Calvin (Institutio) - Vaterunser
VOM GEBETE DES HERRN.
Gott hat uns durch seinen geliebten Sohn eine besondere Gebetsformel angewiesen, wobei man seine unermessliche Güte und Freundlichkeit verspüren kann. Matth. 6. Luk. 11. Denn außerdem, dass er uns ermuntert, in aller unserer Not zu seiner väterlichen Treue unsere Zuflucht zu nehmen, so zeigt er uns auch, was wir sonst nicht wissen, wie groß unsere Armut sei, was zu erbitten uns gebühre, und was uns nützlich sei. Hieraus haben wir also den großen Trost und Vorteil, dass wir wissen, wir bitten nichts Ungebührliches, nichts, das ihm missfalle, indem wir gleichsam ihm das aus dem Munde nehmen, was wir bitten. Diese Gebetsformel fasst sechs Bitten in sich. Wiewohl nämlich das ganze Gebet so beschaffen ist, dass man darin durchaus auf Gottes Ehre sehen soll: so sind doch die drei ersten Bitten insbesondere auf Gottes Ehre gerichtet, worauf wir allein in denselben sehen müssen, ohne irgend eine Rücksicht auf unsern Nutzen. Die übrigen drei betreffen uns, und sind eigentlich dazu bestimmt, das, was zu unserer Notdurft gehört, zu erflehen.
UNSER VATER! Indem wir Gott so anreden, und ihn einen Vater nennen, werden wir gleich Anfangs daran erinnert, dass alles Gebet nur im Namen Christi Gott vorgetragen werden soll, und ihm nur sofern angenehm ist. Denn mit welchem Mut dürfte sonst Jemand Gott einen Vater nennen? Wer dürfte so verwegen sein, dass er sich der Ehre eines Kindes Gottes anmaßte, wenn wir nicht in Christo zu Kindern der Gnade angenommen wären? Er, welcher der wahre Sohn Gottes ist, ist uns von ihm zum Bruder geschenkt worden, damit das, was er von Natur Eigentümliches hat, aus Gnade und aus einem Recht der Kindschaft unser werde, sofern wir ein so großes Geschenk mit wahrem Glauben annehmen. Daher sagt Johannes 1,12.: „Allen, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Gottes Kinder zu werden, denen nämlich, die an seinen Namen glauben“. Demnach nennt er sich unsern Vater, und will so von uns genennet sein, um mit diesem lieblichen Namen uns allen Zweifel zu benehmen, weil sonst nirgend so herzliche Liebe kann gefunden werden, als in einem Vater ist. Darum hätte er uns auf keine deutlichere Weise seine große Liebe gegen uns bezeugen können, als damit, dass wir Gottes Kinder genannt werden. 1 Joh. 3,1. Seine Liebe gegen uns ist aber so viel größer und vortrefflicher, als alle Liebe unserer Väter, je mehr er alle Menschen an Güte und Barmherzigkeit übertrifft, so, dass, wenn gleich alle Väter auf Erden alle väterliche Zärtlichkeit verlören, und an ihren Kindern treulos würden, er dennoch nimmer seine Liebe und Treue gegen uns verleugnen kann. Psalm 27,10. Jes. 63,16. „So denn ihr,“ heißt es Matth. 7,11., „die ihr arg seid, könnet euren Kindern gute Gaben geben, wie viel mehr euer himmlischer Vater?“ ferner Jes. 49,15.: „Kann auch eine Mutter ihres Kindes vergessen? und wenn sie desselben vergäße, so will ich doch dein nicht vergessen.“ So wenig nun ein Kind einem Fremden zulaufen kann, ohne seinen Vater der Lieblosigkeit oder Armut zu bezichtigen: so können auch wir als Gottes Kinder nirgend anders als bei ihm Hilfe suchen; wir müssten ihm denn entweder Unvermögen oder Unbarmherzigkeit zumessen. Und hier müssen wir nicht vorwenden, dass wir wohl billig scheu werden müssten durch das Bewusstsein der Sünden, welche den Vater, wie sanft und gütig er auch sein mag, uns dennoch täglich erzürnt machen. Denn da schon bei den Menschen ein Kind nicht besser des Vaters verlorne Gunst wiedererlangen kann, als wenn es fußfällig und mit Bekenntnis seiner Schuld den Vater um Verzeihung bittet, der dann unmöglich sein väterliches Herz so verbergen kann, dass es durch solche Bitte nicht erweicht werden sollte: was sollte dann nicht der Vater aller Erbarmung, der Gott alles Trostes tun? 2 Kor. 1,3. Sollte er nicht seine Kinder erhören, wenn sie bitten, weinen, seufzen, besonders da er sie selbst dazu ermahnt? Solche überschwängliche väterliche Güte ist uns im Gleichnis vom verlornen Sohn vorgestellt, da der Vater den Sohn, welcher sich von ihm losgemacht, sein Gut schändlich verschwendet, und sich schrecklich an ihm versündigt hatte, freundlich empfängt und nicht wartet, bis er mit Worten um Verzeihung bittet, sondern ihm selbst entgegen geht, ihn von Ferne schon erkennt, und zu Gnaden annimmt. Luk. 15,20. Indem er ein Beispiel so großer Sanftmut an einen Menschen uns vorbildet, hat er uns lehren wollen, eine wie viel größere Sanftmut wir seine, obgleich undankbare und böse Kinder von ihm erwarten sollen, als der nicht nur ein Vater, sondern auch unter allen Vätern der allerbeste und freundlichste ist, wenn wir nur zu seiner Barmherzigkeit unsere Zuflucht nehmen. Und damit er uns noch bestimmter versichre, dass er uns in Christo ein Vater sei, so hat er nicht allein Vater, sondern auch unser Vater genannt sein wollen; als könnten wir auf diese Weise mit ihm reden: lieber Vater, der du so treu gegen deine Kinder bist, und ihnen so gerne verzeihest! wir, deine Kinder, reden dich an mit der völligen Zuversicht, dass du nicht anders als väterlich gegen uns gesinnt seiest, obgleich wir eines solchen Vaters nicht würdig sind. Weil wir aber viel zu engherzig sind, solche überschwängliche Gunst zu fassen, so ist nicht allein Christus uns das Pfand der Kindschaft, sondern er gibt uns auch den Geist als den Zeugen dieser Kindschaft, durch den wir mit freier und heller Stimme rufen dürfen: Abba, lieber Vater! Gal. 4,6. Dass aber nicht Jeder für sich ihn bloß seinen Vater, sondern vielmehr wir Alle gemeinschaftlich ihn unsern Vater nennen sollen, dadurch werden wir erinnert, was für eine brüderliche Liebe unter uns sein soll, als die wir eines solchen Vaters, vermöge einer und derselben Barmherzigkeit, gemeinschaftliche Kinder sind. Denn, wenn wir Alle einen allgemeinen Vater haben, von welchem Alles herkommt, was uns allenthalben Gutes widerfahren mag, so muss nichts unter uns geteilt sein, das wir nicht, so viel die Notdurft es erfordert, gerne und von Herzen mit einander gemein haben wollen. Wir können aber den Brüdern mit Nichts besser dienen, als wenn wir sie der Fürsorge des gütigen Vaters durch unser Gebet befehlen; denn so lange sie ihn zum Freunde haben, kann es ihnen an nichts mehr fehlen. Diese Fürbitte soll sich erstrecken über alle Menschen auf Erden, besonders aber über die Glaubensgenossen, die unsere Brüder in Christo sind, und soll überhaupt die Gemeinschaft im Auge haben, welche unser Herr in seinem Reiche verordnet hat. Ephes. 1,24. Gal. 6,10. 1 Tim. 2,8.
Es wird hinzugetan: DER DU BIST IM HIMMEL. Dies soll nicht so viel heißen, dass er von des Himmels Umkreis eingeschlossen sei, wie denn auch Salomo bekennt, dass der Himmel ihn nicht in sich fassen könne; und er selbst durch den Propheten sagt, dass der Himmel sein Stuhl, und die Erde sein Fußschemel sei: um damit anzuzeigen, dass er nicht von einem gewissen Ort umschlossen, sondern allenthalben sei. 1 Kön. 8,37. Weil aber unser Gemüt, seiner gemeinen Denkart nach, Gottes unaussprechliche Herrlichkeit, Macht und Hoheit nicht anders fassen könnte, so wird sie uns durch den Himmel vorgestellt, welcher in unsern Augen das Allerherrlichste ist. Es wird durch dies Wort: der du bist im Himmel, eben so viel verstanden, als wenn man von Gott sagte, dass er sei von unendlicher Größe und Hoheit, von unbegreiflicher Wesenheit, von unermess-licher Gewalt und von ewiger Unsterblichkeit. Wir sollen also, wenn wir Gott suchen, uns mit unsern Gedanken über uns selbst emporschwingen, und sollen nichts Irdisches und Fleischliches von ihm erträumen; wir sollen ihn nicht nach unsern Begriffen ermessen, noch seinen Willen unserm Gutdünken unterwerfen. Dabei soll hiemit unser Vertrauen auf ihn gestärkt werden, weil wir einsehen, dass durch seine Vorsehung und Gewalt Himmel und Erde regiert werde.
DIE ERSTE BITTE: Dein Name werde geheiligt. Die Notwendigkeit solcher Bitte gereicht uns zur großen Schande. Denn, was ist abscheulicher, als, dass die Undankbarkeit der Menschen und ihre Bosheit die Ehre Gottes so verdunkle, ja die tolle Frechheit, so viel an ihr ist, dieselbe vertilget; wiewohl ungeachtet aller Bemühungen der Gottlosen dennoch die Heiligkeit Gottes aufs herrlichste hervorstrahlt. Der Prophet ruft: Gott, wie dein Name, so ist auch dein Ruhm bis an der Welt Ende. Ps. 48,11. Denn überall, wo sich Gott nur offenbart, tun sich auch seine Tugenden, als seine Gewalt, Güte, Weisheit, Wahrheit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit hervor, und treiben uns an, ihn zu bewundern und zu lobpreisen. Weil nun Gott seiner Heiligkeit auf eine so schändliche Art hier auf Erden beraubt wird, so wird uns auferlegt, dass, sofern wir dieselbe nicht retten können, wir dennoch mit Beten und Wünschen uns derselben annehmen. Es wird uns also hier überhaupt aufgegeben, zu wünschen, dass Gott seine gebührende Ehre erhalte, dass die Menschen nie ohne die höchste Ehrerbietung von ihm reden oder denken, und sich vor aller Entheiligung seines Namens hüten. Weil aber die Heiligkeit des Namens Gottes darin besteht, dass derselbe, von allen andern abgesondert, allein die Ehre hat, so wird uns hiemit befohlen, nicht allein zu bitten, dass Gott diesen heiligen Namen von aller Verachtung und Unehre rette, sondern auch das ganze Menschengeschlecht dahin bringe, sich ihm in Ehrfurcht zu unterwerfen. Da nun aber Gott teils in seinem Worte, teils in seinen Werken sich uns offenbart, so wird sein Name nur dann auf die rechte Art von uns geheiligt, wenn wir in beiden Stücken ihm das Seinige geben, und alles, was von ihm herkommt, hochhalten; und es soll sein Ernst nicht weniger gerühmt werden als seine Güte: wie er denn seine Herrlichkeit durch mancherlei und verschiedene Werke offenbart hat, welche alle Zungen zum Bekenntnis des Lobes andringen soll. So wird es denn geschehen, dass die Schrift ihr gebührend Ansehen bei uns habe, und auch sonst nichts, was sich nur zutragen mag, das Lob zurückhalte, welches Gott in der Regierung des Weltgangs verdient. Nun bezieht sich aber diese Bitte auch dahin, dass alles gottlose Wesen, welches diesen heiligen Namen besudelt, getilgt und zerstört werde, dass alle Schmach und Spott, wodurch diese Heiligung verdunkelt wird, aufhöre und durch Dämpfung aller Gotteslästerung seine Majestät je länger je mehr hervorleuchte.
DIE ZWEITE BITTE: Dein Reich komme. Alsdann nämlich regiert Gott, oder hat er sein Reich unter uns, wenn die Menschen mit Verleugnung ihrer selbst und Verachtung der Welt und dieses irdischen Lebens sich seiner Gerechtigkeit unterwerfen, und nach dem himmlischen Leben trachten. Es finden sich also zwei Stücke an diesem Reich; erstens, dass Gott alle böse Lüste des Fleisches, welche häufig wider ihn streiten, durch die Kraft seines Geistes dämpfe. Zum andern, dass er alle unsere Kräfte zum Gehorsam gegen ihn anleite. Darum können nur diejenigen diese Bitte wahrhaft beten, die mit sich selbst anfangen, damit sie von dem Unflat gereinigt werden, der den Wohlstand des göttlichen Reiches beunruhigen und beflecken kann. Weil aber Gottes Wort in diesem Reiche gleichsam das königliche Zepter ist, so sollen wir hier bitten, dass Gott durch dasselbe alle Herzen sich zum freiwilligen Gehorsam unterwerfe, welches alsdann geschieht, wenn er durch die heimliche Mitteilung des heiligen Geistes das Wort in uns lebendig macht, so, dass es mit der ihm gebührenden Ehrfurcht von uns angenommen wird. Darnach muss man auch diese Bitte auf die Gottlosen beziehen, welche sich halsstarrig und boshaft seiner Herrschaft widersetzen. Deshalb gestaltet Gott sein Reich also, dass er die ganze Welt sich unterwirft, indem er einerseits die unordentlichen Lüste dämpft, andererseits den unbändigen Stolz zerbricht. Und wir sollen wünschen, dass beides täglich geschehe, damit Gott sich seine Kirche aus allen Orten der Welt sammle, fortpflanze und vermehre, mit seinen Gaben erfülle, und mit guter Ordnung einrichte: dagegen alle Feinde der reinen Lehre und Religion stürze, ihre Ratschläge zerstöre, ihr Vornehmen zu Schanden mache. Die Vollkommenheit dieses Reichs wird erst bei der letzten Zukunft Christi stattfinden, wo dann Gott Alles in Allem sein wird. 1 Kor. 15,28. So soll uns denn diese Bitte von allen Befleckungen dieser Welt abziehen, welche uns von Gott absondern, und sein Reich in uns nicht kräftig und wirksam sein lassen; zudem soll sie ein Verlangen und Streben in uns erwecken, die Lüste unseres Fleisches zu töten; endlich soll sie uns zur Geduld im Kreuz anleiten; denn auf diese Weise will Gott sein Reich fortsetzen. Es soll uns auch gar nicht schwer ankommen, dass der äußerliche Mensch also vernichtet werde, wenn nur der innerliche erneuert wird. Denn also verhält es sich mit dem Reiche Gottes, dass, indem wir uns seiner Gerechtigkeit unterwerfen, wir dagegen seiner Herrlichkeit teilhaftig werden. Solches geschieht, wenn Gott, indem er sein Licht und seine Wahrheit täglich in uns vermehrt, dadurch des Teufels und seines Reiches Finsternis und Lügen vertreibet, die Seinen bewahret, sie durch Hilfe seines Geistes auf die rechte Bahn leitet, und zur Beharrung kräftiget: dagegen der Feinde List, Betrug und Bosheit hemmt und vereitelt, bis er endlich durch den Geist seines Mundes den Antichrist umbringt und durch seine herrliche Zukunft alles gottlose Wesen gänzlich vertilgt. –
DIE DRITTE BITTE: Dein Wille geschehe auf Erden wie im Himmel. Gott ist nämlich dann recht ein regierender Herr in der Welt, wenn alle seinem Willen sich unterwerfen, d. h. ihm von Herzen gehorsam sind; darum, wird auch hier ausdrücklich der Himmel mit der Erde verglichen, indem, wie es im Psalm heißt, die Engel Gott willig gehorchen, und geneigt sind, seine Befehle zu vollbringen (Ps. 103,20.). Wir sollen also hier bitten, dass, gleich wie im Himmel nichts geschieht, als nur was der Herr verordnet hat, und die Engel sich alles Gehorsams befleißigen: so auch die Erde alle Widerspenstigkeit und Mutwillen bei Seite stellen und sich seiner Herrschaft unterwerfen möge. Indem wir nun dieses bitten, entsagen wir den Lüsten unsers Fleisches, indem ein jeder, der nicht alle seine Begierden Gott und seinem Willen aufopfert, demselben, so viel an ihm ist, widersteht, weil nichts als nur Böses aus uns herauskommt. Wir bitten also, dass Gott das alte Herz aus uns herausnehme und ein neues Herz in uns schaffe, damit wir keinen Widerwillen gegen ihn, sondern nur Gleichförmigkeit mit seinem Willen haben, und überhaupt nichts aus uns selbst wollen, sondern durch die Regierung und innerliche Anleitung des heiligen Geistes lernen lieb haben, was ihm wohlgefällt, und hassen, was ihm missfällt, woraus denn auch dies erfolgt, dass er alle Wünsche und Begierden, die seinem Willen zuwider sind, vernichte. –
DIE VIERTE BITTE: Gib uns heute unser täglich Brot. Wir begehren hier von Gott überhaupt alles das, was zu des Leibes Notdurft in dieser Welt gehört; nicht allein Nahrung und Kleidung, sondern auch alles, wovon er weiß, dass es uns nützlich sei, um unser Brot mit Ruhe zu genießen. Wir ergeben uns also hiemit in seine Fürsorge und vertrauen seiner Vorsehung, dass er uns speise, nähre und erhalte. Denn es schämt sich der liebreiche Vater nicht, auch unsern Leib zu pflegen und zu erhalten, damit er auch in diesen Kleinigkeiten unsern Glauben übe, indem wir von ihm alles bis auf einen Bissen Brots, und Trunk Wassers erwarten. Denn so wie wir leider überhaupt mehr für das Fleisch als für die Seele sorgen, so gibts auch Viele, welche zwar Gott die Seele anvertrauen, aber dennoch ängstlich für das Fleisch sorgen, und noch denken, was sie essen, und womit sie sich kleiden sollen, und fast verzagen, wenn sie nicht Alles im Überfluss haben. So viel mehr achten wir auch den Schatten dieses vergänglichen Lebens, als auf die ewige Unsterblichkeit. Welche aber Gott also vertrauen, dass sie sich dieser ängstlichen Sorge für das Fleisch einmal entschlagen haben, die dürfen zugleich bald etwas Größeres, auch die ewige Seligkeit und Leben von ihm erwarten. Es wird uns aber befohlen, um unser tägliches Brot zu bitten, damit wir uns genügen lassen an dem, was der himmlische Vater uns mitteilt, und nicht mit bösen Händeln andere berauben. Denn es wird unser als ein Geschenk, indem weder unsere Kunst, noch Arbeit, noch unsere Hände uns aus sich selbst etwas bereiten, es sei denn Gottes Segen dabei (3 Mos. 26,20.): ja sogar der Überfluss an Brot würde uns nichts helfen, wenn es nicht durch Gottes Kraft uns zur Nahrung würde. Es ist also nicht weniger den Reichen, als den Armen dieser Segen nötig, indem auch sie bei vollen Kellern und Scheunen verhungern müssten, wenn sie nicht durch seine Gnade des Brotes genießen könnten. Die Wörtlein Heute und Täglich sollen alle unmäßige Begierde nach zeitlichen Dingen, womit wir allzusehr behaftet sind, ferner Wollust, Prachtliebe u. dgl. im Zaum halten. Wir sollen also nur um so viel bitten, als wir zu unserer Notdurft täglich bedürfen, in der Hoffnung, dass wenn uns der himmlische Vater heute ernährt, er uns auch morgen nicht verlassen werde. Daraus, dass es unser Brot genannt wird, wird Gottes Güte recht sichtbar, welche macht, dass dasjenige unser werde, was uns von Rechtswegen gar nicht zukommt. Auch heißt es deswegen unser Brot, weil und sofern es durch rechtmäßige Arbeit, und nicht durch Raub oder Betrug erworben ist, indem das, was wir mit anderer Leute Schaden an uns bringen, fremd und nicht unser ist. –
DIE FÜNFTE BITTE: Vergib uns unsre Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. In dieser und der nächstfolgenden Bitte hat Christus kurz zusammengefasst, was zum geistlichen Leben gehört, wie denn der geistliche Bund, den Gott zum Heil seiner Kirche gemacht hat, in diesen beiden Stücken besteht: Ich will mein Gesetz in ihr Herz schreiben, und ihrer Missetat gnädig sein (Jerem. 31,33.). Hier fängt Christus von der Vergebung der Sünden an, und setzt in der folgenden Bitte die Wohltat hinzu, dass Gott durch die Kraft seines Geistes uns beschirme, und durch seine Hilfe erhalte, damit wir fest und unbeweglich wider alle Versuchung bestehen. Er nennt aber die Sünden Schulden, weil wir die Strafen derselben schuldig sind und aber keinesweges bezahlen könnten, wenn wir nicht durch diese Vergebung davon losgemacht würden, was ein Werk seiner bloßen Barmherzigkeit ist, indem er freiwillig diese Schulden durchstreicht, und dafür keine Bezahlung von uns nimmt, sondern nach seiner Barmherzigkeit sich selbst in Christo befriedigt, welcher Einmal zum Lösegeld sich selbst dahin gegeben hat (Röm. 3,24.). Welche also meinen, dass Gott durch ihre eigene oder durch die Verdienste anderer Genugtuung geschehe, und Vergebung der Sünden erworben werde, die haben an dieser gnädigen Vergebung keinen Anteil. Und wenn sie Gott gleich mit solcher Bitte ansprechen, so tun sie nichts Anderes, als dass sie hiermit ihre eigene Anklage unterschreiben, ja ihre eigene Verurteilung bekräftigen. Denn sie bekennen sich so lange für Schuldner, als sie nicht durch gnädige Verzeihung davon entledigt sind, welche sie ja nicht annehmen, sondern von sich stoßen, indem sie Gott ihre eigene Verdienste und Genugtuung vorhalten. Das heißt nicht, Gnade begehren, sondern auf Recht und Gericht sich berufen. Welche aber eine solche Vollkommenheit sich erträumen, die der Vergebung nicht bedürfte, täuschen sich selbst und fallen von dem Herrn Christo ab; denn er fordert uns alle zum Bekenntnis der Schuld auf, und lässet also nur Schuldner und Sünder zu; nicht als wollte er die Sünden gut heißen, sondern weil er wohl weiß, dass die Gläubigen nie so rein sind von den Befleckungen des Fleisches, dass sie nicht stets dem Gerichte Gottes unterworfen bleiben. Es soll zwar unser Wunsch und fleißiges Bestreben sein, von allen Gebrechen uns immer mehr und mehr zu reinigen. Weil es aber Gott gefällt, sein Ebenbild allmählich in uns zu erneuern, so, dass immer etwas Befleckung in unserm Fleisch bleibt: so befiehlt uns Christus vermöge seines ihm vom Vater übertragenen Amtes, unsere ganze Lebenszeit hindurch die Schuld abzubitten. Ferner bitten wir, dass die Vergebung uns so zu Teil werde, wie wir unsern Schuldigern vergeben, d. i. gleich wie wir allen denen schonungsvoll verzeihen, von denen wir etwa beleidigt, oder tätlich misshandelt, oder mit Worten geschmäht worden sind. Nicht, dass es unseres Amtes sei, die Schuld der Beleidigung nachzulassen, was Gott allein zukommt (Jes. 43,25.); sondern unsere Vergebung besteht darin, dass wir Zorn, Hass, Rachsucht aus dem Herzen verbannen, und des uns zugefügten Unrechts gerne vergessen. Darum sollen wir Gott nicht um Vergebung der Sünden bitten, wenn wir nicht auch unsern Beleidigern vergeben wollen; denn wir würden alsdann mit dieser Bitte Gott auffordern, uns nicht zu verzeihen, weil wir ja begehren, dass er uns so vergeben möge, wie wir Andern vergeben. Übrigens ist hiermit nicht gemeint, dass wir dadurch bei Gott die Vergebung unserer Sünden verdienen, wenn wir versöhnlich und sanftmütig gegen unsere Beleidiger sind, sondern eines Teils hat Gott hiermit der Schwachheit unseres Glaubens aufhelfen wollen, dass er uns versichert, dass uns die Sünde so gewiss von ihm vergeben sei, so gewiss wir bei uns finden, dass wir auch andern verziehen haben, sofern nämlich unser Herz von allem Neid, Hass und Rachsucht gereinigt ist; andern Teils will er mit diesem Kennzeichen diejenigen aus der Zahl seiner Kinder ausgestrichen wissen, welche sich gerne rächen, aber ungern verzeihen, und den Zorn, dessen sie selbst entledigt sein wollen, gegen andere tragen, und langwierige Feindschaft üben; denn hiebei können sie ihn ja nicht als Vater anrufen. –
DIE SECHSTE BITTE: Führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns vom Bösen. Diese Bitte passt zu der Verheißung, dass Gott sein Gesetz in unsere Herzen schreiben wolle. Weil wir aber in unserm Gehorsam gegen Gott einen beständigen und harten Kampf aushalten müssen, so bitten wir hier, dass er uns mit Waffen ausrüsten und mit seiner Kraft beschirmen wolle, damit wir den Sieg davon tragen mögen. Hiedurch werden wir erinnert, dass uns nicht allein die Gnade des Geistes nötig sei, die unsere Herzen innerlich erweiche und zum Gehorsam gegen Gott lenke, sondern auch sein Beistand, damit er uns standhaft mache wider alle List und Anfechtungen des Satans. Nun sind aber der Versuchungen viele und mancherlei. Denn eines Teils gehören dazu die bösen Gedanken, die uns zur Übertretung des Gesetzes reizen, welche entweder unsere verderbte Lust uns eingibt, oder der Teufel erregt; andern Teils werden auch Versuchungen für uns die Dinge, welche zwar an sich selbst nicht böse sind, aber durch des Teufels Kunst gemissbraucht werden, wenn sie nämlich unsern Augen sich so eindrücken, dass wir durch den Anblick derselben von Gott abgeführt werden (Jak. 1,2.14. Matth. 4,1.3. 2 Thess. 3,5.). Auf der einen Seite sind es: Reichtum, Gewalt, Ehre, welche gemeiniglich mit ihrem Glanz den Leuten die Augen verblenden, oder sie ins Wohlleben stürzen, so dass sie ihres Gottes vergessen; anderseits sind es: Armut, Schmach, Verachtung, Trübsal, durch deren Last darniedergedrückt sie den Glauben und die Hoffnung sinken lassen, und endlich von Gott ganz und gar abtrünnig werden. Wir bitten nun Gott unsern Vater, dass er uns in dieser doppelten Art von Versuchungen nicht unterliegen lasse, sondern vielmehr mit seiner Hand aufrichte: damit wir durch seine Kraft gestärkt wider alle Angriffe des bösen Feindes Stand halten können, und weder im Glück aufgeblasen werden, noch im Unglück verzagen. Jedoch begehren wir hier nicht, ohne alle Anfechtungen zu bleiben; denn wir haben ihrer hoch vonnöten, damit wir dadurch, desto wachsamer gemacht, und vor der fleischlichen Sicherheit bewahrt werden. Der Herr versucht auch seine Auserwählten täglich, indem er sie durch Schmach, Kreuz und Trübsal züchtigt (Psalm 26,2. 1 Mos. 22,1. 5 Mos. 8,2. 13,3.). Aber auf eine andere Weise versucht Gott und auf eine andere Weise der Teufel; dieser, dass er verderbe und ins Elend stürze, Gott aber, dass er durch Prüfungen die seinen erforsche, ihre Aufrichtigkeit erprobe und durch Übung stärke, ihr Fleisch töte und kreuzige, damit es nicht mutwillig und geil werde. Zudem überfällt der Satan die Wehrlosen und Ungerüsteten, damit er sie unvermutet unterdrücke: Gott aber gibt mit der Versuchung auch die Ausdauer, dass die Seinen geduldig ertragen können, was er ihnen zuschickt (1 Kor. 10,13. 1. Petr. 5,8.). Ob man unter dem Bösen den Teufel oder die Sünde verstehe, daran ist wenig gelegen. Der Teufel zwar ist der Feind selbst, der uns nach dem Leben trachtet, die Sünde aber ist seine Rüstung, damit er zu unserm Verderben gerüstet ist. So ist denn hier das unser Begehren, dass wir von keinerlei Versuchungen überwunden werden, sondern durch des Herrn Kraft wider alle Kraft des Feindes feststehen: welches heißt, in den Versuchungen nicht unterliegen; ferner, dass wir in seinen Schutz aufgenommen und darin sicher bewahrt, wider die Sünde, den Tod, der Hölle Pforten und das ganze Reich des Teufels unüberwindlich beharren (Ps. 60,14.): welches dann heißt: vom Bösen erlöset werden. Die aber glauben mit eigenen Kräften diesen Streit mit dem Satan ausfechten zu können, kennen diesen streitbaren und wohlgerüsteten Feind noch nicht. Wir aber sagen, dass wir allein durch die Kraft Gottes das Feld behalten können, und immer um Vermehrung dieser Kraft bitten müssen, bis wir nach Ablegung unseres Fleisches mit voller Kraft des Geistes angetan über alles Böse die Oberhand haben werden. –
Denn dein ist das Reich, die Kraft und die Herrlichkeit bis in Ewigkeit. Amen. – Das gibt unserm Glauben einen festen und sichern Grund, worauf er sich verlassen kann. Denn, wenn wir auf unsere Würdigkeit Gott unser Gebet vortragen sollten: wer dürfte dann wohl vor ihm den Mund auftun? Nun kann aber, obwohl wir die allerelendesten, unwürdigsten und ärmsten Leute sind, die wahre Zuversicht zu beten uns nicht fehlen, indem unserm Vater sein Reich, seine Kraft und Herrlichkeit nicht entrissen werden kann. Am Schluss steht das Wörtlein Amen, womit die inbrünstige Begierde ausgedrückt wird, dasjenige zu erlangen, was wir von Gott erbeten haben; und zugleich unsere Hoffnung gestärkt wird, dass solches alles schon erlangt sei, und uns gewiss widerfahren werde, indem es von Gott versprochen ist, der in seinen Verheißungen nicht lügen kann. –