VI.

Es ist doch selig 

– Verhöhnung zu leiden für eine gute Sache.

 

„Seligkeit“ ist doch wohl das höchste Gut; von diesem Gut muß dann wohl auch gelten, was von den geringeren Gütern gilt. Wenn nämlich ein Dichter oder ein Redner die Herrlichkeit eines oder des andern irdischen Gutes recht schildern wollte, wie sollte er nicht die Menschen danach lüstern machen, daß sie während der Rede kaum ruhig bleiben könnten, sondern ungeduldig fort wollten, fort, um danach zu greifen, und mit wie viel Recht müßten sie nicht eigentlich auf diesen Redner zornig werden, weil er ihnen das Lustige nur vorgegaukelt hätte, wenn die Rede damit endete, daß das Glück diese Güter austeilte! Wäre dies nicht der Fall gewesen, so würden sie wohl meinen, dem Redner niemals genug danken zu können, der so einladend und so hinreißend die Güter zu schildern wußte, als wäre es Jedem möglich in ihren Besitz zu kommen. Aber „Seligkeit“ ist das höchste Gut, und jeder Mensch kann in den Besitz dieses Gutes kommen. Es läßt sich also vermuten, daß die Menschen kaum im Stande sein werden, auf die Rede zu hören, vor Ungeduld, dies Gut zu erwerben, das höchste und das dabei jeder Mensch erwerben kann. Es läßt sich vermuten, daß die Bekümmerung bei ihnen erwachen

152

wird, ob nicht der Augenblick, der hinging beim Hören auf die Rede, doch eigentlich ein verlorener Augenblick sei, da er ja nicht im strengsten Sinn zur Erwerbung des Gutes verwendet wurde.

Und eine solche Rede von der „Seligkeit“ gibt es aus einer längst entschwunde-nen Zeit. Sie ist von einem Berge gehalten, der nach ihr der Berg der Seligkeiten genannt wurde – denn so ist die Seligkeit im Vergleich mit allen irdischen Gütern, fest, unverrückbar wie der Berg; und so ist die Seligkeit im Vergleich mit allen irdischen Gütern, wie ein Berg erhöht ist über die niedrige Ebene. Diese Rede ist von ihm gehalten, dem Einzigen, der von Anfang an von Seligkeit reden konnte, da sie an Seinen Namen geknüpft ist, dem einzigen, in welchem Seligkeit ist. In dieser Rede heißt es: „Selig sind, die um Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn das Himmelreich ist ihr. Selig seid Ihr, wenn Euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und reden allerlei Übels wider Euch, so sie daran lügen. Seid fröhlich und getrost, es wird Euch im Himmel wohl belohnt werden; denn also haben sie verfolgt die Propheten, die vor Euch gewesen sind.“

Diese Worte wollen wir der folgenden Rede zu Grunde legen: 

es ist doch selig –

Verhöhnung zu leiden für eine gute Sache.

Daß wir recht zur Erbauung möchten aufmerksam werden auf den Trost oder richtiger auf die Freude, welche das Christentum verkündet; denn diese Reden sind ja zur Erbauung, ob sie auch, wie es heißt, von rückwärts verwunden.

153

Aber um nicht, ach, auf irgend eine Weise diese Freude eitel zu nehmen, so laß uns zuerst zum Zeugnis die Bedingungen wiederholen, unter denen nur kann gesagt werden: „Dies ist selig.“ Es muß eine gute Sache sein, für welche man Verhöhnung leidet, oder wie Christus sagt: „um der Gerechtigkeit willen.“ Und was die Verhöhnung von einem sagt, das muß unwahr sein, wie Christus sagt: „wenn die Menschen allerlei Übels wider Euch reden, so sie daran lügen.“ Aber wenn dies gegeben ist, wenn Alles in dieser Hinsicht in seiner Ordnung ist, ja dann ist es selig – Verhöhnung zu leiden.

So tröste Dich denn, Du Verhöhnter, oder richtiger freue Dich, Du Verhöhnter! – Was ist das Einzige, das einem die Freude darüber rauben kann, daß man ein gutes Werk getan hat? Dies, daß man Lohn dafür empfängt. Aber wenn Dir mit Verhöhnung gelohnt wird? Jede andre Vergeltung macht das Gute, welches man tat, geringer, die Vergeltung mit Verhöhnung macht es größer: selig Verhöhnung zu leiden für eine gute Sache! – Welches ist der einzige Fall, worin ein Mensch wirkliches Verdienst haben kann? Wenn er leidet, weil er Recht tut. Denn tut er Recht und wird belohnt, dann ist er ein „unnützer Knecht“ und hat kein Verdienst: selig daher Verhöhnung zu leiden für eine gute Sache! – Was ist erforderlich zu gegenseitigem Verständnis? Die Gleichheit; nur das Gleiche kann das Gleiche verstehen. Was ist nötig zu einem Bunde? Einweihung; nur der Eingeweihte ist im Bunde mit dem Eingeweihten. Jene Herrlichen, welche das Geschlecht verstieß, verspottete, verhöhnte, verfolgte, totschlug: die sind wohl da für alle Menschen, Viele können vielleicht ihr Leben

154

darstellen und schildern. Aber solches Verständnis ist das eines Uneingeweihten, für welchen sie doch in tieferem Sinn nicht da sind, da sie von ihm nicht ver-standen sind, gleichwie sie ihn nicht verstehen. Nur der verstand sie und wurde verstanden, nur der wurde in den Bund mit ihnen eingeweiht, der selbst das Gleiche litt: selig Verhöhnung zu leiden für eine gute Sache! – Wonach fragt der, welcher für einige Zeit seinen Wohnsitz verändern, von der Stadt aufs Land oder vom Lande in die Stadt ziehen will? Er fragt nach Gesellschaft. Aber der Verhöhnte, wenn er einmal von hier ziehen und wandern wird, wenn er die Gesellschaft verläßt, in der er verhöhnt lebte – daß er da, grade weil er Ver-höhnung gelitten hat, für eine Ewigkeit sich die Gesellschaft jener Herrlichkeit gesichert hat zu vertraulichem täglichen Umgang, zu innerlichem Verständnis in liebevollem Gespräch: selig daher Verhöhnung zu leiden für eine gute Sache! – Welches ist der einzige Unterschied den Gott macht? Der zwischen Recht und Unrecht. Und welchen Unterschied macht er? Daß er Zorn und Verdammnis über den ist, der Unrecht tut. Und im Unterschied machen macht er noch einen Unterschied: zwischen dem der Recht tut und dafür belohnt wird, und dem, der Recht tut und dafür leidet. Aber je mehr Unterschied er macht, um so näher ist ihm ja Der, den er auswählt: selig daher Verhöhnung zu leiden für eine gute Sache! Warum läßt sich Gott niemals ohne Zeugnis? Weil er, der gut ist, un-verändert derselbe ist, derselbe Unveränderte; wenn die ganze Schöpfung heut wie vor tausend Jahren zu ihm aufsieht und Nahrung und Kleidung begehrt, da tut er seine milde Hand auf und sättigt Alles, was da lebet, mit

155

Wohlgefallen. Aber wenn der, der unschuldig für eine gute Sache leidet, seinen Blick betend zu Gott aufhebt, da bewegt dieser Blick ihn, dieser Blick, der nichts gar nichts in der Welt vermag, der bewegt Gott, der nötigt ihm noch stärkeres Zeugnis ab: selig daher Verhöhnung zu leiden für eine gute Sache! – Welche Gemeinschaft ist unter Menschen die innerlichste? die der Leiden. Welches ist für einen Menschen die seligste Gemeinschaft? Die mit Gott. Aber wenn diese eine Gemeinschaft der Leiden ist, welche Seligkeit: selig Verhöhnung zu leiden für eine gute Sache! – Wer besitzt am meisten: der, der Gott besitzt und zugleich vieles Andere, oder der, der alles Anderen beraubt, einzig Gott besitzt? Doch wohl der Letzte, denn „alles Andere ist Schaden.“ Aber wem wurde am meisten geraubt? Dem, der nicht sein Recht sondern Verhöhnung als Lohn erhielt; denn das Einzige, was ein Mensch wesentlich besitzt, ist das Recht, welches er hat, alles Andere besitzt er nur zufälliger Weise, so daß es also eigentlich nicht sein Eigentum ist. Dem Verhöhnten wird alles geraubt; von der menschlichen Gesellschaft ausgestoßen hat er allein Gott – den Reichsten von allen. Er hat allein Gott, selig, allein mit Gott zu sein; gepriesen sei all die Verfolgung, der Hohn, der Spott, der ihn lehrte, der ihn zwang allein mit Gott zu sein, Gott als das Einzige zu haben: selig Verhöhnung zu leiden für eine gute Sache! Wo ist Christus zur Stelle? Überall wo sein Name angerufen wird; wenn auch nur Zwei oder Drei versammelt sind in seinem Namen, Er ist da zur Stelle. Ja, und wo einer leidet um der Gerechtigkeit willen und Seinen Namen anruft, da ist außer der Stimme, die ihn anruft, etwas das noch mächtiger Ihn ruft, und

156

da ist deshalb die Gemeinschaft Seiner Leiden und die Kraft Seiner Aufer-stehung: selig daher Verhöhnung zu leiden für eine gute Sache. – Was begehrt ein Mensch als den höchsten Lohn? Daß sein Name unsterblich eingeschrieben werde in die Bücher der Weltgeschichte. Aber daß der Verhöhnte, grade weil er Verhöhnung litt, den Lohn des Höchsten bekommt, seinen Namen eingeschrie-ben bekommt ins Buch des Lebens! Denn gewiß sind wir Alle unsterblich, auch die, welche Unrecht tun, auch der Ungöttlichste von allen Ungöttlichen. Aber seinen Namen eingeschrieben bekommen ins Buch des Lebens: selig Ver-höhnung zu leiden für eine gute Sache! Ja selig, seliger Trost, selige Freude!

Doch zu wem wendet sich die Rede, wo ist sie, hat sie nicht ganz sich selbst vergessen! Vielleicht ist in dieser hochgeehrten Versammlung gar kein Verhöhn-ter zur Stelle, vielleicht, doch nein, wie dürfte sich ein Verhöhnter in diese hochgeehrte Versammlung hineinwagen! Man kann ja doch nicht auf einmal verhöhnt sein und mit dabei sein, wo die Geehrten und Angesehenen sich sammeln. Ein Verhöhnter ist wie ein Aussätziger, dem sein Platz zwischen Gräbern angewiesen ist, verabscheut von Jedem. „Ja, aber er ist ja für eine gute Sache verhöhnt“. Aber von wem wird er denn verhöhnt? Doch wohl nicht von denen die selbst verachtet sind; denn das heißt ja unter den Angesehenen sein. Und der Verhöhnte kann ja doch nicht zugleich verhöhnt sein und von denselben, die ihn verhöhnen, auch wieder geehrt sein, weil er für eine gute Sache verhöhnt werde: dieselben Menschen können doch nicht, auch nicht in der Komödie, auf einmal auf zwei Stellen gebraucht werden,

157

um ihn zu verhöhnen und um ihn zu ehren, weil er verhöhnt wird. Sonderbare Schwierigkeit! Und sonderbar, die Schwierigkeit zeigt sich gar nicht, wenn man die Geschichte betrachtet. Sieh jenen Zeugen der Wahrheit; es sind nun mehrere Jahrhunderte daß er lebte, aber als er lebte, da wurde er verhöhnt und verfolgt. Er hatte im Dienst der Wahrheit einen zu großen Vorsprung bekommen, als daß die hinkende Gerechtigkeit ihn einholen konnte so lange er lebte, zumal da er, ohne einen einzigen Augenblick wegen des Hinkens der Gerechtigkeit zu säumen, jeden Tag einen Riesenschritt vorwärts tat. So starb er und blieb stille im Grabe – da holte die hinkende Gerechtigkeit ihn ein: sein Name wird in der Geschichte geehrt und gepriesen; wir sind nun so gewöhnt ihn zu ehren und zu preisen, daß wohl zuletzt Jemand fehlgreift und glaubt, er sei geehrt und ange-sehen gewesen, während er lebte. Denn die Zeit übt ihre verkürzende Macht. Sein Name lebt nun geehrt und gepriesen in drei Jahrhunderten – und er, ja er lebte freilich nach der unter Menschen gewöhnlichen Weise nur ein 60, 70 Jahre: dann kann man ja beinahe sagen, daß er beständig geehrt und angesehen gelebt habe. O ja, warum nicht, wenn man ins Blaue hinein reden will; sonst nicht. Er hat niemals geehrt und angesehen gelebt – er lebte verachtet, verfolgt, verspottet, so lange er lebte. Und als er lebte, da müssen es ja doch die Geehrten und Angesehenen gewesen sein, die ihn verachteten – gleichwie es nun die Geehrten und Angesehenen sind, die seinen Namen preisen. Aber der Wahrheits-Zeuge siegte und wie er in andrer Hinsicht den Zustand der Welt veränderte, so veränderte er auch den Begriff Ehre: nach seinem Tode wurde er der

158

Geehrte, und die, welche gleichzeitig mit ihm lebten, die damals Geehrten und Angesehenen, die stehen nun in andrer Beleuchtung. So lange er lebte, war dies nicht der Fall, da hat er sich mit der Lehre des Christentums trösten müssen, daß es selig ist um der Gerechtigkeit willen zu leiden; er hat dies Wort empfunden und verstanden. Denn während Manche, welche die Geschichte rückwärts betrach-ten, nur Verwirrung herausbekommen, wendet sich das Christentum unverändert an den Lebenden und verkündet ihm, daß es selig ist – Verhöhnung zu leiden für eine gute Sache.

 

Dies will sagen, das Christentum hat überhaupt ein Mißtrauen dagegen, daß man bei lebendigem Leibe geehrt und angesehen wird. Nicht etwa daß das Christen-tum so töricht wäre zu sagen, daß Jeder, der verhöhnt wurde, während er lebte, deshalb auf dem rechten Wege sei. Es sagt bloß: unter denen, die während sie lebten verhöhnt wurden, muß sich regelmäßiger Weise der wahre Christ finden. Denn dies ist die Meinung des Christentums: das Ewige, das Wahre kann unmöglich den Beifall des Augenblicks gewinnen, es muß notwendig sein Miß-fallen gewinnen. Unter den Geehrten und Angesehenen versteht das Christen-tum deshalb nicht grade die, welche in hohen Stellungen und Ämtern sich befinden – was besonders wichtig ist einzuschärfen und unverantwortlich ist zu verschweigen, in Rücksicht auf die Behauptung dieser gegen alles Regieren widerspenstigen Zeit, daß diese Widerspenstigkeit sogar soll Christentum sein. Es ist gewiß, daß ein solches Leben in Hoheit und Macht öfter mit wahrer Auf-opferung von eigentlicher Ehre und Ansehn geführt wird. Nein, geehrt und angesehen ist christlich verstanden dies, daß man das Ewige ver-

159

gessend abgöttisch nur dem dient, was im Augenblicke Macht hat, diesem allein gehören und niemals Anderem gehören will; daß man nur für den Augenblick lebt, zuerst nach dem Augenblicklichen trachtet und danach den Beifall des Augenblicks erntet; das heißt in der Welt sein (und die Welt liebt das Christentum nicht), das heißt oben auf sein, das heißt, wie man von einer gewissen Art Bildung sagt, Welt haben, kurz das ist Weltlichkeit. Das Christentum dagegen fordert Selbstverleugnung in Bezug auf Ehre und Ansehn, noch bestimmter als in Bezug auf Geld. Denn Geld ist etwas rein Äußerliches, aber Ehre ist eine Vor-stellung. Um so mehr ist der Christ verpflichtet all solches Ansehn und Ehre von sich zu weisen. Ein Christ zu sein ist nämlich eine Ehrensache, und daher ist jeder Christ durch seine und durch des Christentums Ehre verpflichtet, für den wahren Begriff der Ehre einzutreten, damit er nicht mitschuldig werde an der Ausbreitung des unwahren Begriffs, indem er die Ehre und das Ansehn der Weltlichkeit, den Beifall des Augenblicks annimmt.

Doch an wen wendet sich die Rede, täuscht sie nicht, anstatt die Gelegenheit und den Augenblick zu benützen, jede billige Erwartung, die erwarten durfte, daß hier entwickelt werden würde, welches große Gut Ehre und Ansehen sei, wie herrlich es sei, geehrt und angesehen zu sein, und dann auch durch welche Mittel man dieses so wichtige Gut erwerbe, da ja, wie das Sprichwort sagt, der seine rechte Hand abhaut, welcher die Ehre verliert, so daß er nichts auszu-richten vermag – was sich ja am Beispiel der Apostel und aller Wahrheitszeugen zeigt, denn sie haben nichts auszurichten vermocht. Die Rede täuscht allerdings diese Er-

160

wartung, dagegen doch wohl nicht die, welche erwarteten, daß sie Christentum verkündigen sollte.

„Aber ist es nicht doch ein großes Gut, geehrt und angesehn zu sein?“ Davon weiß die Rede gar nichts, sie weiß bloß, daß es selig ist, Verfolgung zu leiden für eine gute Sache und daß dies Christentum ist. „Aber galt dies nicht bloß in den ersten Zeiten des Christentums, da es Juden und Heiden streitend gegenüber stand; sollte dasselbe in der Christenheit, in der siegreichen Kirche der Fall sein?“ Ja, das folgt ja freilich von selbst, daß wenn man sich eine Stelle dächte, wo lauter wahre Christen lebten, dann müßte es selbstverständlich ein Beweis dafür werden, daß man ein wahrer Christ sei, wenn man ihren Beifall hätte, bei denen geehrt und angesehen wäre, die ja selbst das Wahre wollten und die wahre Vorstellung und Eifer mit Wahrheits-Erkenntnis hätten. Aber ist diese Stelle die sogenannte Christenheit? Dann wäre ja die Vollendung da – und dann, dann müßte man annehmen, daß Christus in tiefe Gedanken versunken wäre, sich selbst vergessen und vergessen hätte, wieder zu kommen; denn seine Wieder-kunft gehört ja zur Vollendung. Aber Christus ist noch nicht wiedergekommen – und wenn er wiederkommt, kommt er in noch strengerem Sinn als damals in sein Eigentum: welche Aufnahme würde er wohl in der Christenheit finden? Sieh, es gibt viel, was mich verwundert hat, viel, was ich sonderbar und unerklärlich finde. Wenn ich einen Menschen das Rechte sagen höre – ihm aber gar nicht einfällt, etwas davon zu tun: da verwundere ich mich, ich kann ihn nicht verstehen. Aber nun ist es ja ein ganz allgemeines Witzwort geworden, das ich so oft gehört und gelesen habe, von den Allerver-

161

schiedensten ausgesprochen aber beständig wie eine gangbare Münze ausge-geben, auf welche Keiner, wie bei den seltenen, unbekannten, fremden Münzen, genauer hinsieht, da sie ja hinlänglich als gültige Münze bekannt ist; so gilt als guter Einfall, als glücklich ausgedrückte Bemerkung, welche ein Witziger einmal gemacht hat und welche zu wiederholen die Geistreichen wetteifern: daß wenn Christus jetzt wieder auf die Erde käme, so würde er wieder gekreuzigt werden, es sei denn, daß die Todesstrafe zu der Zeit abgeschafft wäre. Und das sagt man und wirft die Bemerkung ebenso nachlässig hin wie „guten Tag“, nur anspruchs-voller; und das findet man gut gesagt und treffend gesagt – und dem, der es sagt, fällt es selbst gar nicht ein, nicht in entferntester Weise, ob er da selbst ein Christ ist; und dem, der es sagt, ihm fällt es gar nicht ein, auf dies ganze Blendwerk mit der Christenheit aufmerksam zu werden. In Wahrheit, dies ist mir unerklärlich. Es ist beinahe ein Leibspruch in der Christenheit geworden, daß wenn Christus wieder käme, würde es ihm gehen wie damals, da er zu Nicht-Christen kam – und doch soll die Christenheit die siegreiche Kirche sein, von der man, wenn es zur Probe kommt, annimmt, daß sie ihren Triumphen den neuen hinzufügen wird, Christus zu kreuzigen. Nun, das versteht sich, die „siegreiche Kirche“ hat in äußerlichem Sinn über die Welt gesiegt, das will sagen, sie hat weltlich über die Welt gesiegt (denn göttlich kann man nur innerlich siegen); so ist da, wie für alle Siegesfürsten, nur noch ein Sieg übrig, der, über sich selbst zu siegen, Christ zu werden. So lange man nicht hierauf aufmerksam ist, ist der Begriff „Christenheit“ von allen der gefährlichste Sinnenbetrug. In der

162 

Christenheit ist daher das Christliche noch beständig streitend. So wenig wie der, welcher alle die Bücher, die er zu seinem Examen braucht, eingekauft und prachtvoll hat einbinden lassen, mit Wahrheit sagen kann, daß er sein Examen gemacht habe: ebenso wenig ist die Christenheit in christlichem Sinn die sieg-reiche Kirche. Es gibt in der Christenheit vielleicht verschiedene wahre Christen, aber jeder solche ist auch kämpfend.

„Aber ist es denn wirklich die Meinung des Christentums das Leiden von Ver-höhnung, selbst wenn es für eine gute Sache wäre, anzupreisen; es ist ja doch etwas Anderes, Trost für den in Bereitschaft zu haben, der so unglücklich war, so zu Schaden zu kommen.“ Ja gewiß ist das etwas Anderes; aber dies Andere ist grade nicht das Christliche. Es soll keine Schwierigkeit zurückbleiben, wie es zu verstehen sei. Die Worte bei Matthäus lauten so: „Selig seid Ihr, wenn Euch die Leute schmähen und verfolgen und reden allerlei Übles wider Euch, um meinet-willen, so sie daran lügen; seid fröhlich und getrost, denn es wird Euch im Himmel wohl belohnt werden, denn also haben sie verfolgt die Propheten, die vor Euch gewesen sind.“ Die entsprechende Stelle bei Lucas (6,26) lautet so: „wehe Euch, wenn Jedermann wohl von Euch redet, desgleichen taten ihre Väter den falschen Propheten auch.“ Wehe Euch, wenn Alle gut von Euch reden! Hier wird nicht hinzugefügt „so sie daran lügen“; das ist vermutlich nicht nötig, das ergibt sich von selbst, wenn Alle gut von einem reden, so ist das Lüge und sein Leben ist Lüge. Wehe Euch, wenn alle Menschen gut von Euch reden! Es ist nämlich die Meinung des Christentums (und wäre dies nicht seine Meinung, so

163

wäre gar keine Meinung im Christentum) daß ein Mensch sein Leben in einer solchen Entscheidung haben soll, so bestimmt und offenkundig eingestehen soll, was er will, was er glaubt und hofft, daß unmöglich alle gut von ihm reden können. Es kann vielleicht schwierig genug sein, dieses Verderbliche zu er-reichen, daß alle gut von einem reden; aber soll es glücken – es kann nur einer klugen, feigen Weichlichkeit glücken, welche das Christentum verabscheut und verdammt. Soll es glücken, so muß ein Mensch sein wie ein Rohr vor dem Winde, denn selbst der geringste Busch leistet doch ein klein wenig Widerstand; er muß ohne tiefere Überzeugung sein, leer in seinem Innersten, so daß er, wenn Du die Zeit mit dem Winde vergleichen willst, von jedem Lufthauch getrieben werden kann, und, wenn Du die Zeit mit einem Strome vergleichen willst, daß er ebenso leicht obenan schwimmen kann; er muß niemals mutig sein, außer wo – die Vielen feig sind, er muß schweigen, wo er reden sollte, reden, wo er schweigen sollte; ja sagen, wo er nein sagen sollte, und nein wo er ja sagen sollte; ausweichend antworten, wo er entscheidend antworten sollte, entschei-dend, ob es auch wäre bis aufs Blut; schlafen, wo er sich wach halten, ja das Seine tun sollte, um Andere wach zu halten; jede Gefahr fliehen, worin die verlassene Wahrheit stecken kann, und bei jeder gepriesenen Torheit mitmachen; er muß Gott und die Verantwortung der Ewigkeit und Alles vergessen, was hoch und heilig ist: dann kann es ihm vielleicht glücken – wehe ihm! Es ist wie man ja aus Christi Wort sieht, nicht bloß die elendeste Nachrede, die ein Mensch hinterlassen kann, wenn Alle gut von ihm reden, sondern es ist auch das Gericht: wehe ihm, daß es ihm glückte! 

164

Es muß entweder ein niedriger Unmensch gewesen sein, der es in Menschen-furcht bis zur Selbstverachtung trieb, oder es muß ein falscher Prophet gewesen sein.

Es ist doch selig – Verhöhnung zu leiden für eine gute Sache: wehe Euch, wenn alle Menschen gut von Euch reden. Da bleibt keine Schwierigkeit zurück, wie das Wort verstanden werden soll. Es ist selig Verhöhnung zu leiden für eine gute Sache, und dies ist Christentum.

Ist dies schwierig zu verstehen? Keineswegs. Ist es schwierig zu sagen? Keineswegs, zum wenigsten nicht, wenn man es ganz unbestimmt läßt, zu wem geredet wird. Aber ist es der Rede möglich, eine bestimmte Wirkung hervorzu-bringen? Nein; welche Wirkung die Rede hervorbringen wird, beruht darauf, wer der Zuhörer ist. Die Schwierigkeit kommt bei dem Christlichen jedes Mal hervor, wenn es gegenwärtig gemacht werden soll, jedes Mal, wenn gesagt werden soll, wie es ist und jetzt, in diesem Augenblick, in diesem bestimmten Augenblick der Wirklichkeit gesagt werden soll, zu dem, grade zu dem, der jetzt lebt. Deshalb will man das Christliche so gern doch etwas in Entfernung halten. Man will entweder nicht ganz sagen, wie es ist, (dann ist es ja entfernt gehalten) oder man will es unbestimmt bleiben lassen, ob es ganz zu denen, welche jetzt leben, gesagt ist. So fechtet der Redner in der Luft und sagt: „so, so verkehrt war es vor achtzehnhundert Jahren und vor siebzehnhundert Jahren, und vor tausend Jahren und vor dreihundert Jahren, und vor hundert Jahren und vor fünfzig Jahren und vor dreiunddreißig Jahren; aber nun ist es nicht so.“ Sonderbar! Und wenn man dann fest auf den versichernden Redner sieht, ob er

165

auch in dem, was er sagt, ganz sicher ist, dann wird er bei diesem Blick etwas unruhig, es kommt ihm so unerwartet, er wird etwas zweifelhaft, er verläßt einen Augenblick das Geschriebene und fügt in freierem Vortrage hinzu: „ja, ja – ich will nicht sagen, daß die Welt vollkommen geworden sei, aber ganz so ist es jetzt doch nicht, besonders nicht in der allerletzten Zeit.“ Sonderbar! Denn so viel ist gewiß, wenn man das Stück rückwärts durchgeht, so war es damals grade wie jetzt; vor siebzehnhundert Jahren sagte man: „so war es vor hundert Jahren, aber jetzt ist es nicht so, ja, ja, es ist doch nicht ganz so, besonders nicht in der allerletzten Zeit“; und vor dreihundert Jahren sagte man: „so war es vor fünfzehnhundert Jahren und vor tausend Jahren und vor dreihundert Jahren, aber jetzt ist es nicht so, ja, ja, es ist doch nicht ganz so, besonders nicht in der allerletzten Zeit“. Es muß Etwas stecken unter dem: „die allerletzte Zeit“. Ja ganz gewiß. Man geht ihm nämlich so nahe wie möglich, wenn man nur vermeiden kann, zu den Lebenden zu reden – und die Lebenden, das ist ja die allerletzte Zeit. Wäre es eine Versammlung von Jünglingen, die man anredete, so würde man wohl sagen „die aller-allerletzte Zeit“, denn da die Alten und die Älteren nicht zur Stelle wären, könnte man sie ja gerne abstrafen – aber besonders die Verstorbenen, die straft man am Leben, trotz der schönen Regel, nur Gutes von den Toten zu sagen.

So nun mit der Lehre des Christentums, daß es selig ist, Verhöhnung zu leiden. Soll dies in einem Augenblick der Wirklichkeit gesagt werden, so muß die Rede ja eine Sammlung von Geehrten und Angesehenen des Augenblicks vorfinden. Wendet sie sich zu einer solchen Versammlung,

166

so geschieht es, daß des Christentums seliger Trost, seine Freude, wie der tiefste Spott klingt. Dies liegt nicht in der Rede. Aber schwerlich würde irgend ein Dichter einen tieferen Spott erfinden, als diesen: die Lehre des Christentums von der Seligkeit vorgetragen einer Sammlung von – Christen, welche ihr Leben in ganz andern Bestimmungen haben und welche also, obschon sie sich Christen nennen, sich am liebsten für diese Art Trost bedanken würden, und welche vermutlich finden würden, es sei zum verrückt werden, daß dies solle der Trost sein, dies, wovor ihnen am meisten von allem graut. Denk Dir eine Versammlung von weltlich-gesinnten, furchtsamen Menschen, deren höchstes Gesetz ein sklavisches Rücksichtnehmen auf das wäre, was andere, was „man“ sagen und denken würde; deren einzige Bekümmerung jene unchristliche wäre, „daß man überall gut von ihnen rede“; deren bewundertes Ziel wäre, ganz wie die Andern zu sein; deren einzig begeisternde und deren einzig schreckeinjagende Vor-stellung wäre: die Mehrzahl, die Menge, ihr Beifall – ihr Mißfallen; denk Dir eine solche Versammlung oder Menge von Anbetern und Verehrern der Menschen-furcht, also eine Versammlung von Geehrten und Angesehenen (denn wie sollten solche Menschen einander nicht ehren und ansehn? den Andern ehren ist ja sich selbst schmeicheln) – und denk Dir daß diese Versammlung soll (ja wie es in der Komödie heißt) soll Christen vorstellen. Für diese christliche Versammlung wird gepredigt über diese Worte: „es ist selig Verhöhnung zu leiden für eine gute Sache!“

Aber es ist selig Verhöhnung zu leiden für eine gute Sache! 

 

- FORTSETZUNG -