IV.
Die Auferstehung der Toten steht bevor,
der Gerechten – und der Ungerechten.
M. Z. Du warst vielleicht selbst in dem Fall, oder nicht wahr, Du weißt, es ist der Fall mit so Manchem: ein Mensch wünscht zu verschiedenen Zeiten in seinem Leben, daß ihm doch Einer die Unsterblichkeit der Seele beweisen möchte. Er verlangt nicht, daß diese Beweise ihm alle Anstrengung überflüssig machen sollten, er ist willig selbstdenkend mitzuarbeiten. Er verschafft sich da die eine oder die andere Schrift darüber, sitzt ruhig und liest sie, oder er hört zu und folgt einem mündlichen Vortrage, der übernimmt die Unsterblichkeit der Seele zu beweisen. Welches ist nun bei all diesem der Zustand dieses Menschen, wie soll ich ihn beschreiben? Wir reden ja im bürgerlichen Leben davon, daß in der Stadt Sicherheit herrscht: die öffentliche Sicherheit ist geschützt, man geht ruhig heim, sogar spät in der Nacht ohne eine Gefahr zu fürchten; von Diebstahl hört man selten und dann nur von unbedeutendem kleinen Gelegenheitsdiebstahl; Raub-anfall kommt niemals vor. Deshalb ist man sicher und lebt in Sicherheit. So ist es auch bei dem sicher sein in geistlichem Sinn: die Gedanken gehen und kommen, selbst die entscheidendsten ziehen an der Seele vorüber, man läßt sich sogar mit dem Allerfürchterlichsten
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ein, denkt ein wenig oder etwas mehr darüber; aber die Sicherheit da innen drin, die ist geschützt, man ist sicher, oder wie man es hier noch aufrichtiger nennen könnte, man ist unbesorgt.
Diese Rede von der Unsterblichkeit, ja, die hat dagegen die Absicht, einen Bruch der öffentlichen, oder hier wohl richtiger, der privaten Sicherheit zu verursachen, sie hat die Absicht die Sorglosigkeit zu stören: sie ist wie ein Überfall, dreist wie ein Überfall bei helllichtem Tage, schreckeinjagend wie ein nächtlicher Überfall. Bevor sie etwas beweist – doch nein, laß uns nicht den Sinn in einer Einbildung hinhalten, sie will gar nicht etwas beweisen. Sie teilt die Menschen ein in Gerechte und Ungerechte und fragt dabei Dich, ob Du Dich zu den Gerechten oder zu den Ungerechten rechnest. Diese Frage setzt sie in die genauste Verbindung mit der Unsterblichkeit, ja, sie redet eigentlich nicht von der Unsterb-lichkeit, sondern von diesem Unterschiede. Ist dies nicht wie ein Überfall! Dies ist gewiß niemals einem der Beweisenden eingefallen, diese Einteilung oder diese Frage zu stellen – das würde ja dem Zuhörer oder Leser zu nahe treten – es würde unwissenschaftlich und ungebildet sein. Sonderbar, man ist besorgt, dem Zuhörer oder Leser zu nahe zu treten – während man damit beschäftigt ist, ihm das zu beweisen, was doch wohl von allem einen Menschen am nächsten angeht; ja ein Mensch hat nichts, was ihn näher anginge, als seine Unsterblich-keit. Doch will man sie ihm beweisen, ohne ihm nahe zu kommen. Und vermut-lich wird er auch auf Grund des Beweises seine Unsterblichkeit annehmen, ohne sich selbst oder seiner Unsterblichkeit zu nahe zu kommen. Auf diese Art
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bleibt es ein Spiel mit den Beweisen der Unsterblichkeit. Und wenn dies Spiel lange fortgesetzt ist und sehr beliebt geworden ist, dann ist es wie ein Überfall, wenn eine Rede die Unsterblichkeit für das Allergewisseste annimmt und einem so nahe wie möglich kommt, indem sie ohne Weiteres mit dem hervorkommt, was aus ihr folgt, statt sie erst zu beweisen, was ja bedeutet, sie in Abstand von einem zu bringen und darin zu halten. Anstatt Dich zu bitten, ihr Aufmerksamkeit zu schenken und ruhig zuzuhören, während sie die Unsterblichkeit beweist, überfällt sie Dich ungefähr so: „Nichts ist gewisser als die Unsterblichkeit; Du sollst Dir keinen Kummer darum machen, nicht Zeit verlieren, nicht Ausflüchte darin suchen, daß Du sie beweisen willst oder sie bewiesen wünschst – fürchte sie, sie ist nur allzu gewiß; zweifle nicht, ob Du unsterblich seist, zittere, denn Du bist unsterblich.“
Die Worte sind von Paulus, und vermutlich sind wohl Pharisäer und Sadduzäer gleich zornig auf ihn geworden. Die Schrift erzählt ausdrücklich, daß die Sadduzäer, welche die Unsterblichkeit nicht annahmen, erbittert wurden, wenn Paulus von Unsterblichkeit redete; aber sollte es nicht doch besonders an der Weise, wie er redete, gelegen haben, daß die Pharisäer wesentlich ebenso aufgebracht wurden. Es wäre ja für Paulus die günstigste Gelegenheit gewesen, ja es lag gleichsam in den Umständen eine Aufforderung für ihn, es war fast als forderte es die Zeit von ihm: daß er einige Beweise für die Unsterblichkeit der Seele vorbrächte. Hätte er es getan, hätte er zu einer Zusammenkunft eingela-den, bei welcher er einen Vortrag über die Beweise für die Unsterblichkeit der Seele halten wollte: nun, selbst die
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Sadduzäer hätten wohl nichts dagegen einzuwenden gehabt. Als wissenschaft-lich Gebildete wären sie vermutlich freisinnig genug gewesen, etwa so zu denken: „ungeachtet wir die Unsterblichkeit der Seele leugnen, so muß doch die Gegenpartei auch etwas für die andere Seite sagen können, man kann ihn ja anhören.“ Aber so mit der Frage ob gerecht ob ungerecht auf einen loszustürzen, so gänzlich den Standpunkt zu verrücken, das Wissenschaftliche zu verlassen, um zum Persönlichen überzugehen: ja wer kann sich wundern, wenn man über solches Benehmen erbittert wird! Als gebildete Männer, als ein Kreis ernsthafter Leute kommt man zusammen, man will etwas von der Unsterblichkeit hören, ob es eine Unsterblichkeit gibt, ob es wirklich eine Unsterblichkeit, eine persönliche Unsterblichkeit gibt, ob man einander wirklich wieder erkennen wird, womit man sich in der Ewigkeit die Zeit vertreiben wird, ob es wirklich so ist, daß dorten in den hochgewölbten Sälen man sich selbst wiederfindet in höchst eigner Person, und die glücklichsten Augenblicke, da man Hochzeit feierte, da man Alle bezauberte, in die Tapeten der Erinnerung eingewirkt finden wird – und dann statt all diesem, statt eine behagliche Stunde zu verleben und dann als ernsthafter Mensch hinterher sagen zu können: „es ist doch eine eigne Frage mit der Unsterblichkeit“: statt dessen die Sache so entscheidend zu machen, daß einem angst und bange wird!
Nun ja – wahrlich, wer niemals seine Unsterblichkeit so entscheidend vor Augen bekam, daß ihm angst und bange wurde, der hat niemals an seine Unsterblich-keit geglaubt. Dies hat man in diesen Zeiten gänzlich vergessen, während man, ganz in Übereinstimmung damit, sehr geschäftig ist,
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die Unsterblichkeit zu beweisen, in diesen Zeiten wo man nahezu auf dem Punkte ist, sie frech dahingestellt sein zu lassen, und dem Gutbefinden eines Jeden zu überlassen, ob er will oder nicht will, ob er meistenteils oder nahezu, oder ziemlich, oder bis zu einem gewissen Grade oder ein klein wenig an die Unsterblichkeit glauben will. Denn die Unsterblichkeit ist nahe daran für die Menschen eine Art Luxus zu werden, der Liebhaberei überlassen. Und deshalb, grade deshalb werden so viele Bücher geschrieben, welche die Unsterblichkeit der Seele beweisen – und grade deshalb tut es so not, daß man der Sache eine andre Wendung gibt. So wollen wir reden über diese Worte:
Es steht bevor die Auferstehung der Toten,
der Gerechten – und der Ungerechten,
oder
von dem Beweis für die Unsterblichkeit der Seelen,
welcher so lautet: sie ist nur allzu gewiß, fürchte sie!
Denn die Unsterblichkeit ist das Gericht. Unsterblichkeit ist nicht ein fortgesetztes Leben, nicht ein ins Ewige fortgesetztes Leben, sondern Unsterblichkeit ist die ewige Scheidung zwischen Gerechten und Ungerechten; Unsterblichkeit ist nicht eine Fortsetzung, die ohne weiteres folgt, sondern eine Scheidung, welche auf das Vergangene folgt.
Was den Anlaß zu der ganzen Verwirrung mit der Unsterblichkeit gegeben hat, ist, daß man die Stellung der Sache verrückt hat, daß man die Unsterblichkeit zu einer Frage gemacht hat, daß man das, was eine Aufgabe ist, zu einer Frage, was eine Aufgabe für das Handeln ist, zu einer Frage für das Denken gemacht hat. Dies ist von allen Verirrungen und Ausflüchten die allerverderblichste. Würde nicht auch das die verderbteste Zeit sein, welche „die
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Pflicht“ ganz vermöchte in ein Problem für das Denken zu verwandeln? Denn was ist die Pflicht? Die Pflicht ist, was man tun soll. Da soll kein Fragen sein um die Pflicht, sondern da soll nur gefragt werden, ob ich meine Pflicht tue. Es soll nicht nach der Unsterblichkeit gefragt werden, ob sie da ist, sondern die Frage soll sein, ob ich so lebe, wie meine Unsterblichkeit es von mir fordert. Es soll nicht davon geredet werden, ob die Unsterblichkeit ist, sondern von dem, was sie von mir fordert, von meiner ungeheuren Verantwortung, daß ich unsterblich bin.
Das will sagen: Die Unsterblichkeit und das Gericht ist ein und dasselbe. Es kann nur richtig von der Unsterblichkeit geredet werden, wenn von dem Gericht geredet wird; und natürlich, wenn vom Gericht geredet wird, wird auch von der Unsterblichkeit geredet. Deshalb erschrak Felix bei der Rede des Paulus von der Unsterblichkeit; denn Paulus wollte nicht anders reden als so, daß er von dem Gericht redete, von der Scheidung zwischen den Gerechten und den Unge-rechten. Hätte Paulus anders reden wollen, hätte er in neuerem Geschmack Gericht und Unsterblichkeit von einander geschieden, hätte er, ohne ein Wort vom Gericht zu sagen, über die Unsterblichkeit geredet – oder getändelt, hätte er von der Unsterblichkeit geredet und es ausgemacht sein lassen, daß kein Gericht sei: ja, dann wäre Felix gewiß nicht erschrocken, dann hätte Felix sicherlich mit der Aufmerksamkeit eines Gebildeten gelauscht und hinterher gesagt: „es ist recht unterhaltend den Mann zu hören, aber es ist eine Art Schwärmerei, welche indes unterhalten kann, so lange man darauf hört; es ist etwas Ähnliches wie ein Feuerwerk“.
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Die Unsterblichkeit ist das Gericht. Es ist weiter kein Wort über die Unsterblich-keit zu sagen, wer ein Wort mehr oder ein Wort in anderer Richtung sagt, er nehme sich wohl in Acht vor dem Gericht. Aber man hat die Unsterblichkeit zu etwas ganz Anderem gemacht und sie deshalb untergraben. Man hat ihr die Kräfte entzogen, die Autorität ihr abgeschwatzt – indem man sie beweisen wollte und so dem Belieben überließ, ob man sie annehmen wollte; während es gerade umgekehrt ist: ob Du willst oder nicht willst, danach wird gar nicht gefragt, Du bist unsterblich – nimm Dich nur in Acht! Wenn ein Beamter, der Amtsgewalt hat, etwas befiehlt – wenn ihm da Einige vermeintlich behilflich sein wollten, indem sie bewiesen, daß er ein kluger Mann u. s. w. wäre, und so seine Untergebenen bereden wollten ihm zu gehorchen, was dann? Dann haben diese beredten Leute den Beamten um seine Autorität betrogen; denn ihm sollte nicht gehorcht werden, weil er klug war, nicht aus dem und dem Grunde gehorcht werden, sondern weil er Amtsgewalt hat. Wenn die Pflicht, die das Gebietende ist, lose hingestellt wird als ein Problem – selbst wenn dann die Menschen tun, was die Pflicht gebietet, sie tun doch nicht ihre Pflicht, denn die Pflicht will getan sein, weil sie getan werden soll. So auch wenn einer mit Hilfe von allerhand Beweisen dahin käme seine Unsterblichkeit anzunehmen; er glaubt gleichwohl nicht an seine Unsterblichkeit. Denn Du sollst nicht aus mehreren Gründen etwas mehr als Wahrscheinlichkeit dafür haben, daß Du unsterblich bist. Nein, diese Mühe hat Gott Dir ganz erspart; Du bist unsterblich, und Du sollst Gott dafür Rechen-schaft ablegen, wie Du gelebt hast, Du
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Unsterblicher! Grade weil Du unsterblich bist, sollst Du Gott nicht entschlüpfen können, Du sollst Dich nicht in ein Grab verstecken und Dich anstellen als wärest Du Nichts; und der Maßstab, wonach Du von Gott gerichtet werden sollst, ist, daß Du unsterblich bist.
Die Unsterblichkeit ist das Gericht oder die Scheidung zwischen Gerechten und Ungerechten. So knüpft es Paulus auch zusammen. Er verschwendet nicht ein Wort darauf, um von der Unsterblichkeit zu reden, ob sie ist, er sagt von der Unsterblichkeit, was sie ist, daß sie die Scheidung ist zwischen den Gerechten und den Ungerechten. Es ist grade die Unvollkommenheit dieses irdischen Lebens, daß es diesen Unterschied zwischen Gerechten und Ungerechten nicht aufzeigen kann. Hier in diesem irdischen Leben ist die Verwirrung, daß sich der Ungerechte den Schein geben kann, als wäre er der Gerechte; daß der Gerechte leiden muß, als wäre er der Ungerechte; daß sich ein undurchdringliches Dunkel darüber breitet, wer der Gerechte ist und wer der Ungerechte; daß die Gerechtig-keit die eigne Erfindung der Menschen zu sein scheint, so daß der der Gerechte sei, den die Meisten dafür ansehn. Hier scheint die Gerechtigkeit dieselbe Eigen-schaft zu haben, wie alles andre Irdische, sie scheint nur bis zu einem gewissen Grade zu gelten; gleichwie zur Schönheit nötig ist, daß man weder zu groß noch zu klein sei, so erscheint die Gerechtigkeit wie eine Art Mittelweg, daß man ihr nicht über alle Maße nachtrachten darf, so daß es recht wäre, wenn (was sich aus der Mittelmäßigkeit der Welt ergibt) Leiden und Widerstand der Menschen dem zu teil werden, welcher allein Gerechtigkeit will, welcher die Gerechtigkeit höher als sein Leben liebt.
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Aber die Wahrheit und Vollkommenheit des ewigen Lebens ist, daß es ewig den Unterschied zwischen Recht und Unrecht mit der Strenge der Ewigkeit aufzeigt, genau rechnend, wie nur die Ewigkeit es ist, mit einer Nachdrücklichkeit, welche dem irdisch Gesinnten wie Kleinlichkeit und Sonderbarkeit scheinen müßte. In der Ewigkeit wird es daher leicht genug sein, zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden; aber die Sache ist, daß Du dies nicht erst in der Ewigkeit tun sollst; Du sollst in der Ewigkeit gerichtet werden, ob Du es im Erdenleben getan hast, wie es die Ewigkeit getan haben will. Denn was ist das Ewige? Es ist der Unterschied zwischen Recht und Unrecht. Alles Andere ist vergänglich, Himmel und Erde soll zusammenstürzen; jeder andere Unterschied ist verschwindend, alle Verschiedenheit unter den Menschen gehört zum Zwischenspiel des Erdenlebens und hört deshalb auf. Aber ewig bleibt der Unterschied zwischen Recht und Unrecht, wie Er bleibt, der Ewige, der diesen Unterschied von Ewigkeit befestigte (nicht wie der Unterschied, welchen er im Anfang zwischen Himmel und Erde befestigte), und er bleibt zu Ewigkeit, wie Er, der Ewige bleibt, Er der den Himmel zusammenrollt wie ein Gewand, der Alles verändert, aber niemals sich – und deshalb auch niemals diesen ewigen Unterschied. Das Ewige ist der Unterschied zwischen Recht und Unrecht, deshalb ist die Unsterblichkeit die Scheidung zwischen den Gerechten und den Ungerechten. Die Unsterblichkeit ist nicht eine Fortsetzung, sie schließt sich nicht so an das gegenwärtige Leben, daß sie es fortsetzte, sondern sie ist die Scheidung, so daß das Leben freilich fortge-setzt wird, aber in der Scheidung. Ein müßiger, ein gemächlicher, ein
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weichlicher Gedanke ist es, ein Leben nach dem Tode im Sinn eines langen Lebens zu wünschen: der Gedanke der Ewigkeit ist es, daß in diesem irdischen Leben die Menschen sich scheiden, in der Ewigkeit die Scheidung ist.
Aber wie kann das Ewige ein Unterschied sein? Ist das nicht etwas zu Unvoll-kommenes für das Ewige? Nun wohl, das Ewige ist auch kein Unterschied, das Ewige ist Gerechtigkeit. Aber das Wesen der Gerechtigkeit hat diese Voll-kommenheit, daß es in sich eine Verdoppelung hat, diese Verdoppelung, welche es in sich hat, ist der Unterschied zwischen Recht und Unrecht. Ein Wesen, das gar keinen Unterschied in sich hat, ist ein sehr unvollkommenes Wesen, oder auch ein eingebildetes Wesen, wie ein Punkt. Ein Wesen das den Unterschied außer sich hat, ist ein verschwindendes Wesen; dies ist der Fall mit den Unterschieden in diesem irdischen Leben, welche deshalb verschwinden. Das Ewige, die Gerechtigkeit, hat den Unterschied in sich, den Unterschied zwischen Recht und Unrecht. Aber wenn man anstatt sich zu gewöhnen an den Glauben, daß ein ewiger Unterschied zwischen Recht und Unrecht ist, anstatt diesen Glauben einzuüben, damit man sein Leben darin habe (was viel Zeit und Fleiß kostet, wozu deshalb auch dies ganze irdische Leben bestimmt ist) – wenn man statt dessen sich davon abwendet, sich gewöhnt zu meinen, daß zwar ein solcher Unterschied zwischen Recht und Unrecht da sei, aber daß man auch nicht pedantisch sein müsse, daß es wohl gut sei, dann und wann einmal diesen Unterschied zu machen, aber daß es alles verderben heiße, wollte man immer-fort Gebrauch davon machen: dann fällt es schwer zu begreifen, was doch sonst in der Sache selbst liegt, daß in der Ewig-
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keit ein ewiger Unterschied zwischen Recht und Unrecht sein soll. Denn ist ein ewiger Unterschied zwischen Recht und Unrecht (was bereits in diesem Leben sollte zu sehen sein, ach, aber nicht zu sehen ist): wie sollte er dann nicht in der Ewigkeit da sein. Nimm einen beliebigen irdischen Unterschied, um klar zu machen, daß jeder Unterschied natürlicherweise am deutlichsten dort zu sehen ist, wo er seinen Rückhalt hat. Nimm den Unterschied: Adlich und Bürgerlich. Wenn der Adliche in einer Stadt lebt, wo er der einzige Adliche ist, alle Andern bürgerlich sind, so kann er seinen Unterschied nicht behaupten, die Bürgerlichen übermannen ihn; aber wenn er dann zu den Seinen kommt, durch das Zusam-mensein mit diesen gestärkt wird, dann siehst Du den Unterschied. Und so mit dem ewigen Unterschied zwischen Recht und Unrecht. Hier im Erdenleben ist er gleichsam überwältigt, er kann sich nicht recht behaupten, er ist heruntergedrückt; aber wenn er dann heimkommt in die Ewigkeit, dann ist er in seiner ganzen Macht. Ob es nun die Menschen glauben, daß dieser Unterschied in der Ewigkeit ist, oder nicht, in der Ewigkeit ist er. Und es geht der Ewigkeit nicht, wie es oft genug den Mächtigen, den Einsichtsvollen, dem Denker, dem Lehrer geht, daß er doch zuletzt, von der Menge überwältigt, klein beigeben muß. Grade umgekehrt! Es sieht ja in der Zeitlichkeit eher aus, als hätte die Ewigkeit bereits klein beigegeben; sie gibt also nicht zuletzt klein bei, nein, zuletzt kommt sie fürchterlich. Sie prüft die Menschen hier im Erdenleben, sie läßt sich hier im Erdenleben zuweilen spotten, aber zuletzt, zuletzt richtet sie; denn die Unsterb-lichkeit ist das Gericht.
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Die Unsterblichkeit ist das Gericht; und dies geht mich an; in meinen Gedanken geht es mich am meisten von Allen an, gleichwie es in Deinen Gedanken Dich am meisten von Allen angeht. Anders habe ich diese Sache nicht verstehen können. Aber das liegt vielleicht in meiner Beschränktheit. Denn, was in meinen Gedanken unbegreiflich ist, es gibt Menschen, die stellen die Sache ganz anders. Sie sind sicher genug in Bezug auf das, was ihnen in jener ewigen Scheidung widerfahren wird, sicher genug in Bezug auf ihre Seligkeit, daß sie Gerechte sind, oder sicher genug darin, daß sie Gläubige sind: und nun werfen sie die Frage auf, ob Andere können selig werden. Für mich hat sich die Sache niemals so gestellt, es ist mir niemals anderes eingefallen, als daß jeder andere Mensch wohl selig werde, nur bei mir war es in meinen Gedanken zweifelhaft. Ja hätte ich mich selbst ertappt bei dem Zweifel an der Seligkeit eines einzigen andern Menschen, das würde für mich genug gewesen sein, an der meinen zu ver-zweifeln.
Aber auf eine von zwei Weisen muß die Sache geführt werden; man kann nicht auf einmal auf zwei Stellen sein, auch nicht mit seinen Gedanken an zwei Stellen zugleich arbeiten. Entweder arbeitet man ununterbrochen mit aller Anstrengung seiner Seele in Furcht und Zittern an dem Gedanken der Selbstbekümmerung, „ob man selbst selig wird“; und dann hat man wahrlich weder Zeit noch Gedan-ken um in Bezug auf Andre zu zweifeln, und ist auch nicht grade dazu aufgelegt. Oder man ist für seine Person ganz sicher geworden – und dann hat man Zeit genug über Andere nachzudenken, Zeit genug bekümmert
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vorzutreten, und in ihrem Interesse zu schaudern, Zeit genug bekümmerte Ge-bärden zu machen, Zeit genug die Kunst einzuüben, schreckhaft auszusehen, während man im Interesse anderer Menschen schaudert.
Doch der, der so ganz sicher geworden, so sicher mit der Hand, wenn er mit dieser ewig entscheidenden Frage hantiert (bewundernswürdiger als die Sicher-heit eines Operateurs im Gebrauch des Messers, denn bei jener Frage nach einer ewigen Seligkeit ist es unmöglich einen Andern zu schneiden, ohne sich selbst zu schneiden), er ist doch wohl nicht stets so sicher gewesen. Er hat sich also im Lauf der Zeit verändert. Und das versteht sich, ein Mensch verändert sich ja im Lauf der Zeit. Sieh, wenn ein Mensch älter wird, da tritt in leiblicher Hinsicht eine Veränderung ein: der feine Samt der Haut wird runzlich und rauh, die weichen Verbindungen der Gelenke werden steif, die Sehnen verhärten sich, die Knöchelchen versteinern – ist diese Veränderung, diese Sicherheit, ist sie zum Bessern? Das junge Mädchen, das einst errötete, wenn sie nur „seinen“ Namen nennen hörte, errötete, wenn sie in Einsamkeit ihn laut nannte; das junge Mädchen, dessen Herz heftig klopfte, jedes Mal wenn die Uhr anhob die Stunde zu schlagen, wo „er“ kommen sollte; das junge Mädchen, das einst bei dem Gedanken erschrak und schlaflos blieb, wenn es geschehen war, wenn sie ihm durch die allergeringste Kleinigkeit mißfallen hatte; das junge Mädchen, das einst kalt wurde wie der Tod in Angst darüber, daß „er“ einen Augenblick minder liebevoll gegen sie war als sonst: dies junge Mädchen ist nun manches Jahr mit ihm verheiratet. Nun ist sie sicher geworden, sicher darin, daß sie schon gut
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genug für ihn ist; sie merkt keine von diesen jungfräulichen Empfindungen, sie ist für ihre Person ganz sicher; sie ist mit sich zufrieden – sollte es auch sein, daß sie nicht gefiele, fast hätte ich gesagt „dem Geliebten“, aber davon ist ja nicht mehr die Rede, sie hat keinen Geliebten, obschon sie ihn zum Mann hat; sie ist bloß damit beschäftigt, andere Frauen zu beurteilen; sie gefällt sich ganz in ihrem veränderten Zustande; sie ist nicht wie jener Alte, der gebeugt ging und dessen Bart bis zu den Knien reichte, der, als er gefragt wurde, warum er so betrübt sei, die Hände erhob und antwortete: „ich habe meine Jugend auf Erden verloren und suche sie nun überall –“ sie sucht nichts; sie, die einst suchte, ach, mit der ganzen Innerlichkeit der Liebe, zu gefallen, sie gefällt ganz sich selbst, sie ist ganz sicher. Ist diese Sicherheit eine Veränderung zum Bessern?
Nein, weich fort verderbliche Sicherheit, rette mich, o Gott, davor, jemals ganz sicher zu werden, bewahre mich nur bis zum Äußersten in Unsicherheit, damit es dann, wenn ich die Seligkeit empfange, ganz sicher sein möge, daß ich sie aus Gnade empfange! Denn es ist eine leere Spiegelfechterei zu versichern, daß man glaube, es geschehe aus Gnaden – und dann doch ganz sicher zu sein. Der wahre, der wesentliche Ausdruck dafür, daß es aus Gnaden ist, ist grade die Unsicherheit, Furcht und Zittern. Da liegt der Glaube, gleich weit, grade gleich weit von Verzweiflung und von Sicherheit. Der, welcher sein Leben hinnarrt ohne an Unsterblichkeit zu denken, von ihm kann man doch vielleicht nicht sagen, daß er das höchste Gut verachte; aber der, welcher ganz sicher wurde, er verachtet es. Von dem, der sein Leben verbuhlte, kann wohl gesagt
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werden, daß er seine Unsterblichkeit verscherzte; aber der, welcher ganz sicher wurde, verscherzte sie doch schrecklicher. Ewiger Gott, bewahre daher meine tiefste Bekümmerung verschwiegen in meiner Brust, nur verstanden von Dir, daß ich niemals zu einem Menschen direkt davon rede. Denn sonst würde ich es wohl bald dahin treiben, eben so sicher zu werden wie einige Andere, sicherer als manche Andere – und ganz sicher, geübt in Versicherungen, bis ich ganz sicher würde. Bewahre mich vor den Menschen und bewahre mich davor, einen andern Menschen zu betrügen; denn dieser Betrug liegt nur allzu nahe, wenn man sein Gottesverhältnis behandelt als wäre es ein direktes Verhältnis zu andern Men-schen, wodurch man in das Vergleichen und menschliche Sicherheit hinein-kommt. Wenn da Einer wäre, welcher von Manchen für ungewöhnlich edel und rechtschaffen angesehen würde, und er bliebe dabei in Furcht und Zittern die Sache seiner Seligkeit zu betreiben: dann würden die Andern auf ihn zornig werden. Sie wollten nämlich seine Sicherheit als Vorwand für ihre Zuversicht-lichkeit, und sie wollten daß ihre Zuversichtlichkeit seine Sicherheit sein solle. Aber, Du mein Gott und Vater, die Frage nach meiner Seligkeit geht ja doch keinen andern Menschen an, sondern nur mich – und Dich. Muß dann nicht Unsicherheit bleiben in Furcht und Zittern bis zuletzt, wenn ich der bin, der ich bin, und Du der bist, der Du bist, ich auf Erden, Du im Himmel, ach, der Unter-schied unendlich größer, ich ein Sünder, Du der Heilige! Sollte es dann nicht, muß es dann nicht so sein, daß Furcht und Zittern bleiben müssen bis zuletzt? Oder war dies nicht der Fehler der törichten Jungfrauen, daß sie sicher wurden
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und einschliefen; die verständigen dagegen hielten sich wach. Aber was heißt es, sich wach halten? es ist Unsicherheit in Furcht und Zittern. Und was ist der Glaube wohl anderes als eine leere Einbildung, wenn er nicht wach ist? Und wenn der Glaube nicht wach ist, was ist er dann Anderes als jene verderbliche Sicherheit? Denn der, der sich niemals um seine Seligkeit bekümmerte, er wurde auch nicht sicher; aber der Glaube, der einschlief, der ist die Sicherheit.
So geht es mich an, in meinen Gedanken mich am meisten von Allen; und ich kann verstehen, daß es so auch in Deinen Gedanken Dich am meisten von Allen angeht. Anders kann ich Dich nicht verstehen, anders will ich Dich nicht ver-stehen, und anders will ich nicht von Dir verstanden sein. Ich weiß nichts betreffs meiner Seligkeit; denn was ich weiß, daß weiß ich nur mit Gott in Furcht und Zittern, davon kann ich also nicht reden. Wenn zwar im Staatsrat von etwas die Rede gewesen ist, es aber noch nicht entschieden ist, ist es dann nicht ein Verbrechen es in der Stadt zu erzählen – und meine Seligkeit ist noch nicht entschieden. Und ich weiß nichts betreffs Deiner Seligkeit, davon kannst nur Du wissen mit Gott. Aber dies glaube ich, daß die Auferstehung der Toten bevor-steht, der Gerechten – und der Ungerechten.
M. Z.! Diese Rede ist doch wohl beruhigend? Beruhigender kann man ja nicht reden, als wenn man zu dem, der so gern an die Unsterblichkeit glauben wollte, sie so gern bewiesen sehen wollte, sagt: „sei Du in dieser Hinsicht ganz ruhig, Du bist unsterblich, ob Du willst oder nicht“ – beruhigender kann man ja nicht reden,
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es müßte denn sein, daß dies grade das Beunruhigende wäre. Doch ist es beunruhigend, so war es auch Trug in dessen Munde, der so gerne, ja so gerne wollte u. s. w. Und ist er trugvoll, so ist seine Beunruhigung nicht meine Schuld; da ich ihm müßte zur Beruhigung gesprochen haben, wenn es Wahrheit bei ihm war, was er sagte. War Trug in ihm, so war er eigentlich grade das Gegenteil von dem, wofür er sich ausgab, er war bange vor der Unsterblichkeit – deshalb wollte er sie so gerne bewiesen haben, weil er dunkel verstand, daß die Unsterblichkeit, wenn sie ein Gegenstand für Beweise wird, vom Thron gestürzt, abgesetzt ist, ein armer Bedauernswerter wird, den man necken kann, wie die Philister den gefangenen Simson neckten. Es liegt im Menschengeschlecht, im Geschlecht selbst, eine Schlauheit, welche verschlagener ist als der schlauste Staatsmann. Und diese Schlauheit des Geschlechts ist es grade, welche die Stellung der Unsterblichkeit verkehrt hat; die Einzelnen verstehen weitaus nicht immer, wie listig das Ganze ist, und sagen daher mit einer Art Treuherzigkeit das, was förmlich in der Luft liegt, weil es im Geschlecht liegt. Es ist das Geschlecht, das sich wider Gott hat empören wollen, es ist das Geschlecht, das die Unsterblich-keit wollte abgeschafft haben, und es erreicht hat, sie zu einem Problem zu machen. Denn durch die Unsterblichkeit (und was hierin liegt: jedes Einzelnen Unsterblichkeit) ist Gott der Herr und der Herrscher, und „der Einzelne“ steht in Verhältnis zu ihm. Aber wenn die Unsterblichkeit ein Problem wird, so ist Gott abgeschafft und das Geschlecht ist Gott. Die Einzelnen merken vielleicht nicht, wie sie in der Macht des Geschlechtes sind, wie dieses es ist, welches
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durch sie redet; sie glauben deshalb, daß der, welcher sie anruft und sie „Einzelne“ nennt, ein Empörer sei – und das ist er auch, in Gottes Namen empört er sich dagegen, daß man das Geschlecht zum Gott macht, und die Unsterblich-keit zu einem Problem. In Gottes Namen empört er sich, und er beruft sich auf Gottes Wort: daß die Auferstehung der Toten bevorsteht, der Gerechten – und der Ungerechten!