Das siebenzehnte Kapitel.

 

Nachdem für die Menschen dem göttlichen Gerichte genug geschehen ist und sie mit Gott ausgesöhnt worden sind, lässt der Herr Christus ihnen dieses sein Gnadenwerk durch die Predigt des Evangelii vortragen und sie, solche Gnade zu genießen, gnädig berufen.

 

439. Also hat der Herr Christus der sündhaftigen Menschen Sache bei Gott wiederum gut gemacht und es steht nun allein daran, dass sie diese Guttat mit dankbaren Herzen erkennen und annehmen. Hierin nimmt sich abermal der Herr Christus unser getreulich an, dass er uns zu seinem versöhnten Vater wiede-rbringe. Dass wir nun diese andere Guttat recht verstehen lernen, so ist Achtung zu geben 1) auf die Handlungen des Herrn Christi, 2) auf die Mittel, so in dem-selben Werke gebraucht werden.

 

440. Der Handlungen sind sieben: 1) der Beruf, 2) die Buße, 3) die Recht-fertigung, 4) die Bekehrung, 5) die Erneuerung, 6) die Wiedergeburt, 7) die Vereinigung mit Christo.

 

( Vom Beruf zu Christi Wohltaten.) 

 

441. Die erste Handlung ist also der Beruf, dadurch wir aufgefordert werden, Christi Wohltaten zu genießen. Der ist uns hochnötig. Denn so in einem Ge-fängnis viel Gefangene liegen, die allesammt losgekauft wären, es würde aber ihnen die geschehene Erlösung nicht angemeldet noch sie gerufen, auszugehen; so wäre sie ihnen nichts nütze. Gleich also, wenn uns Christus mit seinem Blut aus der Hölle Gefängnis erlöset hat, so wäre dies große Gnadenwerk ohne Nutzen, wo uns nicht dasselbe verkündigt und wir sein zu genießen vermahnt würden.

 

(Von Christi Predigtamt.) 

 

442. Damit nun dieses geschehe, hat der Sohn Gottes neben seinem hohen-priesterlichen Amt auch das Propheten- oder Lehramt auf sich genommen und in demselben die Menschen von Gottes Gnade, so durch ihn geschehen ist, unter-richtet. Bei diesem Amt des Herrn Christi sind diese vier Punkte zu betrachten:

1) dass er dasselbe allein führe und aller Menschen Lehrmeister sei, 2) was er lehre, 3) wann er lehre, 4) zu welchem Ende und aus welcher Ursach er lehre.

 

443. Der erste: dass Christus das Lehramt allein führe und aller Menschen Lehrmeister sei. Dieses ist ein recht göttliches Amt, welches Gott der Herr ihm selber allein zuschreibt, Jes. 48,17: „ich bin der Herr dein Gott, der dich lehret, was nützlich ist, und leitet dich auf dem Wege, den du gehest“. Desselben hat sich der Sohn Gottes angenommen, wenn er Matth. 11,27. gesprochen: „niemand kennet den Vater, denn nur der Sohn und wem es der Sohn will offen-baren“.

 

444. Und dass ihm solches gebühre, wird gezeigt:

1) durch der Propheten Verkündigung; 5 Mose 18,15: „einen Propheten, wie mich, wird der Herr dein Gott dir erwecken aus dir und aus deinen Brüdern, dem sollt ihr gehorchen“; Jes. 50,4: „der Herr Herr hat mir eine gelehrte Zunge ge-geben, dass ich wisse, mit den Müden zu rechter Zeit zu reden“; Kap. 61,1.2: „der Geist des Herrn Herrn ist über mir, darum hat mich der Herr gesalbet; er hat mich gesandt den Elenden zu predigen, die zerbrochenen Herzen zu verbinden, zu predigen den Gefangenen eine Erledigung und den Gebundenen eine Öffnung, zu predigen ein gnädiges Jahr des Herrn“.

2) durch die Stimme des himmlischen Vaters, Matth. 17,5: „siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach: dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe, den sollt ihr hören“.

3) durch die Wunderwerke, damit er seine Predigten bekräftigte, also, dass seine Zuhörer bekennen mussten: das ist wahrlich der Prophet, der in die Welt kommen soll (Joh. 6,14.); es ist ein großer Prophet unter uns aufgestanden und Gott hat sein Volk heimgesucht (Luk. 7,16.).

 

445. Der andere Punkt: was der Herr Christus lehre? Antwort: eigentlich nichts anders, denn das Evangelium, welches ist eine gnadenreiche Predigt von dem gnädigen Willen Gottes, von Vergebung der Sünden und von der ewigen Selig-keit, welche aus Gottes Gnade und seinem (des Herrn Christi) Verdienst einig und allein herkommt.

 

446. Wiewohl aber Christus das Gesetz nicht allerdinge aufgehoben hat, als zuvor angezeigt worden ist, so ist er doch nicht ein Gesetzprediger zu nennen, sintemal er in diesem Punkt Mosi entgegengesetzt wird Joh. 1,17: „das Gesetz ist durch Mosen gegeben, die Gnade und Wahrheit ist durch Jesum Christum worden“. Dieses geben auch seine Predigten, welche Matthäus in diese Summa gefasst hat: „tut Buße, das Himmelreich ist nahe herbei kommen“, Kap. 4,17. Und er selber zeigt seinen Jüngern an, was sie predigen sollen, mit diesen Worten: „also musste Christus leiden etc., und predigen lassen in seinen Namen Buße und Vergebung der Sünden unter allen Völkern“, Luk. 24,46.47. Also ist die Predigt des Herrn Christi ein Beruf der Menschen zum Himmelreich, zur Buße und Vergebung der Sünden, das ist, zum Gebrauch aller der Güter, die er ihnen durch sein Blut und Tod erworben hat. Wie denn dasselbe durch Gleichnisse von Einladung zur königlichen Hochzeit, Matth. 22,3., und zu dem großen Abend-mahl, Luk. 14,17., von Christo selbst erklärt wird.

 

447. Die Apostel begreifen ihre Predigt mit solchen kurzen Worten: „ich habe euch nichts verhalten, dass ich nicht verkündigt hätte alle den Rat Gottes“, Ap. Gesch. 20. 27.; „ich hielte mich nicht dafür, dass ich etwas wüsste unter euch, ohn allein Jesum Christum den Gekreuzigten“, 1 Korinth. 2,2.; „Gott war in Christo und versöhnete die Welt mit ihm selber und rechnete ihnen ihre Sünde nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. So sind wir nun Botschafter an Gottes Statt, denn Gott ermahnet durch uns. So bitten wir an Christus Statt: lasset euch versöhnen mit Gott. Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir würden in ihm die Ge-rechtigkeit, die vor Gott gilt“, 2 Kor. 5,18. ff. Dies ist nun der ganze Inhalt dessen, was der Herr Christus in seinem Lehramt uns hat vorhalten und anzeigen sollen.

 

448. Der dritte: Wen er lehre. Darauf ist mit kurzem zu antworten: gleichwie das Amt der Versöhnung oder Erlösung alle Menschen angeht, also müssen auch alle Menschen davon gelehrt werden. Dieses wäre genug, den allgemeinen Beruf aller Menschen zur Seligkeit zu beweisen. Aber dass niemand sich mit schweren Gedanken plage, als ob Gott ihn zu seiner Gnade und ewigem Reich nicht be-rufe, so ist der allgemeine Beruf aller Menschen zum Reich Gottes auch hieraus abzunehmen:

 

449. 1) weil der Herr Christus alle Menschen zu sich ruft, Matth. 11,28: „kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken“. Nun sind alle Menschen mühselig und mit Sünden beladen, darum ruft er zu sich alle Menschen.

 

450. 2) weil er alle Menschen zu berufen und zu lehren befiehlt. Matth. 28,19. tut er seinen Jüngern diesen Befehl: „gehet hin und lehret alle Völker und taufet sie etc.“ Welches Marcus Kap. 16,15. also aufgeschrieben hat: „gehet hin in alle Welt und prediget das Evangelium allen Kreaturen“. Solches haben die Jünger getreu-lich verrichtet; v. 20: „sie gingen aus und predigten an allen Orten“; Kol. 1,6: „das Wort der Wahrheit im Evangelio ist kommen in alle Welt und ist fruchtbar“; v. 23: „das Evangelium ist geprediget unter alle Kreatur, die unter dem Himmel ist“; v. 28: „wir verkündigen und vermahnen alle Menschen mit aller Weisheit, auf dass wir darstellen einen jeglichen Menschen vollkommen in Christo Jesu“. Ap. Gesch. 17,30. legt St. Paulus den Befehl des Herrn Christi, den Aposteln gegeben, also aus: „Gott gebeut allen Menschen an allen Enden, Buße zu tun. Demnach wird von der gnadenreichen Predigt des Evangelii kein einiger Mensch ausge-schlossen.

 

451. 3) weil diejenigen, welche sich zum Reich Christi und Gebrauch seiner erworbenen Gnade nicht finden, darum gestraft werden, dass sie solchen Beruf nicht haben anhören wollen. Wen Gott mit höllischem Feuer und ewiger Ver-dammnis eben darum straft, weil er seinem Beruf nicht ist gehorsam gewesen, der muss gewisslich von Gott sein berufen worden. Nun straft Gott mit höllischem Feuer und Verdammnis die Ungläubigen eben darum, weil sie seinem Beruf nicht sind gehorsam gewesen. Darum müssen die Ungläubigen von Gott gewisslich sein berufen worden.

 

452. Solches von der Ungläubigen Beruf mag aus vielen Schriftzeugnissen bewährt werden; Sprichw. 1,24. ff.: „weil ich denn rufe und ihr weigert euch, ich recke meine Hand aus und niemand achtet darauf, und lasset fahren allen meinen Rat und wollt meiner Strafe nicht; so will ich auch lachen in eurem Unfall und euer spotten, wenn da kommt, das ihr fürchtet“; Jes. 62,2.5: „ich recke meine Hand aus den ganzen Tag zu einem ungehorsamen Volk, das seinen Gedanken nachwandelt auf einem Wege, der nicht gut ist. Solche sollen ein Rauch werden in meinem Zorn, ein Feuer, das den ganzen Tag brenne“.

Dergleichen mehr zu lesen ist Jes. 66,4. Jer. 7,13. ff. Insonderheit geben solches die Parabeln, so der Herr Christus zu Erklärung dieses Werks gebraucht hat, besonders Luk. 14,16. von dem großen Abendmahl. Da beschließt der Haus-vater, dass keiner derer, die geladen waren, sein Abendmahl schmecken soll, v. 24; und solches darum, weil sie seinen freundlichen Beruf hatten ausgeschlagen und verworfen; denn die Verachtung bewegte ihn zum Zorn, v. 21. Ausdrücklicher aber sagts der Herr Christus Joh. 3,18: „wer an den Sohn Gottes nicht glaubet, der ist schon gerichtet, denn er glaubet nicht an den Namen des eingebornen Sohnes Gottes“.

 

453. Der vierte Punkt: zu welchem Ende und aus welcher Ursach er lehre. Wenn wir das göttliche Wort ansehen, mögen wir nichts anders befinden, denn der Herr Christus lehre die Menschen um keiner andern Ursach, als:

1) dass sie Buße tun; Matth. 4,17: „tut Buße, das Himmelreich ist nahe herbei kommen“; Ap. Gesch. 17,30: „nun gebeut Gott allen Menschen an allen Enden, Buße zu tun“;

2) dass sie Vergebung der Sünden erlangen, Luk. 24,47: „also musste Christus predigen lassen in seinem Namen Buße und Vergebung der Sünden unter allen Völkern“;

3) dass sie in Christo vollkommen werden, Kol. 1,28: „wir verkündigen und ver-mahnen alle Menschen und lehren alle Menschen mit aller Weisheit, auf dass wir darstellen einen jeglichen Menschen vollkommen in Christo Jesu“;

4) dass er sie an der Seele erquicke, Matth. 11,28: „kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken“;

5) dass sie der himmlischen Güter genießen; Jes. 55,1: „wohlan alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser, und die ihr nicht Geld habt, kommt her und kaufet und esset, kommt her und kaufet ohne Geld und umsonst, beide Wein und Milch“; Matth. 22,4: „siehe, meine Mahlzeit habe ich bereitet, meine Ochsen und mein Mastvieh ist geschlachtet und alles bereit, kommt zur Hochzeit“; Luk. 14,17: „kommt, denn es ist alles bereit“;

6) dass er sie in seinen Schutz aufnehme, Matth. 23,37: „wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne versammelt ihre Küchlein unter ihre Flügel, und ihr habt nicht gewollt“.

 

454. Dass aber Gott außer diesen angezogenen Ursachen eine andere habe, die Leute zu berufen, nämlich, damit dieselben dadurch in ihr Verderben sollten ge-führt oder in ihrer Unbußfertigkeit verstockt werden; solches ist dem Licht der Natur ein grausamer Abscheu und desgleichen in Gottes Wort nicht zu befinden. Auch mögen wir unserm lieben Herrn Gott nicht zutrauen, dass er mit solchem freundlichen Vorgeben jemand hintergehen und ins Verderben stürzen sollte, wie Absalon seinem Bruder Ammon (2 Sam. 13,26. ff.) und Ptolemäus seinem Schwähervater Simon und desselben Söhnen (1 Makk. 16,15.16.) böslich und verräterisch getan hat. Darum mag es verteidigen, wen gelüstet, Gottes Wahrheit Lügen zu strafen, und erwarten, wie ihn Gott dafür werde ablohnen; fromme Christen machen sich eines solchen Greuels nicht teilhaftig.

 

- Fortsetzung -