Luther - Christi stellvertretendes Werk "für uns"

 

Das stellvertretende Werk Christi „für uns”: Heilsdrama, Kreuz und Sieg

 

(Martin Luther: Auslegung zu Galater 3,13, zitiert nach Walch, 2. Ausgabe, Band 9, Sp. 368-379, Rechtschreibung angepasst)

 

V. 13.

Christus aber hat uns erlöset von dem Fluch des Gesetzes, da er ward ein Fluch für uns (denn es stehet geschrieben: Verflucht sei jedermann, der am Holze hänget etc.). 

 

Paulus hat seine Worte wohl befestigt und deutlich geredet. Hier muss man aber wiederum einen Unterschied machen, wie die Worte Pauli genugsam anzeigen. Denn er sagt nicht, dass Christus ein Fluch geworden sei für sich, sondern „für uns“. Es liegt also der Nachdruck auf dem Worte „für uns“. Denn Christus, was seine Person anbelangt, ist unschuldig, hätte also nicht an das Holz gehängt werden sollen. Weil aber nach dem Gesetze jeder Mörder gehängt werden sollte, so musste auch Christus nach dem Gesetze Mosis gehängt werden, weil er die Person eines Sünders und Mörders an sich genommen hatte, und zwar nicht eines einzelnen, sondern aller Sünder und Mörder. Denn wir sind Sünder und Mörder, und darum des Todes und der ewigen Verdammnis schuldig. Aber Christus hat alle unsere Sünden auf sich genommen und ist für dieselben am Kreuze gestorben. Darum musste er ein Übeltäter werden und, wie Jesaias, Cap. 53,12., sagt, „unter die Übeltäter gerechnet werden“. 

Und zwar alle Propheten haben dies im Geiste gesehen, dass Christus der aller-größte Übeltäter, Mörder, Ehebrecher, Dieb, Gottesräuber, Lästerer etc. sein würde, dessen Gleichen nie in der Welt gewesen wäre. Weil er das Opfer ist für die Sünden der ganzen Welt, so ist er nun nicht mehr eine unschuldige Person und ohne Sünden, nicht mehr Gottes Sohn, geboren von der Jungfrau, sondern ein Sünder, der die Sünde des Paulus auf sich hat und trägt, welcher ein Lästerer, ein Verfolger und ein gewalttätiger Mensch war; des Petrus, der Christum verleugnet hat; Davids, der ein Ehebrecher und Mörder war, und machte, dass die Heiden den Namen des Herrn lästerten (2 Sam. 12,14.), kurz, der alle Sünden aller Menschen auf sich hat und trägt an seinem Leibe, nicht weil er sie selbst begangen hat, sondern weil er die von uns begangenen Sünden auf seinen Leib genommen hat, damit er für dieselben mit seinem eigenen Blute genugtun könnte. 

Darum begreift jenes allgemeine Gesetz bei Moses auch ihn mit ein, obgleich er für seine Person unschuldig ist, weil es ihn unter den Sündern und Mördern findet, wie auch die Obrigkeit den für schuldig hält und bestraft, den sie unter den Mördern ergreift, wenngleich er niemals etwas Böses, oder das des Todes wert ist, begangen hat. Christus aber ist nicht allein unter den Sündern erfunden worden, sondern er hat auch freiwillig und nach des Vaters Willen der Sünder Geselle sein wollen, hat das Fleisch und Blut derer an sich genommen, welche Sünder und Mörder und beladen sind mit allen Sünden. Da nun das Gesetz ihn unter den Mördern fand, so hat es ihn als einen Mörder verdammt und getötet. 

Dieser Erkenntnis Christi und dieses allersüßesten Trostes, dass Christus für uns ein Fluch geworden sei, damit er uns von dem Fluch des Gesetzes erlösete, berauben uns die Sophisten, da sie Christum von den Sünden und von den Sündern trennen und ihn uns nur als ein Exempel vorstellen, dem wir nachfolgen sollen. Auf diese Weise machen sie uns Christum nicht allein unnütz, sondern stellen ihn auch als einen Richter und Tyrannen dar, der über die Sünden zürne und die Sünder verdamme. Wir aber müssen Christum mit einschließen (in-volvere) (unter den Fluch) und erkennen, dass gleichwie er eingehüllt ist (involu-tum) in unser Fleisch und Blut, so auch unsere Sünden, unsern Fluch, unsern Tod und all unser Übel auf sich habe. 

Aber es möchte jemand sagen: Es ist sehr ungereimt und schmachvoll, den Sohn Gottes einen Sünder und einen Fluch zu nennen. Ich antworte: Wenn du leugnen willst, dass er ein Sünder und ein Fluch sei, so leugne auch, dass er gelitten habe, gekreuzigt und gestorben sei. Es ist nicht weniger ungereimt zu sagen, dass der Sohn Gottes (wie unser Glaube bekennt und betet) gekreuzigt sei, die Strafen der Sünde und des Todes ausgestanden habe, als dass man ihn einen Sünder oder einen Verfluchten nenne. Wenn es aber nicht ungereimt ist zu bekennen und zu glauben, dass Christus unter den Mördern gekreuzigt worden ist, so kann es auch nicht ungereimt sein, dass man sage, er sei ein Verfluchter und ein Sünder über alle Sünder. 

Sicherlich sind das nicht leere Worte bei Paulus: „Christus ward ein Fluch für uns“ (Gal. 3,13.). „Gott hat Christum, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir würden in ihm die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt.“ 2 Kor. 5,21. 

Auf ebendieselbe Weise nennt ihn Johannes der Täufer (Joh. 1,29.) „Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt“. Er ist zwar unschuldig, weil er das unbe-fleckte und tadellose (incontaminatus) Gotteslamm ist, aber weil er die Sünden der Welt trägt, wird seine Unschuld mit den Sünden und der Schuld der ganzen Welt belastet. Alle Sünden, die ich, du und wir alle getan haben und künftig noch tun werden, sind Christi eigene Sünden, so, als ob er sie selbst getan hätte. Kurz, unsere Sünde muss Christi eigene Sünde werden, oder wir müssen in Ewigkeit verloren sein. 

Diese rechte Erkenntnis Christi, welche Paulus und die Propheten überaus klar gelehrt haben, haben die gottlosen Sophisten verdunkelt. Jesaias im 53. Kapitel redet von Christo. Er sagt (V. 6): „Gott warf unser aller Sünde auf ihn.“ Wir müssen diese Wörter nicht entleeren, sondern sie in ihrer eigentlichen Bedeutung bleiben lassen. Denn Gott treibt mit den Worten des Propheten keinen Scherz, sondern redet ernstlich und aus großer Liebe, nämlich dass dieses Lamm Gottes, Christus, unser aller Sünde hat tragen sollen. Aber was heißt tragen? Die Sophisten antworten: bestraft werden. Ganz wohl. Aber weshalb wird Christus gestraft? Ist es nicht deshalb, weil er Sünde hat und trägt? Dass aber Christus Sünde habe, bezeugt auch der Heilige Geist im 40. Psalm, V. 13.: „Es haben mich meine Sünden ergriffen, dass ich nicht sehen kann; ihrer sind mehr denn Haare auf meinem Haupte.“ Und Ps. 41,5.: „Ich sprach: Herr, sei mir gnädig, heile meine Seele; denn an dir habe ich gesündigt.“ Und Ps. 69,6.: „Gott, du weißt meine Torheit, und meine Schulden sind dir nicht verborgen.“ In diesen Psalmen redet der Heilige Geist in der Person Christi und bezeugt mit offenbaren Worten, dass er Sünden habe. Es sind aber diese Zeugnisse der Psalmen nicht Worte des unschuldigen, sondern des leidenden Christus, welcher es auf sich ge-nommen hat, in der Person aller Sünder dazustehen, und deshalb ist er der Sünden der ganzen Welt schuldig geworden. 

Darum ist Christus nicht allein gekreuzigt und gestorben, sondern durch die Liebe Gottes ist ihm auch die Sünde aufgelegt worden. Nachdem ihm aber die Sünde aufgelegt worden war, kam das Gesetz und sprach: Jeder Sünder muss sterben. Darum wenn du, Christe, Bürge sein, schuldig sein und die Strafe für die Sünder tragen willst, so musst du auch die Sünde und den Fluch tragen. Paulus führt also ganz recht das allgemeine Gesetz aus Mose von Christo an (5 Mos. 21,23.): „Jeder, der am Holze hängt, ist verflucht bei Gott“; Christus hat am Holze gehan-gen, also ist Christus verflucht bei Gott. 

Und dies ist der höchste Trost der Gottseligen, dass Christus meine, deine und der ganzen Welt Sünde anziehe und sich da hineinwickele, und dass wir sehen, dass er alle unsere Sünden trägt, da er ja, wenn er auf diese Weise angesehen wird, leicht die schwärmerischen Meinungen der Sophisten von der Rechtferti-gung aus den Werken hinwegnimmt. Denn sie erträumen sich einen durch die Liebe gestalteten Glauben und behaupten, dass durch denselben die Sünden weggenommen und die Menschen gerecht werden, was nichts Anderes ist, als Christum ganz und gar aus den Sünden herausziehen und herauswickeln und ihn unschuldig machen, dagegen uns selbst mit unseren eigenen Sünden beschwe-ren und überschütten, und sie nicht an Christo sehen wollen, sondern an uns; das ist in Wahrheit Christum wegnehmen und unnütz machen. 

Denn wenn es wahr ist, dass wir mit Werken des Gesetzes und durch die Liebe die Sünden abtun, dann nimmt Christus sie nicht weg. Wenn aber er das Lamm Gottes ist, von Ewigkeit dazu vorherverordnet, dass er die Sünden der Welt wegnehmen sollte, sodann auch sich freiwillig so in unsere Sünden eingewickelt hat, dass er ein Fluch für uns wurde, so folgt mit Notwendigkeit, dass wir durch die Liebe nicht gerecht werden und die Sünden nicht abtun können. Denn Gott hat unsere Sünden nicht auf uns gelegt, sondern auf seinen Sohn Christum, damit wir, indem die Strafe auf ihm läge, Frieden hätten, und wir durch seine Wunden geheilt würden (Jes. 53,5.). Darum können sie nicht durch uns hinweg-genommen werden, und das bezeugt die ganze Schrift, und wir bekennen und beten es auch im christlichen Glauben, da wir sprechen: Ich glaube an Jesum Christum, Gottes Sohn, der für uns gelitten hat, gekreuzigt und gestorben ist. 

Hieraus ist offenbar, dass die Lehre des Evangelii, die allerlieblichste Lehre und die so überaus voll ist des reichsten Trostes, nicht predige von unseren oder des Gesetzes Werken, sondern von der unbegreiflichen und unaussprechlichen Barmherzigkeit und Liebe Gottes gegen uns unwürdige und verlorene Menschen, nämlich, dass der barmherzige Vater, da er sah, dass wir durch den Fluch des Gesetzes unterdrückt und so darunter gehalten würden, dass wir uns selbst mit unseren Kräften niemals daraus hätten befreien können, seinen eingebornen Sohn in die Welt gesandt und alle Sünden aller Menschen auf ihn gelegt habe und gesagt: Du sollst Petrus sein, der da verleugnet hat; Paulus, der da verfolgt, gelästert und Gewalt geübt hat; David, der die Ehe gebrochen hat; der Sünder, der den Apfel im Paradiese gegessen hat; der Schächer am Kreuze: kurz, du sollst die Person sein, die alle Sünden aller Menschen getan hat; gedenke also, dass du bezahlest und für sie genugtuest. 

Da kommt das Gesetz und spricht: Ich finde ihn als einen Sünder, und zwar einen solchen, der die Sünden aller Menschen auf sich genommen hat, und ich sehe außerdem keine Sünde als allein auf ihn, darum soll er am Kreuze sterben; und so greift es ihn an und tötet ihn. 

Da dies geschehen ist, ist die ganze Welt von allen Sünden gereinigt und ge-sühnt, also auch befreit vom Tode und von allem Übel. Nachdem nun aber Sünde und Tod durch diesen Einen Menschen hinweggenommen sind, so könnte doch Gott in der ganzen Welt, zumal wenn sie glaubte, nichts Anderes mehr sehen als lauter Reinheit und Gerechtigkeit, und wenngleich noch etliche Überbleibsel der Sünde blieben, so würde doch Gott sie nicht sehen vor jener Sonne, Christo. 

So müssen wir den Artikel von der christlichen Gerechtigkeit groß machen wider die Gerechtigkeit des Gesetzes und der Werke, wiewohl keine Sprache oder Beredsamkeit da ist, die ihn gebührend fassen, viel weniger seine Größe ausre-den könnte. 

Darum ist der Beweisgrund, den Paulus hier handelt, überaus gewaltig, und der höchste von allen wider alle Gerechtigkeit des Gesetzes. Denn er enthält diesen unüberwindlichen und unumstößlichen Gegensatz: Wenn die Sünden der ganzen Welt auf diesem Einen Menschen Jesu Christo sind, dann sind sie nicht auf der Welt; wenn sie aber nicht auf ihm sind, so sind sie noch auf der Welt. Desgleichen, wenn Christus selbst aller Sünden schuldig geworden ist, welche wir alle begangen haben, dann sind wir von allen Sünden freigesprochen, aber nicht durch uns, durch unsere Werke oder Verdienste, sondern durch ihn. Wenn er aber unschuldig ist und unsere Sünden nicht trägt, so tragen wir dieselben und werden in ihnen sterben und verdammt werden. Aber Gott sei Dank, der uns den Sieg gegeben hat durch unsern Herrn Jesum Christum, Amen. 

Aber nun lasst uns sehen, wie in dieser Person zwei einander gänzlich entgegen-gesetzte Dinge zusammenkommen. Es greifen ihn nicht allein meine, deine und die vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Sünden der ganzen Welt an und suchen ihn zu verdammen, wie sie ihn denn auch verdammen, sondern weil in eben dieser Person, welche der höchste, größte und einige Sünder ist, auch die ewige und unüberwindliche Gerechtigkeit ist, darum kämpfen diese beiden mit einander, die höchste, größte, einzige Sünde und die höchste, größte und einzige Gerechtigkeit. Hier muss notwendig eins von beiden weichen und über-wunden werden, da sie mit dem höchsten Ungestüm wider einander laufen und zusammenstoßen. 

Es stürzt sich also die Sünde der ganzen Welt mit dem höchsten Ungestüm und Wut auf die Gerechtigkeit. Was geschieht? Die Gerechtigkeit ist ewig, unsterblich und unüberwindlich. Die Sünde ist auch ein überaus mächtiger und grausamer Tyrann, der da herrscht und regiert auf der ganzen Erde und alle Menschen zu Gefangenen und Knechten macht. Kurz, die Sünde ist ein sehr großer und mächtiger Gott, der das ganze menschliche Geschlecht, alle Gelehrten, Heiligen, Mächtigen, Weisen und Ungelehrten etc. aufreibt (exhaurit). Dieser, sage ich, läuft wider Christum an und will ihn wie alle anderen verschlingen. Aber er sieht nicht, dass er eine Person von unüberwindlicher und ewiger Gerechtigkeit ist. Darum muss vonnöten die Sünde in diesem Zweikampfe überwunden und getötet werden, und die Gerechtigkeit siegen und leben. So wird in Christo alle Sünde insgesamt überwunden, getötet und begraben und die Gerechtigkeit bleibt Siegerin und Herrscherin in Ewigkeit. 

So kämpft der Tod, welcher der allmächtige Herrscher der ganzen Welt ist, der Könige, Fürsten und schlechthin alle Menschen tötet, mit aller Macht wider das Leben, um es zu besiegen und zu verschlingen; und freilich, das, wonach er trachtet, das richtet er auch aus. Aber weil das Leben unsterblich ist, so geht es, da es besiegt war, als Sieger hervor, besiegt und tötet den Tod. Von diesem wunderbaren Zweikampfe singt die Kirche sehr schön: 

 

Tod und Leben haben zugleich 

In Christo gestritten wunderlich. 

Der Tod das Leben überwand. 

Doch behielt das Leben Sieg zu Hand, 

Dass nun erwürget liegt der Tod, 

Das Leben ewig herrschet in Gott.

 

Darum ist durch Christum der Tod überwunden und abgetan in der ganzen Welt, dass jetzt nur noch ein gemalter Tod da ist, welcher, nachdem er seinen Stachel verloren hat, den an Christum Gläubigen nicht schaden kann, da dieser des Todes Tod geworden ist, wie Hosea singt (Cap. 13,14.): „Tod, ich will dir ein Gift sein.“ 

So hat auch der Fluch, welcher Gottes Zorn über die ganze Welt ist, denselben Kampf wider den Segen, das heißt, wider die ewige Gnade und Barmherzigkeit Gottes in Christo. Es kämpft also der Fluch mit dem Segen, und will ihn ver-dammen und ganz und gar zunicht machen, aber er kann nicht. Denn der Segen ist göttlich und ewig, darum muss ihm der Fluch weichen. Denn wenn der Segen in Christo überwunden werden könnte, so würde Gott selbst besiegt. Aber dies ist unmöglich. Darum überwindet Christus, die göttliche Kraft, Gerechtigkeit, Segen, Gnade und Leben, und vernichtet jene Ungeheuer, die Sünde, den Tod und den Fluch, ohne Waffen und Kampf, an seinem Leibe und durch sich selbst, wie Paulus gern zu reden pflegt, indem er sagt (Kol. 2,15.): „Er hat ausgezogen die Fürstentümer und die Gewaltigen, und einen Triumph aus ihnen gemacht durch sich selbst“, so dass sie den Gläubigen nicht mehr schaden können etc. 

Und dieser Umstand, dass er es tut „durch sich selbst“, macht diesen Zweikampf überaus wunderbar und herrlich. Denn er zeigt, dass diese so großen Dinge (nämlich, dass der Fluch, die Sünde und der Tod zerstört werden, und der Segen, die Gerechtigkeit und das Leben an ihre Stelle treten) in dieser einigen Person Christi ausgerichtet werden müssen, und dass so durch ihn die ganze Kreatur geändert werde. Darum, wenn du diese Person ansiehest, so siehst du, dass die Sünde, der Tod, der Zorn Gottes, die Hölle, der Teufel und alles Übel überwun-den und getötet sind. 

Sofern daher Christus durch seine Gnade in den Herzen der Gläubigen regiert, ist keine Sünde, kein Tod, kein Fluch. Wo aber Christus nicht erkannt wird, blei-ben diese. Darum ermangeln alle diejenigen dieser Wohltat und dieses Sieges, welche nicht glauben. Denn, wie Johannes (1. Ep. 5,4.) sagt, „unser Glaube ist der Sieg“. (…..)

Wir sollen daher mit Dank und gewisser Zuversicht diese überaus liebliche und tröstliche Lehre aufnehmen, welche lehrt, dass Christus, der für uns ein Fluch geworden ist (das heißt, ein dem Zorne Gottes unterworfener Sünder), unsere Person annehme und unsere Sünden auf seine Schultern lege, und spreche: Ich habe die Sünden begangen, welche alle Menschen sich haben zu Schulden kommen lassen. Darum ist er in Wahrheit ein Fluch geworden nach dem Ge-setze, nicht für sich, sondern, wie Paulus sagt: „für uns“. Denn wenn er nicht meine, deine und aller Welt Sünde auf sich genommen hätte, so hätte das Ge-setz kein Recht zu ihm gehabt, da es nur die Sünder verdammt und unter dem Fluche hält. Darum hätte er weder ein Verfluchter werden, noch sterben können, da die Ursache des Fluches und des Todes die Sünde ist, von der er frei war. Aber weil er unsere Sünden, nicht gezwungen, sondern freiwillig auf sich ge-nommen hatte, so musste er die Strafe und den Zorn Gottes tragen, nicht für seine Person, welche gerecht und (für die Sünde) unüberwindlich war, darum konnte diese Person nicht schuldig werden, sondern für unsere Person. 

So hat er zu unserem Besten mit uns gewechselt und unsere sündliche Person an sich genommen und uns seine unschuldige und siegreiche Person geschenkt. Mit dieser angetan und bekleidet, werden wir von dem Fluche des Gesetzes befreit, weil Christus selbst willig für uns ein Fluch geworden ist. 

Er spricht: Ich bin für meine Person, beide nach der Menschheit und nach der Gottheit, gesegnet und bedarf ganz und gar keines Dinges, aber ich will mich äußern (exinanibo) (Phil. 2,7.), will euer Kleid und eure Gestalt (larvam) an-nehmen, das heißt, die menschliche Natur, und will in ihr wandeln und den Tod leiden, um euch vom Tode zu befreien. Und da er nun in unserer Gestalt die Sünde der ganzen Welt trug, ist er ergriffen worden, hat gelitten, ist gekreuzigt, gestorben und für uns ein Fluch geworden. Weil er aber eine göttliche und ewige Person war, war es unmöglich, dass der Tod ihn hätte halten können. Darum stand er am dritten Tage wieder auf vom Tode und lebt jetzt in Ewigkeit, und an ihm wird keine Sünde, kein Tod, und unsere Gestalt nicht mehr gefunden, son-dern nur Gerechtigkeit, Leben und ewiger Segen. 

Dies Bild müssen wir anschauen und in festem Glauben ergreifen. Wer das tut, der hat diese Unschuld und diesen Sieg Christi, ein wie großer Sünder er auch sein mag. Aber dies Bild kann nicht ergriffen werden durch die Liebe, welche in unserem Willen steht (voluntate dilectionis), sondern nur durch die Vernunft, die durch den Glauben erleuchtet ist. Also werden wir allein durch den Glauben gerechtfertigt, weil allein der Glaube diesen Sieg Christi ergreift. Sofern du nun dieses glaubst, sofern hast du es. Wenn du glaubst, dass Sünde, Tod und Fluch abgetan sind, so sind sie abgetan, weil Christus diese in sich selbst besiegt und hinweggenommen hat und will, dass wir glauben, dass, gleichwie in seiner Per-son keine Gestalt des Sünders, keine Spur des Todes mehr vorhanden ist, so auch in unserer Person dessen nichts mehr sei, da er alles für uns ausgerichtet hat etc.