Calvin (Institutio) - Rechtfertigung

 

VON DER RECHTFERTIGUNG DURCH DEN GLAUBEN. 

 

Wiewohl kein anderer Glaube gerecht macht, als der durch die Liebe tätig ist, Gal. 5,6., so nimmt er doch die Kraft zu rechtfertigen nicht von der Wirksamkeit der Liebe; und wiewohl der Gerechtfertigte auch zugleich durch den Geist Gottes wiedergeboren ist, so besteht doch seine ewigdauernde Gerechtigkeit nicht in den Werken, deren er sich befleißigt, sondern allein in der Gerechtigkeit Christi, die er durch den Glauben ergriffen hat. Die Gnade der Heiligung ist also zwar unzertrennlich von der Gnade der Gerechtmachung, muss aber doch von ihr unterschieden werden. Die Gerechtigkeit ist nämlich nicht aus dem Glauben und aus den Werken zusammengesetzt, vielmehr ist die Gerechtigkeit des Glaubens und die der Werke so weit von einander unterschieden, dass, wenn die eine steht, die andere notwendig umgestürzt wird. Der Apostel Paulus sagt, Phil. 3,8., er halte Alles für Kot, auf dass er Christum gewinne und in ihm erfunden werde, und nicht seine Gerechtigkeit habe, die aus dem Gesetz ist, sondern die aus dem Glauben an Jesum Christum ist, die Gerechtigkeit, die aus Gott ist durch den Glauben. Und dem widerspricht gar nicht, was Jakobus sagt, dass wir nicht durch den bloßen Glauben, sondern durch die Werke gerechtfertigt werden. Jak. 2,24. Denn Jakobus versteht hier unter Glaube nicht, wie Paulus tut, jenen seligmachenden Glauben, der uns mit Christo eins und seiner Gerechtigkeit teilhaftig macht und mit welchem die Heiligung unzertrennlich verbunden ist: sondern nur jenen Schatten von Glauben, der mit einer bloßen buchstäblichen Erkenntnis der Heilslehre sich begnügend, und der eigentümlichen Werke des Glaubens ermangelnd, in einem leeren und eitlen Vertrauen auf Christi Verdienst besteht. Auch versteht hier Jakobus unter Rechtfertigung nicht, wie Paulus tut, die Zurechnung der Gerechtigkeit Christi, sondern nur einen Erweis der Rechtfertigung durch gute Werke. Wir bekennen freilich mit Paulus, dass die Täter des Gesetzes gerechtfertigt werden bei Gott; weil wir aber Alle sehr weit von der Erfüllung des Gesetzes entfernt sind, so können uns die Werke zur Gerechtigkeit nicht verhelfen. Wir müssen uns also von der Beschauung unserer Werke abwenden und allein Gottes Barmherzigkeit und Christi Vollkommenheit ansehen. Die Schrift lehrt diese Ordnung in der Rechtfertigung, dass Gott den sündhaften Menschen aus lauter Güte umsonst zu Gnaden annehme, und nichts in ihm, dadurch er zur Barmherzigkeit bewegt werde, ansehe, als allein sein Elend; er siehet nämlich, wie derselbe an guten Werken ganz leer ist, und nimmt von sich selbst Veranlassung, warum er ihm Gutes tue, so, dass er also dem Sünder, der voll Misstrauen zu seinen eigenen Werken sein ganzes Heil auf Gottes Barmherzigkeit gründet, seine Gnade angedeihen lässt, ihn, der durch die Sünde von ihm getrennt ist, durch das Band der Liebe wieder mit sich vereinigt, Jes. 59,7., Röm. 5,9., ihn aus einem Sünder zu einem Gerechten macht und ihm Vergebung der Sünden schenkt. Die wahre Empfindung des Glaubens besteht also darin, dass man durch die Lehre des Evangeliums von seiner Versöhnung mit Gott, von seiner Rechtfertigung durch die Gerechtigkeit Christi und somit von der Vergebung seiner Sünden und von der ewigen Seligkeit versichert wird. Gott hat den, welcher von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir würden in ihm die Gerechtigkeit Gottes. 2 Kor. 5,21. Nicht in uns also, sondern in Christo ist unsere Gerechtigkeit; und nur sofern kommt sie uns zu, als wir Christi teilhaftig sind; denn, indem wir ihn besitzen, besitzen wir auch alle seine Güter mit ihm. Der Herr Jesus teilt uns seine Gerechtigkeit so mit, dass, so viel das Gericht Gottes betrifft, er die Kraft derselben auf eine wunderbare Art auf uns überträgt. Da unsere Gerechtigkeit auf den Gehorsam Christi gegründet ist, so wird uns also derselbe so zugeeignet, als wenn er der unsrige wäre. Röm. 5,19. 

 

VON DEN GUTEN WERKEN. 

 

Obwohl Gott die guten Werke zu belohnen verheißen hat, so machen sie doch darum nicht gerecht, indem diese Belohnung nicht aus Verdienst, sondern aus Gnade geschieht. Es heißt: Ehre und Preis soll dem zu Teil werden, der Gutes tut. Die da Gutes getan haben, werden hervorgehen zur Auferstehung des Lebens. Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich gespeiset. Freuet euch, siehe euer Lohn ist groß im Himmel. Röm. 2,6. Joh. 5,29. Matth. 25,34. 5,12. Wiewohl nämlich Gott die Seinigen allein aus Barmherzigkeit zum Leben annimmt, so führt er sie doch in den Besitz desselben durch gute Werke ein, und bereitet sie durch dieselben vor, die Krone der Unsterblichkeit zu empfangen; sobald sie also durch die Erkenntnis des Evangeliums und durch die Erleuchtung des heiligen Geistes zur Gemeinschaft Christi berufen sind, so hat das ewige Leben schon in ihnen angefangen; und nun muss das gute Werk, welches Gott in ihnen angefangen hat, vollendet werden, bis auf den Tag des Herrn Jesu, Phil. 2,12.; und es wird vollendet, wenn sie dadurch, dass sie durch Gerechtigkeit und Heiligkeit dem himmlischen Vater ähnlich sind, beweisen, dass sie seine Kinder sind. Aus dem Wort Lohn dürfen wir nicht schließen, dass unsere Werke eine Ursache des Heils seien. Denn das Himmelreich ist nicht ein Lohn der Knechte, sondern eine Erbschaft der Kinder, Ephes. 1,18., welche allein diejenigen erlangen werden, die vom Herrn zu Kinder angenommen sind. Der Herr vergilt die Werke der Gläubigen mit den Gütern, die er ihnen schon zuvor in Gedanken gegeben hatte, da er keine andere Ursache hatte, ihnen Gutes zu tun als seine Barmherzigkeit. Durch das Gleichnis des Hausvaters, der Alle, die ihm begegnen, in seinen Weinberg schickt, aber am Abend gleichen Lohn gibt, Matth. 20,1., wiewohl einige von der ersten Stunde des Tages an, einige erst um die elfte Stunde zu arbeiten angefangen hatten, offenbart der Heiland, dass er seinen uns verheißenen Lohn nicht nach der Größe des Verdienstes bestimmen werde, und dass es überhaupt mehr eine Gnadengabe, als ein Lohn der Werke sei. Überhaupt will der Herr dadurch, dass er die ewige Seligkeit uns als eine Vergeltung der Frömmigkeit vorstellt, unserer Schwachheit aufhelfen; denn da er von seinen Jüngern verlangt, dass sie ihr Kreuz auf sich nehmen, sich selbst und die Welt verleugnen sollen, so würden sie bald verzagen, wenn er ihnen nicht vorhielte, dass sie die Seligkeit, welche sie in dieser Welt nicht sehen, bei ihm einst finden werden. Diese Seligkeit nennt er einen Lohn, Sold, Vergeltung, nicht um damit anzuzeigen, dass ihre Werke verdienstlich, sondern dass die Seligkeit ein Ersatz sei für alle Trübsal und Schmach, und er die Seinigen in derselben aus der Arbeit in die Ruhe, aus dem Elend in die Freude, aus der Armut in den Reichtum, aus der Schmach in die Herrlichkeit versetzte.