Luther - Frömmigkeit

 

Falsche und rechte Frömmigkeit

 

(Martin Luther: Sermon von dreierlei gutem Leben, das Gewissen zu unter-richten, zitiert nach Walch, 2. Ausgabe, Sp. 1698-1699, Rechtschreibung angepasst)

 

…mancher hält seine Keuschheit; wenn keine Schande noch Strafe da wäre, so führe er hinein, wie die tun, die Strafe und Schande verachten. Also bezwingt mancher seinen Zorn und Mütlein nicht aus Lust oder Liebe der Sanftmut, sondern dass er's nicht füglich kühlen und büßen mag. Mancher gibt auch und stiftet Gottesdienst, nicht aus Lust der Mildigkeit, sondern um Ruhmes oder eigenen Wohlgefallens willen. Und ist dieser falsche Grund so tief, dass ihn noch nie kein Heiliger hat genugsam erkannt, sondern daran verzweifelt und gesagt: „Herr Gott, schaffe ein reines Herz in mir und erneure einen richtigen Geist“ oder Willen „in meinem Inwendigsten“, Ps. 50,12.; und abermals, Ps. 19,13.: „Herr, wer mag erkennen allen seinen Irrtum? Mache mich rein von meinen heimlichen Sünden.“ Denn Gott will nicht allein solche Werke haben, sondern dass sie mit Lust und Willen geschehen. Und wo Lust und Wille nicht darin ist, sind sie tot vor Gott, und ist Irrsal, gezwungene, genötigte, gefangene Dienste, die Gott nicht gefallen, wie St. Paulus sagt, 2 Kor. 9,7.: „Gott liebt einen fröhlichen Täter.“ (…) solche Lust, Liebe, Freude und Willen findet man in keines Menschen Herzen auf Erden, sofern die Natur angesehen wird; sondern allesamt sind wir unwillig oder je falschwillig fromm, dass wir uns fürchten vor Strafe und Schande, oder suchen unsern Nutz und Wohlgefallen darin, und niemand lauter um Gottes willen, oder allein darum, dass es so recht ist, fromm ist. Es will und muss die Natur je etwas suchen, darum sie fromm sei, kann und mag nicht um der Frömmigkeit willen fromm sein, lässt ihr nicht an der Frömmigkeit begnügen, wie sie soll, sondern will etwas damit verdienen oder entfliehen; das ist dann falsch vor Gott, wie St. Paulus, Röm. 3,4., aus dem 14. Psalm schließt, dass derhalben kein Mensch vor Gott fromm sei. Denn wir sollen nicht fromm sein, etwas damit zu verdienen oder zu meiden. Denn das sind allesamt Mietlinge, Knechte und Tagelöhner, nicht freiwillige Kinder und Erben, welche nur fromm sind um der Frömmigkeit willen selbst, das ist, um Gottes willen allein; denn Gott ist die Gerechtigkeit, Wahrheit, Gutheit, Weisheit, Frömmigkeit selbst. Und wer nicht mehr sucht denn Frömmig-keit, der sucht und findet Gott selber. Wer aber Lohn sucht und Pein flieht, der findet ihn nimmermehr und macht Lohn zu seinem Gott; denn warum der Mensch etwas tut, das ist sein Gott.