Eine Geschichte von Verlusten
Wenn ein Leben endet, kann man im Rückblick oft nur staunen, wie viele Höhen und Tiefen in ein paar Jahrzehnten Platz haben. Wieviel Leid kann in 60 oder 70 Jahren erlebt werden – und wieviel Freude! Wie viele schöne Momente kommen da zusammen und wie viele schwere! Am Ende ist es eine bunte Mischung voller Umbrüche und Wechsel. Nur dass der Mensch eben alles, was er im Laufe des Lebens geschenkt bekam, irgendwann wieder hergeben musste. Ja, unser aller Leben nimmt so einen gemischten und zuletzt tragischen Verlauf. Denn was uns auf Erden geschenkt wird, werden wir zuletzt nicht festhalten können, so dass man unser Leben als eine fortgesetzte Geschichte von Verlusten sehen kann:
Wir verlieren nach und nach die Träume unserer Jugend, und verlieren viel Zeit mit belanglosen Dingen. Wir verlieren geliebte Menschen und verlieren ungenutzte Chancen. Wir verlieren mit den Jahren an Kraft und Gesundheit – verlieren vielleicht auch die Kontrolle über uns selbst. Und der letzte Verlust, den wir erwarten, das ist dann der Verlust des Lebens. Ob wir das aber „fair“ finden – wer fragt danach? Ein anderer entscheidet, wann wir genug gelebt haben! Und je klarer wir das sehen, umso wichtiger wird es, dass wir uns bewusst darauf einstellen, anfangen das Bleibende vom Vergänglichen zu unterscheiden und dem Ewigen dann Vorrang einräumen vor dem Zeitlichen, weil wir das Zeitliche sowieso verlieren, und dann nur noch das Ewige zählt. Jesus hat das auf den Punkt gebracht als er fragte: „Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme Schaden an seiner Seele?“
Nichts! – lautet natürlich die Antwort. Nichts würde es dem Menschen helfen! Denn am Ende zählen nicht die Besitzstände und Erfolge dieser Welt, die wir sowieso zurücklassen, sondern am Ende zählt nur noch der Zustand unserer Seele, die wir in Gottes Obhut gegeben haben oder eben nicht. Das Wort Jesu, erinnert uns daran, dass es in der Lebensbilanz auf ganz vieles nicht ankommt. Es kommt am Ende nicht darauf an, dass unsere Wünsche erfüllt wurden. Es kommt nicht darauf an, ob unser Leben den Verlauf nahm, den wir in der Jugend erträumten. Es kommt auch nicht darauf an, dass wir gewinnen, was die Welt für groß uns wichtig hält. Sondern darauf kommt‘s alleine an, dass im Auf und Ab des Lebens unsere Seele gesund bleibt, gefestigt wird im Glauben und ihre Heimat findet in Gott.
Nur das zählt am Ende. Denn daran entscheidet sich die Frage der Erlösung und damit das Schicksal unserer Seele in der jenseitigen Welt. Was also wiegt das kurze, irdische Wohlbefinden im Vergleich zur ewigen Seligkeit? Was nützt die Gesundheit des Leibes, wenn die Seele dabei verwahrlost? Was nützt die Freundschaft der Menschen, wenn ich nicht aufrecht bin vor Gott? Was nützt ein Leben voller Vergnügen, wenn ihm der Sinn fehlt? Und was nützt der erfolgreichste Lebensweg, wenn er nirgendwo hinführt als nur ins Grab? „Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme Schaden an seiner Seele?“
Weil’s also auf unseren inneren Zustand viel mehr ankommt als auf den äußeren, darum ruft Jesus uns auf, die Kürze des Lebens zu bedenken und uns auf das Wesentliche zu besinnen: Das Wesentliche ist aber nicht, dass ein Mensch sehr alt wird, dass er ums Leiden herumkommt oder von anderen bewundert wird, sondern wesentlich ist nur, ob wir mit Gott im Reinen sind. Wahrlich: Wir sollten uns weniger darum sorgen, ob uns das Leben etwas schuldig bleibt, sondern darum, dass wir Gott nicht schuldig bleiben Ehrfurcht und Vertrauen!
Doch kann man das Wort Jesu auch umdrehen und damit ins Tröstliche wenden. Wenn Jesus nämlich sagt „Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme an seiner Seele Schaden?“, dann gilt auch die logische Umkehrung dieser Frage: „Was schadete es dem Menschen, wenn er die ganze Welt verlöre, und seine Seele bliebe bewahrt?“
Nichts könnte es ihm schaden! – muss unsere Antwort lauten. Oder vermag die Welt etwas zu nehmen, was Gott uns nicht widergeben könnte? Kann uns die Welt Unruhe machen, wenn unsere Seele Frieden hat? Und können wir nicht getrost alles Äußere untergehen lassen, wenn doch unser Innerstes bewahrt bleibt in Gottes Hand? Ist denn noch mehr an uns dran, das der Verewigung wert wäre? Nein? Und wenn nicht: Kann uns dann schwerer Schaden zugefügt werden, solange Gottes Auge über unserer Seele wacht?
Unsere Antwort darf wiederum „Nein“ lauten. Und dieses „Nein“ ist zugleich die Vollendung des Glaubens und die beste Vorbereitung auf den Tod. Denn wer dies „Nein“ mit Gewissheit spricht, der hat gelernt, Vergängliches und Unvergängliches zu unterscheiden. Wenn ich die ganze Welt gewönne, und wäre doch fern von Gott, so wäre damit nichts gewonnen. Wenn ich aber diese ganze Welt verlöre, und wäre doch bei Gott geborgen, so wäre damit nichts verloren. Weil das nun aber nicht nur für uns gilt, sondern ebenso für unsere Verstorbenen, darum können wir sie ohne Bitternis zu Grabe tragen. Hätte einer die ganze Welt gewonnen, und doch Schaden an seiner Seele genommen, so hätte der Tod Macht über ihn. Hat er aber sterbend die ganze Welt verloren und zuvor seine Seele in Gottes Hand gelegt, so ist gar nichts verloren, sondern alles gewonnen…
Bild am Seitenanfang: Dance on the Quay
Hugo Simberg, Public domain, via Wikimedia Commons