Calvin (Institutio) - Kirche
VON DER KIRCHE.
So wie zu der unsichtbaren Kirche diejenigen allein gehören, welche durch die Barmherzigkeit Gottes und durch die heiligmachende Kraft des Geistes zur Gemeinschaft Christi gebracht worden sind: so wird dagegen unter der sichtbaren Kirche die allgemeine durch die ganze Welt zerstreute Menge der Menschen verstanden, welche bekennen, dass sie Einen Gott und Christum verehren, auf den Glauben an ihn getauft werden, durch den Genuss des Abendmahls die Einigkeit in der wahren Lehre und Liebe bezeugen, im Worte des Herrn einhellig sind und zur Verkündigung desselben das von Christo eingesetzte Predigtamt aufrecht erhalten. In diesem Haufen laufen sehr viele Heuchler mit unter, welche von Christo nichts haben, als den bloßen Namen und äußerlichen Schein; sehr viele Ehrgeizige, Habsüchtige, Neidische, Lästerer, Unzüchtige, welche eine Zeitlang geduldet werden, weil sie entweder durch rechtmäßiges Gericht nicht überwiesen werden können, oder weil nicht immer eine so strenge Kirchenzucht, wie sein sollte, stattfindet. Gleich wie wir also eine unsichtbare und den Augen Gottes allein bekannte Kirche sollen glauben, so wird uns dagegen befohlen, die sichtbare hoch zu achten und Gemeinschaft mit derselben zu unterhalten. Darum sollen wir diejenigen als Glieder der Kirche anerkennen, die mit Bekenntnis des Glaubens und mit christlichem Wandel, so wie auch durch Gemeinschaft der Sakramente Einen Gott und Christum mit uns bekennen. Ob sie aber auch den wahren und innerlichen Glauben haben, ist Gott allein bekannt und uns zu wissen unnötig. Auch müssen wir hierin um so mehr mit Liebe richten, da oft die Gottlosen durch die Gnade Gottes wieder auf einen guten Weg gebracht, dagegen die, welche vor andern fest zu stehen schienen, oft dahin fallen. Denn der Herr hat, wie Augustinus sagt, viele Schafe draußen, und viele Wölfe drinnen: er allein weiß, welche in unverfälschter und beharrlicher Heiligkeit leben, welches das wichtigste Stück des Heiles ist. Wo also Gottes Wort rein gepredigt und gehört, und die Sakramente nach Christi Einsetzung ausgeteilt werden, da ist ohne Zweifel eine Kirche Gottes, indem seine Verheißung nicht trügen kann: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammlet sind, da bin ich mitten unter ihnen“ (Matth. 18,20.). Es ist demnach gewiss, dass das Wort und die Sakramente nirgends ohne Segen verwaltet werden. Nicht als wenn überall, wo Gottes Wort gepredigt wird, die Frucht sogleich erfolge: aber es wird doch nirgends aufgenommen und geht beständig im Schwange, ohne Segen zu stiften. Und selbst diejenigen, welche bei äußerlichem Bekenntnis des Glaubens wirklich von Christo und somit von der wahren Kirche entfremdet sind, müssen wir dennoch als gewissermaßen zu derselben gehörige Brüder so lange ansehen, als die Kirche, der Leib Christi, sie in ihrer Gemeinschaft duldet, und nicht durch öffentliches Gericht ausstößt. Und so müssen wir der allgemeinen Kirche ihre Einigkeit erhalten, und uns vor Trennungen hüten; wie denn auch niemand der Kirche Ansehen, Ermahnung, Rat und Strafe ohne sein eigenes Verderben verachten oder sich von ihr trennen darf. Der Herr nämlich achtet die Gemeinschaft seiner Kirche so hoch, dass er den für einen Abtrünnigen erklärt, der seine Verbindung mit ihr aufhebt. Nicht umsonst wird sie auch genannt eine Säule und Grundfeste der Wahrheit und ein Haus Gottes (1 Tim. 3,15.); womit angezeigt wird, dass die Kirche eine treue Bewahrerin der Wahrheit ist, damit dieselbe in der Welt nicht untergehe: denn durch ihren Dienst hat Gott die reine Predigt seines Wortes erhalten und sich an uns als einen Hausvater erweisen wollen, indem er uns mit geistlicher Speise nährt, und uns alles verschafft, was zu unserm Seelenheil dienlich ist. Es ist auch kein geringes Lob, dass sie genannt wird die auserwählte Braut Christi, die nicht habe einen Flecken oder Runzel (Eph. 5,27.); ferner der Leib und die Fülle Christi (Eph. 1,23.): woraus also folgt, dass die Absonderung von der Kirche eine Verleugnung Gottes und Christi ist, indem wir dadurch so viel an uns ist, die Wahrheit Gottes umstoßen und das Band der heiligen Ehe zerreißen, welche der eingeborne Sohn Gottes mit uns geschlossen hat. Ja es kann auch wohl entweder in der Lehre oder in Austeilung der Sakramente etwa ein Fehler sich einschleichen, der uns aber doch nicht von der Gemeinschaft derselben entfremden soll, wenn die Verschiedenheit keine Grundartikel des christlichen Glaubens betrifft, als da sind, dass ein Gott, dass Christus Gott und Gottes Sohn sei, dass unser Heil allein in Gottes Barmherzigkeit gegründet sei etc. Daher sagt Paulus (Phil. 3,15.): „Wie viele unser vollkommen sind, die lasset uns gleichgesinnet sein; und wenn ihr sonst etwas haltet, das wird euch Gott offenbaren“. Hiemit zeigt er ja deutlich an, dass Verschiedenheit in unwesentlichen Dingen die Christen unter einander nicht in Streit und Zwiespalt bringen soll. In Absicht auf die Unvollkommenheit des Wandels müssen wir noch vielmehr Vertragsamkeit und Nachgiebigkeit beweisen. Es hat nämlich allezeit Menschen gegeben, die aus einer falschen Meinung von vollkommener Heiligkeit die Gesellschaft aller Menschen verachteten, an denen sie noch etwas Schwachheit bemerkten, und ihre Gemeinschaft flohen. Freilich wehe uns, wenn wir durch ein schändliches Leben den schwachen Gewissen ein Ärgernis geben. Übrigens aber vergreifen sich die eben genannten Leute auch darin, dass sie in dem ihnen gegebenen Ärgernis zu weit gehen. Denn sie geben sich einer ungemäßigten Strenge hin, wo doch der Herr selbst Nachsicht fordert. Denn zum Zeugnis, dass die Kirche obwohl ihrer Bestimmung nach eine heilige, dennoch aus Guten und Bösen gemischt sei, gebraucht der Herr bald das Gleichnis von einem Netze, in welches allerhand Fische gefangen, aber nicht eher ausgelesen werden, bis sie ans Ufer gebracht sind (Matth. 13,47.); bald vergleicht er die Kirche mit einem Acker, der wohl mit gutem Samen besäet, aber durch die Arglist des Feindes mit Unkraut beworfen ist, welches nicht eher als bis zur Ernte ausgerottet wird (Matth. 13,24.); bald mit einer Tenne, wo der Weizen unter der Spreu verborgen liegt; bis er durch die Wurfschaufel von derselben gesäubert wird (Matth. 3,12.). Da also der Herr sagt, dass die Kirche an diesem Übel bis zum Tage des Gerichts leiden wird: so sucht man vergeblich eine Kirche, die nicht mit irgend einem Flecken besudelt sei. Es ist zwar eine große Schande, dass oft Frevler und Gottlose unter Kindern Gottes geduldet, und besonders, dass sie zum heiligen Abendmahl oft zugelassen werden, welches auch in wohleingerichteten Kirchen nicht statt findet. Wenn aber auch die Kirche ihre Pflicht versäumt, so darf doch darum nicht ein jeder nach eigenem Gutdünken sich von ihr trennen. Denn ein anderes ist es, den Umgang der Bösen fliehen; ein anderes, aus Hass gegen sie die Gemeinschaft der Kirche verlassen. Auch gehet uns dadurch, dass ein Unwürdiger das heilige Abendmahl mit uns hält, von dem Segen desselben nichts ab, so wir anders nur selbst uns würdig darauf vorbereiten.
VON DER KIRCHENZUCHT.
Welche die Kirchenzucht aufgehoben wissen wollen, oder ihre Wiederherstellung verhindern, sie mögen es nun mit Fleiß oder aus Unbesonnenheit tun, die suchen ganz gewiss die äußere Zerrüttung der Kirche. Denn was würde daraus werden, wenn einem Jeden freistünde zu tun, was ihm gefällt? Dies würde aber entstehen, wenn nicht zu der Predigt der Heilslehre besondere Ermahnungen, Bestrafungen, und andere Mittel dieser Art hinzukämen, welche der Lehre Kraft und Nachdruck geben. Die Kirchenzucht ist also gleichsam ein Zügel, womit diejenigen zurückgehalten und bezähmt werden, welche gegen die Lehre Christi wild angehen; oder gleich einem Sporn, womit die Trägen angefeuert; oder auch zuweilen wie eine väterliche Rute, wodurch die, welche sich schwer vergangen haben, mit sanftem christlichem Geiste gezüchtigt werden. Da nun eine so greuliche Verwüstung in der Kirche bereits sichtbar ist, weil so wenig Sorge getragen und auf Mittel gedacht wird, das Volk im Zaum zu halten, so tut es wohl Not, Heilmittel anzuwenden. Nun ist aber dies die einzige Arznei, welche Christus vorgeschrieben hat, und unter den Gläubigen stets im Gebrauch gewesen ist. Zuerst nun soll die Bußzucht in Ermahnungen bestehen, die in der Stille geschehen; d. h. wenn Jemand seine Pflicht nicht willig tut, oder sich unge-bührlich beträgt, oder nicht ehrbar wandelt, oder etwas tadelnswertes begangen hat: so soll er sich erinnern und ermahnen lassen: auch soll ein Jeder sich befleißigen, wo es erforderlich ist, seinen Bruder zu ermahnen. Vornehmlich aber sollen die Hirten und Ältesten sich dies zur Pflicht machen; denn ihr Amt ist es nicht allein öffentlich dem Volke zu predigen, sondern dasselbe auch von Haus zu Hause zu ermahnen, weil die öffentliche Predigt nicht hinreicht: so berichtet Paulus (Apostelg. 20,20.26.), er habe gelehrt sonderlich und in den Häusern; und bezeugt, dass er rein sei von dem Blute Aller; denn er habe nicht aufgehört, Tag und Nacht einen Jeden mit Tränen zu ermahnen. Denn alsdann behauptet die Lehre ihre Kraft und ihr Ansehen, wenn der Diener nicht allein Allen zugleich erklärt, was sie Christo schuldig sind, sondern auch berechtigt und befugt ist dasselbe von denen zu fordern, welche er als der Lehre ungehorsame kennen lernt. Wenn nun Jemand solche Ermahnungen aus dem Sinne schlägt, sie verachtet und in seinen Lastern fortfährt, so soll er, nachdem er zum andern Mal in Gegenwart einiger Zeugen ermahnt worden ist, nach dem Befehl Christi vor das Kirchengericht, welches eine Versammlung von Ältesten ist, vorgeladen werden; vor demselben soll er ernster, gleichsam im Namen der Gemeine erinnert werden, damit er aus Ehrfurcht gegen die Kirche Unterwerfung und Gehorsam erweise. Wenn er auch dann noch nicht gebrochen wird, sondern in seiner Gottlosigkeit beharrt, so soll er als ein Verächter der Kirche aus der Gemeinschaft der Gläubigen ausgeschlossen werden. Jedoch soll die Bußzucht nach diesen von Christo vorgeschriebenen Stufen nur bei heimlichen Sünden stattfinden, d. h. bei solchen, welche zwar den Menschen nicht ganz verborgen (wie die der Heuchler, welche dem Kirchengericht nicht anheim fallen), aber wie wohl nicht ganz ohne Zeugen, doch nicht eigentlich öffentlich sind. Was aber offenbare Vergehungen betrifft, die nicht allein mehrere Zeugen haben, sondern auch öffentlich und zum großen Ärgernis der Kirche begangen worden sind, so soll man bei ihnen bald zur öffentlichen Bestrafung in Gegenwart Aller schreiten, damit sich, wie Paulus sagt, auch die Andern fürchten (1 Tim. 5,20.). Auch muss man einen Unterschied machen zwischen geringen Vergehungen und groben Schandtaten. Bei jenen muss man nicht zu strenge verfahren, sondern da ist eine gelinde und väterliche Züchtigung mit Worten hinreichend, die den Sünder nicht erbittere, sondern zur Einkehr in sich selbst erwecke. Bei groben Schandtaten muss aber eine schärfere Arznei angewendet werden; so, dass offenbare Ehebrecher, Hurer, Diebe, Räuber, Aufrührer, Meineidige, Halsstarrige etc. aus der Gemeinschaft des heiligen Abendmahls und der Kirche überhaupt so lange ausgeschlossen werden sollen, bis sie glaubwürdige Zeichen einer gründlichen Besserung von sich gegeben haben. Dieser Kirchenbann hat einen dreifachen Zweck. Der erste ist, damit nicht zur Schmach Gottes diejenigen unter die Christen gezählt werden, welche ein schändliches und lasterhaftes Leben führen, gleich als wäre seine heilige Kirche eine Rotte gottloser und schändlicher Menschen. Denn da sie der Leib Christi ist, so kann sie mit solchen faulen und stinkenden Gliedern nicht besudelt werden, ohne dass auch einige Schmach das Haupt treffe (Koloss. 1,24.). Damit also in der Kirche nichts dergleichen gefunden werde, wodurch sein heiliger Name geschändet werde, so müssen diejenigen, deren abscheulicher Wandel dem Christennamen Schande bringen könnte, aus der Familie Christi ausgestoßen werden. Auch würde der zur Austeilung des heiligen Abendmahls verordnete Diener des Evangeliums, wenn er dasselbe einem Unwürdigen mit Wissen und Willen ausspendete, welchen er mit Recht abweisen konnte, hierdurch einer Schändung des Heiligen sich eben so schuldig mache, als wenn er den Leib des Herrn den Hunden vorwürfe. Der andere Zweck ist der, dass nicht durch beständige Gemeinschaft mit dem Bösen die Frommen verderbt werden. Denn da wir von Natur so leicht vom Wege uns verirren, so kann es leicht geschehen, dass wir durch böse Exempel von der rechten Laufbahn abkommen. Daher sagt der Apostel (1 Kor. 5,6.): „Ein wenig Sauerteig versäuert den ganzen Teig“. Desgleichen (1 Kor. 5,11.): „Ihr sollt nichts mit ihnen zu schaffen haben; wenn also Jemand ist, der sich lässt einen Bruder nennen, und ist ein Hurer oder ein Geiziger, oder ein Abgöttischer, oder ein Lästerer, oder ein Trunkenbold, oder ein Räuber; mit denselben sollt ihr nicht einmal essen“. Der dritte Zweck ist, dass sie selbst, von Scham ergriffen, zur Reue über ihr schändliches Leben gebracht werden. Es gereicht also zu ihrem Besten, wenn ihre Ruchlosigkeit gezüchtigt wird, damit sie, die durch Nachsicht hartnäckig geworden sein würden, durch die Empfindung der Rute zur Erweckung kommen möchten. Paulus spricht (2 Thess. 3,14.): „So Jemand unserm Wort nicht gehorcht, so bezeichnet ihn durch einen Brief, und habet nichts mit ihm zu schaffen, auf dass er schamrot werde“. Die ganze Verhandlung des Kirchen-bannes soll aber mit Anrufung des göttlichen Namens und mit dem feierlichen Ernst geschehen, dass man deutlich verspüren kann, Christus sei gegenwärtig und er führe in seinem Gericht den Vorsitz. Jedoch muss auch dies berührt werden, dass der Kirche ein solcher Ernst gezieme, der mit dem Geist der Sanftmut vereinigt sei. Denn man hat sich, wie Paulus vorschreibt, allezeit zu hüten, dass derjenige, welcher bestraft wird, nicht in allzugroße Traurigkeit versinke, denn so würde aus dem Heilmittel ein Verderben entstehen (2 Kor. 2,7.). Da nämlich dies durch den Kirchenbann beabsichtigt wird, dass der Sünder zur Buße gebracht und böse Exempel aus dem Wege geschafft, mithin der Name Christi nicht geschändet und Andere nicht zur bösen Nachfolge gereizt werden: so muss, wann der Sünder Bußbezeugung ablegt und somit das der Kirche gegebene Ärgernis, so viel an ihm ist, wieder aufhebt, nicht weiter mit Strenge gegen ihn verfahren werden; sonst überschreitet der Ernst sein Maß. Und so wie von der gesamten Kirche diese Sanftmut erfordert wird, dass sie gegen die Gefallenen nicht mit der äußersten Strenge sondern mit Liebe verfahre: so muss auch ein Jeder für sich diesen sanften, freundlichen Sinn beweisen. Es stehet uns also nicht zu, die aus der Kirche Ausgeschlossenen aus der Zahl der Erwählten auszustreichen, oder sie als bereits Verlorne aufzugeben; sondern wir sollen dafür halten, dass sie nur so lange von der Kirche, und mithin auch von Christo entfremdet sind, als sie abtrünnig bleiben. Wir sollen darum fleißig für sie zu Gott beten und ihre Besserung für die Zukunft hoffen. Wir sollen also nicht der Person selbst, die ja in Gottes Hand allein steht, das Todesurteil sprechen, sondern nur die Beschaffenheit der Werke eines Jeden nach dem göttlichen Gesetze beurteilen. Oder wollen wir der göttlichen Kraft und Barmherzigkeit ein Ziel setzen, nach deren Wohlgefallen so oft aus den Schlimmsten die Besten, und aus Fremdlingen Glieder und Hausgenossen der Kirche werden, um uns zu lehren, wie sehr wir uns alles ungebührlichen anmaßenden Urteilens enthalten sollen (Matth. 18,18.)? Wiewohl also die Kirchenzucht verbietet, in vertrautem Umgang mit den Ausgeschlossenen zu stehen, so sollen wir uns doch so viel als möglich bemühen, sie zur Besserung zu locken, damit sie dadurch der kirchlichen Gemeinschaft wieder einverleibt werden. Paulus spricht (2 Thess. 3,15.): „Haltet sie nicht als Feinde, sondern strafet sie als Brüder.