II

STIMMUNGEN IM LEIDENSKAMPFE.

 

3 AUSGEWÄHLTE CHRISTLICHE REDEN.

 

Motto K’s:

„Lauschen will ich einem Spruch

mit meinem Ohr, mein Rätselwort

hervorbringen unter Zitherspiel.“

Ps. 49,4 (Grundtext).

 

 I.

DAS FREUDIGE DARIN,

DASS MAN NUR EINMAL LEIDET, ABER EWIG SIEGT.

 

Derjenige, der einen Zweck erreichen will, muß auch die Mittel dazu wollen. Aber, nicht wahr, damit wird angenommen oder eingeräumt, daß er auch weiß, was er will. Wenn das angenommen ist, so halten wir ihn bei „den Mitteln“ fest, indem wir sagen, „dann mußt du auch die Mittel wollen“. Manchmal ist es vielleicht not-wendig, noch weiter zurück zu gehen, und zu sagen, “derjenige, der etwas will, muß zuvörderst wissen, was er will, das ist sich selbst verstehen hinsichtlich dessen, was er will.“ Für den Ungeduldigen, der sogleich seine Absicht erreichen will, scheint es sehr umständlich, noch an die Mittel denken zu müssen, die zu brauchen sind. „O, über diese tötende Langsamkeit, den Anfang so weit zurück zu legen: Derjenige, der etwas will, muß auch wissen, was er will, muß sich selbst verstehen hinsichtlich dessen, was er will!“

Ebenso nun im Verhältnis zu dem, was ja die Aufgabe der erbaulichen Rede ist, zu erbauen, oder richtiger im Verhältnis zu dem, erbaut zu werden! Es gäbe vielleicht einen, der nur oberflächlich erbaut werden wollte, und der, wenn er sich die Zeit dazu nehmen würde, zu verstehen, was er will, oder sich die Zeit dazu nehmen würde, daß man es ihm erklären könnte – sehr bedenklich werden würde und nun am liebsten davon befreit werden möchte, sich “erbauen“ zu lassen! Mißverständnis kommt öfters vor im Leben. Ein Mensch kann heftig, leidenschaftlich, ja hartnäckig etwas begehren, dessen nähere Beschaffenheit er gar nicht kennt, und dessen nähere Beschaffenheit vielleicht gerade das Ent-gegengesetzte von dem ist, was er erwartete! So ist es mit dem Erbaulichen, das wahrhaftig an und für sich ein Gut ist, und deshalb fordern darf, daß der Einzelne, der erbaut werden will, dabei sich selbst verstanden hat, damit er nicht leicht-sinnig-, weltlich-, gedankenlos-wünschend das Erbauliche eitel nehme – und sich dann bedanke, wenn er erfährt, was es ist!

Was ist nämlich das Erbauliche? Die erste Antwort darauf, was das Erbauliche ist, lautet: Es ist das Entsetzende! Das Erbauliche ist nicht für den Gesunden, sondern für den Kranken, nicht für den Starken, sondern für den Schwachen. Für den vermeintlich-Gesunden und -Starken muß es sich deshalb zuerst als das Entsetzende erweisen! Der Kranke findet sich selbstverständlich da hinein, in der Behandlung des Arztes zu sein. Aber für einen Gesunden wäre es doch entsetz-lich zu entdecken, daß er einem Arzt in die Hände geraten sei, der ihn ohne weiteres als Kranken behandelte. Ebenso mit dem Erbaulichen, das zuerst das Entsetzende ist: Für den Nicht-Zerknirschten ist es zuerst das Zerknirschende! Wo es gar nichts Entsetzliches gibt, und gar kein Entsetzen, da gibt es auch gar nichts Erbauliches, und gar keine Erbauung! Es gibt Vergebung der Sünde, das ist erbaulich, das Entsetzliche dabei ist, daß es Sünde gibt. Und die Größe des Entsetzens in der Innerlichkeit des Schuldbewußtseins steht im Verhältnis zur Größe der Erbauung. Es gibt Heilung für jeden Schmerz, Sieg in jedem Kampf, Erlösung in jeder Gefahr, das ist erbaulich. Das Entsetzliche ist, daß es dabei Schmerz, Kampf, Gefahr gibt; und die Größe des Entsetzenden und des Ent-setzens entspricht hierin der des Erbaulichen und der Erbauung.

So tief liegt das Erbauliche! Es ist in Hinsicht auf das Finden des Erbaulichen wie bei jenem künstlichen Brunnenbohren, wo man viele, viele Faden graben muß – dann springt allerdings auch der Strahl um so höher! Zuerst muß man achtgeben und genau hinsehen, um das Entsetzende zu finden. Denn das Entsetzende ist im Verhältnis zum Erbaulichen wie die Wünschelrute im Verhältnis zum Quell-sprudel. Wo die Rute sich neigt, das ist die Quelle im Boden; und wo das Ent-setzliche ist, da ist das Erbauliche nahe im Grunde. Wenn man nun, nachdem man achtgegeben hat, um das Entsetzende zu finden, wiederum achtgibt, so findet man das Erbauliche!

So sicher ist das Erbauliche seiner selbst, so voll von Vertrauen zu sich selbst! Man soll das Entsetzen nicht fürchten, als hinderte es die Erbauung, man soll es nicht weichmütig fern halten, in der Hoffnung die Erbauung um so behaglicher zu machen. Denn mit dem Entsetzen hört eben auch die Erbauung auf. Aber andererseits, gerade im Entsetzen ist die Erbauung! So siegreich ist das Erbau-liche, daß das, was auf den ersten Blick dessen Feind scheinen konnte, zur Voraussetzung für dasselbe gemacht wird, zum Diener, zum Freund. Wie die Heilkunst siegreich die Schwierigkeit überwindet, Gift in ein Heilmittel zu ver-wandeln, ebenso, aber viel herrlicher, wird im Erbaulichen das Entsetzen in Erbauung verwandelt!

Also verhält es sich auch mit dem, was der Gegenstand dieser Rede ist. „Man leidet nur einmal“ – das läßt sich so schnell sagen, es lautet beinahe leichtsinnig, wie ja auch in der Welt das leichtsinnige Wort oft gehört wird: “Genieße das Leben, man lebt nur einmal!“ Aber um das Erbauliche zu finden, muß man zuerst das Entsetzende finden, und somit sich hier Zeit lassen, zu verstehen, daß ja in diesem Wort die tiefste Lebensbetrachtung enthalten ist. „Man leidet nur einmal“ – das ist, wie wenn man von einem sagt, er war nur einmal in seinem Leben krank, nur einmal unglücklich – das heißt, sein ganzes Leben hindurch! Sieh, jetzt fängt die Erbauung im tiefsten Sinne an! Aber irdische Scharfsinnigkeit und Ungeduld, und weltliche Sorge, die weltliche Heilung sucht, dürfen nicht das Unmögliche verlangen, daß man ihnen zur Erbauung reden könnte, wenn man über das Christliche reden soll. Denn das Christliche fängt eigentlich eben dort an, oder das eigentlich Christliche fängt überhaupt erst an, wo die menschliche Ungeduld dasselbe, was sie von wirklichen Leiden auch zu beklagen gehabt hätte, unendlich vergrößert finden würde – durch den Trost, ja – durch den Trost zum Verzweifeln! Denn weltlich ist der christliche Trost viel mehr zum Verzweifeln als das schwerste irdische Leiden und das größte zeitliche Unglück! Da fängt die Erbauung an, die “christliche“ Erbauung, die nach ihm benannt wird, unserm Herrn und Erlöser; denn auch er litt „nur einmal“ – aber sein ganzes Leben war Leiden!

So laßt uns denn reden über:

Das Freudige darin, daß man nur einmal leidet, aber ewig siegt!

 

 Man leidet nur einmal, aber man siegt ewig. Insofern siegt man ja auch „nur einmal?“ Ganz gewiß! Doch ist der Unterschied unendlich, nämlich der, daß des Leidens “einmal“ der Augenblick ist, des Sieges – die Ewigkeit. Des Leidens “einmal“ ist deshalb, wenn es vorbei ist – „keinmal“, des Sieges „einmal“, in einem andern Sinn, auch – „keinmal“, denn es ist nie vorbei. Des Leidens „ein-mal“ ist ein Übergang oder ein Durchgang, das des Sieges ein ewig währender Sieg!

Des Leidens „einmal“ ist der Augenblick, oder man leidet nur einmal. Ob das Leiden siebzig Jahre währt, es ist nur einmal; ob das eine Mal die siebenmal siebzigmal ist, so ist es doch nur einmal! Denn die Zeitlichkeit selbst, die ganze, ist der Augenblick; ewig verstanden, ist die Zeitlichkeit der Augenblick, und der Augenblick ewig verstanden – nur „einmal“! Vergeblich will die Zeitlichkeit sich wichtig machen, die Augenblicke zählen, sie zählen und zusammenzählen – wenn das Ewige wird herrschen dürfen, kommt sie nie weiter, wird nie zu mehr, als zum „einmal“. Die Ewigkeit ist nämlich der Gegensatz. Sie ist nicht der Gegensatz zu einem einzelnen Augenblick in der Zeitlichkeit (das ist sinnlos!), sie ist der Gegensatz zur ganzen Zeitlichkeit. Und sie setzt sich mit den Kräften der Ewigkeit dem entgegen, daß die Zeitlichkeit zu mehr würde! Wie Gott zum Wasser sagte: „Bis hierher und nicht weiter“, so sagt die Ewigkeit zur Zeitlichkeit: „Bis hierher und nicht weiter. Du bleibst, so lange du auch währst, der Augen-blick, weder mehr noch weniger; dafür stehe ich, die Ewigkeit, ein, oder dazu zwinge ich, die Ewigkeit, dich.“ So wenig die Schmarotzerpflanze, so lange sie auch zu wachsen fortfährt, und wieweit sie sich auch längs der Erde ausbreitet, je in die Höhe wächst, so wenig wird die Zeitlichkeit, wie lange sie auch währt, zu etwas mehr als der Augenblick und das eine Mal – wenn die Ewigkeit herrscht! Darum sagt der Jüngling, der an des Lebens Anfang steht, mit demselben Recht wie der Greis, der am Lebensende steht, und das Zurückgelegte überschaut – man leidet nur einmal. Mit demselben inneren Recht, nämlich in Kraft des Ewigen, aber nicht mit derselben persönlichen Wahrheit, ob die Aussage auch gleich wahr ist. Denn der Jüngling sagt, was wahr ist, aber der Greis hat das wahr gemacht, was doch schon ewig wahr ist. Es ist dabei nur der Unterschied, den man aber in diesen Zeiten oft genug übersehen hat: Über all’ diesem Be-weisen und abermaligen Beweisen hat man ganz vergessen, daß das Höchste, was ein Mensch vermag, das ist – eine ewige Wahrheit wahr zu machen, das selbst zu bewahrheiten, was wahr ist – indem man es tut, indem man selbst der Beweis ist mit einem Leben, das vielleicht auch andere wird überzeugen können! Hat auch wohl Christus sich je darauf eingelassen, die eine oder die andere Wahrheit zu beweisen, oder überhaupt die Wahrheit zu beweisen? Nein, aber er machte die Wahrheit wahr, oder er machte das wahr, daß er die Wahrheit ist! Man leidet nur einmal. Aber es geht wie bei jener Schmarotzerpflanze, die längs der Erde kriecht, und wenn du auf sie achtgibst, jeden Augenblick die Neigung hat, in die Höhe zu wachsen, und deshalb, wenn sie unterwegs etwas findet, woran sie sich emporwinden kann, in die Höhe kriecht oder sich die Höhe er-schwindelt! Also möchte auch die Zeitlichkeit, wenn sie in ihrem schleichenden Gange etwas findet, woran sie sich anklammern kann, mit fremder Hilfe hinauf-kriechen, um etwas zu sein! Ja, mit fremder Hilfe, und doch nein, nicht mit fremder Hilfe; denn geschieht das, wird also die Zeitlichkeit zu etwas, so ge-schieht es mit Hilfe desjenigen Menschen, zu dessen Unglück es mit ihm geschieht! Wenn der Mensch seine Kraft nicht vom Ewigen holt, und nicht durch Gemeinschaft mit dem Ewigen Kraft erhält, die Zeitlichkeit niederzuhalten – so stiehlt ihm jene seine Kraft, und mit dieser gestohlenen Kraft wird sie (die Zeit-lichkeit) zu einem ungeheuren Etwas, sie wird seine Ungeduld, seine Verzweif-lung, vielleicht sein Untergang! Hochmut schlägt seinen eigenen Herrn; aber die Zeitlichkeit ist ebenso undankbar, sie wird etwas, indem sie der Ewigkeit Kraft einem Menschen stiehlt – und zum Entgelt bei ihm bleibt und ihn zu ihrem Sklaven macht. Ach, da erfährt der Mensch viel über den „Augenblick“, größer und größer werden die Zahlen, mit denen er rechnet – o, und diese selbe Rechenaufgabe ist doch nur „einmal eins“ (1x1=1, nicht mehr!), wenn die Ewig-keit wird herrschen dürfen! Nun ist solch ein Tag im Leiden lang, ein Monat fürchterlich lang, ein Jahr quälend lang, nicht zum Aushalten, zum Verzweifeln. Jetzt erinnert man sich dieses Males und jenes Males und abermals jenes Males, und schließlich so vieler Male, daß keiner ein Ende oder einen Anfang der vielen Leidensfälle weiß. Aber hatte denn der Herr des Weinberges nicht Recht, da er, dem Übereinkommen gemäß, den Arbeitern gleich großen Lohn auszahlen ließ, obwohl sie zu verschiedener Zeit zur Arbeit berufen worden waren, hatte er nicht – ewig verstanden! – Recht; denn ewig verstanden hatten sie nur einmal gear-beitet? Diejenigen Arbeiter, welche sich beklagten, als geschehe ihnen Unrecht, mußten also von der Zeitlichkeit etwas erfahren haben, was nicht ewig wahr ist; und darin lag ja eben ihr Fehler, sie waren es, die da Unrecht hatten und nicht der Herr. Der Herr ist die Ewigkeit, vor dem kein Zeitunterschied existiert, vor dem die Zeitlichkeit nur das eine Mal ist; der gleiche Lohn ist wiederum das Ewige. Deshalb hatte keiner Grund zu klagen, denn im Verhältnis zu dem Ewigen ist nur ein Übereinkommen möglich, das für alle Menschen gleiche. Und im Verhältnis dazu, den Lohn der Ewigkeit zu erhalten, hat einer nicht länger ge-arbeitet, weil er in der dritten Stunde berufen wurde, nicht länger als derjenige, der in der elften Stunde berufen wurde.

O du Leidender, du hörst ja jeden Abend den Zuruf: „Gebt acht auf Licht und Feuer!“ Du hörst vielleicht auch bisweilen den Zuruf: „Kaufe aus die Zeit!“ Lieber noch wollte ich dir und mir zurufen: “Gib um alles darauf acht, die Zeitlichkeit mit Vorsicht zu brauchen, noch vorsichtiger als Feuer und Licht, damit sie dir nie mehr werde als das „eine Mal“!“ Laß dich nie ein mit der fürchterlichen Aufgabe, mit der doch niemand, der sie angriff, je fertig wurde – die Augenblicke und die Male zählen zu wollen! Gib um alles in Einem fort darauf acht, den „Bruch der Zeit zu kürzen mit Hilfe des Ewigen“, in welchem stets alle Augenblicke „auf-gehen“, und so, daß sie werden – nur „einmal“! Laß nie diesen erbaulichen Trost fahren, „man leidet nur einmal“; wehre dich damit, das heißt mit dem Ewigen, daß du nie in deinem Leben dazu kommst, mehr als einmal zu leiden! Denn, nicht wahr, einmal, o, das kann doch ein Mensch noch aushalten, aber sobald er zweimal leiden soll – so ist die Ungeduld zur Stelle. Ist das nicht so, war es nicht gerade die Ungeduld, die ihn lehrte, daß er zum zweiten Mal litt? Mit Hilfe der Ewigkeit leidet man nur einmal! Wenn nun der Abend kommt, so laß dieses Tages Leiden vergessen sein, damit, wenn am nächsten Tage dasselbe Leiden anfängt, du dennoch nur einmal leidest. Und wenn das Jahr herum ist, so laß dieses Jahres Leiden vergessen sein, damit, wenn im nächsten Jahr dasselbe Leiden anfängt, du dennoch nur einmal leidest. Wenn deine letzte Stunde gekommen ist, so laß dieses Lebens Leiden vergessen sein – ja, nicht wahr, so ist es vergessen, du littest nur einmal! Wer du auch bist, fühlst du dich noch so schwer gefesselt in des Leidens lebenslänglicher Einschränkung – ach! wie ein gefangenes Tier in seinem Käfig –sieh, dieser Gefangene geht jeden Tag rund um seinen Käfig, mißt der Ketten Länge, um sich Bewegung zu machen! Also miß auch du die Länge deiner Fesseln, indem du zum Gedanken an den Tod und an die Ewigkeit schreitest, dann bekommst du „Bewegung“, um aushalten zu können, und du bekommst Lebenslust. Leide geduldig; aber alles, alles, was sich darüber sagen läßt, geduldig zu leiden, ist eigentlich und ist wesentlich enthalten in diesem einen Wort: Laß die Ewigkeit dir dazu helfen, nur einmal zu leiden!

Des Leidens einmal ist keinmal. Es ist wie das Sprichwort sagt: „Einmal ist keinmal.“ Ob es wahr ist in Betreff dessen, wovon das Sprichwort redet, ent-scheide ich nicht. Es ist wohl möglich, daß das Sprichwort nicht wahr ist, und doch ist das wahr, was das Sprichwort sagt – ein Sprichwort ist ja keine ewige Wahrheit, und redet nur von dem Zeitlichen. Es ist ewig gewiß, und nie kann es sich so deutlich und entscheidend zeigen, daß „einmal keinmal“ ist, als wenn das Verhältnis ist: Zeitlichkeit zu Ewigkeit! Was sind wohl siebzig Jahre gegen eine Ewigkeit! Und in der Ewigkeit wird es sich zeigen, daß all’ dieses Leiden, dieses „Einmal“ keinmal ist! Man wird gar nicht an den Seligen merken können, daß sie gelitten haben, was sie gelitten haben, an gar nichts wird man das merken können. Alle Tränen werden von jenem Auge abgewischt sein, das jetzt freude-strahlend leuchtet. Jeder Verlust wird in jenem Herzen gestillt sein, das nun selig alles besitzt und es dort besitzt (o, selige Eigentumssicherheit!), dort, wo nichts die Freude nehmen kann, dort, wo die Heiligen selig sagen: “Einmal ist keinmal!“

Nur die Sünde ist des Menschen Verderben, nur die Sünde hat die Macht, einen Menschen so zu zeichnen, daß es nicht sogleich, oder ganz, ja so, daß es viel-leicht nie verschmerzt wird in der Ewigkeit. Alles Leiden der Zeitlichkeit dagegen – dessen „Einmal ist keinmal.“

Des Leidens Einmal ist ein Übergang, ein Durchgang. Du mußt durch denselben hindurch, und währt er auch so lange wie das Leben, und ist er auch schwer wie ein Schwert, das durch dein Herz geht – es ist doch nur ein Durchgang! Es ist nicht also, daß es das Leiden ist, welches durch dich hindurchgeht, du gehst durch dasselbe – ewig verstanden – unversehrt hindurch! Es sieht in der Zeitlich-keit und in ihrem Sinn so fürchterlich aus, es sieht durch eine Augenverblendung aus, als ob das Leiden durchbohrend durch dich ginge, so daß du in demselben umkommst, statt daß du es bist, der durch dasselbe geht. Das ist eine Augen-verblendung! Es ist, wie wenn im Schauspiel der eine Schauspieler den andern tötet; es sieht täuschend aus, als ob er ihn durchbohre – doch wir alle wissen ja, daß es sich nicht so verhält, daß er kein Haar auf seinem Haupte krümmt. Aber nicht unversehrter geht der gemordete Schauspieler heim, und nicht unversehrter trat Daniel aus der Löwengrube heraus, und nicht unversehrter gingen die Drei aus dem feurigen Ofen hervor –– als eines Gläubigen Seele in die Ewigkeit eingeht, unversehrt von allen Leiden der Zeitlichkeit, unversehrt vom Tode! Denn alles Leiden der Zeitlichkeit ist Blendwerk, und der Tod selbst, ewig verstanden, ein Komödiant. So wenig wie Motten und Rost den Schatz der Ewigkeit ver-zehren können (und was ist wohl unmöglicher!), so wenig wie ein Dieb ihn stehlen kann – ebenso wenig vermag alles Leiden der Zeitlichkeit, wie lange es auch währe, im Geringsten die Seele zu schädigen. Das vermag weder Krankheit noch Mangel und Not, weder Kälte und Hitze – was sie auch immer verzehren! Das vermag weder Verleumdung noch Verhöhnung oder Kränkung oder Ver-folgung, was sie auch uns stehlen und rauben mögen! Das vermag nicht der Tod!

Des Leidens Einmal ist ein Durchgang, welcher gar keine Spur auf der Seele hinterläßt; oder noch herrlicher, es ist ein Durchgang, der läuternd die Seele reinigt, so daß die Reinheit die Spur bleibt, die der Durchgang hinterläßt. Denn wie Gold im Feuer geläutert wird, also die Seele im Leiden! Aber was raubt das Feuer dem Golde? Ja, es ist eine wunderliche Redensart, das rauben zu nennen – es „raubt“ dem Golde alle unedlen Bestandteile! Was verliert denn das Gold im Feuer? Ja, es ist eine wunderliche Redensart, das „verlieren“ zu nennen – das Gold verliert im Feuer alles Unedle, das heißt, das Gold gewinnt im Feuer! Also ist es mit allem zeitlichen Leiden, dem schwersten, dem langwierigsten: ohn-mächtig in sich selbst vermag es nichts zu nehmen – und wenn der Leidende die Ewigkeit in sich herrschen läßt, so nimmt es das Unreine, das heißt, es gibt die Reinheit.

Die Sünde ist des Menschen Verderben! Nur der Sünde Rost kann die Seele verzehren – oder sie ewig verderben. Denn das ist ja das Merkwürdige, woraus schon jener einfältige Weise des Altertums die „Unsterblichkeit“ der Seele be-weist, daß es mit der Krankheit der Seele, der Sünde, nicht so ist wie mit der Krankheit des Körpers, welche den Körper tötet! Die Sünde ist auch kein Durch-gang, durch den man einmal hindurch muß, denn vor ihr soll man zurückweichen. Die Sünde ist nicht „der Augenblick“, sondern ein ewiger Abfall von dem Ewigen. Darum ist sie nicht einmal, ihr „einmal“ also unmöglich keinmal. Nein, wie zwischen jenem reichen Mann in der Hölle und dem armen Lazarus in Abrahams Schoß eine gähnende Kluft befestigt war, also ist auch ein klaffender Abstand zwischen Leiden und Sünde! Laßt uns beides nicht verwirren, so daß die Rede über das Leiden vielleicht weniger freimütig würde, weil sie auch an die Sünde erinnerte, und diese weniger – freimütige Rede dummdreist-frech würde, insofern sie so von der Sünde redete! Gerade darin zeigt sich das Christliche, daß es diesen unendlichen Unterschied macht zwischen dem, was man verwirrend „das Böse“ nennt, und zwischen dem Bösen. Gerade darin besteht das Christentum, in Betreff dieser Zeit Leiden stets freimütiger und freimütiger, siegreicher und siegreicher zu reden. Denn christlich verstanden, ist die Sünde einzig und allein das Verderben!

Man leidet nur einmal, aber man siegt ewig. Laß mich dir diesen Unterschied veranschaulichen! Es gibt irgendwo hier im Lande in einer Kirche ein Kunstwerk, das den Engel darstellt, der Christus den Leidenskelch reicht. Während du nun das Bild betrachtest, so macht es auf dich den Eindruck, den der Künstler hervor-bringen wollte; du verlierst dich in diesem Eindruck, denn so war es ja, er wurde ihm gereicht, der Leidenskelch! Aber wenn du einen ganzen Tag vor dem Altar sitzen bliebest, um dieses Bild anzuschauen, oder wenn du es Jahr aus Jahr ein jeden Sonntag betrachtetest: nicht wahr, wie andächtig du dich auch allezeit seiner Leiden erinnertest, ihn dabei bittend, dich stets an dieselben zu erinnern – nicht wahr, es wird ein Augenblick kommen, wo sich alles unendlich für dich verändert, wo das Bild sich wie selig in sein Gegenteil umwandelt. Da wirst du zu dir selbst sagen: „Nein, so lange währte es doch nicht; der Engel fuhr doch nicht immer fort, ihm den Kelch zu reichen; er nahm ihn doch willig aus des Engels oder gehorsam aus Gottes Hand – er hat ihn ja geleert, den Leidenskelch, denn was er litt, das litt er einmal, aber er siegt ewig!“ – Denke ihn dir dagegen in seinem Siege; ja, wenn irgend ein Künstler das darstellen könnte, wie lange du auch sitzen bliebest, ob du auch jeden Sonntag andächtig dies Bild betrachtetest, würde wohl der Augenblick je kommen, wo du zu dir selbst sagtest: „Nein, das währt doch zu lange, das nimmt ja kein Ende?“ O nein, Gott sei gelobt, dies gerade ist ja das ewig Selige, daß sein Sieg nie ein Ende findet! Doch ist sein Sieg nur einmal, wie sein Leiden nur einmal war. Aber des Sieges „einmal“ ist die Ewigkeit, des Leidens „einmal“ – der Augenblick! Es kann gewiß Ungeduld sein, die es nicht aushalten kann, das Bild anzusehen auf dem ihm der Kelch gereicht wird; aber es kann auch der Glaube sein, der sich also nicht ungeduldig abwen-det, sondern gläubig das Siegesbild dem Leidensbilde unterschiebt!

O du Leidender, wer du auch seist, wenn du jeden Tag mit Gott anfängst, damit, daß du ihn bittest, dir Geduld zu geben, diesen Tag zu leiden – so bitte ihn auch jeden Tag, dich zu erinnern, daß man nur einmal leidet! Ein Christ bittet im Vater-unser um das tägliche Brot – heute! Man denkt wohl zunächst, daß dieses Gebet für den Armen ist, dessen Aufgabe es ist, mit dem täglichen Brot der Armut aus-zukommen. O aber du, der du vielleicht von deinem Lebensanfange an und für dein ganzes Leben so reichlich ausgestattet wurdest mit Leiden im Überfluß, auch für dich ist dieses Gebet erfunden! Für dich ist die Aufgabe die umgekehrte und doch dieselbe: Auszukommen mit dem täglichen Brote des Leidens, damit du einst bei deines Lebens Ende, – wie der Arme sagt: „Ich schlug mich doch durch und empfing das Tägliche“, – auch sagen könnest: „Ich schlug mich doch durch und empfing das Tägliche“. Der Arme schlägt sich durch, wehrt sich gegen die Armut, findet das Tägliche. Es ist vielleicht schwerer, durch des Leidens Überfluß sich mit dem Täglichen durchzuschlagen, aber dies ist die Aufgabe! Nimm dir auch noch folgendes recht zu Herzen. Bedenke, daß, wenn ein Mensch sein ganzes Leben hindurch im ungestörten Genuß aller Erdengüter gelebt hätte, bedenke, daß er alsdann im Augenblick des Todes sich an nichts zu erinnern hätte, an gar nichts, um des Erinnerns ungeheurer Zukunft entgegen zu gehen! Denn der Genuß ist im Augenblick das Angenehme, aber dies eignet sich nicht, gerade wie das leere Augenblickliche, für die Erinnerung, und existiert ganz und gar nicht für ein ewiges Erinnern. Dagegen ist keine Erinnerung seliger und es gibt nichts Seligeres zu erinnern, als Leiden, die in Gemeinschaft mit Gott über-standen sind; dies ist das Geheimnis der Leiden. Also entweder siebzig Jahre jeden möglichen Genusses, und nichts, nichts für eine Ewigkeit (entsetzlichste aller Entbehrungen, wie auch die langwierigste!); oder siebzig Jahre im Leiden und dann eine Ewigkeit seligen Erinnerns. Selig ist es, sich der im Bunde mit Gott überstandenen Leiden zu erinnern! Am seligsten allerdings, sich unverschuldeter Leiden für eine gute Sache zu erinnern, wie ja der Herr sagt: „Wenn die Men-schen Euch schmähen und allerlei Böses über Euch sagen und daran lügen, so preist Euch dann selig!“ Ja, selig so zu leiden, seligste Erinnerung! Dies gilt aber von jedem Leiden, das im Bunde mit Gott getragen wird; es ist selig, sich dessen in der Ewigkeit zu erinnern. Man leidet nur einmal, aber man siegt ewig. Wunder-bar, wie das sich umkehrt! Denn die Langwierigkeit, die der Zeitlichkeit anzuge-hören scheint, die siebzig Jahre, – wenn die Zeitlichkeit niedergehalten wird, ist nur „einmal“. Dann kehrt sie aber wieder in der Ewigkeit, wo es in der Länge „langwährend“ und dauernd selig sein wird, sich dieses „einen Males“ zu er-innern! 

 

- Fortsetzung -