Luther - Gottes Gesetz lieben
Von Gottes Gesetz, das der Heilige Geist zu lieben lehrt
(Martin Luther: Auslegung zu Psalm 19,9, zitiert nach Walch, 2. Ausgabe, Bd. 4, Sp. 1156-1157, Rechtschreibung angepasst)
V. 9.
Die Befehle des Herrn sind richtig, und erfreuen das Herz.
Die Gebote des Herrn sind lauter, und erleuchten die Augen.
Ehe wir andere Dinge weiter verfolgen, und damit wir nicht länger in Ungewiss-heit bleiben, fragen wir, auf welchem Wege man dazu gelange, dass uns das Gesetz ohne Wandel sei, das Zeugnis gewiss, die Befehle richtig, die Gebote lauter, die Furcht rein, die Rechte wahrhaftig und auch das andere eintrete, was von dem Gesetze gesagt ist und gesagt werden wird? Ich antworte: Man kommt niemals dadurch dahin, dass man Werke tut und sich abmüht, weil es durch Werke und Bemühungen nicht erfüllt wird, sondern dadurch, dass man an Wer-ken und Bemühungen verzweifelt. Denn das Gesetz kann nicht ergötzen vor seiner Erfüllung, sondern nach seiner Erfüllung. Da aber die törichten Werk-heiligen dies mit ihren Werken auszurichten suchen, dass sie es erfüllen, und niemals an sich verzweifeln, so werden sie notwendiger Weise ermüdet und arbeiten vergeblich. Denn so lange sie das bei sich finden, womit sie die Forderung des Gesetzes bezahlen können, hören sie nicht auf, mit Werken umzugehen, und dadurch unruhig zu sein und das Gesetz zu hassen. So er-schöpft und ermüdet sie das Gesetz, bis dass es sie ewiglich verzehre.
Die aber ihr Unvermögen erfahren haben und bekennen, dass sie der Forderung des Gesetzes nicht genugtun können, die verzweifeln an sich selbst, und nehmen ihre Zuflucht zu Christo, dem einigen Erfüller des Gesetzes, indem sie ihn hören und an ihn glauben, da er das Ende des Gesetzes ist; wer an ihn glaubt, der ist gerecht (Röm. 10,4.). Jeder, der nun so beschaffen ist, der empfängt vor allen seinen Werken und ohne irgend ein Gesetz umsonst durch diese Demut und seinen Glauben den Heiligen Geist, der nicht durch Werke, sondern allein durch die Gnade seiner Kraft eine neue und liebliche Lust der Liebe entzündet, und die Lust, welche im Gesetze verboten ist, verhasst macht. Nachdem dies geschehen ist, ist der Wille schon in einen anderen verwandelt und schauet auf das Gesetz des Herrn, und sieht, dass es gerade das gebiete und verbiete, was er selbst, entzündet durch den Heiligen Geist, wünscht und liebt. So geschieht es, dass er das Gesetz, welches in allen Dingen seinen Wünschen entgegenkommt, notwendiger Weise lieben muss, loben, und das besingen, was in diesen Versen besungen wird.
Denn dann sieht der Mensch, dass es nicht durch die Schuld des Gesetzes, sondern des Willens geschehe, dass das Gesetz die Sünde vermehrt und da-durch Zorn anrichtet, da es ohne Wandel ist, und die Seelen bekehrt, weise macht, erfreuet und die Augen erleuchtet. Denn wenn das Gesetz seiner Natur nach die Sünde mehrte und Zorn anrichtete, so würde die Liebe dasselbe tun, welche die Freundin des Gesetzes ist und mit ihm in allen Dingen übereinkommt. Dies tut sie auch, wenn sie außerhalb des Willens ist, gleichwie das Gesetz, welches immer außerhalb des Willens ist, wo die Liebe nicht gegenwärtig ist. (...) So wirkt auch das Gesetz bei allen Menschen, so lange es außerhalb ihres Willens ist, nicht aber in ihrem Willen, noch ihr Wille in ihm, bis dass es geliebt wird, und das geliebt wird, was das Gesetz gebietet.