Reformationsjubiläum 2017 - ein Zwischenruf

Reformationsjubiläum 2017 - ein Zwischenruf

Zum Reformationsjubiläum 2017 wird für Hochglanzbroschüren und Events viel Geld ausgegeben. Man kann Luthersocken kaufen, Playmobil-Luther-Figuren, Luther-Kekse, Luther-Mousepads und vieles mehr. Weil ich aber als „Fan“ Martin Luthers bekannt bin, erwarten viele, auch ich müsste Fähnchen schwingen und 500 Jahre Reformation feiern. Doch mir ist gar nicht danach. Ich trage die Lutherrose sozusagen mit Trauerflor. Denn mir scheint, dass man eine große Tradition nur feiern kann, wenn man sie auch treulich bewahrt hat. Und das kann man nicht von allen Teilen der Evangelischen Kirche so sagen. Die Reformatoren haben ihr einen guten Weg gewiesen. Aber inzwischen ist ein nicht geringer Teil der Kirche so weit davon abgekommen und distanziert sich von reformatorischen Positionen so deutlich, dass 2017 weniger Anlass zum Feiern besteht, als zu Trauer und Busse. Doch wie kann ich das öffentlich begründen, ohne dass sich die Falschen darüber freuen, die der Kirche sowieso nur übelwollen? Ich will mir damit behelfen, dass ich einen Witz erzähle, den ich bei Adrian Plass gelesen habe und der den zugrundeliegenden Schaden genau trifft und offenlegt. Die Geschichte geht so:

 

Ein Pfarrer muss entscheiden, welche Farbe der neue Kirchenteppich haben soll. Weil er aber den Hang hat, alles zu kontrollieren, beruft er in das Komitee – neben sich selbst – noch drei Kirchenvorsteher, von denen er glaubt, sie leicht überzeugen zu können. Die vier treffen sich also. Der Pfarrer wünscht sich einen roten Teppich für die Kirche. Und zwei der drei Kirchenvorsteher akzeptieren seine Wahl widerspruchslos. Nur das vierte Mitglied der Gruppe findet, dass blau besser zu dem Gebäude passen würde. Und der sagt: „Finden Sie nicht, dass wir Gott fragen sollten, was er bevorzugt?“ Der Pfarrer stimmt zögernd zu. Er spricht ein flüchtiges Gebet. Und sofort erklingt eine donnernde Stimme vom Himmel, die sagt: „ICH WILL BLAU!“

Der Pfarrer braucht einen Moment, um sich von dem Schreck zu erholen. Aber dann blickt er auf und sagt: „Na, da haben wir es ja: Drei Stimmen gegen zwei! Wir nehmen also den roten Teppich...“

 

Nun – auf den ersten Blick ist das eine lustige Anekdote. Aber leider ist es viel mehr als das. Es ist zugleich traurige Wirklichkeit und beschreibt den Schaden erschreckend genau. Es beschreibt die herrschende Theo-Logik, die Mentalität der Entscheidungsträger und die gängige Praxis, dass man Gottes Stimme nur eine unter vielen sein lässt. „Aber nein!“ erwidert man mir: „Wir fragen doch nach Gottes Stimme, wir studieren Gottes Wort und predigen die Bibel!“ Aber – das ist der springende Punkt – man hört daneben noch ganz viele andere Stimmen, die man (so wie der Pfarrer im Witz) auf gleicher Ebene mit Gottes Stimme verrechnet.

„Na ja, klar“ heißt es dann: „Wir können doch nicht auf Gottes Wort allein hören, wir müssen doch auch mit der Zeit gehen. Neben Gottes Wort zählt schließlich auch die Stimme der Vernunft! Man muss die Umstände berücksichtigen, was die Leute verstehen können und was sie zu akzeptieren bereit sind! Wir müssen uns als Kirche in gesellschaftliche Gegebenheiten fügen und dürfen die öffentliche Meinung nicht außer Acht lassen. Wir wollen doch niemanden verprellen!“

So kommen dann neben Gott noch viele andere Stimmen zu Wort, denen man eigenes Gewicht zubilligt. Man hört juristische Argumente und finanzielle, kirchenpolitische und verwaltungstechnische. Lobbyisten kommen zu Wort, Organisationsberater, Politiker, Journalisten, Experten und Strategen aller Art! Um ausgewogen zu erscheinen, lässt man jeden mitreden und bildet für alles eine Kommission. Wenn einer sagt: „Wollen wir nicht mal Gott fragen, was er will?“ wird sogar das erlaubt. Nur läuft es dann nicht wie bei Luther (dass nämlich Gottes Stimme alle anderen aufhebt und die Diskussion beendet), sondern Gottes Stimme wird mit den vielen anderen abgeglichen und ins Verhältnis gesetzt, wird dadurch relativiert und am Ende „überstimmt“. Denn wenn die säkulare Vernunft ein Votum abgeben darf, der Zeitgeist, das Eigeninteresse der Institution und auch „Volkes Stimme“, wenn die Pragmatiker ebenso mitreden wie die Werbestrategen, die Verwaltungsleute, die Sponsoren und die zahlende Kundschaft – dann steht‘s am Ende neun zu eins gegen Gott, und er hat die Abstimmung verloren…

„Ja geht’s denn noch?“ hätten die Reformatoren gerufen: „Seid ihr noch bei Trost? Seit wann duldet Gottes Wort Widerrede? Welches Gewicht können menschliche Meinungen dagegen haben? Ist der Schöpfer nicht gegen jede Versammlung von Geschöpfen stets in der Mehrheit? Macht sein Wort nicht jede weitere Diskussion überflüssig?“

Doch da zucken viele bloß mit den Schultern – und setzen das Spiel fort, weil es wunderbar funktioniert und demjenigen die Macht verleiht, der am Anfang die Kommissionen besetzt und am Ende die Stimmen gewichtet. Man spielt die Voten gegeneinander aus und behält die Kontrolle! Aber ist das noch „evangelische Kirche“ im Sinne der Reformation?

Das ist der Grund, weshalb ich 2017 kein Fähnchen schwenke und nicht juble, sondern die Lutherrose mit Trauerflor trage. Denn man hört Gott – und hört ihn doch nicht. Man lässt ihn reden – ohne zu folgen. Dass dies aber Selbstbetrug ist: muss man das noch sagen? Gottes Wort braucht keine Mehrheiten, um in Geltung zu stehen. Es bedarf keiner Autorisierung, sondern ist selbst oberste Autorität. Gottes Wort wird von niemandem beurteilt, sondern es urteilt. Und weil es wahr ist, fügt ihm Applaus nichts hinzu, und Kritik bricht ihm nichts ab.

Spielen wir also keinen Spielchen mit Gott – so als wäre er ein Diskussionsteilnehmer und wir die Moderatoren. Gott wartet nicht darauf, dass wir ihm das Wort erteilen. Er hat längst geredet. Dieses verbindliche Reden ist der Ausgangspunkt und die Denkvoraussetzung, ohne die es keine evangelische Kirche gibt. Wer dieses Reden Gottes aber hoch problematisch, undeutlich, zweifelhaft und diskutabel findet – ich fürchte, der hat seine wahre Bekehrung noch vor sich. M.a.W.:

Es ist ein notwendiges Kennzeichen evangelischer Christen, dass sie den kategorischen Unterschied zwischen menschlichen Meinungen und Gottes Wort kennen und respektieren. Wenn wir von diesem Respekt wieder mehr sehen und sehen lassen, haben wir Grund zum Feiern – und dann lasse ich als erster die Korken knallen! Vorher aber nicht.

 

 

 

 

Bild am Seitenanfang: Die Kapelle

Arnold Böcklin, Public domain, via Wikimedia Commons