Atheismus als Fehlschluss

 

Es gibt nicht nur ein Geheimnis des Glaubens. Es gibt auch ein Geheimnis des Unglaubens. Und ich will es an dieser Stelle ausplaudern. Denn man kann durchaus erklären, warum viele Menschen zu Gott keinen Zugang finden. Und man kann zeigen, dass ihr Atheismus auf falschen Voraussetzungen beruht, die sie nur deshalb nicht hinterfragen, weil sie es bequemer finden ohne Gott zu leben. Aber ich will vorn beginnen: Wie kommt es dazu, dass Menschen Gottes Dasein leugnen? In der Regel hören sie Christen von einem Gott reden, der ungeheuer mächtig und liebevoll sein soll, und der diese Welt geschaffen hat. Dann schauen sie in die Welt und prüfen ihre Erfahrungen daraufhin, ob die Welt denn auch so aussieht, als ob sie ein liebevoller Gott geschaffen hätte. Und wenn sie nicht sehr naiv sind, kommen sie zu einem negativen Ergebnis. Denn unsere Welt ist alles andere als vollkommen. Für jeden, der Augen im Kopf hat, ist sie voller schrecklicher Fehler und Widersprüche, voller Not, Angst und Leid. Und das passt so wenig zu einem gütigen und weisen Schöpfer, dass dem Betrachter die Existenz Gottes höchst unwahrscheinlich vorkommt. Oder ist es etwa nicht vernünftig, wenn man vom Werk auf den Meister schließt? Bei einem Handwerker machen wir das, und jeder kann es nachvollziehen! Wenn ein mundgeblasenes Glas fehlerfrei und schön vor uns steht, schließen wir, dass der Glasbläser ein Meister seines Faches sein muss. Und wenn eine handgeschreinerte Kommode vor uns steht, bei der die Spaltmaße nicht gleichmäßig sind, und sämtliche Schubladen klemmen, dann vermuten wir, dass die wohl nicht der Chef, sondern der Lehrling gemacht hat. Bei einem vollkommenen Produkt zweifeln wir nicht an der Vollkommenheit des Produzenten. Bei einem unvollkommenen aber schon. Und wenn Gott der Vollkommenste überhaupt sein soll, der Beste, Gerechteste und Liebste, dann will das nicht zu einer Welt passen, die voller Blut, Schweiß und Tränen ist. An diesem Punkt zucken die meisten dann schon mit den Schultern. Sie finden den Widerspruch offen-sichtlich. Und wenn sie nicht direkt Atheisten werden, dann doch Skeptiker, die das Dasein Gottes für eher unwahrscheinlich halten. Woran aber liegt‘s? Was ist der Fehler? Nun: Er besteht schlicht darin, dass man den biblischen Bericht vom Sündenfall nicht ernst nimmt und darum die real-existierende Welt mit der ursprünglichen Schöpfung Gottes gleichsetzt. Doch das ist falsch – und so ziemlich das Gegenteil von dem, was Christen glauben! Die ursprüngliche Schöpfung Gottes wird in der Bibel als Paradies geschildert, und der Schöpfungsbericht sagt ausdrücklich, dass sie „sehr gut“ war. Das Paradies legte in seiner Vollkommenheit Zeugnis ab von der Vollkommenheit seines Schöpfers. Denn da war kein Leid und keine Bosheit, keine Krankheit, keine Angst, keine Lüge und kein Tod. Hier hätte man zu Recht vom Werk auf den Meister schließen können! Doch die Bibel sagt ausdrücklich, dass das Paradies der Vergangenheit angehört. Adam und Eva wurden daraus vertrieben. Und die schlimme Welt, in der wir leben, spiegelt darum nicht Gottes ursprünglichen guten Willen, sondern sie ist das, was unter dem Einfluss des Bösen aus Gottes guter Schöpfung wurde! Die Bibel sieht ganz realistisch, dass diese Welt zwar weiterhin von Gott erhalten wird und auch nicht allen Glanz verloren hat, dass sie aber doch bis in den kleinsten Winkel korrumpiert ist durch das Wirken Satans, dem der Ungehorsam des Mensch Raum verschaffte. Wir selbst haben dem Bösen die Tür geöffnet und damit das Werk des Meisters verdorben. Wie könnte man aber von einem derart geschundenen und entstellten Werk noch auf den Meister schließen? Das wäre sehr ungerecht! Denn wenn ich die mundgeblasenen Gläser an die Wand werfe und die Scherben notdürftig wieder zusammenklebe – wird ein Betrachter dann noch viel von der Kunst des Glasbläsers erkennen? Oder wenn ich die handgefertigte Kommode erst unter Wasser setze und sie dann eine Treppe hinunter-werfe – wird sie dann noch viel erkennen lassen von der Meisterschaft des Schreiners? Wie kann man das Werk eines Künstlers mit eigener Hand verderben und ihm dann vorwerfen, er habe es mangelhaft geschaffen? Das ist nicht fair. Das verdorbene Werk ist nicht Ausdruck seines Willens. Und darum geht es auch nicht an, vom gegenwärtigen Zustand dieser Welt auf Gott zu schließen. Wer sie unrecht findet, absurd und verkehrt, hat die Bibel dabei auf seiner Seite. Denn die Welt trägt heute die Handschrift des Teufels, der reichlich Unkraut in Gottes Garten hineingesäht hat – und der sich nun am meisten freut, wenn man Gott für einen schlechten Gärtner hält! Wessen Irrtum ist das aber? Er hat seine Ursache nicht in der Bibel, sondern bei denen, die nicht ernstnehmen, was sie über den Sündenfall sagt. Diese Welt ist nicht der unmittelbare Ausdruck des göttlichen Willens, sondern ein verdorbenes Werkstück, das die Kunst des Meisters nur noch von ferne ahnen lässt. Gottes Vollkommenheit wird durch den Zustand dieser Welt eher verborgen als offenbart, denn was wir sehen, ist eine fragwürde Mischung von Gottes Werk und Teufels Beitrag. Wer das aber ignoriert, setzt sich nicht mit dem christlichen Glauben auseinander, sondern trifft mit seiner Kritik höchstens ein Zerrbild desselben…

Als sei das nicht genug, gibt es aber noch einen zweiten großen Irrtum, aus dem Unglaube erwächst. Denn wenn Menschen über den Glauben nachdenken und die Welt mit dem Gott abgleichen, der sie geschaffen hat, missverstehen sie häufig nicht nur die Welt, sondern verwechseln zugleich den wahren Gott der Bibel mit dem, was sie sich unter Gott vorstellen. Und ihre Vorstellungen von Gott sind leider oft naiv und falsch. Kaum hört einer, Gott sei gütig, versteht er das schon nach dem Muster menschlicher Güte und macht sich ein Bild von Gott, das mehr dem entspricht, was Menschen sich wünschen, als dem, was die Bibel tatsächlich von Gott berichtet. Statt Gott so zu sehen, wie er sich offenbart, malt man ihn, wie man Gott gern hätte, und modelliert sich in Gedanken einen guten Onkel im Himmel, der alles versteht und alles vergibt, einen Beschützer und Wunscherfüller, der, weil er so „lieb“ ist, zu all unseren Wünschen nickt. „Ja“, denkt der Mensch, „wenn Gott gut ist, dann will er mich doch glücklich machen! Wenn er freundlich ist, wird er mir doch meinen Willen lassen! Wenn er mich liebt, wird er mir doch nichts abschlagen!“ Man nimmt Gott nicht wie er ist, sondern phantasiert sich einen Gott als Erfüllungsgehilfen der eigene Träume. Und da man zu wissen meint, was gerecht ist und wie die Welt zu regieren wäre, erwartet man, dass Gott entsprechend verfährt. Wenn er’s aber nicht tut – ist dann Gottes Existenz widerlegt? Ist nicht bloß unsere Gottesbild als falsch erwiesen? Und ist das verwunderlich, wenn Erwachsene einen allzu kindlichen Glauben pflegen? Schon ein Anfänger im Bibellesen merkt, dass Gott nicht ist, wie die Menschen ihn gern hätten. Einen Kuschelgott, der alles versteht und alles verzeiht, den gibt es nicht. Der Gott aber, den es gibt, der ist definitiv nicht kuschelig, nicht harmlos und nicht nett. Die Bibel behauptet auch nirgends, er sei leicht zu begreifen, sondern im Gegenteil: Der Gott, den es gibt, schert sich wenig darum, was wir fair finden. Und er hat Wichtigeres zu tun, als uns glücklich zu machen. Der Gott der Bibel ist anders, als wir uns Gott wünschen würden. Wer das aber nicht für möglich hält, zieht zwangsläufig falsche Schlüsse: Sobald er merkt, dass Gott nicht funktioniert, wie er das gern hätte, folgert er nicht etwa, dass Gott anders ist, sondern folgert, dass es ihn nicht gäbe. Statt seine irrige Gottesvorstellung zu korrigieren, streicht er jede Gottesvorstellung. Statt seinen Kinderglauben zu verabschieden, verabschiedet er Gott – und tut so, als ob Gott damit aus seinem Leben verschwände. Aber das ist ein Denkfehler. Denn Tolstoi sagt völlig zurecht: „Wenn ein Wilder an seinen hölzernen Gott zu glauben auf-hört, heißt das nicht, dass es keinen Gott gibt, sondern nur, dass er nicht aus Holz ist.“ Dasselbe gilt von Erwachsenen, die über ihren Kinderglauben stolpern. Und doch meinen viele, wenn die Wirklichkeit ihr Wunschbild Gottes widerlegt, sei Gott wiederlegt.

Verbindet sich dieser zweite Denkfehler aber mit dem ersten – wie soll der Mensch da noch richtige Schlüsse ziehen? Man sagt sich, wenn Gott gut sei, müsse er doch wollen, was uns gut tut! Und dann schaut man in die Welt, die einem so oft gar nicht gut tut, sondern quer kommt – und schon scheint die Existenz Gottes widerlegt. Denn einerseits hegt man die Vorstellung Gottes als eines netten Onkels. Andererseits erfährt man eine grausame Welt, die uns das Fürchten lehrt. Und wenn man die beiden nebeneinanderhält und vergleicht, ist schnell ausgemacht, dass sie nicht zusammenpassen. Wenn Gott mich liebte, würde er mir’s recht machen, denkt der Mensch, und wenn er‘s mir nicht recht macht, dann gibt’s ihn nicht! Stelle ich mir Gott als einen harmlosen Greis vor und frage ich mich, ob diese schreckliche Welt wohl Ausdruck seines Willen sein kann, so werde ich zwangsläufig Atheist. Doch das liegt dann nicht daran, dass es schwer wäre an Gott zu glauben, sondern bloß daran, dass man aus falschen Voraussetzungen keine richtige Folgerung ziehen kann. Man stolpert nicht über den biblischen Glauben, sondern nur über die eigenen Missverständnisse. Und warum fällt das keinem auf? Warum wird es nicht korrigiert? Warum zweifeln die Atheisten nicht mal zur Abwechslung an ihren Zweifeln?

Ich fürchte: weil sie mehrheitlich zu gar keinem anderen Ergebnis kommen wollen. Und wenn’s auch bitter klingt, ist das doch das dritte Geheimnis des Unglaubens, das ich ausplaudern möchte. Denn Gottes Dasein zu leugnen, ist heutzutage keine argumentativ starke, sondern in erster Linie eine bequeme Haltung. Früher fanden Atheisten durch schwere innere Kämpfe zu ihrer Position – und das Ergebnis war ein sehr respektabler, erlittener Atheismus. Doch die meisten, die heute von sich sagen, dass sie nicht glauben könnten, wollen es auch gar nicht, suchen, fragen, ringen nicht darum, sondern sind mit ihrem Unglauben ganz zufrieden. Sie möchten auch von nichts anderem überzeugt werden. Gott zu ignorieren, ist ihnen zur schlechten Gewohnheit geworden. Denn wenn das Herz nicht glauben will, lässt der Kopf die Botschaft gar nicht erst an sich heran und ist auch mit schlechten Argumenten zufrieden, wenn sie nur seinen Unglauben stützen. Diese Menschen wollen einfach nicht, dass es über ihnen eine höhere Instanz gibt, die ihnen etwas zu sagen hätte. Sie haben sich daran gewöhnt, selbst das Maß der Dinge zu sein, und sagen darum: „Ach nein – gäbe es einen Gott, der mich geschaffen hat, wo bliebe dann mein Traum von Autonomie und Selbstbestimmung?“ Sie ahnen, dass Gott, wenn er existiert, Ansprüche erheben kann. Sie müssten ihm dann im eigenen Leben einen Platz einräumen. Wer ihn hereinlässt, ist nicht mehr Herr im Haus. Und um das zu umgehen, sagt man, man sei zu „kritisch“ und „aufgeklärt“. Doch in Wahrheit geht es nicht um Vernunftgründe. Dieser Atheismus ist die Erfindung derer, die die Wirklichkeit Gottes nicht aushalten, und darum in die Illusion fliehen, sie könnten ihn ignorieren. Früher nannte man so etwas eine „Milchmädchen-Rechnung“. Darum muss man heute wohl von einem recht verbreiteten „Milchmädchen-Atheismus“ sprechen…