Luther - Anfechtung durch den Tod
Über die Anfechtung durch den Tod
(Martin Luther: Auslegung zu Psalm 90,7-8, zitiert nach Walch, 2. Ausgabe, Bd. 5, Sp. 764-776, Rechtschreibung angepasst)
V. 7.
Das macht dein Zorn, dass wir so vergehen,
und dein Grimm, dass wir so plötzlich dahin müssen.
Dies ist, wie ich gesagt habe, das, worauf der Nachdruck liegt bei diesem Han-del, und er zeigt den Unterschied zwischen dem Menschen und den übrigen Kreaturen. Dass der Mensch so vergeht und in schnellem Laufe durch den Zorn Gottes zum Verderben dahingerissen wird, das erleidet nicht das Gras, nicht die Blume, nicht die Vögel unter dem Himmel, nicht die Tiere der Erde, sondern allein der Mensch. Der empfindet, dass mit seinem Tode und dem andern Jammer dieses Lebens auch die Sünde und der Zorn Gottes verbunden sei, während dagegen Rinder, Schafe und alle (anderen) lebenden Wesen nach der Ordnung Gottes, die von seinem Wohlgefallen herkommt, sterben ohne eigene Sünde, ohne den Zorn Gottes. Dies zeigt bei Mose fast eine Empfindung der Lästerung an, denn wenn dann, wo man dies empfindet, nicht das Licht der Gnade gezeigt wird, so ist es unmöglich, dass nicht Verzweiflung und die höchste Lästerung folge. Denn wer kann ohne Murren an den Zorn Gottes gedenken? Auch die unschuldige Kreatur kann ihre Leiden nicht ohne Beschwerde ertragen. Wenn man ein Schwein schlachtet, so zeigt es durch sein Geschrei seine Ungeduld und Schmerzen; wenn ein Baum umgehauen wird, so fällt er nicht ohne Krachen. Wie sollte daher die menschliche Natur diesen Gedanken an den Zorn Gottes ohne Tränen, ohne Murren, ohne die höchste Ungeduld ertragen? Wie sollte sie mit Gleichmut den Tod erdulden, von dem sie weiß, dass sie ihn um der Sünde willen und aus Gottes Zorn erleide?
Daher schlägt die Vernunft entweder den Weg der Verachtung oder den Weg der Lästerung ein. Unter den Colloquien des Erasmus ist ein Zwiegespräch (dialo-gus), dem er den Titel „Epicurus“ gegeben hat. In demselben disputiert er von der christlichen Religion, dass sie den Stein des Tantalus habe, da sie ja nach dem Jammer dieses Lebens auch noch das ewige Feuer droht. Was kann es nun, sagt er, für ein geeigneteres Mittel gegen dieses Übel geben, als den Unglauben, oder die Unsinnigkeit, dass man nicht glaube, dass dies wahr sei? Auf diese Weise disputiert die Vernunft. Denn es scheint unerträglich zu sein und der göttlichen Weisheit und Güte unwürdig, dass nach den Beschwerden dieses Lebens auch noch der ewige Tod zu befürchten sei, und zwar aus Zorn, weil Gott den so mit Unglück beladenen Menschen auch noch zürnt. Diese Gedanken kann die Vernunft nicht ertragen, ohne in Lästerung zu verfallen. Daher rät Epicurus, dass du entweder ein Unsinniger oder ein Ungläubiger werdest, und dich so befreiest von der Empfindung des Zorns und der Sünde im Unglück und im Tode. Aber welch ein frevelhafter Rat ist das! Denn wie? wenn du entweder nicht ungläubig sein kannst, und fürchtest, du möchtest nach diesem Leben fühlen müssen, dass das wahr sei, was du hier verachtest? oder wenn du nicht so unsinnig sein kannst, dass du niemals an diese künftige Gefahr gedenkest? Daher kann die Natur nichts Anderes als sich entsetzen und unwillig sein, dass über uns (nach diesem Leben) noch ein solcher Herr übrig sei, den wir auch nach dem Tode fürchten müssen, wie Vellejus bei Cicero redet: Auf diese Weise setzt er uns einen ewigen Herrn auf den Hals.
Daher muss man das Exempel Mosis mit Fleiß merken, damit wir lernen, dies Seufzen unseres Herzens zu mäßigen und zu regieren, wenn wir den Zorn Gottes und den Tod fühlen. Denn es ist nicht ein Übel, auf diese Weise den Zorn Gottes zu fühlen, nur müssen wir nicht auf die Torheit verfallen, dass wir vor Trübsal Gott entweder verachten oder lästern, wiewohl es unmöglich ist, dass nicht auch die Seufzer der Heiligen in solchen Anfechtungen etwas von Läste-rung an sich haben sollten. Denn können wir etwa den Hiob entschuldigen, da er den Tag, an welchem er geboren ist, einen verfluchten nennt (Hiob 3,3.)? oder den Jeremias (Cap. 20,17.), der da zürnt, dass er nicht gestorben sei in seiner Mutter Leibe? So bedient sich auch Hieronymus eines gar harten Wortes, da er sagt, dass die Menschen unseliger seien als alle Tiere, da sie ja nach allem anderen Unglück in diesem Leben noch den ewigen Tod erwarten oder wenigstens fürchten müssen. Dies sind Worte, die hervorgekommen sind aus einem Herzen, das zornig und unwillig geworden ist durch die Empfindung des Übels. Es ist aber nicht ein böses Zeichen, wenn man so zürnt, nur muss man diese Bewegung in richtiger Weise mäßigen und regieren. Denn gleichwie ein junger Mann die Unkeuschheit empfindet, Gott aber ihm dies verzeiht, wenn er diese Empfindung entweder im Zaume hält und beherrscht oder ein Weib nimmt, so hangen jene Bewegungen eines murrenden, lästernden, zweifelnden Herzens auch den Christen an, aber sie müssen in Schranken gehalten werden, damit sie nicht wie bei den Gottlosen entweder auf Verachtung Gottes oder Verzweiflung hinauslaufen. (…..)
Denn solche Gedanken kommen dir nicht um deswillen, dass du nach ihnen urteilen und ihnen folgen sollst, sondern dass du widerstehen sollst und mit Gebet dawider kämpfen. Wie ich aber von den gröberen Anfechtungen der Unkeuschheit, des Zorns etc. gesagt habe, so muss man auch von dieser An-fechtung der Lästerung halten. Denn der Teufel verstellt sich darum in einen Engel des Lichts und Gottes Gestalt, um uns vom Gebete und dem Worte hinwegzuführen, und uns so entblößt anzugreifen und zu überwinden. Wenn er uns mit lästerlichen Gedanken angefochten hat, so klagt er uns alsbald an: Siehe dein Herz an, sagt er, wie es beschaffen sei? Bist du nicht ein Sünder? Dies muss das Herz zugestehen. Dann häuft er noch Anderes hinzu: Also ist Gott zornig auf dich, denn wie sollte Gott der Sünde nicht zürnen? Wenn du hier ein wenig weichst, so überwältigt er dich, und wahrlich, viele hat der Satan auf diese Weise getötet. Deshalb ist besonnenes Verhalten (gubernatione) vonnöten, dass du dich dem Feinde entgegenstellest, und festiglich dafürhaltest, deine Schwach-heit sei Gotte bekannt, und Gott werde nicht dadurch beleidigt, wenn du ihr nicht den Zügel schießen lässest. (…..)
Aber Gott will, dass wir wenigstens unser Unglück erkennen und uns durch die Plagen bessern lassen. Wenn du daher inne wirst, dass du aus Gottes Zorn um der Sünde willen auf mancherlei Weise heimgesucht werdest und deshalb auch bisweilen aus Ungeduld murrst, so lass darum ja den Mut nicht sinken. Denn die Ursache liegt nicht allein bei dir, sondern es hat auch der Teufel daran teil, der im Paradiese den Menschen anleitete, dass er nicht mit dem zufrieden sein sollte, was Gott geboten hatte, sondern auch nach der Ursache fragen sollte. Daher entstehen aus Ungeduld solche Reden: Warum sind wir geboren? Warum ist unsere Lage nicht ebenso wie die der Tiere? etc. Mit dieser Anfechtung werden auch wahrhaft heilige Leute geplagt, und es war diese Anfechtung auch nicht gänzlich unbekannt in den Klöstern, denn man nannte sie den Geist der Lästerung, und Gerson tröstet wider dieselbe auf mancherlei Weise. Er bedient sich dabei etlicher Gleichnisse: wie wir uns nicht kümmern um das Zischen der Gänse, so müsse man auch dies, wiewohl man es empfinde, verachten und aus dem Herzen werfen. Denn gleichwie ein bellender Hund nur noch stärker gereizt wird und um so heftiger wütet, je ernstlicher du es dir angelegen sein lässt, ihm zu wehren, so gibt man auch den Rat, dass man derartige Gedanken nicht dadurch reizen solle, dass man ihnen nachhängt. Etwas Ähnliches liest man in den „Lebensbeschreibungen der Väter“ (vitis patrum), denn daselbst lehrt einer derselben, dass solche Gedanken gleich seien den Vögeln, welche im Freien fliegen, und sagt, das stehe nicht in unserer Macht, ihnen zu wehren, dass sie nicht hiehin oder dorthin fliegen sollen, aber das stehe in unserer Macht, dass sie ihre Nester nicht in unseren Haaren anbringen. So seien auch jene Gedanken aus einer anderen Ursache entstanden, die außer uns liegt, nämlich von dem Teufel. Daher könne es nicht verhindert werden, dass sie uns nicht einfallen sollten, aber davor können wir uns hüten, dass wir ihnen nicht nachhängen und so in Sünde verstrickt werden. Dies ist gar klüglich gelehrt und aus einer großen Erfahrung in geistlichen Dingen. (…..)
Die Ursache aber, warum Gott zulasse, dass dies so geschieht, die befiehl dem Satan, dass der sie von Gott erforsche. Denn uns wird jener Jammer und alle anderen Anfechtungen um deswillen aufgelegt, damit wir gedemütigt, nicht damit wir verdammt werden. Und dies ist auch für Moses die Ursache, dass er hier seine Predigt so scharf einrichtet und den Jammer der Menschen groß macht über allen anderen Jammer, deshalb, weil er mit Gottes Zorn verbunden ist. Welche sich daher nicht durch das Vertrauen auf die Barmherzigkeit Gottes aufrichten, die werden nichts Anderes empfinden als entweder Verzweiflung oder Lästerung. Aber Gottes Wille ist nicht, dass wir verzweifeln sollen, sondern dass wir durch Christum diese Dinge überwinden, wie die Apostel und andere Heilige ähnliche Anfechtungen überwunden haben. So haben die heiligen Jungfrauen gefühlt, dass sie Weiber seien (suum sexum), die Märtyrer haben den Schmerz der Martern gefühlt, aber beide haben dies Fühlen beherrscht und überwunden. Auf diese Weise empfinden alle Heiligen diesen Zorn, aber durch Christum überwinden sie ihn auch. Denn dieses Fühlen gehört zur Tötung (des Fleisches) (mortificationem). Es ist ein sehr großes Übel, verzehrt zu werden, aber verzehrt zu werden durch den Zorn Gottes, das ist in der Tat etwas, das die menschliche Vernunft nicht zu überwinden weiß, es sei denn, dass sie durch das Wort Gottes unterwiesen und durch den Heiligen Geist unterstützt sei. (…..)
Dies ist es, worauf es bei dieser Sache ankommt, welche Gott mit uns vornimmt, damit wir im Fühlen unserer Sünden und des Todes wandeln. Es ist aber nicht böse, wie ich auch oben gesagt habe, dass man dies empfinde, sich beklage wegen seines Jammers, und urteile, dass bei uns nichts sei als Verdammnis. Freilich magst du dich so beklagen und seufzen, sodann auch dich bemühen, dass du diesem Seufzen gemäß dein Leben führest und einrichtest, dann wird es geschehen, dass du das Heil empfinden wirst.
Ferner ist hier vornehmlich dieser Ausspruch zu beachten, dass kein Mensch alle seine Sünden sehen könne, besonders wenn man die Größe der Erbsünde ansieht. Und dies ist nicht zu verwundern. Denn wer kann nur die einige Sünde der Unkeuschheit, die doch allen bekannt ist, genugsam beschreiben, wenn wir auch alle Dichter wären, dem Virgil oder Ovid ebenbürtig? Deshalb sagt auch Salomo (Sprichw. 30,19.), dass der Weg eines Mannes an einer Magd uner-forschlich sei, das heißt, niemand könne die Herzensbewegungen der Liebenden darlegen oder genugsam mit Worten aussprechen. Wie viel weniger können daher die übrigen schwereren und geistlichen Sünden genugsam erkannt wer-den, als da sind die Ungeduld in Widerwärtigkeiten, Lästerungen, Murren wider Gott etc. Ein wie tiefer Abgrund ist allein der Unglaube? In Wahrheit ist daher die Sünde so groß, als der ist, der durch die Sünde beleidigt wird. Den aber können Himmel und Erde nicht fassen. Mit Recht nennt er daher die Sünde etwas Ver-borgenes, dessen Größe von dem Gemüte nicht gefasst werden könne. Denn gleichwie der Zorn Gottes, gleichwie der Tod, so ist auch die Sünde unendlich. Es will aber Moses, dass wir dies lernen und glauben, damit wir erschrecken und zu Gott um Gnade seufzen, auf dass wir nicht unter der Zahl der Verächter seien, sondern, zerschlagen und gedemütigt und zum Sterben bereit, hoffen durch die Gnade Gottes die ewige und über alle Maße wichtige Herrlichkeit zu erlangen (2 Kor. 4,17.).
Die auf diese Weise zerschlagen und gedemütigt sind durch den Hammer des Gesetzes, die können unterwiesen und belehrt werden, dass sie jene Pfeile des Satans ablenken, wenn er uns reizt, dass wir die Ursachen erforschen sollen, warum Gott so mit uns handele, warum er alle seine Macht wider dies dürre Blatt ausübe, wie Hiob (Cap. 13,25.) redet. Diese Disputationen mögen dir wohl einfallen, aber lass dich dadurch nicht erschrecken. Halte vielmehr dafür, dass auch dies Strafen der Sünde seien und Pfeile des Teufels, die mit dem Schild des Glaubens abgewiesen werden, und dazu dienen, dass unsere Sicherheit und Hoffart niedergedrückt werde, zu der uns die Erbsünde veranlasst. So viel daher von dem Jammer der Menschen gesagt werden kann, so viel sagt hier Moses, und ich glaube nicht, dass dies mit besseren oder gewichtigeren Worten darge-legt werden könne. Denn er bringt seine Predigt hier bis auf den äußersten Grad, dass die Ursache dieses Jammers die Sünde sei, welche, wiewohl sie uns und der ganzen Welt verborgen ist, dennoch vor Gottes Angesicht und in helles Licht gestellt wird. Was kann Gewichtigeres gesagt werden? Dennoch ist Moses von anderen Lästerern verschieden, weil er noch das kindliche Seufzen gegen Gott, seinen Vater, beibehält. Er wendet sein Angesicht nicht von Gott ab; er setzt Gott nicht herab, er lästert nicht, sondern sieht geraden Blickes auf ihn und in kind-licher Weise murmelt und klagt er. Das tun die Gottlosen nicht in solchem Fühlen des Zornes Gottes, sondern weil sie alle Hoffnung auf die Güte Gottes hinweg-werfen, wie Judas, Kain und Saul, so entbrennen sie deshalb von überaus hefti-gem Hasse gegen Gott, lästern Gott in ihrem Herzen, und sündigen mehr und mehr.