Luther - Gotteserkenntnis
Gotteserkenntnis – ein Schließen vom Sohn auf den unsichtbaren Vater
(Martin Luther: Brief an Spalatin vom 12.02.1519, WA Br I, Nr. 145, 326ff., Recht-schreibung angepasst)
Das einzige Ziel dieses Evangeliums ist, dass wir erkennen: aus sich selber kann oder hat der Mensch durch und durch nichts, sondern allein aus der göttlichen Barmherzigkeit. Von dieser Barmherzigkeit aber handelt es so, dass es sie auf jegliche Weise allein dem Vater zuschreibt und schließt, allein dem Vater sei Ehre, Preis und Dank zu bringen. Und was noch seltsamer ist: in eben demselbi-gen Texte schreibt es alles also allein dem Vater zu, dass es dennoch spricht, der Sohn habe es alles gemein mit ihm, und sei also, weil er der Sohn des Vaters ist, alles, was des Vaters im Sohne ist, des Vaters allein, dessen auch der Sohn ist, in dem alles ist was des Vaters ist, und beschreibet mit ganz unaussprechlicher Lehre die Gleichheit des Sohns mit dem Vater und den Ursprung des Sohns (…)
Und also empfiehlt er uns aufs allersüßeste den Vater der Barmherzigkeit, und führt uns mit allem, das wir in Christus geschehen sehen, dahin, dass wir den Vater lieben, ehren und preisen, auf dass wir nicht den Fuß haften lassen in der Menschheit Christi, durch die uns die Barmherzigkeit erzeigt wird, sondern durch sie hingerissen werden in den unsichtbaren Vater, und uns seiner verwundern, dass wir ihn solche große Dinge mit uns hören tun durch dieselbige Menschheit Christi. Und das ist die einzige und alleinige Weise, Gott zu erkennen, von der die Sentenzenlehrer weit gewichen sind, die an der Menschheit Christi vorbei in die absoluten Spekulationen von der Gottheit sich eingeschlichen haben; und darum mag die Seele wegen der Größe seiner Macht, Majestät und Weisheit nicht be-stehen. Mit diesem Studium bin ich in großem Elend und Gefahr umgegangen, und andre viel.
Darum mahne ich aber- und abermal: Wer da will heilsam über Gott denken oder spekulieren, der setze alles andre hintan gegen die Menschheit Christi. Diese aber stelle er sich vor, wie sie sich erhebt oder wie sie leidet, bis ihm ihre Gütig-keit süße werde. Dann bleibe er da nicht stehen, sondern dringe hindurch und denke: Ei, nicht aus seinem Willen, sondern aus dem Gottes des Vaters hat er das und das getan. Da wird der allerlieblichste Wille des Vaters anfangen, ihm zu gefallen, den er in der Menschheit Christi erzeigt (und eben das ist schon das Ziehen und Geben des Vaters). Bei diesem Willen kann Gott der Vater ohne Furcht ergriffen werden und mit Vertrauen.
Wenn solcher Weg nicht geachtet wird, dann bleibt nichts anders als ein Sturz in den ewigen Abgrund. Denn er will nicht, dass man auf einem andern Wege zu ihm gehe, ihn erkenne und liebe. Wie er spricht: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater denn durch mich“ (Joh. 14,6). Hörst du, es ist absoluta sententia, dass niemand zum Vater komme, außer durch Christus. In diesem Wege übe dich, und du wirst bald ein tieferer Theologus sein als die Scholastiker. Die kennen diese Tür und diesen Weg nicht, und nicht allein dies, sondern sie schließen ihn sich zu mit ihrem elenden Dünkel als da sind die Listen ihrer Spekulationen. (…)
Nun hast du, was das sei zu Christus kommen: er hat den Willen des Vaters erklärt, was der bedeute. Nämlich: „zu Christus kommen“ heißt ihn sehen und an ihn glauben. Und „nicht hinausgestoßen werden“, „nicht verloren werden“ durch den Willen des Vaters, das heißt ewiges Leben haben. Das ist denn des Vaters Wille, dass alle, die er Christus gegeben hat, selig werden durch Christus in Ewigkeit (…) Es ist gottlos, an einen andern zu glauben außer den einen wahren Gott; und der Vater, der wahrer Gott ist, der will, dass man glaube an den Sohn: was will er anders, als dass man glaube an den wahren Gott? Denn er will seine Ehre keinem andern geben, aber seine Ehre ist, dass man an ihn glaube. Denn keine Kreatur ist gnug, dass sie den, der an sie glaubt, erhalten oder ihm nützen möge (…) Der Glaube an den Sohn könnte uns nicht ewiges Leben gewähren, wenn er selbst nicht ewiger und wahrer Gott wäre.