegriffen, da er weder eine Geburt aus Gott, noch auch der Glaube ist. Wenn aber der freie Wille irgend etwas vermöchte, so hätte Johannes den Willen des Mannes nicht verworfen, auch die Menschen nicht von ihm abziehen, und allein auf den Glauben und die Wiedergeburt verweisen dürfen, damit nicht auch ihm das Wort Jesaiä, Cap. 5,20. gesagt werden müßte: „Wehe euch, die ihr Gutes böse heißt.“ Jetzt aber, da er gleicherweise das Geblüt, den Willen des Fleisches, den Willen des Mannes verwirft, so ist es gewiß, daß der Wille des Mannes nichts mehr vermag, um Gottes Kinder zu machen, als das Geblüt oder die fleischliche Geburt. Aber es ist niemandem zweifelhaft, daß die Geburt des Fleisches nicht Kinder Gottes mache, wie auch Paulus Röm. 9,8. sagt: „Nicht sind das Gottes Kinder, die nach dem Fleisch Kinder sind“, und er beweist das durch das Beispiel Ismaels und Esau's. Derselbe Johannes führt den Täufer ein, der von Christo folgendermaßen redet (Joh. 1,16.): „Von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade.“ Er sagt, daß wir die Gnade empfangen haben von der Fülle Christi, aber für welches Verdienst oder welches Bestreben? Für die Gnade (sagt er), nämlich Christi, wie auch Paulus sagt Röm. 5,15.: „Gottes Gnade und Gabe ist vielen reichlich widerfahren durch die Gnade des einigen Menschen Jesu Christi.“ Wo ist jetzt das Bemühen des freien Willens, wodurch die Gnade erworben wird? Hier sagt Johannes, daß nicht allein durch kein Bestreben von unserer Seite Gnade empfangen werde, sondern sogar durch fremde Gnade oder fremdes Verdienst, nämlich den einigen Menschen Jesu Christi. Es ist also entweder falsch, daß wir unsere Gnade um eine fremde Gnade empfangen, oder es ist augenscheinlich, daß der freie Wille nichts sei, denn beides kann nicht zugleich mit einander bestehen, daß die Gnade Gottes so gering sei, daß sie insgemein und überall durch ein winziges Bemühen irgend eines Menschen erlangt werde, und wiederum so theuer, daß sie uns in der Gnade und durch die Gnade dieses einigen so großen Menschen geschenkt werde. Zugleich möchte ich durch diese Stelle die Beschützer des freien Willens erinnert haben, daß sie wissen sollen, sie seien Verleugner Christi, wenn sie den freien Willen behaupten. Denn, wenn ich durch mein Bestreben die Gnade Gottes erlange, was ist mir Christi Gnade vonnöthen, um meine Gnade zu empfangen? Oder was fehlt mir, wenn ich die Gnade Gottes habe? Es hat aber die Diatribe gesagt, es sagen auch alle Sophisten, daß wir durch unser Bemühen die Gnade Gottes erlangen, und uns vorbereiten, um sie zu empfangen, zwar nicht in völliger Weise (de condigno), aber doch einigermaßen (de congruo), das heißt Christum völlig verleugnen, für dessen Gnade wir Gnade empfangen, wie hier der Täufer bezeugt. Denn jenes Fündlein von dem „in völliger Weise“ und „einigermaßen“ habe ich oben widerlegt (und gezeigt), daß es leere Worte sind, daß sie aber in der That die Meinung hegen, es sei ein völliges Verdienst, und zwar in größerer Gottlosigkeit als die Pelagianer, wie wir gesagt haben. So kommt es, daß die gottlosen Sophisten zusammen mit der Diatribe den Herrn Jesum Christum, der uns erkauft hat, mehr verleugnen, als ihn jemals die Pelagianer oder irgendwelche Ketzer verleugnet haben, so gar leidet die Gnade nicht neben sich irgend ein Theilchen oder irgend eine Kraft des freien Willens. Daß aber die Beschützer des freien Willens Christum verleugnen, das beweist nicht nur diese Schriftstelle, sondern auch ihr eigenes Leben. Denn daher haben sie sich aus Christo nun nicht mehr einen lieblichen Mittler, sondern einen schrecklichen Richter gemacht, den zu besänftigen sie sich bemühen durch Fürbitten der Mutter (Christi) und der Heiligen, dann auch durch viele selbsterfundene Werke, Gebräuche, Gottesdienste, Gelübde, mit welchem allen sie Christum zu besänftigen und von ihm Gnade zu erlangen, sich bemühen; sie glauben aber nicht, daß er bei Gott sie vertrete (Röm. 8,34.) und ihnen durch sein Blut Gnade erlange, und Gnade (wie es hier heißt) um Gnade. Und wie sie glauben, so geschieht ihnen, denn Christus ist ihnen in Wahrheit und mit Recht ein unerbittlicher Richter, da sie ihn verlassen als ihren Mittler und allergütigsten Heiland und sein Blut und seine Gnade geringer achten, als die Bestrebungen und Bemühungen des freien Willens. Nun wollen wir auch ein Exempel des freien Willens hören. Nämlich Nicodemus ist ein Mann, an dem kein Mangel gefunden werden kann in Bezug auf das, was der freie Wille vermag, denn was hat dieser Mann an Bestreben oder Bemühen unterlassen? Er bekennt (Joh. 3,1.ff.), daß Christus wahrhaftig und von Gott gekommen sei, er preist die Zeichen, er kommt bei der Nacht, um das Uebrige zu hören und zu besprechen. Sieht man denn nicht, daß er aus der Kraft des freien Willens das gesucht hat, was die Gottseligkeit und Seligkeit anbetrifft? Aber siehe, wie er anläuft, als er hört, daß von Christo der wahre Weg zur Seligkeit durch die Wiedergeburt gelehrt wird; erkennt er etwa die an oder bekennt er, daß er dieselbe je gesucht habe? Ja, er verabscheut sie so und wird so verwirrt, daß er nicht allein sagt, er verstehe das nicht, sondern sich auch davon abwendet als von etwas Unmöglichem. Wie (sagt er) kann dieses geschehen? Und das ist wirklich nicht zu verwundern, denn wer hat je gehört, daß der Mensch aus Wasser und Geist wiedergeboren werden müsse zur Seligkeit? Wer hat je gedacht, daß der Sohn Gottes erhöht werden mußte, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben? Haben dessen etwa die scharfsinnigsten und besten Weltweisen jemals gedacht? Haben denn die Vornehmsten in dieser Welt diese Weisheit (scientiam) je erkannt? Hat sich der freie Wille irgend eines Menschen je um dieses bemüht? Bekennt nicht Paulus (Röm. 16,25.f, 1 Cor. 2,7.), daß diese Weisheit im Geheimniß verborgen ist, zwar vorherverkündigt durch die Propheten, aber durch das Evangelium offenbart, so daß es von Ewigkeit verschwiegen und der Welt unbekannt gewesen ist? Was soll ich sagen? Wir wollen die Erfahrung befragen. Selbst die ganze Welt, selbst die menschliche Vernunft, selbst sogar der freie Wille wird gezwungen zu bekennen, daß er Christum nicht gekannt noch gehört habe, ehe das Evangelium in die Welt kam. Wenn er ihn aber nicht gekannt hat, so hat er ihn viel weniger gesucht, oder ihn suchen oder sich um ihn bemühen können. Aber Christus ist der Weg, die Wahrheit, das Leben und die Seligkeit (Joh. 14,6.). Er bekennt also, er mag wollen oder nicht, daß er aus seinen Kräften das habe weder kennen noch suchen können, was den Weg, die Wahrheit und die Seligkeit anbetrifft; nichtsdestoweniger sind wir gegen dieses Bekenntniß selbst und die eigene Erfahrung unsinnig und streiten mit nichtigen Worten, es sei in uns eine so große Kraft übrig, welche das, was die Seligkeit anbetrifft, kenne und sich dazu hinwenden (applicare) könne; das ist nichts anders als sagen, Christus, der Sohn Gottes, sei für uns erhöht, wiewohl es niemand jemals hätte wissen oder in den Sinn nehmen können, jedoch selbst diese Unwissenheit ist nicht Unwissenheit, sondern Kenntniß Christi, das heißt, der Dinge, die zur Seligkeit gehören. Siehst und greifst du noch nicht mit Händen, daß die Behaupter des freien Willens ganz unsinnig sind, da sie das ein Wissen nennen, von dem sie selbst bekennen, daß es Unwissenheit sei? Heißt das nicht die Finsterniß Licht nennen? Jes. 5,20. Nämlich so gar gewaltig verstopft Gott dem freien Willen den Mund durch sein eigenes Bekenntniß und die Erfahrung; doch selbst so kann er dennoch nicht schweigen und Gott die Ehre geben. Ferner, da Christus der Weg, die Wahrheit und das Leben genannt wird, und zwar in solcher Gegenüberstellung, daß alles, was nicht Christus ist, weder ein Weg, sondern Irrthum, noch die Wahrheit, sondern Lüge, noch das Leben, sondern Tod ist, so muß der freie Wille, weil er weder Christus noch in Christo ist, im Irrthum, in der Lüge und im Tode bestehen. Wo und woher hat man also jenes Mittelding und Gleichgültige (neutrum = Neutrale), nämlich jene Kraft des freien Willens, welche, wiewohl sie nicht Christus (das ist, der Weg, die Wahrheit und das Leben) ist, noch Irrthum, noch Lüge, noch Tod, doch vorhanden sein soll? Denn wenn nicht alles, was von Christo und der Gnade gesagt wird, in Gegenüberstellung geredet würde, so daß es dem Gegentheil entgegengesetzt wird, nämlich, daß alles, was außer Christo ist, nichts sei als der Teufel, was außerhalb der Gnade ist, nichts sei als Zorn, was außerhalb des Lichtes ist, nichts sei als Finsterniß, was außerhalb des Weges ist, nichts sei als Irrthum, was außerhalb der Wahrheit ist, nichts sei als Lüge, was außerhalb des Lebens ist, nichts sei als Tod, was, ich bitte dich, würden alle Predigten der Apostel und die ganze Schrift ausrichten? Gewiß alles würde vergeblich gesagt werden, da es nicht zwingend erwiese, daß Christus nothwendig sei, womit sie doch besonders umgehen: indem dann ein Mittelding gefunden würde, welches an sich weder böse noch gut, weder Christi noch des Teufels, weder wahr noch falsch, weder lebendig noch todt, vielleicht auch weder etwas noch nichts wäre, und dies sollte das Vorzüglichste und Höchste im ganzen Menschengeschlechte genannt werden. Wähle daher von beiden, welches du willst. Wenn du zugibst, daß die Schrift in Gegenüberstellung rede, so wirst du vom freien Willen nur das sagen können, was Christo entgegengesetzt ist, nämlich, daß Irrthum, Tod, Teufel und alles Böse in ihm herrsche. Wenn du nicht zugibst, daß sie in Gegenüberstellung rede, so entkräftest du die Schrift, so daß sie nichts ausrichten kann, auch nicht beweisen, daß Christus nothwendig sei, und so entleerst du Christum und verderbst die ganze Schrift, indem du den freien Willen aufrichtest. Ferner, daß du mit Worten heuchelst, du bekennest Christum, verleugnest du ihn doch mit der That selbst und im Herzen, denn, wenn die Kraft des freien Willens nicht ganz irrig und auch nicht verdammlich ist, sondern auf das Ehrbare und Gute, und auf das, was die Seligkeit anbetrifft, sieht und dasselbe will, so ist sie gesund und hat Christum als Arzt nicht nöthig (Matth. 9,12.), auch hat Christus den Theil des Menschen nicht erlöst, denn was bedarf es des Lichts und des Lebens, wo Licht und Leben ist? Aber wenn sie (die Kraft des freien Willens) durch Christum nicht erlöst ist, so ist das Beste im Menschen nicht erlöst, sondern durch sich selbst gut und unverletzt. Dann ist Gott auch ungerecht, wenn er irgend einen Menschen verdammt, weil er das, was in dem Menschen das Beste und gesund ist, das ist, einen Unschuldigen verdammt, denn es ist kein Mensch, der nicht den freien Willen hätte. Und wiewohl ein böser Mensch desselben mißbraucht, so wird doch gelehrt, daß die Kraft selbst damit nicht ausgelöscht wird, daß sie sich nicht um das Gute bemühe und bemühen könnte. Wenn sie aber so beschaffen ist, so ist sie ohne Zweifel gut, heilig und gerecht; deshalb muß sie nicht verdammt, sondern geschieden werden von dem zu verdammenden Menschen. Aber dies kann nicht geschehen, und wenn es geschehen könnte, dann wäre der Mensch nun ohne den freien Willen nicht einmal ein Mensch mehr, könnte weder Verdienst noch Unverdienst haben, könnte weder verdammt noch selig werden und wäre ganz und gar ein unvernünftiges Thier und nicht mehr unsterblich. Es bleibt daher nur übrig, daß Gott ungerecht sei, welcher jene gute, gerechte, heilige Kraft verdammt, die Christi im Menschen nicht bedarf, auch nicht, wenn sie mit einem bösen Menschen verbunden ist. Doch wir wollen in Johannes fortfahren: „Wer an ihn glaubt (sagt er (Cap. 3,18.)), der wird nicht gerichtet, wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er glaubt nicht an den Namen des eingebornen Sohnes Gottes.“ Antworte, ob der freie Wille den Gläubigen zuzuzählen sei oder nicht. Wenn er es ist, so hat er wiederum die Gnade nicht nöthig, weil er durch sich selbst an Christum glaubt, den er aus sich selbst weder kennt, noch dessen gedenkt. Wenn er es nicht ist (den Gläubigen zuzuzählen), dann ist er schon gerichtet; was ist das anders, als daß er vor Gotte verdammt ist? Aber Gott verdammt nur den Gottlosen, also ist er gottlos. Um was für Gottseliges sollte aber der Gottlose sich bemühen? Ich glaube auch nicht, daß die Kraft des freien Willens ausgenommen werden könne, da er von dem ganzen Menschen redet, von dem er sagt, daß er verdammt werde. Sodann ist der Unglaube nicht eine grobe Neigung (affectus), sondern die höchste, welche in der Burg des Willens und der Vernunft sitzt und herrscht, wie auch die demselben entgegengesetzte (Gemüthsrichtung), nämlich der Glaube. Aber ungläubig sein heißt Gott verleugnen und zum Lügner machen, 1 Joh. 5,10.: „So wir nicht glauben, machen wir Gott zum Lügner.“ Wie kann sich nun jene Kraft, die sich wider Gott setzt und ihn zum Lügner macht, um das Gute bemühen? Wenn jene Kraft nicht ungläubig und gottlos wäre, so hätte er nicht von dem ganzen Menschen sagen sollen: „Der ist schon gerichtet“, sondern so: der Mensch nach seinen groben Neigungen ist schon gerichtet, aber nach dem Besten und Vorzüglichsten an ihm wird er nicht gerichtet, weil er sich um den Glauben bemüht, oder vielmehr er ist schon gläubig. So, wo die Schrift so oft sagt (Ps. 116,11.): „Alle Menschen sind Lügner“, werden wir um des Ansehens des freien Willens willen sagen: Im Gegentheil, vielmehr lügt die Schrift, weil der Mensch nach seinem besten Theile nicht ein Lügner ist, das heißt, nach Vernunft und Willen, sondern nur nach dem Fleisch, Blut und Mark, so daß jenes Ganze, wovon der Mensch seinen Namen hat, nämlich Vernunft und Wille, gesund und heilig ist. Desgleichen auch das Wort des Täufers (Joh. 3,36.f.): „Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben; wer dem Sohne nicht glaubt, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibet über ihm“, wird man so verstehen müssen: „über ihm“, das heißt, über den groben Neigungen des Menschen bleibt der Zorn Gottes, aber über jener Kraft des freien Willens, nämlich des Willens und der Vernunft, bleibt die Gnade und das ewige Leben. Nach dieser Weise möchte man, damit der freie Wille bestehe, alles, was in der Schrift wider die Gottlosen gesagt wird, indem man das Ganze als für einen Theil gesagt annimmt (per synecdochen), nur auf den thierischen Theil des Menschen ziehen, damit der mit Vernunft begabte und wahrhaft menschliche Theil unverletzt bleibe. Dann würde ich den Behauptern des freien Willens Dank sagen, mit getrostem Muthe sündigen können und sicher sein, daß Vernunft und Wille oder der freie Wille nicht verdammt werden könne, deshalb weil er nie ausgelöscht wird, sondern beständig gesund, gerecht und heilig bleibt. Aber wo Wille und Vernunft selig sind, werde ich mich freuen, daß das schändliche und thierische Fleisch davon getrennt und verdammt wird; so gar würde ich nicht wünschen, daß Christus ihm ein Erlöser sei. Du siehst, wohin uns die Lehre vom freien Willen bringt, daß sie alles Göttliche und Menschliche, Zeitliches und Ewiges leugnet und mit so vielen Ungeheuerlichkeiten sich selbst zum Gespötte macht. Desgleichen sagt der Täufer (Joh. 3,27.): „Ein Mensch kann nichts nehmen, es werde ihm denn gegeben vom Himmel.“ Hier möge die Diatribe nur aufhören mit ihrem großen Vorrathe zu prahlen, da sie alles aufzählt, was wir vom Himmel haben. Wir disputiren nicht von der Natur, sondern von der Gnade, auch nicht das ist die Frage, wie wir beschaffen seien auf der Erde, sondern wie wir beschaffen seien im Himmel vor Gotte. Wir wissen, daß der Mensch zum Herrn gesetzt ist über die Dinge, die unter ihm sind, über welche er Recht und freien Willen hat, daß sie ihm gehorchen und thun sollen, was er selbst will und denkt. Sondern das ist die Frage, ob er gegen Gott einen freien Willen habe, daß der gehorchen und thun müsse, was der Mensch will, oder ob vielmehr Gott über den Menschen freien Willen habe, daß dieser wollen und thun müsse, was Gott will, und nichts vermöge, als was er will und thut. Hier sagt der Täufer, daß er nichts nehmen könne, als was ihm vom Himmel geschenkt werde; deshalb muß der freie Wille nichts sein. Desgleichen (Joh. 3,31.): „Wer von der Erde ist, der ist von der Erde und redet von der Erde. Der vom Himmel kommt, der ist über alle.“ Hier macht er wiederum alle zu Irdischen, und sagt, daß die irdisch gesinnt sind und reden, welche nicht Christi sind, läßt auch nicht etliche in einer Mittelstellung. Aber der freie Wille ist schlechterdings nicht der, welcher vom Himmel kommt, deshalb muß er von der Erde sein und nothwendiger Weise irdisch gesinnt sein und reden. Wenn nun irgend eine Kraft im Menschen, zu irgend einer Zeit, an irgend einem Ort oder in irgend einem Werke, nicht irdisch gesinnt wäre, so hätte der Täufer diesen ausnehmen müssen, und nicht insgemein von allen, die außer Christo sind, sagen: sie sind von der Erde, sie reden von der Erde. So sagt Christus auch nachher im 8. Cap. V. 23.: „Ihr seid von dieser Welt, ich bin nicht von dieser Welt; ihr seid von unten her, ich bin von oben herab.“ Aber diejenigen, zu denen er redete, hatten den freien Willen, nämlich Vernunft und Willen, und doch sagt er, sie seien von der Welt. Was für Neues würde er ihnen aber sagen, wenn er spräche, sie wären nach dem Fleische und den groben Neigungen von der Welt? Hat denn dies nicht schon die ganze Welt zuvor gewußt? Ferner, was wäre es nöthig zu sagen, daß die Menschen nach dem Theile, nach welchem sie thierisch sind, von der Welt seien, da auf diese Weise auch die Thiere von der Welt sind? Ferner das Wort, wo Christus Joh. 6,44. sagt: „Es kann niemand zu mir kommen, es sei denn, daß ihn mein Vater ziehe“, was läßt es dem freien Willen übrig? Denn er sagt, es sei vonnöthen, daß jemand höre und lerne, vom Vater, selbst, dann auch (V. 45.), alle müßten von Gott gelehrt sein. Hier lehrt er wahrlich nicht allein, daß die Werke und Bestrebungen des freien Willens vergeblich seien, sondern, daß auch sogar das Wort des Evangeliums selbst (von dem an dieser Stelle gehandelt wird) vergeblich gehört werde, wenn nicht der Vater selbst inwendig rede, lehre und ziehe. Niemand kann, niemand kann (sagt er) kommen, das heißt, von jener Kraft, durch welche der Mensch sich um Christum in irgend etwas bemühen könnte, das heißt, um das, was zur Seligkeit dient, wird behauptet, daß sie nichts sei. Und es nützt dem freien Willen nichts, was die Diatribe aus Augustinus anführt, um diese ganz klare und überaus gewaltige Stelle ränkevoll zu beseitigen, nämlich, daß Gott ziehe, gleichwie wir ein Schaf durch das Vorhalten eines Zweigleins locken. Durch dies Gleichniß, meint sie, werde bewiesen, daß in uns die Kraft wohne, dem Zuge Gottes zu folgen. Aber dies Gleichniß hat an dieser Stelle keine Kraft, weil Gott nicht allein Ein Gut, sondern alle seine Güter, dann auch sogar selbst seinen Sohn Christum vorhält, und doch folgt kein Mensch, wenn nicht der Vater inwendig noch auf eine andere Weise vorhält und zieht; ja, die ganze Welt verfolgt den Sohn, den er vorhält. Auf die Gottseligen paßt dieses Gleichniß sehr schön, welche schon Schafe sind und Gott, ihren Hirten, kennen. Diese leben im Geist und folgen dem Triebe desselben, wohin Gott will, und allem, was er ihnen nur vorhalten mag. Der Gottlose aber kommt nicht, auch wenn er das Wort gehört hat, wenn nicht der Vater ihn inwendig zieht und lehrt; das thut er dadurch, daß er den Geist schenkt. Da ist ein anderer Zug als der, welcher äußerlich geschieht, da wird Christus durch die Erleuchtung des Geistes vorgehalten, vermöge welcher der Mensch durch den lieblichsten Trieb (raptu) zu Christo hingerissen wird, oder vielmehr Gott (Deum), der ihn zieht und als ein Lehrer zu ihm redet, leidet, als daß der Mensch selbst suchen und laufen sollte. Wir wollen noch eine Stelle aus Johannes anführen, wo er Cap. 16,9. sagt: „Der Geist wird die Welt strafen um die Sünde, daß sie nicht glauben an mich.“ Hier siehst du, daß es Sünde ist, nicht glauben an Christum. Aber diese Sünde hängt schlechterdings nicht an Haut oder Haar, sondern steckt in der Vernunft und dem Willen selbst. Da er aber die ganze Welt dieser Sünde schuldig macht, und durch Erfahrung bekannt ist, daß diese Sünde der Welt ebenso unbekannt gewesen ist, als Christus, da sie ja durch die Strafe des Geistes offenbart wird, so ist es klar, daß der freie Wille mit seinem Willen und seiner Vernunft in dieser Sünde gefangen ist und vor Gott als verdammt geachtet wird. Deshalb, so lange er Christum nicht kennt, noch auch an ihn glaubt, kann er nichts Gutes wollen noch sich darum bemühen, sondern dient notwendiger Weise der Sünde, wo er (Christus) unbekannt ist. Kurz, weil die Schrift Christum überall in Gegenüberstellung und im Gegensatz predigt (wie ich gesagt habe), daß sie alles, was ohne Christi Geist ist, dem Teufel, der Gottlosigkeit, dem Irrthum, der Finsterniß, der Sünde, dem Tode und dem Zorne Gottes unterwirft, so werden auch alle die Zeugnisse, so viel ihrer auch sind, die von Christo reden, wider den freien Willen kämpfen, aber die sind unzählig, ja, die ganze Schrift. Deshalb, wenn wir die Sache dem Urtheil der heiligen Schrift unterwerfen, so haben wir in jeder Hinsicht den Sieg davon getragen, so daß auch nicht ein Buchstabe oder Tüttel übrig ist, welcher die Lehre vom freien Willen nicht verdammte. Daß aber die Schrift Christum in Gegenüberstellung und im Gegensatz predige, das wissen und bekennen insgemein alle Christen, wiewohl die großen Theologen und Beschützer des freien Willens dies nicht wissen, oder sich stellen, als wüßten sie es nicht. Sie wissen, sage ich, daß zwei Reiche in der Welt sind, die einander aufs heftigste widerstreiten, und daß in dem einen der Teufel herrscht, welcher um deß willen von Christo der Fürst dieser Welt genannt wird (Joh. 12,31.) und von Paulo der Gott dieser Welt (2. Cor. 4,4.), der alle nach seinem Willen gefangen hält, die ihm durch den Geist Christi nicht entrissen sind, wie Paulus (2. Tim. 2,26.) ebenfalls bezeugt, und sie sich durch keine Kraft entreißen läßt, es sei denn durch den Geist Gottes, wie Christus bezeugt (Luc. 11,21.) in dem Gleichniß von dem Starken, der seinen Palast in Frieden bewahrt. In dem andern herrscht Christus. Dieses streitet unablässig mit des Teufels Reiche und widersteht ihm; in dasselbe werden wir nicht durch unsere Kraft, sondern durch die Gnade Gottes versetzt (Col. 1,13.), durch welche wir von dieser argen Welt befreit und errettet werden von der Obrigkeit der Finsterniß. Die Erkenntniß und das Bekenntniß dieser zwei Reiche, die sich beständig mit so großen Kräften und Eifer gegenseitig bekämpfen, wäre allein schon ausreichend, um die Lehre vom freien Willen zu widerlegen, weil wir gezwungen werden, im Reiche des Teufels Knechte zu sein, wenn wir nicht durch Gottes Kraft herausgerissen werden. Dies, sage ich, weiß das gemeine Volk, und bekennt es auch sattsam durch Sprüchwörter, Gebete, Bestrebungen und durch sein ganzes Leben. Ich übergehe den Spruch, der wahrlich mein Achilles ist, an dem die Diatribe tapfer vorübergegangen ist, ohne ihn anzurühren, nämlich, daß Paulus Röm. 7,15. und Gal. 5,17. lehrt, es sei in den Heiligen und Gottseligen ein so gewaltiger Kampf des Geistes und des Fleisches, daß sie nicht thun können, was sie wollen. Hieraus habe ich den Schluß gemacht: Wenn die Natur des Menschen so böse ist, daß sie in denen, welche durch den Geist wiedergeboren sind, nicht nur kein Bemühen hat um das Gute, sondern auch wider dasselbe streitet und feindselig gesinnt ist, wie sollte bei denen, welche, noch nicht wiedergeboren, im alten Menschen unter dem Teufel Knechte sind, ein Bemühen um das Gute statthaben? Denn Paulus redet dort nicht allein von den groben Neigungen, durch welche die Diatribe gleichsam als durch eine gangbare (commune) Ausflucht allen Schriftstellen zu entschlüpfen pflegt, sondern er rechnet unter die Werke des Fleisches Ketzerei, Abgötterei, Hader und Zwietracht, welche schlechterdings in jenen höchsten Kräften, nämlich in der Vernunft und dem Willen herrschen. Wenn also das Fleisch durch diese Regungen (affectibus) wider den Geist kämpft in den Heiligen, so wird es viel mehr wider Gott kämpfen in den Gottlosen und im freien Willen. Daher nennt er dasselbe Röm. 8,7. eine Feindschaft wider Gott. Diesen Beweisgrund, sage ich, möchte ich widerlegt sehen, und daß der freie Wille dawider vertheidigt würde. Ich bekenne wahrlich von mir, wenn es auch geschehen könnte, so wollte ich doch nicht, daß mir ein freier Wille gegeben würde, oder daß irgend etwas in meiner Hand gelassen würde, wodurch ich mich um die Seligkeit bemühen könnte, nicht allein deshalb, weil ich in so vielen Widerwärtigkeiten und Gefahren, dann auch wider so viele Anläufe der Teufel nicht bestehen könnte und es nicht zu behalten vermöchte, da Ein Teufel mächtiger ist als alle Menschen und auch kein Mensch selig werden könnte, sondern weil ich, auch wenn keine Gefahren, keine Widerwärtigkeiten, keine Teufel wären, doch gezwungen wäre, beständig aufs Ungewisse mich abzumühen und Luftstreiche zu thun, denn auch mein Gewissen, selbst wenn ich ewig lebte und wirkte, würde nie gewiß und sicher werden, wie viel es thun müßte, um Gotte genugzuthun. Denn bei einem jeglichen vollkommenen Werke bliebe doch die Gewissensangst, ob es Gott gefiele, oder ob er noch etwas darüber hinaus fordere, wie die Erfahrung aller Werktreiber beweist und ich zu meinem großen Schaden in so vielen Jahren genugsam gelernt habe. Aber nun, da Gott meine Seligkeit aus meinem Willen (arbitrium) genommen und in den seinigen gestellt hat, und verheißen hat, er wolle mich nicht durch mein Wirken und Laufen, sondern durch seine Gnade und Barmherzigkeit erhalten, so bin ich sicher und gewiß, daß er getreu ist und mir nicht lügen wird, dann auch so mächtig und groß, daß keine Teufel, keine Widerwärtigkeiten ihn überwältigen oder mich ihm entreißen können. „Niemand“ (sagt er) „wird sie mir aus meiner Hand reißen, weil der Vater, der sie mir gegeben hat, größer ist, denn alles“ (Joh. 10,28.29.). So kommt es, daß wenn auch nicht alle, doch einige und viele selig werden, während durch die Kraft des freien Willens durchaus niemand erhalten würde, sondern wir alle insgesammt verloren wären. Sodann sind wir auch gewiß und sicher, daß wir Gotte gefallen, nicht durch das Verdienst unseres Werkes, sondern durch die Gnade seiner Barmherzigkeit, die uns verheißen ist, und daß er es uns nicht anrechnet, wenn wir zu wenig oder übel gethan haben, sondern väterlich verzeiht und bessert. Dies ist der Ruhm aller Heiligen in ihrem Gotte. Wenn dich aber das anficht, daß es schwer sei, Gottes Güte und Gerechtigkeit zu verteidigen, weil er ja die verdammt, die es nicht verdient haben, das heißt, die in solcher Weise gottlos sind, daß sie, in Gottlosigkeit geboren, sich selbst auf keine Weise rathen können, daß sie nicht gottlos sein, bleiben und verdammt werden sollten, und durch die Notwendigkeit ihrer Natur zu sündigen und verloren zu gehen gezwungen werden, wie Paulus (Eph. 2,3.) sagt: „Wir waren alle Kinder des Zorns, gleichwie auch die andern“, da sie als solche von Gott selbst geschaffen wurden aus dem Samen, der verderbt war durch die Sünde des Einen Adam: So ist hier Gott als der Allergnädigste zu ehren und zu fürchten (reverendus) an denen, die er als ganz Unwürdige rechtfertigt und selig macht, und wenigstens etwas seiner göttlichen Weisheit zuzugestehen, daß man glaube, er sei gerecht, auch da, wo er uns ungerecht zu sein scheint. Denn wenn seine Gerechtigkeit so beschaffen wäre, daß sie durch menschliches Begreifen für gerecht erklärt werden könnte, so wäre sie durchaus nicht göttlich und würde sich in nichts von der menschlichen Gerechtigkeit unterscheiden. Aber da er der wahre und einige Gott ist, dann auch ganz unbegreiflich und unzugänglich für die menschliche Vernunft, so ist es billig, ja, nothwendig, daß auch seine Gerechtigkeit unbegreiflich ist, wie auch Paulus. Röm. 11,33. ausruft und spricht: „O welch eine Tiefe der Weisheit und Erkenntniß Gottes! Wie gar unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege!“ Sie wären aber nicht unbegreiflich, wenn wir in allen Dingen zu begreifen vermöchten, weshalb sie gerecht seien. Was ist der Mensch im Vergleich zu Gott? Wie viel ist es, was unsere Macht vermag im Vergleich zu seiner Macht? Was ist unsere Stärke im Vergleich zu seinen Kräften? Was ist unser Wissen im Vergleich zu seiner Weisheit? Was ist unser Wesen (substantia) gegen sein Wesen? Kurz, was ist alles, was unser ist, gegen alles, was sein ist? Wenn wir daher bekennen, wie auch die Natur uns lehrt, daß die menschliche Macht, Stärke, Weisheit, Wissen, Wesen und alles, was unser ist, durchaus nichts sei, wenn es gegen die göttliche Macht, Stärke, Weisheit, Erkenntniß und Wesen gehalten wird, wie groß ist unsere Verkehrtheit, daß wir allein die Gerechtigkeit und das Gericht Gottes bemäkeln (vexemus) und unserem Urtheil ein so Großes anmaßen, daß wir das Urtheil Gottes fassen, richten und abschätzen wollen? Weshalb sagen wir nicht gleicherweise auch hier: Unser Urtheil ist nichts, wenn es mit Gottes Urtheil verglichen wird? Ziehe selbst die Vernunft zu Rathe, ob sie nicht überführt und gezwungen wird, sich als thöricht und vermessen zu bekennen, daß sie das Urtheil Gottes nicht unbegreiflich sein läßt, da sie bekennt, daß alle anderen göttlichen Dinge unbegreiflich seien. Nämlich in allen anderen Dingen gestehen wir Gotte göttliche Majestät zu, allein im Gericht sind wir bereit, sie zu leugnen, können auch nicht so viel glauben, daß er gerecht sei, obgleich er uns versprochen hat, daß es geschehen werde, wenn er seine Herrlichkeit offenbart, daß wir dann sehen und mit Händen greifen sollen, er sei gerecht gewesen und sei gerecht. Ich will ein Beispiel anführen, um diesen Glauben zu befestigen, und um das gottlose Auge zu erleuchten (ad consolandum), welches Gott der Ungerechtigkeit verdächtig hält. Siehe, Gott regiert diese leibliche Welt in äußerlichen Dingen so, daß, wenn du auf das Urtheil der menschlichen Vernunft siehst und dem folgst, du gezwungen bist, zu sagen, entweder sei kein Gott, oder Gott sei ungerecht, wie jener Dichter sagt: Oft werd' ich schwer versucht, zu meinen, es geb' keinen Gott. Denn siehe, wie überaus wohl es den Bösen geht, dagegen wie überaus übel den Guten, wie die Sprüchwörter bezeugen und die Erfahrung, aus der die Sprüchwörter herkommen: Je größer Schalk, je besser Glück. „Der Gottlosen Hütten (sagt Hiob (12,6.)) haben die Fülle“; und der 73. Psalm (V. 12.) klagt, daß die Sünder in der Welt großen Reichthum haben. Ich bitte dich, ist es nicht nach dem Urtheil aller ganz unbillig, daß es den Bösen wohl geht und die Guten Unglück leiden? Aber so bringt es der Lauf der Welt mit sich. Hier sind auch die besten Köpfe so gefallen, daß sie leugnen, daß Gott sei, und erdichten, das Schicksal füge alles aufs Gerathewohl, wie die Epicurer und Plinius. Dann hält auch Aristoteles dafür, daß sein höchstes Wesen (primum Ens), damit er dasselbe von allem Elend frei mache, von allen Dingen nichts Anderes sehe, als sich selbst, weil er glaubt, es würde ihm sehr verdrießlich sein, so viel Böses und so viel Unrecht zu sehen. Die Propheten aber, welche geglaubt haben, daß Gott sei, werden noch mehr wegen der Ungerechtigkeit Gottes angefochten, wie Jeremias, Hiob, David, Assaph und andere. Was, meinst du, mögen Demosthenes und Cicero gedacht haben, da sie alles ausgerichtet hatten, was sie vermochten, und einen solchen Lohn empfingen, daß sie elendiglich umkamen? Und doch wird diese Ungerechtigkeit Gottes, welche der Vernunft sehr einleuchtend ist (probabilis) und durch solche Beweisgründe dargethan wird, welchen keine Vernunft noch Licht der Natur widerstehen kann, sehr leicht durch das Licht des Evangeliums und die Erkenntniß der Gnade aufgehoben, wodurch wir belehrt werden, daß die Gottlosen zwar dem Leibe nach im Wohlergehen leben, aber der Seele nach verloren werden. Und es ist dies die kurze Lösung dieser ganzen unlösbaren Frage in Einem Wörtlein, nämlich, daß es ein Leben gibt nach diesem Leben, in welchem alles das, was hier nicht bestraft und belohnt worden ist, dort bestraft und belohnt werden wird, da dies Leben nichts Anderes ist, als der Vorläufer oder vielmehr der Anfang des künftigen Lebens. Wenn daher das Licht des Evangeliums, welches allein im Worte und Glauben steht, so viel ausrichtet, daß diese Frage, welche zu allen Zeiten behandelt und nie gelöst worden ist, so leicht aufgelöst und beigelegt wird, was, meinst du wohl, werde geschehen, wenn das Licht des Wortes und der Glaube aufhören und die Sache selbst und die göttliche Majestät, wie sie ist, offenbart werden wird? Meinst du nicht, daß dann das Licht der Herrlichkeit die Frage aufs leichteste auflösen könne, welche im Lichte des Worts oder der Gnade unlösbar ist, da das Licht der Gnade die Frage so leicht löst, welche im Lichte der Natur unlösbar ist? Gestehe mir ein dreifaches Licht zu: das Licht der Natur, das Licht der Gnade und das Licht der Herrlichkeit, wie man insgemein und gar wohl zu unterscheiden pflegt. Im Lichte der Natur ist es unlösbar, daß dieses gerecht sei, daß der Gute geplagt werde und es dem Bösen wohl ergehe. Aber das Licht der Gnade löst dies auf. Im Lichte der Gnade ist es unlösbar, wie Gott den verdammen könne, welcher aus seinen eigenen Kräften durchaus nichts Anderes thun könne als sündigen und schuldbeladen sein; hier entscheiden beide sowohl das Licht der Natur als auch das Licht der Gnade, die Schuld liege nicht an dem elenden Menschen, sondern an dem ungerechten Gotte, denn sie können nicht anders von Gott urtheilen, welcher einem gottlosen Menschen umsonst, ohne Verdienst, den Siegeskranz verleiht (coronat), einem anderen nicht, sondern ihn verdammt, wiewohl er vielleicht weniger oder doch wenigstens nicht mehr gottlos ist. Aber das Licht der Herrlichkeit entscheidet anders, und wird hernach zeigen, daß Gott, dessen Urtheil jetzt nach einer unbegreiflichen Gerechtigkeit ergeht, von einer ganz gerechten und offenbaren Gerechtigkeit sei; nur daß wir dies einstweilen glauben sollen, erinnert und befestigt durch das Exempel des Lichts der Gnade, welches in Bezug auf das Licht der Natur ein gleiches Wunder ausrichtet.