Theodizee
The Village Carpenter Bringing a Coffin for a Dead Child

Theodizee

Wenn Menschen den christlichen Glauben ablehnen, geben sie dafür sehr verschiedene Gründe an. Und viele der Argumente sind leicht zu entkräften. Eines aber wird sehr hartnäckig vertreten und wird als „Fels des Atheismus“ angesehen. Und das lautet in seiner populären Form, dass es Gott nicht geben könne, weil ein liebender Gott, der zugleich allmächtig ist, nie und nimmer das Leid dieser Welt zulassen würde. „Es geschehen zu viele schreckliche Dinge“, sagen die Leute, „da kann ich unmöglich an Gott glauben. Denn wenn er so gut und so mächtig wäre, wie ihr es behauptet, würde er das Leid doch verhindern.“ Ich muss das nicht weiter ausführen, denn das Argument ist hinreichend bekannt. Was aber ist dem aus christlicher Sicht entgegenzusetzen? Was kann man erwidern?

Nun, zuerst sollte man zugestehen, dass das Elend dieser Welt auch Christen nicht kalt lässt. Wir sind nicht weniger betroffen und fühlen genauso mit den Leidenden wie die Glaubens-Gegner. Doch ist ihre Argumentation nicht so schlagend, wie sie meinen, sondern sie enthält eine Reihe von Fehlern und irrigen Annahmen, die ich im Folgenden korrigieren möchte:

 

- Sie missverstehen die zentrale Eigenschaft Gottes, auf die sie sich beziehen, weil sie Gottes Liebe für ein universales Prinzip halten. Und sie lassen demgegenüber andere Eigenschaften, wie Gerechtigkeit und Zorn, gänzlich außer Betracht.

 

- Sie nehmen den Mensch nicht als Täter, sondern nur als „unschuldiges“ Opfer in den Blick. Und weil sie damit den engen Zusammenhang von Leid und Schuld unterschlagen, der in der Bibel eine so große Rolle spielt, verkennen sie auch die ambivalente Lage, in die der Schöpfer schuldigen Geschöpfen gegenüber gerät.

 

- Sie fragen nicht, ob wirklich „gut“ ist, was sie „gut finden“, sondern verstehen unter „Übel“, „Leid“ und „Bösem“ einfach alles, was das menschliche Wohlbefinden stört. Und sie meinen darum schon vorweg zu wissen, worin sich Gottes Liebe konkretisieren müsste, um als echte Liebe zu gelten.

 

- Das Evangelium aber, das auf seine Weise von nichts anderem handelt als von der Aufhebung des Übels, nehmen sie als Erweis göttlicher Liebe nicht einmal zur Kenntnis. Am Ende ist keineswegs bewiesen, dass es Gott nicht gäbe, sondern nur, dass Gott nicht ist, wie die Kritiker ihn gerne hätten. Und ihr argumentatives Ziel ist damit verfehlt…

 

Um die Zusammenhänge näher zu erläutern und die nötigen Korrekturen anzubringen, möchte ich ihre Aufmerksamkeit zunächst auf das Missverstehen der göttlicher Liebe lenken. Denn der Vorwurf der Gegner lebt ja ganz wesentlich von der Unterstellung, dass ein liebender Gott, von dem es heißt, dass er Liebe „ist“, zwangsläufig gegen jede Kreatur „lieb“ und gegen keine „hart“ sein dürfe. Das aber ist schlicht ein Irrtum. Denn es gibt zwar Eigenschaften Gottes, die von so universaler und prinzipieller Geltung sind. Seine Liebe und sein Zorn gehören aber nicht dazu. Von Gottes Allmacht, kann man sagen, dass Gott jedem Geschöpf gegenüber gleich allmächtig ist, wie es auch keinen Gegenstand des Wissens gibt, demgegenüber Gott nicht allwissend, und keinen Raum, in dem er nicht gegenwärtig wäre. Diese Eigenschaften hat Gott in jeder denkbaren Beziehung. Doch bei Liebe und Zorn ist das anders. Denn barmherzige Liebe und gerechter Zorn sind keine abstrakten Prinzipien, die selbstverständlich unterstellt oder gar eingefordert werden könnten. Diese Eigenschaften Gottes beziehen sich auf das konkrete Gegenüber, das sich zu Gott so oder so verhält – und dementsprechend die eine oder die andere Seite Gottes kennen lernt. Liebe und Zorn gelten darum nicht einfach „jedem“ auf die gleiche pauschale Weise, sondern sind ganz persönlicher Natur. Dass Gott aber beides kennt, ist kein Widerspruch, sondern ist nur konsequent, weil ein guter Hirte eben hart ist zu den Wölfen und mild zu den Schafen. Beides ergibt sich aus der Liebe zu seiner Herde. Und so schließt auch bei Gott die Bejahung des Guten notwendig die Verneinung des Bösen mit ein. Gott ist in beidem völlig konstant und konsequent. Denn auf Gottes Liebe darf jeder rechnen, der seine Verfehlungen bereut und sich zur Barmherzigkeit Gottes flüchtet. Und mit derselben Verlässlichkeit und

Konsequenz wird jeder Gottes Zorn erfahren, der uneinsichtig am Bösen

festhält. So ist Gottes Liebe zwar „universal“ in dem Sinne, dass sie allen Menschen angeboten wird. Aber sie wird deswegen nicht von allen ergriffen. Christus ist zwar für alle gestorben. Aber das kommt nicht allen zu gute. Denn diejenigen, die das Evangelium ablehnen, schließen sich dadurch selbst aus, entziehen sich der Liebe Gottes und bleiben damit unter seinem Zorn. Stimmt es also, dass Gott alle Menschen „gleich“ liebt, wie man das oft hört? Nein. In der Bibel steht das nirgends. Und im Sinne eines egalitären Prinzips oder einer pauschalen Regelung stimmt es auch nicht. Denn Gottes Liebe ist nicht unterschiedslos und allgemein, sondern immer persönlich und konkret.

Gewiss ist richtig, dass Gottes Liebe sich niemandem verschließt, der sie sucht! Aber dass Gott deswegen zu allen Menschen die gleiche freundliche Beziehung hätte, das ist falsch, weil eben nicht alle seine Liebe suchen. Gottes Tür ist für alle offen! Aber das heißt nicht, dass auch alle hineingehen. Gott ist jedem gnädig, der sich nach Gottes Gnade ausstreckt! Weil das aber nicht jeder tut, ist Gott auch nicht jedem gnädig. Und darum ist die Meinung, dass Gott alle gleich liebte, eine ebenso unzulässige Verallgemeinerung, wie dass er allen zürnte. Diejenigen, die sich seiner Liebe beharrlich verschließen, liebt er ebensowenig, wie er denen zürnt, die sich seiner Liebe geöffnet haben. Denn genau so weit, wie wir Adam sind, gilt uns Gottes Zorn, und soweit wir in Christus sind, gilt uns seine Liebe…

Weil aber selbst die Besten unter uns immer noch beides sind, dürfen wir nicht erwarten, dass Gottes Verhältnis zu uns und zu dieser Welt allein durch zärtliche Liebe bestimmt sein müsste. Nein, im Gegenteil: Soll sich die Ausgangsfrage – „warum Gott das Leid in dieser Welt nicht beseitigt“ – wirklich auf den Gott der Bibel beziehen, so darf man den Blick nicht allein auf seine Liebe und Allmacht richten, sondern muss seine Gerechtigkeit mit einbeziehen, die das böse Tun mit sehr verdienten Strafen vergilt. Und dann ergibt sich ein ganz anderes Bild. Denn der Gott der Bibel verneint, was ihn verneint. Er zerstört, was seine Schöpfung zerstört. Und das Verkehrte, das nicht sein soll, befördert er ins Nicht-Sein. Was aber wäre verkehrter in dieser Welt als der sündige Mensch?

Das vermeintlich so große Rätsel, warum Menschen krank werden, leiden und sterben, ist darum leicht zu lösen. Nach biblischer Auskunft ist der Tod „der Sünde Sold“ und also die verdiente Strafe dafür, dass der Mensch nicht ist, wie er sein sollte. Das ist einerseits logisch, weil der, der sich von Gott als der Quelle des Lebens abschneidet, sich damit notwendig den Tod einhandelt. Es ist andererseits konsequent, weil Gottes Wort ja an tausend Stellen den Übertretern des Gesetzes genau solche Folgen androht. Und es ist zuletzt auch unausweichlich, weil Gott in seiner beharrlichen Liebe zum Guten gar nicht anders kann, als das Böse zu hassen. Tatsächlich hat Gottes Allmacht an diesem Punkt eine Grenze, weil Gott nicht gegen sein eigenes Wesen verstößt. Er ist allmächtig in dem Sinne, dass er jederzeit kann, was er will. Aber der gute Gott kann schlechterdings nichts Böses wollen, und kann sich darum auch mit dem Bösen in uns nie anfreunden. Niemand setzt Gott irgendwelche Schranken. Aber sein eigenes Wesen ist ihm insofern eine Schranke, als er sich selbst nicht widerspricht und sich selbst nicht untreu wird. Und das heißt: Gott kann in dieser Hinsicht wirklich nicht anders. Er kann das Böse nicht dulden. Er widersteht notwendig der Sünde, die ihm widersteht. Und er vollzieht darum am Sünder die durch Gottes Wort öffentlich und verbindliche angedrohte Strafe. Dass der Mensch seit dem Sündenfall sterben muss, ist so gesehen hart, aber gerecht, und aus Gottes Perspektive völlig verständlich. Denn er kann ja dort nicht

Glück und Ewiges Leben schenken, wo das nur auf eine Verewigung der Sünde

hinausliefe. Das Leben des Sünders unbegrenzt zu verlängern, hieße, dem Bösen unbegrenzte Zeit zugestehen. Gott würde damit den Widerstand gegen seinen eigenen guten Willen unterstützen. Und das könnten, recht besehen, nicht einmal die Sünder begrüßen. Denn es ist in Wahrheit kein Glück, auf ewig das Falsche zu wollen und endlos auf einem Irrtum zu beharren. So verewigt zu werden, wäre auch für den Menschen ein Unglück. Und darum wäre es inkonsequent und gegen Gottes Wesen, die mit der Sünde verbundenen Plagen und Nöte, die er selbst als Strafen über den Menschen verhängt hat, zurückzunehmen. Warum also hebt Gott das Leid nicht auf? Vielleicht einfach, weil wir’s verdient haben? Das ist gewiss nicht die ganze Antwort, die hier zu geben ist. Aber es ist doch ein Teil der Antwort, den man nicht unterschlagen darf. Und das tun jene, die das Leid als Argument gegen den Glauben benutzen. Sie tun so, als wäre der Mensch in seinem Leid das unschuldige Opfer eines grausamen Gottes. Doch einerseits gibt es nach biblischer Lehre keine „unschuldigen“ Menschen. Von Jesus abgesehen sind wir alle Sünder. Auch Kinder sind nur Sünder, denen es bisher an Gelegenheit mangelte! Und andererseits wird der größere Teil des Leides gar nicht von Gott verhängt, sondern unmittelbar von Menschen Menschen angetan. Der größte Teil des Leides geht darauf zurück, dass Menschen Kriege führen, obwohl Gott ihnen

den Frieden geboten hat, dass sie die Nahrungsmittel auf Erden nicht gerecht

verteilen, obwohl Gott genug davon wachsen lässt, und einander nicht helfen, obwohl sie die Mittel dazu durchaus hätten. All das ist hausgemachtes Elend, das man Gott nicht anlasten kann, weil es gegen seinen ausdrücklichen Willen geschieht. Und es wäre darum ehrlich zuzugestehen, dass der Mensch in erster Linie unter dem Menschen leidet. Wir sind keine unschuldigen Opfer, sondern sind allesamt Täter. Und abgesehen davon, dass wir krank werden und sterben, besteht unser wesentliches Leid darin, dass wir unter Menschen leben, die genauso lieblos und egozentrisch sind wie wir selbst. Man muss zugeben, dass es eine recht angemessene Strafe ist, als Sünder unter Sündern leben zu müssen! Und darum ist es nicht richtig, wenn die Gegner des Glaubens den engen Zusammenhang von Leid und Schuld, auf den die Bibel so deutlich hinweist, einfach ausblenden und unterschlagen.

Vermeidet man diesen Fehler, und bezieht den Zusammenhang von Schuld, Zorn und Leid in die Betrachtung mit ein, stellt man allerdings fest, dass es nicht bloß ein „Theodizeeproblem“ gibt, sondern zwei. Denn der Mensch, wie wir ihn kennen, ist ein höchst ambivalentes Wesen voller Glanz und Elend. Er ist von seinem liebevollen Schöpfer dazu bestimmt, Gottes Kind und Ebenbild zu sein, ist aber als Sünder unablässig dabei, diese gute Bestimmung mit Füßen zu treten und ins Böse zu verkehren. Und der Schöpfer, unter dessen Augen das geschieht, wird dadurch doppelt herausgefordert, und sein Handeln wird doppelt fraglich. Denn einerseits: Wie kann ein liebevoller Gott zulassen, dass seinen Geschöpfen unablässig Böses widerfährt? Sollte seine Allmacht sie nicht retten? Und andererseits: Wie kann ein gerechter Gott zulassen, dass seine Geschöpfe unablässig Böses tun? Sollte seine Allmacht ihnen nicht das Handwerk legen?

Man hat nicht nur einmal Grund sich zu wundern, sondern zweimal. Denn einerseits ist es ein Wunder, dass wir trotz der Liebe Gottes noch leiden. Und andererseits ist es ein Wunder, dass wir trotz seines gerechten Zorns noch leben. Wie kommt das, dass wir unter Gottes allmächtiger Liebe noch sterben müssen? Und wie kommt das, dass wir unter seinem allmächtigen Drohen noch nicht gänzlich vernichtet sind? Man kann beides rätselhaft finden, und könnte Gott aus beidem einen Vorwurf machen. Denn im Namen der Liebe kann man fordern, dem Geschöpf die peinlichen Folgen seiner Sünde zu ersparen, und alle Leiden aufzuheben. Und im Namen der Gerechtigkeit kann man fordern, dieses Geschöpf, als den Ursprung des Bösen in der Welt, durch sofortige Vernichtung unschädlich zu machen. Es versteht sich, dass Menschen selten auf die Idee kommen, das Letztere zu fordern. Aber wenn man Pflanzen und Tiere danach

befragen könnte – würde der Plan nicht vielleicht eine Mehrheit finden, die Sünde aus der Welt zu schaffen, indem man die Sünder aus der Welt schafft? Der

Mensch ist einerseits ein Teil der guten Schöpfung, die Gott nach wie vor bejaht. Er ist andererseits ein Teil des Bösen, das Gottes gute Schöpfung bedroht und zersetzt. Daraus aber, dass beides zugleich gilt, und sich in Gottes Handeln auch beides spiegelt, eben daraus erklärt sich der bitter-süße Zustand unserer Welt…

Was aber kann geschehen, damit sich an dieser Lage etwas ändert? Und was ist von Gott zu erwarten? Das Glücksverlangen des Menschen ist ebenso verständlich wie unrealistisch und findet unmittelbaren Ausdruck in der Klage und Forderung gegen Gott, er solle uns doch bitteschön in der Weise lieben, dass er uns alle Leiden erspart – und weiter nichts von uns verlangt. Der Mensch sucht die Schuld nicht bei sich, sondern bei Gott, und fordert, Gott möge dafür sorgen, dass unsere Sünden keine schmerzlichen Folgen mehr haben, damit Sünder so unbeschwert leben können als wären sie Gerechte. Wenn Gott dem aber nicht beistimmt, beschuldigt man ihn der Grausamkeit. Denn nicht der Mensch will sich ändern, sondern nur seine Situation soll sich ändern. Nicht die Sünde will man sein lassen, sondern nur der Strafe entgehen. Nicht die Krankheit soll Gott heilen, sondern nur die Symptome beseitigen. Unsere Gottlosigkeit soll ruhig bleiben, und nur das Leid soll verschwinden. Denn dass sich uns Freuden entziehen, finden wir nicht in Ordnung. Dass wir uns Gott entziehen, aber schon. Und wenn der Allmächtige auf dieses Spiel nicht eingeht, heißt es: „Siehst du, Gott liebt uns nicht, er versagt, und darum versagen wir uns ihm…“

Es liegt wohl auf der Hand, dass wir so nicht weiterkommen. Der Wunsch, Gott möge uns glücklich machen und ansonsten so lassen, wie wir sind, ist naiv. Denn wie wir oben gesehen haben, wäre es gegen Gottes Wesen, das Böse zu tolerieren, es zu verewigen oder gar noch mit Glück zu belohnen. Es muss eine andere Lösung geben. Und die gibt es in der Tat. Denn Gott schaut nicht tatenlos zu, wenn der Mensch sich selbst zum Unglück wird. Wenn Gottes Liebe ihn aber drängt, die Person des Sünders zu retten, und zugleich seine Gerechtigkeit ihn drängt, die Sünde zu verwerfen, dann kann eine saubere Lösung nur darin bestehen, den Sünder von seiner Sünde so zu unterscheiden und zu trennen, dass die Sünde untergeht, der Sünder aber gerettet wird. Und ohne diese Trennung geht es nicht. Denn es wäre gegen Gottes Wesen, das Böse um des Geschöpfes willen zu dulden. Und es wäre genauso gegen Gottes Wesen, dem Geschöpf um des Bösen willen nicht zu helfen. Gott muss beides voneinander trennen und erklärt sich darum bereit, alle Menschen um Christi willen zu erlösen, die sich glaubend von ihrer Sünde distanzieren und sie selbst von Herzen leid sind.

Mit dem sündigen Tun kann Gott sich niemals anfreunden, mit der Person des Täters aber schon. Und er ist dazu bereit, wenn diese Unterscheidung vom Betroffenen selbst mitvollzogen und bejaht wird. Freilich: Wer Gott weder seine Strenge noch seine Güte glaubt, tut das nicht! Der rebelliert zugleich gegen Gottes Gesetz und gegen sein Evangelium, um trotzig zu bleiben, wie er ist. So einen uneinsichtigen Sünder wie einen Gerechten zu behandeln, wäre unwahrhaftig und wäre ein „Tun-als-ob“, zu dem sich Gott nicht hergibt. Wenn aber einem Gläubigen seine Sünde so leid ist, dass er sie – wenigstens der Absicht nach – gern los wäre, wenn er also von ihr unterschieden und getrennt sein will, dann lässt dieser Mensch Gottes Gesetz gelten, lässt ebenso das Evangelium gelten, gibt Gott in beidem Recht und wird dadurch in Gottes Augen tatsächlich ein anderer, weil Gott ihm statt seiner persönlichen Schuld künftig die Gerechtigkeit Christi zurechnet. Einen solchen Menschen kann Gott annehmen, selbst wenn manche seiner Taten unannehmbar bleiben. Denn ein solcher ist tatsächlich eine neue Kreatur und wird, wenn er einmal alles Irdische hinter sich lässt, des ewigen Lebens und der Seligkeit teilhaftig, weil an ihm nichts übrig bleibt, was der gute Gott verneinen müsste.

Das ist, kurz gefasst, das wunderbare Angebot Gottes! Das ist seine Lösung für das große Problem der Menschheit! Das ist der Heilsweg, den Gott eröffnet, um uns nicht bloß für einige Zeit leidfrei und glücklich, sondern um uns langfristig und in Ewigkeit selig zu machen! Wenn es nicht das ist, wonach der Menschheit der Sinn steht, so ist es in Wahrheit viel besser. Ist es aber besser, wer dürfte dann sagen, Gott kümmere sich nicht um die Aufhebung des Übels in der Welt? Genau genommen redet die Bibel von nichts anderem! Nur dass Gott die Sache anders und viel gründlicher angeht, als der Mensch das erwartet. Denn Gottes Liebe konkretisiert sich nicht einfach in äußeren Wohltaten, sondern im Heilsweg des Evangeliums. Gott in seiner Allmacht geht massiv gegen das Böse vor! Nur dass er es auf seine Weise tut und nicht auf unsere. Wir lokalisieren das Böse außen, im bösen Geschick, in Not, Armut und Krankheit. Gott aber lokalisiert es innen, in

unserer Seele. Er setzt nicht bei dem Bösen an, das den Sünder stört, sondern

bei dem Bösen, der der Sünder ist. Wie jeder gute Arzt behandelt Gott nicht Symptome, sondern geht dem Übel an die Wurzel. Und die ist nun mal nicht

physischer, sondern geistlicher Natur.

Die Übel, unter denen die Menschheit seufzt, entspringen nicht aus Defiziten der Schöpfung, sondern aus Defiziten des menschlichen Herzens. Unser Hauptproblem ist nicht ein Mangel an irdischem Wohlbefinden, sondern eine tief gestörte Gottesbeziehung. Und an diesem Punkt setzt darum das Evangelium an. Wenn aber empörte Menschen Gottes Therapie nicht würdigen, nicht darauf eingehen und sie nicht anwenden, so liegt es wohl daran, dass sie die Diagnose nicht verstanden haben. Sie rufen: „Warum beseitigt Gott nicht endlich das Übel?“ Dabei hat es seine Quelle in ihrem eigenen Herzen. Und Gott steht bereit, um das Übel dort zu bekämpfen. Weil es aber keinen Sinn machte, das physische Übel aufzuheben ohne das geistliche Übel anzutasten, aus dem es entspringt, darum hebt Gott das Leiden in der Weise auf, dass er zuerst die Voraussetzungen aufhebt, unter denen das Leiden zwangsläufig ist.

Die Gläubigen erfahren das in eindrucksvoller Weise, weil das Evangelium ihr Hauptproblem löst und ihren inneren Schaden so heilt, dass sie mit Gott ins Reine kommen. Der Wunsch der Anderen aber, Gott möge sie ungebessert und unverändert bloß glücklicher machen – und sonst in Ruhe lassen –, ist kurzschlüssig. Sie dekretieren, wenn Gott sie wahrhaft liebte, müsste er doch tun, was sie sich wünschen! Gott aber lässt sich davon nicht irritieren, liebt weiterhin auf seine Weise und tut täglich und verlässlich das, was er im Neuen Testament versprochen hat: Er bietet mit dem Evangelium Erlösung an und ist bereit, den Sünder von der Sünde zu unterscheiden, sobald der diese Unterscheidung mitvollzieht. Niemand, der zu Christus kommt, wird abgewiesen! Dem Suchenden steht Gottes Reich offen! Nur, dass der Weg dorthin auch noch bequem sein müsste, das sollte man nicht erwarten. Denn Gottes zupackende Liebe hat es in erster Linie nicht auf unser Wohlbefinden abgesehen, sondern auf unser Heil. Gottes Liebe tut, was für uns gut ist, und nicht, was wir gut finden. Gottes Liebe will uns für die Gemeinschaft mit ihm tauglich machen. Und so weit zu diesem Reifungsprozess auch Leiden nötig sind, wird Gott es daran nicht fehlen lassen. Denn er liebt nicht so, dass er beliebige Güter schenkt, nach denen uns gerade der Sinn steht, sondern so, dass er Erfahrungen schenkt, die wir für unser Fortschreiten nötig haben. Gottes Liebe gibt auch den Christen nicht, was sie sich wünschen, um auf Erden lustig zu leben, sondern, was sie brauchen, um sicher bei ihm im Himmel anzukommen. Und Leid steht zu solcher Liebe keineswegs im Widerspruch, sondern gehört regelmäßig zu der rauen Pädagogik dazu, die Gott unserem Starrsinn entgegensetzt…

 

Fazit:

 

Der Vorwurf, Gott sei dem Übel dieser Welt gegenüber untätig, ist unzutreffend und beruht nur darauf, dass der Mensch nicht einverstanden ist mit der Weise, auf die ihm Gott zu helfen gedenkt. Gott ist durchaus allmächtig und ist auch voller Liebe, entscheidet aber selbst, worin sich seine Liebe offenbart. Und das sind nicht beliebige Wohltaten, sondern es ist genau das, was Christus zur Erlösung der Sünder tat, und der Heilige Geist immer wieder an ihnen tut. Wenn im Neuen Testament von Gottes Liebe die Rede ist, dann ist das eine abgekürzte Rede dafür – und für nichts anderes. Denn nicht „irgendwie“ hat Gott die Welt geliebt, sondern „also“, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verlorengehen (Joh 3,16). Gott beseitigt nicht, was wir für unser Problem halten, sondern, was – nach seiner tieferen Einsicht – unser Problem ist. Wenn es Menschen aber nach einem anderen „Heil“ verlangt und sie Gott zum Vorwurf machen, dass er sie inmitten ihrer Verkehrtheit und Bosheit nicht glücklicher macht, dann muss das aus den dargelegten Gründen zurückgewiesen werden.

Ein (theo-)logisches Paradox oder eine Widerlegung des Glaubens ergibt sich nicht, denn die Theodizeefrage argumentiert unter Voraussetzungen, die der christliche Glaube so gar nicht teilt. Der lebendige Gott hat deutlich mehr Eigenschaften als nur Allmacht und Liebe. Er ist auch streng und gerecht. Seine Liebe ist kein abstraktes Prinzip. Sie gilt nicht einfach „jedem“ und ist schon gar nicht einklagbar. Das menschliche Leiden ist kein Rätsel, sondern ein Resultat menschlicher Schuld. Und aufgehoben wird es nicht durch eine äußere Beglückung des Menschen, sondern durch seine innere Wandlung. Wer aber steht dieser gründlichen Lösung im Wege? Steht etwa Gott ihr im Wege, der selbst den Kreuzestod nicht scheute, um die nötigen Voraussetzungen zu schaffen? Steht der Lösung nicht eher der Mensch im Wege, der sein selbstverschuldetes Elend Gott zum Vorwurf macht, statt den Heilsweg zu gehen, der ihm längst eröffnet und gewiesen wurde? Die Ankläger idealisieren den Menschen und dämonisieren Gott. Er aber will uns gründlicher helfen als wir es ahnen. Er will die Voraussetzungen aufheben, unter denen unser Leiden zwangsläufig ist. Und dafür, dass er‘s tut, obwohl die Menschheit es ihm so schlecht dankt, dafür gebühren ihm Lob und Ehre in Ewigkeit…

 

Nachbemerkung:

 

Wie oben gezeigt beweisen die Aporien der Theodizeefrage nicht, dass es Gott nicht gäbe, sondern nur, dass der Gott, den es gibt, nicht ist, wie der Mensch ihn gern hätte. Dies aber so ausdrücklich festzustellen, ist ein religionskritisches Eigentor der Atheisten. Denn mit der Ablehnung, die sie Gott entgegenbringen, widerlegen sie ein anderes, ebenso populäres religionskritisches Argument. Ihre Ablehnung zeigt eindrucksvoll, dass der Gott, den es gibt, absolut nicht ist, wie ihn sich menschliche Phantasie zum eigenen Troste zurechtlegen und ausdenken würde. Eine Projektion menschlicher Wünsche sähe ganz anders aus! Und das heißt: Der wahre Gott, der biblische Gott, bekommt von seinen Gegnern bescheinigt, dass er kein Wunschtraum ist. Sie beteuern, dieser Gott sei kaum auszuhalten. Und als Christ muss man dem nicht einmal wider-sprechen. Der Verdacht aber, der christliche Glaube entspränge einem menschlichen Trost- und Harmoniebedürfnis, ist damit von ganz unverdächtiger Seite unfreiwillig wiederlegt…

 

 

 

 

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The Village Carpenter Bringing a Coffin for a Dead Child

Christen Dalsgaard, Public domain, via Wikimedia Commons