Calvin (Institutio) - Gotteserkenntnis
DASS DIE ERKENNTNIS GOTTES
DER SEELE DES MENSCHEN EINGEPFLANZT SEI.
Es ist nicht zu bezweifeln, dass der menschlichen Seele von Natur ein gewisses Gefühl der Gottheit einwohne. Nämlich, damit sich Niemand mit Unwissenheit entschuldigen könne, hat Gott Allen eine gewisse Erkenntnis seiner Gottheit eingepflanzt, welche er immerdar erfrischet und oft mit neuen Tropfen benetzet: also dass sie, da sie ohne Ausnahme wissen, dass ein Gott, und dass er ihr Schöpfer sei, durch eigenes Zeugnis verdammt werden, wenn sie ihn nicht verehrten, und ihm ihr Leben weihten. Eine völlige Unkunde von Gott, würde man, so man sie suchte, am ehesten unter den verwilderten und von menschlicher Bildung entfernteren Völkern zu finden glauben. Aber, spricht jener Heide, es ist auch keine Nation so roh, kein Volk so verwildert, das nicht die Überzeugung hätte, dass ein Gott sei. Und welche in Hinsicht ihrer sonstigen Lebensweise sich nicht sehr von den Tieren zu unterscheiden scheinen, bewahren doch immer in sich einen Keim von Religion. So sehr hat jene gemeinsame Ahnung Aller Herzen und Seelen unvertilgbar durchdrungen. Da also seit Anfang der Welt kein Land, ja kein Haus gewesen ist, das der Religion entbehren konnte, so liegt darin das stillschweigende Geständnis, dass das Gottheitsgefühl Aller Herzen eingegraben sei. Ja selbst die Abgötterei ist solches Empfängnisses starker Erweis. Denn, wie ungern der Mensch sich erniedrige, um andere Geschöpfe über sich zu erhöhen, wissen wir. Folglich, wenn er lieber ein Holz oder einen Stein anbeten, als gänzlich ohne Gott zu sein scheinen will; so ist das ein Beweis, wie tief der Eindruck der Gottheit seiner Seele eingeprägt sein muss, welcher so wenig sich auslöschen lässt, dass er viel eher die Neigungen der Natur überwältigt, wie solches in der Tat geschiehet, indem der Mensch von seinem natürlichen Hochmut sich freiwillig unter die verächtlichsten Dinge der Erde erniedrigt, um nur einen Gott zu verehren. Daher ist es abgeschmackt, wenn Einige behaupten, Religion sei die Erfindung einiger klugen Köpfe, um dadurch das einfältige Volk in Zucht zu halten, indeß sie selbst an das Dasein eines Gottes nicht geglaubt hätten. Ich gebe gern zu, dass verschlagene Menschen manches in der Religion ersonnen haben, um dem Pöbel Furcht und Schrecken einzuflößen, und es dadurch gefügiger zu machen. Aber sie würden dies nicht erreicht haben, wenn nicht schon vorher jene erste Überzeugung von Gott in den Herzen der Menschen gewesen wäre, aus welcher, wie aus einem Samenkorne eben der Hang zur Religion hervorkeimt. Ja es ist nicht glaublich, dass selbst jene, die unter dem Schein der Religion die Einfältigen zu täuschen suchten, ganz ohne Glauben an eine Gottheit gewesen seien. Denn obgleich es ehemals einige gegeben hat, und auch heut zu Tage nicht wenige hervortreten, welche das Dasein Gottes leugnen; so müssen sie doch wider Willen oftmals fühlen, was sie wünschen nicht zu wissen. Niemand trieb es in kecker und zügelloser Gottesverachtung weiter als C. Caligula; aber auch keiner zitterte jämmerlicher als er, wenn irgend ein Zeichen göttlichen Zornes sich offenbarte. So zitterte er wider Willen vor dem Gott, den er mit Vorsatz zu verachten strebte. Dasselbe mag man hie und da an seines gleichen bemerken, denn je keckerer Gottes Verächter, um so mehr erschreckt ihn das Rauschen eines fallenden Blattes. Woher dieses, wenn nicht Ahndung göttlicher Majestät, welche um so heftiger ihre Gewissen erschüttert, je mehr sie ihr zu entfliehen streben. Sie sehen sich um nach allen Schlupfwinkeln, um sich vor der Nähe des Herrn zu verbergen, und sie aus ihrer Seele wieder zu vertilgen; aber, mögen sie wollen oder nicht, sie werden in Banden festgehalten. Und wenn auch der Gedanke an Gott ihnen auf eine Zeitlang gänzlich zu entschwinden scheint, so kehrt er doch immer zurück und ergreift sie von neuem, so dass ihre Gewissensruhe dem Schlaf der Betrunkenen oder Wahnsinnigen nicht unähnlich ist, welche selbst schlafend nicht eigentlich ruhen, sondern von schreckhaften Träumen gequält werden. So sind folglich selbst die Gottlosen ein Beweis, dass immer in aller Menschen Herzen eine Idee von Gott lebe.