Gottes Unveränderlichkeit
(in enger Anlehnung an eine Predigt S. Kierkegaards)
Im Buch des Propheten Jesaja, im 46 Kapitel, spricht Gottes über sich selbst und sagt unter anderem: „Auch bis in euer Alter bin ich derselbe.“ Das klingt nicht spektakulär. Und doch beschreibt der Satz einen wichtigen Unterschied zwischen Gott und seinen Geschöpfen, weil wir nämlich alt werden und uns im alt werden erheblich verändern, er aber in der Zwischenzeit und überhaupt für all Zeit „derselbe“ bleibt. Während wir uns wandeln, mal so sind und mal so, bleibt Gott sich gleich, er bleibt sich völlig treu und wird durch nichts aus seiner Bahn gebracht: „Auch bis in euer Alter bin ich derselbe.“ Dieser Satz beschreibt maximale Kontinuität. Und diese Unveränderlichkeit Gottes die er ausspricht, wird von anderen biblischen Texten bestätigt:
Für den Jakobusbrief etwa ist Gott der „Vater des Lichts, bei dem keine Veränderung ist, noch Wechsel des Lichts und der Finsternis.“ Gott kennt keine Schwankungen, heißt das, und er durchläuft auch keine Entwicklung, denn er hat keine Entwicklung nötig. Im Unterschied zu uns ist Gott vollkommen. Und wenn das Vollkommene sich änderte, könnte es dadurch ja nur schlechter werden. Das Vollkommene bedarf keiner Verbesserung. Es ist keiner Steigerung fähig und kennt natürlich auch keinen Verfall, weil der schon ein Zeichen der Unvollkommenheit wäre.
Nur mangelhafte Wesen wie wir, die wandeln sich, entstehen, wachsen, reifen ändern ihre Meinungen, ändern sie wieder, behaupten etwas, nehmen es zurück, ermüden, verfallen und sterben. Dass das bei Gott in Ewigkeit anders sein muss, kann man verstehen. Und doch lässt uns diese Einsicht erst mal kalt, weil man nicht gleich sieht, was das mit uns zu tun hat.
Allenfalls wird man Gott um seine Unveränderlichkeit beneiden. Aber selbst diesen Neid würde nicht jeder teilen. Denn in unseren Ohren klingt „Unveränderlichkeit“ auch ein wenig nach „Stagnation“. Man fürchtet fast, Gott müsse sich langweilen, weil er doch immer „derselbe“ ist. Doch sind das kindliche Vorstellungen, die schnell verfliegen, wenn wir es wagen, Gottes Unveränderlichkeit auf unser Leben zu beziehen, und uns klar machen, dass sie dann auch die Unveränderlichkeit seines göttlichen Willens einschließt, der unveränderlich etwas von uns will.
Da endet dann das Gedankenspiel – und es läuft uns kalt den Rücken herunter. Denn Gott fordert ja etwas von uns! Er fragt nach uns, er sieht uns, und sein auf uns gerichteter Wille ist – samt der auf uns gerichteten Aufmerksamkeit – „unabänderlich“! Muss einem da nicht mulmig werden? Gott hat jedem von uns eine Bestimmung gegeben. Er hat uns seine Weisungen nicht verheimlicht. Er erhebt Anspruch auf unser Leben. Und dieser Anspruch Gottes, der jeden Einzelnen von uns ganz persönlich meint, der ist unveränderlich – und eben darum „nicht verhandelbar“! Ist das nicht eine grauenvolle Entdeckung, wenn wir doch fühlen dass wir mit Gottes Willen nicht übereinstimmen? Es wäre uns wohl lieber, er würde mal wegsehen oder ließe sich in gewissen Dingen umstimmen!
Wenn Gott aber mit nimmermüdem Interesse auf unser Leben hinsieht und seine Erwartung an uns auch nie revidiert, ist es dann nicht unausweichlich, dass unser Wille mit dem Willen Gottes in einen Konflikt gerät, den wir nicht vermeiden und in dem wir auch nicht siegen können? Wie kann dieser Konflikt schon enden, wenn doch die Richtung des göttlichen Willens unveränderlich ist? Kollidiert etwa eine Mücke mit einem Schnellzug und wirft ihn aus der Bahn?
So ist es schlimm genug, mit Menschen uneins zu sein. Doch bei Menschen kann man hoffen der Stärkere zu bleiben. Man kann immerhin hoffen, dass der Andere sich ändert, dass er aufgibt oder weggeht, dass er es sich anders überlegt oder einen Kompromiss schließt. Wenn man der Schwächere ist, kann man versuchen den Kampf so lange durchzuhalten, bis der andere Mensch müde wird und die Lust verliert.
Aber wenn ich uneins bin mit dem Unveränderlichen – worauf soll ich dann hoffen? Gott wird ja nicht von mir ablassen! Er wird meinetwegen nicht die Richtung ändern! Und was er fordert, das wird er sich auch nicht anders überlegen! Wie also könnte man ihm gegenüber den längeren Atem haben? Könnte ich ihm 10 Jahre lang widerstehen, so wäre seine Forderung doch noch ganz dieselbe. Und könnte ich mich 100 Jahre lang widersetzen, so wäre sein Wille auch nach 100 Jahren kein anderer geworden. Für Gott sind 1000 Jahre wie ein Tag. Er wird nicht müde. Er braucht keine Kompromisse. Und er kann darum auf seinen Forderungen eine Ewigkeit lang insistieren, während wir uns keine Ewigkeit lang widersetzen können. Gott wird nie aufhören, an unsere Türen zu klopfen. Und für den, der um keinen Preis aufmachen will, muss die Beharrlichkeit, mit der Gott nach ihm fragt, entsetzlich sein…
Menschen ändern ihre Absichten. Gott aber, der Unveränderliche, gab Weisungen, die ewig gelten werden, und wenn er seine Gegenwart auch nicht immer merken lässt, so ist er doch immer da – und schaut uns zu. Freilich: Die meisten Menschen ignorieren ihn und hoffen, dass Gott irgendwann das Interesse verliert, dass er weggeht und sie in Ruhe lässt. Sie selbst sind ja so sprunghaft, dass sie ständig ihre Absichten ändern, ihre Meinungen und Moden. Weil ihnen das Stehvermögen fehlt, schwanken sie hin und her – und nennen das „Fortschritt“. Gott aber, der Unveränderliche, der seiner nicht spotten lässt, der sitz ganz stille da – denn er hat Zeit.
Gott kann unseren Fluchtversuchen gelassen zuschauen, weil er weiß, dass er unveränderlich ist. Er kann jeden Konflikt aussitzen und kann geduldig sein, weil einmal der Tag kommt, wo er Rechenschaft fordert über jedes unnütze Wort, das gesprochen, über jede Träne, die vergossen, und über jedes gute Werk, das unterlassen wurde…
Wir wollen’s nicht wahrhaben! Und doch hat all unser Leichtsinn einen ewig Unveränderlichen zum Zeugen, der aufgrund seiner Unveränderlichkeit nicht das Geringste vergisst! Was nützt es mir also, wenn meine Schuld 20 Jahre zurückliegt? Und was würde es ändern, wenn es 200 Jahre wären? Bei menschlichen Zeugen kann ich darauf warten, dass sie eines Tages samt ihrem Wissen begraben werden und Gras darüber wächst. Vor unseren Gerichten gibt es eine Verjährung. Gott aber bleibt sich gleich – und wird sich stets an alles erinnern, als wäre es gestern geschehen, denn auch nach 1000 Jahren ist für ihn der Zeiger der Ewigkeit nicht vorgerückt.
Alles, was wir in unserem Leben tun, tun wir unter den aufmerksamen Augen unseres Gottes, dessen Wille fest steht, dessen Gedächtnis keine Lücken kennt, und von dem wir in Ewigkeit nicht loskommen. Ob diese Erkenntnis nun aber schlimm ist und bedrückend – das liegt zu einem guten Teil an uns selbst. Sie muss es nicht sein!
Denn Gottes große Beharrlichkeit ist nur solange unangenehm, wie sich Widerstand in mir regt und ich trotzig anders sein möchte, als Gott mich haben will. Gebe ich diesen sinnlosen Widerstand auf, bringe ich meinen Willen mit seinem in Übereinstimmung und bejahe das, was Gott unveränderlich von mir will, so ergibt sich sofort ein ganz anderes Bild, weil dann Gottes Unveränderlichkeit mit einem Schlag zu etwas ganz Tröstlichem und Beglückenden wird.
Ja: Gottes große Festigkeit zeigt sich dann von einer ganz anderen Seite. Denn bedenken sie, wie herrlich das ist, von Gottes „Sturheit“ zu profitieren! Was könnte größerer Trost sein als zu wissen, dass einer das, was ich auf fehlbare schwankende und schwache Weise will, seinerseits auf unveränderliche, ewige und eindeutige Weise will? Was könnte beruhigender sein als die Gewissheit, einen ewig-unverrückbaren Fels hinter sich zu haben? Tatsächlich ist die Beharrlichkeit Gottes, vor der es seinen Feinden grausen muss, für den Gläubigen ein Grund zum jubeln.
Denn wenn der Unveränderliche immerzu unverändert für uns ist – wer kann dann noch gegen uns sein? Wenn Gott uns zu den Seinen zählt und uns liebt in unveränderlicher Treue – wer will uns dann aus seinen Händen reißen? Wer hätte dann wohl die Macht, den Unveränderlichen zu ändern, ihn von seinem Wege abzubringen und sein barmherziges Werk an uns zu hindern? Keiner kann ihn umstimmen – und das ist unser großes Glück! Denn selbst wenn man unsere Asche auf den Weltmeeren verstreute, wenn man unsere Namen aus dem Gedächtnis der Menschheit tilgte, wenn man all unsere Spuren verwischte und Millionen Jahre vergingen, so wären wir doch Gott, dem Unveränderlichen, noch genauso gegenwärtig und so lieb wie am heutigen Tag – und wären nicht überwunden, weil er es nicht ist.
Es kostet Gott nur ein Fingerschnippen, uns zu neuem Leben erstehen zu lassen, und alle unsere Feinde werden umsonst an unserem Verderben gearbeitet haben. Wenn das aber so ist, warum sollten wir dann noch furchtsam sein? Tod und Teufel mögen toben – Gott bleibt sich gleich. Und hat er sich einmal unser erbarmt um Christi willen, so wird er seine Meinung über uns nicht wieder ändern. Da mag Satan Gift und Galle spucken, Gott hat uns dennoch freigesprochen und nimmt keines seiner Worte zurück, bis irgendwann jedem Widerstand im Ringen mit dem Unveränderlichen die Puste ausgegangen ist.
Da wird die Hölle eine herbe Enttäuschung erleben, weil sie vergeblich auf uns wartet und doch nicht den längeren Atem hat. Die Gläubigen aber werden mit ihrer Zuversicht auf ewig Recht behalten. Denn das Irdische ist unbeständig, die Zeit verfliegt – selbst Himmel und Erde werden vergehen – Gottes Wort aber, das bleibt und gilt, und wer ihm sich unterstellt, den wird Gottes Unveränderlichkeit stets unverändert fröhlich machen…
In gewissem Sinne haben wir also die Wahl. Wir können zwar nichts dagegen tun, dass wir unter den Augen des Unveränderlichen leben. Auch wenn wir Gott leugnen, bringen wir ihn damit nicht zum verschwinden. Wir haben aber insofern die Wahl, als wir uns an Gottes Unveränderlichkeit den Schädel einrennen oder uns fröhlich unter ihren Schutz begeben können. Wir können uns darüber ärgern, dass Gott sich treu bleibt, oder wir können darüber jubeln. Wir können unseren närrischen Eigenwillen sinnlos seinem Willen entgegensetzen oder wir können mit Demut unseren Willen in seinem aufgehen lassen.
Im ersten Falle wird es uns wie ein Fluch erscheinen, dass wir Gott nicht loswerden können. Im zweiten Falle aber wird uns gerade das Trost und Mut verleihen. Die Mücke kann sich dem Schnellzug frontal entgegenwerfen, wenn sie etwas so Dummes tun will. Oder sie kann sich auf’s Dach setzen und fröhlich durch die Gegend brausen. Gottes ausdrücklicher Wunsch ist aber, dass wir das Letztere tun. Es ist ihm viel lieber, wenn sein Durchsetzungsvermögen uns nützt, als wenn es uns schadet. Es ist ihm viel lieber, dass die Sünder sich bekehren, als dass sie verloren gehen. Aber um das zu erreichen, wird er die Richtung seines Willens bestimmt nicht ändern.
Denn der Ewige geht nicht mit der Zeit, sondern er steht über aller Zeit. Und er hat darum seine Meinung in ethischen Fragen auch seit biblischer Zeit nicht geändert. Gottes Weisung ist nicht das, was gestern galt oder morgen gelten wird, sondern was immer gilt. Seine Maßstäbe unterliegen keiner Mode, weil das Ewige als Ewiges zu jeder Zeit „zeitgemäß“ ist. Wer’s aber besser weiß als Gottes Wort, der streite darüber mit Gott, belehre Gott und sehe zu, wie weit er damit kommt. Wenn die ganze Welt gegen ihn anliefe und es anders wollte, so würde sie Gottes Gebot und Satzung doch keinen Millimeter von der Stelle rücken, denn Gott bleibt sich treu. Wir werden alt, er aber bleibt derselbe! Freuen wir uns dessen und danken wir es ihm von Herzen, denn wer mit Gott lacht, lacht am längsten…
Bild am Seitenanfang: Portrait of an Old Man
Hans Memling, CC0, via Wikimedia Commons