Das Zeichen des Jona
Was sagt uns Gottes Schweigen?
Das Neue Testament erzählt von einem kurzen Gespräch, in dem einige Pharisäer an Jesus herantreten, um einen Zeichen von ihm zu fordern, durch das er sich legitimieren soll. Sie glauben nicht, dass er Gottes Sohn ist, und schlagen deshalb vor, er solle doch – wenn er tatsächlich Gottes Sohn – ist irgendetwas tun, was seine himmlische Herkunft beweist. Lauf doch mal über’s Wasser, Jesus, oder lasse einen Felsen in der Luft schweben! Verwandle Steine in Brot oder beeindrucke uns sonst irgendwie, Jesus, imponiere uns, dann wollen wir dir auch glauben!
Jesus aber tut diesen Leuten den Gefallen nicht und weist ihre Forderung ab, so wie er sich stets geweigert hat, irgendwelche Wunder oder Machttaten vorzuführen, nur damit jemand sie bestaunen kann. Jesus weiß, dass solche Vorführungen nicht wirklichen Glauben wecken, sondern den Glauben eher überflüssig machen, weil sie ihn durch Beweise ersetzen. Jesus aber muss niemandem etwas beweisen. Er will anders überzeugen. Er fordert Vertrauen. Und auf die, die Beweise verlangen, kann er offenbar gut verzichten. Denn er lässt sie einfach stehen und geht seiner Wege...
Was mich an der Sache aber beschäftigt – das ist der letzte Satz Jesu. Denn er sagt zu seinen Gegnern: „Ein böses und abtrünniges Geschlecht fordert ein Zeichen; doch soll ihm kein Zeichen gegeben werden, es sei denn das Zeichen des Jona.“ Was mag das sein – das „Zeichen des Jona“? Was meint Jesus damit?
Matthäus deutet das Wort an anderer Stelle als einen Hinweis auf die drei Tage zwischen dem Tod und der Auferstehung Jesu, die den drei Tagen entsprechen, die Jona im Bauch des Fisches verbrachte. Doch diesen Hinweis hätte vor Ostern niemand verstehen können – und Jesu Gesprächspartner am allerwenigsten.
Manchmal wird der Satz auch so gedeutet, dass Jesus selbst das Zeichen sei, so wie Jonas für das Volk von Ninive ein Zeichen sein sollte. Doch in diesem Sinne ist jeder Prophet ein „Zeichen“ – und man fragt sich, warum Jesus von den vielen Propheten ausgerechnet Jona nennen sollte.
Wenn man Jesu Wort aber so interpretiert, dass „das Zeichen des Jona“ ein Zeichen war, das Jona nicht war, sondern eines, das er bekam, so gerät man erst recht ins Grübeln. Denn welches Zeichen hätte Jona bekommen?
Gehen wir seine Geschichte mal daraufhin durch: Am Anfang wird Jona berufen, als Prophet des drohenden Unheils nach Ninive zu gehen. Von einem besonderen „Zeichen“ ist da aber nirgends die Rede. Und als Jona sich dieser Berufung entziehen will, weil Bußpropheten unbeliebte Leute sind, als er das Schiff besteigt, um seinem Auftrag zu entfliehen, da wird er auch von keinem „Zeichen“ aufgehalten, sondern von einem gewaltigen Sturm.
Als die Besatzung des Schiffes schon mit dem sicheren Untergang rechnet, gesteht Jona seine Schuld. Er weiß, dass es seinetwegen stürmt, und schlägt den anderen vor, sie sollten ihn über Bord werfen. Jona will also immer noch nicht zu seinem Auftrag zurückkehren, sondern sucht lieber einen nassen Tod. Was er aber findet, ist jener Walfisch, in dessen Bauch er drei nachdenkliche Tage verbringen darf. An Land gespuckt geht Jona dann endlich nach Ninive, er richtet Gottes Botschaft aus und ruft das Volk zur Umkehr. Weil er aber meint, dass dies ohne Wirkung bleiben wird, sucht er sich außerhalb der Stadt einen Logenplatz, um aus sicherer Entfernung Gottes Strafgericht mitzuerleben – das dann zum großen Ärger des Jona ausbleibt. Wir kennen das alles und können es als bekannt voraussetzen. Nur: Wo – um alles in aller Welt – soll da ein Zeichen sein? Jona bekommt gar kein Zeichen, sondern er macht nur dreimal die Erfahrung, dass er seinen Willen nicht gegen Gottes Willen durchsetzen kann:
Als Jona fliehen will, durchkreuzt Gott seine Pläne durch den Sturm. Als Jona statt umzukehren lieber auf hoher See sterben will, durchkreuzt Gott seine Pläne durch den Walfisch. Und als Jona auf den Untergang Ninives wartet, um mitzuerleben und zu beweisen, dass die Predigt sinnlos war, zu der Gott ihn gezwungen hat, da durchkreuzt Gott seine Pläne noch einmal, indem er die Menschen in Ninive umkehren lässt und die Stadt verschont. Da ist weit und breit kein „Zeichen“ für Jona! Was aber, wenn gerade darin das Zeichen des Jona gelegen hätte, dass er kein Zeichen bekam? Was, wenn das Schweigen Gottes gerade das war, was Gott ihm zu sagen hatte?
Jona wollte dreimal auf eigene Faust handeln, er wollte dreimal seinen Kopf durchsetzen, wollte dreimal Recht behalten. Gottes Antwort aber bestand darin, seinen widerspenstigen Propheten dreimal ins Leere laufen zu lassen und ihm keine Ruhe zu gönnen – bis er Jona dort hatte wo er ihn haben wollte. Jona wurde nicht erlaubt, vor Gottes Auftrag wegzulaufen, es wurde ihm nicht erlaubt, in einen nassen Tod zu fliehen, und es wurde ihm nicht erlaubt, einen bitteren Triumph über Ninive zu feiern. Alle Wege, die Jona ohne Gott gehen wollte, wurden ihm verstellt. Wenn aber gerade das das „Zeichen des Jona“ wäre, dass Gott schweigt und dem Menschen schweigend die Wege verstellt, auf denen er seiner Bestimmung auszuweichen versucht, wäre dies „Zeichen des Jona“ dann nicht von höchster Aktualität, so dass wir sagen müssten: „Hoppla – so ein Zeichen habe ich auch schon mal bekommen?“
Es fehlt ein direkter Beweis, dass Jesu Wort so verstanden werden will. Aber man kann es so verstehen, und dann meine ich, beschreibt das „Zeichen des Jona“ eine Form von Gotteserfahrung, die gerade in unserer Zeit häufig gemacht wird. Denn unsere moderne Gesellschaft denkt ja im Großen und Ganzen wie jene Pharisäer. Viele unserer Zeitgenossen fordern, Jesus solle sich vorweg erst mal legitimieren, und wenn er das nicht tut, wenden sie sich ab. „Ha“, sagt der moderne Mensch, „Gott soll mir erst mal beweisen, dass es ihn gibt, dann denke ich vielleicht darüber nach, ob ich auf ihn hören will!“
Jesus aber antwortet heute wie damals, dass so einem bösen und abtrünnigen Geschlecht kein Zeichen gegeben wird – außer dem Zeichen des Jona, dass diese Leute nämlich auf ihrer Flucht vor Gott nirgends ankommen werden und nirgends Ruhe finden – wie man es an unserer Gesellschaft ja auch täglich sieht: Die Wege, die der Mensch ohne Gott geht, die führen nicht wirklich zum Ziel. Und wo er ohne Gott Frieden schaffen will, da verstrickt er sich gleich in neuen Streit. Weil er Gott nicht hören will, erlebt der moderne Mensch wie Gott so dröhnend schweigen kann. Und weil er die Gegenwart seines Schöpfers nicht spüren möchte, ist er verurteilt unter seiner Abwesenheit zu leiden. Denn so ist es ja nur recht und billig:
Wer mit ganzem Herzen an der Macht und am Geld hängt, der soll genau über diese seine Götzen stolpern und fallen. Wer Gottes Zeichen ignorieren will, der darf ohne Zeichen in die Irre gehen – und sein einziges Zeichen wird sein, dass er kein Zeichen Gottes bekommt, außer vielleicht dem, dass ihm Gott seine Wege schweigend durchkreuzt.
Wenn das aber das „Zeichen des Jona“ sein sollte, dann wäre in unserer Gesellschaft, die gern über einen Mangel an Gotteserfahrung klagt, genau dieser Mangel die wichtigste Gotteserfahrung überhaupt, die wir gar nicht hoch genug schätzen können! Denn dieses „Zeichen des Jona“ – kein Zeichen zu sehen und doch Gott nicht entfliehen zu können – kann heilsam sein und kann einen Menschen durchaus zur Umkehr führen, wie es ja auch den Jona dazu brachte, in Ninive zu predigen.
Vielleicht will ein Mensch in seinem Leben aller Religion den Abschied geben – und schafft es nicht. Vielleicht will er dann politisch aktiv werden – und findet darin keine Befriedigung. Vielleicht flieht er in irgendeinen Rausch, in ein Abenteuer oder eine Liebschaft – und kann doch nirgends seinen Hunger stillen. Ja, mancher Mensch wendet sich hierhin, dahin und dorthin, nur um nicht Gott zu begegnen und entgeht ihm am Ende doch nicht!
Wenn das aber ein Zeichen Gottes sein kann, uns bewusst ohne weitere Zeichen zu lassen und dabei ganz laut zu schweigen, sollten wir dann nicht anfangen sein Schweigen zu hören und zu verstehen, was er uns damit sagt, dass er uns nichts weiter sagt?
Es bleibt dabei: Dem bösen und abtrünnigen Geschlecht “...soll kein Zeichen gegeben werden,
es sei denn das Zeichen des Jona.“ Und doch sollten wir nicht vergessen, dass Jonas Geschichte gut endet und dass sie zuletzt mit all ihren Härten und Umwegen notwendig war. Denn hätte Gott den Jona laufen lassen, so wäre das für Jona und für die Leute in Ninive viel schlimmer gewesen als das, was geschah.
Jona fliehen zu lassen, damit er seine Bestimmung endgültig verfehlt, ihn im Meer ertrinken zu lassen, damit er auf diese Weise Gott trotzen könne, oder seiner Schadenfreude Nahrung zu geben – das alles wäre schlimmer gewesen. Denn wenn Gott uns die falschen Türen immer wieder vor der Nase verschließt und geduldig wartet, bis wir endlich die richtige Klinke herunterdrücken, dann ist das ja eine Form barmherziger Fürsorge. Dass wir diese Fürsorge aber in unserem eigenen Leben entdecken, dass wir vor den verschlossenen Türen klug werden und ihre Verschlossenheit als das „Zeichen des Jona“ zu schätzen lernen, das gebe uns Gott...
Bild am Seitenanfang: Jonah and the Whale
Pieter Lastman, Public domain, via Wikimedia Commons