J. Gerhard - Menschwerdung
14. VON DEN GEHEIMNISSEN DER MENSCHWERDUNG.
DIE WIEGE CHRISTI LEUCHTET.
Wenden wir unsere Sinne ein wenig ab von den zeitlichen Dingen, und betrachten wir die Geheimnisse der Menschwerdung des Herrn. Der Sohn Gottes kommt vom Himmel zu uns, auf dass wir die Kindschaft empfingen Gal. 4,4.5. Gott wird Mensch, auf dass der Mensch der göttlichen Gnade und Natur teilhaftig wird 2 Petr. 1,4. Um die Zeit des Abends der Welt wollte Christus geboren werden, um anzuzeigen, dass die Segnungen seiner Menschwerdung nicht das gegenwärtige, sondern das zukünftige Leben angehen. Zur Zeit des friedfertigen Augustus wollte er, der dem menschlichen Geschlechte Frieden mit Gott verschafft hat, geboren werden. Zur Zeit, da Israel ein Knecht war, wollte er, der der wahre Befreier und Erretter seines Volkes ist, geboren werden. Unter der Oberherrlichkeit eines fremden Herrn wollte er, dessen Reich nicht von dieser Welt ist Joh. 18,36, geboren werden. Von einer Jungfrau wird er geboren, um anzuzeigen, dass er nur in den Herzen derer empfangen und geboren wird, welche geistliche Jungfrauen sind 2 Kor. 11,2, das ist, deren Herzen weder der Welt, noch dem Teufel, sondern Gott in einem Geiste anhangen. Rein und heilig wird er geboren, um unsere unreine und unheilige Geburt zu heiligen. Von einer Jungfrau, die einem Manne vertrauet ist, wird er geboren: zur Ehre des von Gott geordneten Ehestandes. In der Finsternis der Nacht wird er geboren, der das wahre Licht war, das die Finsternis der Welt erleuchtet. In eine Krippe wird er gelegt, der die wahre Speise unserer Seele ist. Inmitten des Ochsen und Esels wird er geboren, um die Menschen, welche durch die Sünde den Zugtieren ähnlich geworden sind, zur ehemaligen Würde zurückzuführen. In Bethlehem, das ist, in dem Hause des Brotes, wird er geboren, der zur Sättigung der Seelen die reichste Fülle der göttlichen Wohltaten mit sich führte. Der Erstgeborene und Eingeborene seiner Mutter auf Erden ist er, welcher der Erstgeborene und Eingeborene des Vaters im Himmel ist. Arm und unbemittelt wird er geboren 2 Kor. 8,9, um uns den himmlischen Reichtum zu erwerben. In einem verächtlichen Viehstalle wird er geboren, um uns zu den Prachtgemächern der himmlischen Königsburg zu leiten. Vom Himmel wird er gesandt als Herold so großer Segnung, weil niemand auf Erden die Größe derselben fasste. Der Herold himmlischer Gaben muss selbst vom Himmel sein. Es freuen sich die Heerscharen der Engel, welche uns um der Menschwerdung des Sohnes Gottes willen zu Genossen ihrer Seligkeit haben können. Den Hirten wird solches Wunder zuerst verkündiget, weil der wahre Hirt der Seelen gekommen war, die verlorenen Schafe auf den Weg zurückführen. Den Verachteten und Ruhmlosen wird der Grund so großer Freude verkündiget, weil niemand derselben teilhaftig werden kann, der nicht in seinen Augen sich missfällt. Denen, die da wachen bei der Herde, wird diese Geburt verkündiget, weil nicht die, welche in Sünden schlafen, sondern die, deren Herz zu Gott wacht, so großer Gabe teilhaftig werden. Es frohlockt die Menge der himmlischen Heerscharen, die ob der Schuld des ersten Menschen in tiefe Trauer versetzt worden war. Die Klarheit des Herrn und Königs, dessen Armut die Menschen auf Erden verachteten, wird offenbar im Himmel. Der Engel gebietet der Furcht sich zu entschlagen, weil der geboren war, der allen Grund der Furcht hinweg zu nehmen kam. Freude wird vom Himmel verkündiget, weil der Schöpfer und Geber aller Freude geboren war. Freude wird geboten, weil die Feindschaft zwischen Gott und den Menschen, der Grund aller Traurigkeit, entfernt war. Die Ehre wird Gott in der Höhe gegeben, die der erste Mensch durch die untersagte Übertretung des Gebotes hatte an sich reißen wollen. Der wahre Friede ist durch diese Geburt erworben, weil vorher die Menschen Gottes Feinde waren, weil vorher wider sie ihr eigenes Gewissen war, weil sie vorher unter einander feindlich gestimmt waren. Der wahre Friede ist der Erde wiedergegeben, weil der überwunden ist, welcher uns gefangen hielt.
Lasst auch uns mit den Hirten zur Krippe Christi, das ist, zur Kirche gehen, und in Windeln, das ist, in die heilige Schrift, gewickelt werden wir dieses Kindlein finden. Lasst auch uns mit der Maria, der heiligen Mutter des Herrn, die Worte des so großen Geheimnisses behalten und in täglicher Erinnerung sie ernstlich bewegen. Lasst uns mit unserer Stimme den Engeln folgen, die uns vorsingen, und den schuldigen Dank für so große Wohltat sagen. Lasst uns frohlocken und freuen mit dem ganzen himmlischen Heer. Denn wenn die Engel um unsertwillen sich in so hohem Grade freuen, um wie viel mehr werden wir uns freuen müssen, dass uns dieses Kind geboren und gegeben ist? Jes. 9,6. Wenn die Kinder Israel Lobgetöne erhoben, da die Bundeslade zu ihnen gebracht ward, die das Abbild und der Schatten der Menschwerdung des Herrn war: wie viel mehr müssen wir uns freuen, zu denen der Herr, nachdem er ihr Fleisch angenommen hat, selbst herabsteigt. Wenn Abraham froh ward, dass er den Tag des Herrn sehen Joh. 8,56, und der Herr ihm, nachdem er die menschliche Gestalt auf Zeit angenommen hatte, erscheinen sollte: was werden wir tun müssen, da er unsere Natur für immer und unabänderlich angenommen hat? Lasset uns hier bewundern die unermessliche Güte Gottes, welcher, da wir zu ihm uns nicht zu erheben vermochten, zu uns herabkommen wollte. Lasset uns bewundern die unendliche Macht Gottes, welcher aus zweien einander ganz verschiedenen Naturen, nämlich der göttlichen und menschlichen, einen darzustellen vermochte, der in der innigsten Vereinigung Gott und Mensch zugleich ist. Lasset uns bewundern die unendliche Weisheit Gottes, welcher eine Weise uns zu erlösen zu erfinden vermochte, da weder Engel noch Menschen eine Weise wussten. Das unendliche Gut war beleidigt, eine unendliche Genugtuung ward erfordert. Der Mensch hatte Gott beleidigt, von dem Menschen ward die Genugtuung gefordert. Aber von dem Menschen konnte weder eine unendliche Genugtuung geleistet, noch der göttlichen Gerechtigkeit genug getan werden ohne einen unendlichen Preis. Darum ward Gott Mensch, damit der, welcher gesündiget hatte, genug täte, und der, welcher unendlich war, einen unendlichen Preis bezahlte. Lasset uns bewundern dieses staunenswerte Mittel der Ausgleichung der göttlichen Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, welches kein Geschöpf, bevor es Gott offenbarte, erfinden konnte, und, nachdem es offenbart ist, nicht vollkommen fassen kann. Lasst dies uns bewundern, nicht ängstlich darüber grübeln; lasst uns nach Erkenntnis deß verlangen, wenn wir es auch nicht vollständig fassen; lasst uns viel mehr unsere Unwissenheit bekennen, als Gottes Macht leugnen wollen.
15. VON DER HEILSAMEN FRUCHT DER MENSCHWERDUNG.
GESEGNET SEI DIE ERLÖSUNG CHRISTI.
Ich verkündige euch große Freude Luk. 2,10, spricht der Engel bei der Geburt unsers Heilandes. Fürwahr sie ist groß, und größer, als der menschliche Verstand zu fassen vermag. Das größte Übel war, dass wir unter dem Zorne Gottes, unter der Gewalt des Teufels, unter der ewigen Verdammnis gefangen gehalten wurden. Noch größer war das Übel, dass die Menschen jene größten Übel entweder nicht kannten, oder nichts achteten. Nun aber wird uns große Freude verkündiget, weil der in die Welt gekommen war, der uns von allen jenen Übeln befreien sollte. Der Arzt ist zu den Kranken, der Erlöser zu den Gefangenen, der Weg zu den Irrenden, das Leben zu den Toten, das Heil zu den Verdammten gekommen. Wie Mose von Gott gesandt worden ist, das Volk Israel aus der ägyptischen Knechtschaft zu befreien 2 Mos. 3,10: so ist Christus vom Vater gesandt worden, das ganze menschliche Geschlecht von der Gewalt des Teufels zu erlösen. Wie die Taube, da das Land nach der Sündflut wieder trocken geworden war, ein Ölzweiglein zur Arche Noah brachte: so ist Christus in die Welt gekommen, den Frieden zu predigen zur Versöhnung des menschlichen Geschlechtes mit Gott. Mit Recht freuen wir uns daher, und hoffen das Beste von der Barmherzigkeit Gottes. Der uns, da wir noch Feinde waren Röm. 5,8, so sehr geliebt hat, dass er es nicht verschmähet hat, unsere Natur in die engste Verbindung mit der Gottheit anzunehmen: was wird der denen versagen, die ihm verbunden sind dadurch, dass er ihres Fleisches teilhaftig geworden ist? Wie also wird jenes höchste und unbegrenzte Erbarmen uns, die wir seiner Natur schon teilhaftig gemacht sind, von sich wegweisen können? Wer kann die Größe dieses Geheimnisses in Gedanken, geschweige denn in Worten fassen? Es ist das die höchste Erhabenheit und die höchste Niedrigkeit, die höchste Macht und die höchste Schwachheit, die höchste Herrlichkeit und die höchste Hinfälligkeit. Was ist erhabener als Gott, und was niedriger als der Mensch? Was ist mächtiger als Gott und was schwächer als der Mensch? Was ist herrlicher als Gott und was hinfälliger als der Mensch? Aber jene höchste Macht fand ein Mittel, dadurch diese verbunden wurden, da jene höchste Gerechtigkeit die Notwendigkeit einer solchen Verbindung forderte. Wer kann die Größe auch dieses Geheimnisses fassen? Ein Gegenersatz und ein unendlicher Preis ward erfordert für die Beleidigung des Menschen, weil der Mensch von dem unendlichen Gute, nämlich von Gott sich abgewendet hatte. Aber was konnte dem unendlichen Gott ein Gegenersatz sein? Daher nimmt die unendliche Gerechtigkeit gleichsam von sich selbst einen vollen Ersatz gewährenden Preis, und Gott der Schöpfer leidet im Fleische, damit das Fleisch des Geschöpfes nicht in Ewigkeit leide. Das höchste Gut war beleidiget; es konnte nur ein Mittler von unendlicher Macht zwischen eintreten. Was aber ist außer Gott unendlich? Gott versöhnte daher die Welt mit ihm selber 2 Kor. 5,19: Gott selbst wird der Mittler, Gott selbst hat mit seinem Blute das menschliche Geschlecht erlöst Ap. Gesch. 20,28. Wer kann die Größe dieses Geheimnisses fassen? Der höchste Schöpfer war beleidigt, und das Geschöpf machte sich keine Sorge über die Herstellung des Friedens und über die Versöhnung. Derselbe, der beleidiget war, nimmt das Fleisch des Geschöpfes an und wird der Versöhner. Der Mensch hatte Gott verlassen, und zu dem Feinde Gottes, dem Teufel sich gewendet; aber derselbe, der verlassen war, sucht bekümmert den, der ihn verlassen hat, und ladet ihn auf das Freundlichste wieder zu sich ein. Der Mensch war von jenem unendlichen Gute gewichen und hatte sich in das unendliche Übel gestürzt, aber eben jenes unendliche Gut gibt einen unendlichen Erlösungspreis und befreit das Geschöpf von jenem unendlichen Übel. Übersteigt nicht diese unendliche Barmherzigkeit allen endlichen Verstand und Gedanken des Menschen? Unsere Natur ist durch Christum herrlicher gemacht worden, als sie durch Adams Sünde verunstaltet worden war; in Christo haben wir mehr empfangen, als wir in Adam verloren haben; die Sünde hatte überhand genommen, aber der Reichtum der göttlichen Gnade ging noch weit darüber. In Adam haben wir die Unschuld verloren, in Christo haben wir die volle Gerechtigkeit empfangen Röm. 5,18.21. Mögen andere die göttliche Macht bewundern, die göttliche Gnade ist noch viel mehr zu bewundern, wenngleich in Gott die Macht und die Barmherzigkeit einander die Waage halten, nämlich beide unendlich sind. Mögen andere die Schöpfung bewundern, mir gefällt es mehr die Erlösung zu bewundern, wenngleich sowohl die Schöpfung als die Erlösung die Tat einer unendlichen Macht ist. Groß ist es, den Menschen, der nichts verdient hat, weil er noch nicht einmal da ist, zu schaffen; größer scheint es noch zu sein, den Menschen, der sich versündigt hat, zu erlösen und die Genugtuung der Schuld auf sich zu nehmen. Wundernswert ist es, dass unser Fleisch und unsere Gebeine uns von Gott gebildet sind; wundernswerter noch ist es, dass Gott selbst Fleisch von unserm Fleische, und Bein von unsern Gebeinen werden wollte Eph. 5,30. O meine Seele, danke deinem Gott, der dich geschaffen hat, da du noch nicht warest, der dich erlöst hat, da du durch die Sünde verdammt warest, der dir, weil du Christo durch den Glauben anhängest, himmlische Freuden bereitet hat!