Calvin (Institutio) - Zehn Gebote

 

ERKLÄRUNG DER ZEHN GEBOTE. 

 

DAS ERSTE GEBOT. 

„Ich bin der Herr dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus dem Diensthause geführet habe. – Du sollst keine anderen Götter vor mir haben.“ 

 

Ob man den ersten Satz: „Ich bin der Herr dein Gott!“ zu einem Teile des ersten Gebotes macht oder davon trennt, ist mir gleichgültig; nur leugne man nicht, dass er die Einleitung zum ganzen Gesetze sei. Wenn Gesetze gegeben werden, so ist zuförderst dahin zu sehen, dass sie nicht bald in Verachtung geraten. Darum sucht auch Gott es vornämlich zu verhüten, dass man das Ansehen seines Gesetzes verhöhne. Auf eine dreifache Weise macht er es unverletzlich. Er eignet sich die Macht und Herrschaft zu, um das auserwählte Volk zum unbedingten Gehorsam zu verpflichten. Er verheißt Gnade, um bei demselben den Eifer in der Heiligung zu erwecken. Er erinnert an eine Wohltat, um die Juden der Undankbarkeit zu zeihen, wenn sie sich nicht seiner Güte würdig machen. Der Name Jehovah bezeichnet sein Reich und seine Herrschaft. Wenn aber, wie Paulus sagt, Röm. 11,36., alles von ihm ist, und durch ihn bestehet, so muss auch alles auf ihn bezogen werden. Dieses eine Wort zeigt also genugsam, dass wir seiner Herrschaft unterworfen sind, da es widersinnig sein würde, uns seiner Gewalt entziehen zu wollen, ohne den wir nicht bestehen können. Nachdem er sich als denjenigen angekündigt hat, dem das Recht zu gebieten und Gehorsam gebührt: so sucht er das Volk, doch nicht allein durch die Vorstellung der Pflichtmäßigkeit ihres Gehorsams zu demselben zu bewegen, sondern auch durch die erfreuliche Versicherung, dass er ihr Gott sein wolle, für denselben zu gewinnen. Denn diese Benennung: „dein Gott“ – bezeichnet ein gegenseitiges Verhältnis, wie es in der Verheißung enthalten ist, Jer. 31,33.: „Ich will ihr Gott sein, und sie sollen mein Volk sein“. Weshalb auch Christus (Matth. 22,32. 2 Mos. 3,6.) daraus das ewige Leben Abraham's, Isaak's und Jakob's beweiset, dass der Herr sich als ihren Gott angekündigt habe. Es ist also eben so viel, als wenn er spräche: ich habe euch mir zum Volke auserkoren, dem ich nicht nur auf Erden Gutes erweisen, sondern einst auch ewig seliges Leben geben will. Worauf dies aber zielt, wird in mehreren Stellen des Gesetzes bemerkt. Denn da der Herr uns der Barmherzigkeit würdigt, zu seinem Volke zu gehören, so sagt Moses, 5 Mos. 7,6. 14,2. 26,18.: „Er hat uns erwählt, dass wir das Volk seines Eigentums, ein heiliges Volk sein sollen, und seine Gebote halten“. Daher jene Ermahnung (3 Mos. 19,2.): „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig“. Auf beides nun, dass Gott der Herr und der gütige Vater ist, gründet sich der Vorwurf bei dem Propheten (Mal. 1,6.): „Ein Sohn ehret seinen Vater, und ein Knecht seinen Herrn. Bin ich nun Herr, wo ehret man mich? bin ich Vater, wo liebet man mich?“ Hierauf wird einer Wohltat gedacht, was um so kräftiger uns zu Gott hinführen muss, jemehr auch unter Menschen der Undank verabscheut wird. Zwar erinnerte der Herr das Volk Israel damals an eine erst neuerlich empfangene Wohltat; aber ihrer Größe wegen ist sie ewig denkwürdig, und geht auch die Nachkommenschaft an. Überdies ist diese Erinnerung gerade passend für den vorliegenden Fall: denn der Herr gibt zu verstehen, dass sie darum aus der Knechtschaft errettet sind, um ihn, den Urheber ihrer Freiheit, durch willigen Gehorsam zu verehren. Um uns aber bei seiner alleinigen und wahrhaftigen Verehrung zu erhalten, gibt er sich auch gewisse Beinamen, die seine heilige Gottheit von allen Götzen und Abgöttern unterscheiden. Denn, wie schon gesagt, so eitlen Sinnes und vermessen sind wir, dass wir bei dem Namen „Gott“ nicht an den einigen, sondern an ein nichtiges von uns selbst geschaffenes Wesen denken. Um diesem Übel abzuhelfen, eignet sich Gott gewisse Namen zu, welche uns vor der Verirrung und Vermessenheit bewahren sollen, uns einen Abgott zu bilden, und an die Stelle des lebendigen Gottes ein Götzenbild zu setzen. Weshalb auch die Propheten, so oft sie ihn besonders bezeichnen wollen, ihn mit denjenigen Merkmalen bekleiden und gleichsam umgeben, unter welchen er sich dem israelitischen Volke offenbart hatte. Denn wenn er der Gott Abrahams und der Gott Israels genannt, und von ihm gesagt wird dass er im Tempel zu Jerusalem seine Wohnung und auf dem Cherubim seinen Sitz habe: so stellen ihn diese und ähnliche Redensarten (2 Mos. 3,6. Amos 1,2. Habak. 2,18. Ps. 80,2. 99,1. Jes. 37,16.) nicht etwa als den Schutzgott Eines Landes oder Volkes dar, sondern sollen nur die Gedanken der Frommen auf den Gott hinleiten, der in seinem Bunde mit Israel sich so gezeigt hat, dass er auf keine andere Weise gedacht werden darf. Das indessen halte man fest: an die Erlösung aus der Sklaverei Ägyptens wird hier deshalb erinnert, damit die Juden, die sich Gott als sein Volk zueignet, ihm sich um so williger überlassen. Wir aber müssen, um die erwähnte Wohltat nicht außer Beziehung auf uns zu setzen, das Sklavenjoch Israels in Ägypten als ein Bild der geistigen Knechtschaft betrachten, der wir alle unterworfen sind, bis der himmlische Retter uns durch seines Armes Kraft derselben entledigt, und in sein Reich der Freiheit versetzt. Wie er also vordem die Israeliten, um sie aus ihrer Zerstreuung zur Anbetung seines Namens zu sammeln, der tyrannischen Behandlung Pharaos entzog; so ist er heut zu Tage für alle, denen er sich als ihr Gott bezeuget, ein Schirm vor des Teufels Gewalt, welche unter jener leiblichen Knechtschaft abgebildet wurde. Darum muss eines jeden Herz entflammt werden, dem Gesetz zu gehorchen, welches der König aller Könige gegeben hat, zu dem, als dem Urquell alles Daseins, billig alles sich wenden und ihm sich weihen muss. Jeder sollte von Liebe gegen den Gesetzgeber durchdrungen werden, von dem er sich zur Erfüllung seiner Gebote besonders auserkoren sieht, dessen Liebe ihn hier alles Gute und droben ewig seliges Leben erwarten lässt, dessen Allmacht und Barmherzigkeit ihn aus dem Rachen des Todes befreite. Indem Gott so das Ansehen seines Gesetzes gesichert hat, so spricht er das erste Gebot aus: „wir sollen keine andern Götter vor ihm haben“. Der Zweck dieses Gebotes ist: der Herr will bei seinem Volke allein erhaben und im vollen Besitz seines Rechts sein. Deshalb untersagt er alles gottlose und abgöttische Wesen, wodurch seine Herrlichkeit vermindert oder verdunkelt wird, dagegen gebeut er kindliche Verehrung und Anbetung ihm zu erweisen. Das erhellt ganz deutlich aus den einfachen Worten des Gebotes: denn wir können Gott nicht haben, als nur mit Aufnahme dessen, was ihm eigen ist. Durch das Gebot, keine andern Götter zu haben, schärft der Herr also ein, was ihm allein gebührt, keinem andern zu geben. Was wir Gott schuldig sind, ist zwar von sehr mannigfaltiger Art; aber es lässt sich doch sehr wohl in folgende vier Punkte zusammenfassen: Anbetung, wozu wie ein Anhang der geistige Gehorsam des Gewissens gehört, Vertrauen, Anrufung, Danksagung. Unter Anbetung verstehe ich die Huldigung und Verehrung, die jeder von uns Gott darbringt durch Demütigung vor seiner Herrlichkeit; und hierzu zähle ich mit vollem Rechte die Unterwerfung unsers Gewissens unter den Gehorsam seines Gesetzes. Das Vertrauen auf Gott geht aus der Erkenntnis seiner Vollkommen-heiten hervor, und besteht in der stillen, getrosten Hingabe an Gott, indem wir, von seiner Allweisheit, Gerechtigkeit, Allmacht, Wahrhaftigkeit und Güte überzeugt, unsere Glückseligkeit allein von ihm erwarten. Angerufen wird Gott von uns, wenn wir in der Not unsere Herzen zu ihm erheben, in seiner Treue und Hilfe unsere einzige Zuflucht und Rettung finden. Unsere Dankbarkeit beweisen wir dadurch, dass wir alle Segnungen von ihm ableiten, und ihm dafür die Ehre geben. Nach dem Willen des Herrn sollen wir nun nichts von dem irgendjemand anders, sondern allen Ruhm ihm zukommen lassen. Denn es ist nicht genug, sich keinen Abgott zu machen, sondern wir müssen auch dem einigen Gott anhangen, was die Gottlosen unterlassen, die kurzweg alle Religion verspotten. Vor allem aber muss wahre Religiosität in dem Menschen vorhanden sein, damit er den lebendigen Gott suche, und wenn er ihn gefunden und in seiner Majestät erkannt hat, sein ganzes Leben dahin richte, ihn zu lieben, zu fürchten und zu verehren, von ihm alles Gute zu erwarten, allezeit bei ihm Hilfe zu suchen, seine herrlichen Werke zu bewundern und zu preisen. Alsdann muss aller Aberglaube vermieden werden, der die Menschen von dem einigen wahren Gott ab und zur Vielgötterei hinführt. Ist nun aber unser Glaube an den einzigen Gott fest begründet, so müssen wir, wie schon gesagt, alle Abgötterei vermeiden, und die Verehrung, die er allein fordert, nicht zerstückeln, weil sein Ruhm nicht im mindesten geschmälert und, was ihm allein zukommt, nicht geteilt werden darf. Der Zusatz: „vor mir“, erhöhet die Verwerflichkeit der Abgötterei, da wir Gottes Eifersucht erregen, wenn wir unsere Götzen an seine Stelle setzen, gleichwie ein ehebrecherisches Weib ihrem Gatten dadurch um so mehr in Hitze bringt, wenn es vor seinen Augen mit einem Andern buhlt. Da Gott sich als einen so mächtigen und wohlwollenden Beschützer seines auserwählten Volkes dargestellt hatte, um dasselbe von jeder Abweichung zurück zu schrecken, so erinnert er nun an die Unmöglichkeit des Übergehens zu fremden Göttern, ohne dass er Zeuge solcher Freveltat wäre. Denn diese Vermessenheit wird strafbarer durch den bösen Gedanken, seinen Abfall vor Gott verbergen zu können. Dagegen bezeugt der Herr laut, dass all unser Sinnen, Tun und Vornehmen von ihm bemerkt werde. Darum muss auch unser Herz von allen abgöttischen Gedanken sich rein erhalten, wenn unser Gottesdienst dem Herrn wohlgefallen soll: denn vor seinen Augen ist nicht bloß das äußere Bekenntnis zur Verherrlichung seines Namens genug, sondern er erforschet die Tiefe des Herzens. 

 

DAS ZWEITE GEBOT. 

 (Anm.: Für lutherische Leser wird hier bemerkt, dass Calvin und die reformierte Kirche die zehn Gebote anders zählt, als die lutherische und katholische Kirche nach dem Übergang Augustins. Letztere nehmen die Worte: „du sollst dir kein Bildnis und Gleichnis machen etc.“, 2 Mos. 20,4., nur als einen Anhang zum ersten Gebot. Die Worte: du sollst dich nicht gelüsten lassen des Hauses deines Nächsten (V. 17) zählten sie als das 9., und die folgenden Worte: „du sollst dich nicht gelüsten lassen deines Nächsten Weibs“, als das 10. Gebot. Calvin dagegen, und auch die reformierte Kirche zählt den Vers 3 als ein besonderes Gebot, also als das 2., und zwar als Verbot des Bilderdiensts. Das nach katholischer und lutherischer Zählung als 9. und 10. Gebot besonders Gerechnete nimmt Calvin zusammen als Ein Gebot (als 10.). Die zwischen-liegenden Gebote rechnen sich sodann entsprechend, so dass z. B. das, welches nach katholischer und lutherischer Rechnung als das vierte, bei den Reformierten als das fünfte erscheint. – Im mosaischen Grundtexte sind die einzelnen Gebote nicht besonders nummeriert, daher die Entscheidung von andern, hier nicht aufzuführenden Gründen abhängt.) 

 

„Du sollst dir kein Bildnis noch irgend ein Gleichnis machen, weder deß, das oben im Himmel, noch deß, das unten auf Erden, oder deß, das im Wasser unter der Erde ist. Du sollst sie nicht anbeten, noch ihnen dienen.“ 

 

Wie Gott sich im ersten Gebot als den Einzigen darstellt, außer welchem keine andern Götter zu finden sind, so erklärt er sich hier im zweiten noch deutlicher über sein Wesen und über die Art, wie er verehrt sein wolle, damit wir ihm nichts Fleischliches anzudichten wagen. Dieses Gebot soll also die Entweihung der ihm gebührenden Verehrung durch abgöttische Gebräuche verhindern. Darum verbietet es überhaupt, uns sinnliche Vorstellungen von Gott zu machen, wie es geschieht, wenn wir ihn nach unserm vergänglichen Wesen messen, und leitet uns zu seiner geistigen Verehrung an, wie sie in seinem Worte befohlen ist. Für das gröbste Vergehen gegen Gott wird der Bilderdienst erklärt. In diesem Gebote sind sonach zwei Verbote enthalten, nämlich Gott, den Unbegreiflichen und Unvergleichbaren, weder zu versinnlichen und abzubilden, noch überhaupt Bilder anzubeten. Es wird hier ferner aller Abbildungen kürzlich gedacht, die sich heidnische und abgöttische Völker von Gott machten. Unter den Gegenständen am Himmel sind Sonne, Mond und die Gestirne, vielleicht auch Vögel zu verstehen, da im 4. Kapitel des 5. Buchs Mose (V. 15-19.), wo der Herr seinen Willen deutlicher bezeichnet, die Vögel unter dem Himmel und die Sterne genannt werden. Ich würde das gar nicht anmerken, wenn ich nicht wüsste, dass Einige hier törichter Weise an die Engel denken. Alles übrige übergehe ich, da es an sich verständlich ist. Auch ist im 1. Buche dieser Schrift (Kap. 11 u. 12.) schon bewiesen, dass alle Bilder, deren Absicht ist, Gott sinnlich vorzustellen, im geraden Widerspruche mit dem göttlichen Wesen stehen, und dass da, wo Götzen aufgestellt und verehrt werden, die Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit verloren geht. Die Worte der Drohung und Verheißung, welche diesem Gebote beigefügt sind, dienen dazu, die Trägheit aufzurütteln. Sie lauten also: „Ich, der Herr dein Gott, bin ein starker und eifriger Gott, der die Missetat der Väter heimsuchet an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied, deren, die mich hassen; und tue Barmherzigkeit an viel Tausenden, die mich lieben und meine Gebote halten.“ Das will sagen: Er allein sei es, an den wir uns halten müssen. Um dazu uns zu bewegen, erinnert er uns an seine Macht, die wir nicht ungestraft gering schätzen und herabsetzen können. – Zweitens nennt Gott sich einen „Eiferer“, weil es ihm nicht gleichgültig sein kann, ob man ihn allein oder Götzen neben ihm verehre. Drittens sagt er von sich, dass er ein „rächender Gott“ sei, der die Verächter seines Namens strafen werde, wenn sie die ihm gebührende Ehre einer Kreatur oder den Götzenbildern geben, und zwar nicht sie allein, sondern auch ihre Kinder, Enkel und Urenkel, welche nämlich solche Missetat der Väter nachahmen werden. Dagegen verspricht er auf ewige Zeiten denen seine Barmherzigkeit und Gnade, die ihn lieben und seine Gebote halten. Gott stellt sich uns oft in der Schrift (Jesa. 62,4.5. Hos. 2,19.20.) als einen Gatten dar: denn die Verbindung, in welche wir durch die Aufnahme in den Schoß der Kirche mit ihm treten, ist dem heiligen Ehebunde ähnlich, der gegenseitige Treue erfordert. Wie er nun seinerseits treu und wahrhaftig alle Pflichten erfüllt, so verlangt er auch von uns Liebe und Treue, dass wir nämlich unsere Seelen nicht dem Satanas, der Lust und den hässlichen fleischlichen Begierden preisgeben. Wenn er daher über die Abtrünnigkeit der Juden klagt, so beschuldigt er sie der Unzucht und Hurerei. Jesa. 57,5. Jer. 3,13. Wie nun ein Gatte, je züchtiger und keuscher er ist, zu einem um so heftigern Unwillen gereizt wird, wenn seine Gattin sich an einen Buhlen hängt: so kündigt uns der Herr, der sich mit uns in Wahrheit verlobt hat, seinen eifersüchtigen Zorn an, so oft wir, seines heiligen Bundes uneingedenk, durch unreine Begierden uns beflecken, dann besonders, wenn wir die Ehre, die ihm allein gebührt, einem Andern geben, oder die Verehrung seines Namens durch irgend eine Art von Abgötterei entweihen. Denn auf diese Weise sind wir nicht bloß treulos und wortbrüchig, sondern beflecken auch den Bund mit ehebrecherischer Schande. Hierauf muss der Sinn der beigefügten Drohung entwickelt werden: „Ich suche die Missetat der Väter heim an den Kindern bis in das dritte und vierte Glied.“ Denn außer dass es mit der göttlichen Gerechtigkeit nicht übereinstimmt, einen Unschuldigen eine fremde Schuld büßen zu lassen, versichert Gott auch selbst, Ezech. 18,20.: „der Sohn soll nicht tragen die Missetat des Vaters“. Aber mehr als einmal finden wir den Ausspruch, dass die Strafen für die Missetaten der Väter auf künftige Geschlechter fortdauern sollen. So redet Moses Gott an, 2 Mos. 34,6.7. 4 Mos. 14,18.: „Herr, Herr, der du die Missetat der Väter heimsuchest an den Kindern bis in das dritte und vierte Glied“. Ebenso Jeremias, C. 32,18.: „Der du Barmherzigkeit tust an viel Tausenden, und vergiltst die Missetat der Väter in den Busen ihrer Kinder nach ihnen.“ Vergeblich ist die Mühe derer, die solches, um die Schwierigkeit zu heben, von zeitlichen Strafen verstehen: denn wenn Kinder, sagen sie, für die Vergehungen ihrer Väter im Zeitlichen leiden, so lasse sich das sehr wohl denken, da solche Strafen oft zu ihrem Besten dienen. Das ist zwar an sich wahr: denn auch Jesaias (C. 39,7.) sagte dem Hiskia, dass seine Kinder, seiner Missetat wegen, das Reich verlieren und in die Gefangenschaft abgeführt werden würden. Pharao's und Abimelech's Haus (1. Mos. 12,17. 20,3.) wird mit Plagen heimgesucht wegen des dem Abraham zugefügten Unrechts etc. Aber die in Rede stehende Sache wird so mehr umgangen, als erklärt, da im Gebote und in ähnlichen Stellen eine schwerere, über die Grenzen dieses Lebens hinausgehende Strafe gemeint ist. Man muss also diese Drohung so verstehen: der gerechte Fluch des Herrn ruhet nicht bloß auf dem Haupte des Gottlosen, sondern auch auf seiner gesamten Familie. Wo aber der Fluch waltet, ist da anderes zu erwarten, als dass der Vater von Gottes Geiste verlassen, ein ruchloses Leben führe der Sohn, wegen der Schuld des Vaters gleichfalls von Gott verlassen, denselben Weg des Verderbens gehe? Enkel und Urenkel endlich, als der Verworfenen verwerflicher Same, nach ihnen ins Unheil sich stürzen? Wir wollen sehen, ob eine solche Strafe der göttlichen Gerechtigkeit unangemessen sei. Wenn das gesamte Menschengeschlecht unter dem Fluche liegt so gehen offenbar alle, welche der Herr nicht seiner Gnade würdigt, verloren, aber durch ihre eigene Verworfenheit, nicht durch Gottes ungerechtes Urteil. Hier nun lässt sich weiter fragen, warum die Gnade Gottes nicht auch sie, gleich Andern, zum Heile führe. Wenn also Gottlose ihrer Übeltaten wegen die Strafe trifft, dass auf ganze Geschlechtsfolgen ihrem Hause die göttliche Gnade entzogen wird: wer will Gott wegen solcher gerechter Strafe anklagen? Aber der Herr – entgegnet man – spricht doch: „der Sohn solle nicht tragen die Missetat der Väter“. Man bemerke wohl, wovon hier die Rede ist. Da die Israeliten lange und anhaltende Unfälle erfuhren, so ging unter ihnen das Sprichwort, Ezech. 18,2. Jer. 31,29. Klagl. 112,1-3.: „unsere Väter haben Herlinge gegessen, und davon sind der Kinder Zähne stumpf geworden“. Damit wollten sie sagen, ihre Väter hätten Sünden getan, deren Strafen sie selbst, obwohl unverdient und unschuldig, mehr nach unversöhnlichem Zorn Gottes, als gemilderter Strenge, büßen müssten. Diesen verkündigt der Prophet: es verhalte sich nicht also, indem sie für ihre eigenen Sünden gestraft würden; überdies sei es auch nicht mit der göttlichen Gerechtigkeit zu vereinbaren, dass ein frommer Sohn wegen der Missetat seines gottlosen Vaters Strafe leide. Eine andere Bewandtnis habe es aber mit der Drohung in diesem Gebote: denn wenn die daselbst angedrohte Heimsuchung in Erfüllung geht, indem der Herr von der Nachkommenschaft der Gottlosen seine Gnade, das Licht seiner Wahrheit und die übrigen Heilsmittel hinwegnimmt; so ruhet auf den Kindern der Fluch wegen der väterlichen Missetat dem deswegen, weil sie, verblendet und verlassen von Gott, in die Fußtapfen der Väter treten. Dass aber über sie zeitliches Unglück und endlich ewiges Verderben kommt, geschieht nach Gottes gerechtem Ratschlusse, nicht wegen fremden, sondern wegen eigener Sünden. Wiederum enthält das Gebot auch die Verheißung, dass Gottes Barmherzigkeit sich auf viele tausend Geschlechts-folgen erstrecken werde, welche in der heiligen Schrift erwähnt wird, und in dem feierlichen Bundesworte enthalten ist, 1 Mos. 17,7.: „Ich will dein Gott sein und deines Samens nach dir“. In Beziehung hierauf sagt Salomo, Sprüchw. 20,7. vergl. Ps 112,1-3.: „den Kindern der Gerechten wird es nach ihrer Eltern Tode wohl ergehen“; nicht allein wegen ihrer frommen Erziehung, wiewohl auch das von großer Wichtigkeit ist, sondern wegen seines im Bunde verheißenen Segens, dass über den Kindern und Kindeskindern der Frommen ewiglich walte. Das ist für die Gläubigen ein kräftiger Trost, für die Gottlosen aber ein großer Schrecken: denn wenn auch nach dem Tode Gott der Frömmigkeit und Gottlosigkeit dergestalt gedenkt, dass der Segen wegen der erstern und der Fluch wegen der letztern auf die Nachkommenschaft übergeht, so wird beides viel mehr über den Häuptern der Urheber selbst bleiben. Nichts beweiset dagegen die Erfahrung, dass die Nachkommenschaft Gottloser zuweilen sich bessert, aber die der Gläubigen ausartet, weil der Gesetzgeber hier keine unabänderliche Regel festsetzen wollte, welche ihn in seiner Wahl beschränkte. Denn zum Troste der Frommen und zum Schrecken des Sünders genügt es, zu wissen, dass jene Bestimmung an sich wichtig und von großen Folgen sei, wiewohl sie nicht überall in Anwendung kommen. Denn gleich wie die zeitlichen Strafen, welche einige Gottlose leiden müssen, das Missfallen Gottes an der Sünde und den furchtbaren Richterspruch offenbar machen, den künftig alle Sünder hören müssen, obgleich Viele bis an das Ende ihrer Lebenstage ungestraft bleiben: so gibt der Herr, wenn er nur ein einziges Mal die Verheißung in Erfüllung gehen lässt, dass er um des Vaters willen gegen den Sohn barmherzig und gnädig sein wolle, Zeugnis von seiner beständigen und fortwährenden Gnade gegen seine Verehrer; und wenn er des Vaters Missetat einmal am Sohne straft, so zeigt er, was alle Verworfenen ihrer Sünden wegen zu erwarten haben. Davon aber wollte er hier uns vornehmlich gewiss machen. Dabei macht er kürzlich auf die Größe seiner Barmherzigkeit aufmerksam, welche er auf viele tausend Glieder ausdehnt, und nur vier Geschlechtsfolgen für die Strafe bestimmt. 

 

DAS DRITTE GEBOT. 

„Du sollst den Namen des Herrn deines Gottes nicht missbrauchen: denn der Herr wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen missbraucht.“ 

 

Dieses Gebot gab Gott, um die Heiligung seines Namens einzuschärfen. Es verbietet also, Gottes Namen durch lästerlichen und unehrerbietigen Gebrauch zu entheiligen. In diesem Verbote ist aber das Gebot enthalten, ihn nicht anders, als mit Ehrfurcht im Munde zu führen. Darum dürfen wir von Gott und seinen Geheimnissen nur mit Besonnenheit und heiliger Scheu denken und reden, so dass wir mit keinen andern, als ehrerbietigen Gesinnungen an die Beurteilung seiner Werke gehen. Diese drei Pflichten haben wir sorgsam zu beachten. Zuerst: was unser Geist über ihn denkt, unser Mund über ihn ausspricht, sei Zeugnis seiner Vortrefflichkeit, und entspreche der Erhabenheit seines Namens, es diene seine Herrlichkeit zu erheben. Zweitens: sein heiliges Wort und seine ehrwürdigen Geheimnisse dürfen weder zur Befriedigung der Ehr- und Habsucht noch zur Belustigung leichtsinnig gemissbraucht werden, sondern müssen, da sie seinen preiswürdigen Namen tragen, bei uns allezeit ihre Ehre und ihren Wert behalten. Drittens: seine Werke dürfen wir nicht tadeln und herabwürdigen, wie die Gottlosen tun, die nicht aufhören, ihn zu lästern; sondern so oft wir seiner Werke gedenken, sollen wir seine Weisheit, Gerechtigkeit und Liebe preisen. Das heißt: den Namen Gottes heiligen. Wo es anders geschieht, wird er durch eiteln und verkehrten Missbrauch befleckt, weil er außer dem rechtmäßigen Gebrauch, welchem allein er geweihet war, angewandt und dadurch, wenn auch weiter nichts, doch seiner Würde entkleidet wird, so dass er allmählich in Gering-schätzung kommt. Wenn nun dieser unnütze und leichtsinnige Gebrauch des göttlichen Namens schon eine so große Sünde ist, so wird diese noch viel größer, wenn man sich desselben zu schändlichen und sündlichen Dingen bedient, wie zum Befragen der Toten, zu Flüchen und Verwünschungen, zu Geisterbeschwörungen, zur Zauberei und zu anderem Aberglauben. Vorzüglich wird aber in diesem Gebote der Eid gemeint, in welchem der Missbrauch des göttlichen Namens am abscheulichsten erscheint; um uns desto mehr im Allgemeinen von jeder Entweihung desselben abzuschrecken. Dass aber hiebei nur von der Gott schuldigen Ehrfurcht gehandelt werde, und nicht von der Treue und Redlichkeit, welche Menschen gegen einander zu üben haben, erhellet zur Genüge daraus, dass in der zweiten Gesetztafel Beeinträchtigung des Nächsten und falsches Zeugnis verboten wird, wodurch das Wohl der menschlichen Gesellschaft leidet; es fände aber eine nutzlose Wiederholung statt, wenn dieses Gebot von der Pflicht der Nächstenliebe handelte. Dazu kommt auch, dass Gott nicht ohne Absicht sein Gesetz auf zwei Tafeln uns mitgeteilt hat. Folglich ist dieses dritte Gebot nur auf das zu beziehen, was wir Gott schuldig sind, und zur Heiligung seines Namens zu tun haben, nicht aber auf die gegenseitigen Pflichten der Menschen unter einander. Hier muss zuerst eine Erklärung vom Eide gegeben werden. Dieser ist eine Anrufung Gottes als Zeugen zur Bekräftigung der Wahrheit dessen, was wir aussagen. Denn die mit Flüchen und Verwünschungen verbundenen Beteurungen können, da sie offenbare Gotteslästerungen sind, nicht zu den Eiden gerechnet werden. Ein solcher Eid, welcher würdig abgelegt wird unter feierlicher Anrufung Gottes als Zeugen, ist, wie mehrere Stellen der Schrift beweisen, eine Art von Gottesverehrung. Wenn Jesaias die Aufnahme der Assyrer und Ägypter in den Bund Israels weissagt, spricht er (C. 19,18.): „sie werden in der Sprache Canaans reden und bei dem Herrn Zebaoth schwören“, d. h. durch einen Eid bei dem Namen des Herrn werden sie sich zum jüdischen Gottesdienste bekennen. Eben so sagt er, die Ausbreitung des Reiches Gottes verkündigend (C. 65,16.): „wer sich Heil erfleht, wird es bei dem Gott der Gläubigen tun, und wer schwören wird auf Erden, wird bei dem wahrhaftigen Gott schwören“. Jeremias spricht (C. 12,16.): „wenn sie mein Volk anweisen werden, bei meinem Namen zu schwören, so wie sie es bei Baal schwören gelehrt haben, so sollen sie unter meinem Volke gesegnet sein“. Und mit Recht kann man sagen, dass wir, indem wir den Namen des Herrn zum Zeugnis der Wahrheit anrufen, von unserer Gottesfurcht einen Beweis ablegen: denn wir bekennen, dass in Gott die ewige und untrügliche Wahrheit ist, wenn wir uns auf ihn als den Herzenskündiger, als den besten Zeugen und einzigen Beschützer der Wahrheit berufen, der das Verborgene ans Licht bringen wird. Wo menschliche Zeugnisse fehlen, müssen wir zum Zeugnisse Gottes unsere Zuflucht nehmen, vornehmlich wenn des Herzens Gedanken offenbar werden sollen. Deshalb zürnt auch der Herr so sehr auf diejenigen, welche bei Abgöttern schwören, und erklärt einen solchen Eidschwur für einen offenbaren Abfall von seiner Verehrung in den Worten (Jer. 5, 7.): „deine Söhne verlassen mich, und schwören bei denen, die nicht Götter sind“. Die Größe dieser Übeltat offenbart sich in der angedrohten Strafe (Zephanj. 1,5): „ich will sie verderben, die bei dem Herrn schwören und zugleich bei Melchom“. Daraus ersehen wir, dass nach Gottes Willen unsere Eide einen Teil seiner Verehrung ausmachen sollen; weshalb wir vorsichtig sein müssen, damit sie nicht, statt zur Verehrung, zur Lästerung oder Schändung und Entweihung seines Namens dienen. So ist es die strafbarste Gotteslästerung, wenn man bei seinem Namen falsch schwört, was im Gesetz (3 Mos. 19,12.) für eine Entheiligung desselben gilt. Denn was bleibet dem Herrn, wenn man die Wahrhaftigkeit ihm abspricht? er hört auf Gott zu sein. Das geschieht aber, sobald man ihn zu einem Zeugen und Bestätiger der Lüge und Unwahrheit macht. Weshalb auch Josua 7,19., um Achan zum Geständnis der Wahrheit zu bringen, sprach: „mein Sohn gib dem Herrn, dem Gott Israels, die Ehre“; mit welchen Worten er andeutet, dass es eine abscheuliche Schändung des Herrn sei, wenn man mit Berufung auf seinen Namen eine Unwahrheit ausspricht. Und kein Wunder; denn wir verhüten alsdann nicht, dass sein heiliger Name gleichsam mit einer Lüge befleckt werde. Diese Redeweise scheint auch unter den Juden, als Aufforderung zur Ablegung eines Eides, gebräuchlich gewesen zu sein, da auch die Pharisäer im Evangelio Johannis 9,24, sich derselben bedienen. Zur größten Vorsicht und strengsten Gewissenhaftigkeit bei dem Eide fordern auch andere in der Schrift vorkommende Beteurungsformeln auf (2 Sam. 14,11. 4,9. – 1 Kön. 1,29. – 1 Sam. 3. 17. 14,44. 2 Sam. 3,9. 1 Kön. 2,23. 2 Kön. 6,31. – 2 Kor. 1,23.): „So wahr der Herr lebet; Gott tue mir dies und das; Gott sei Zeuge über meine Seele“; – welche beweisen, dass wir Gott zum Zeugen unserer Aussage nicht anrufen können, ohne ihn zugleich zur Rache des Meineides aufzufordern, sobald wir falsch schwören. Herabgewürdigt und entweihet wird Gottes Name auch durch solche Eide, die zwar rechtmäßig, aber unnötig sind, weil man ihn in diesem Falle unnütz im Munde führt. Es ist also noch nicht genug, bloß vor dem Meineide sich zu hüten, sondern man muss auch bedenken, dass der Eid nicht zum Leichtsinn und Vergnügen erlaubt ist, sondern nur bei wichtigen Gelegenheiten und Veranlassungen abgelegt werden darf, und dass deswegen derjenige sich versündigt, der ihn unnötiger Weise fordert und leistet. Erforderlich ist der Eid aber nur in solchen Fällen, wo den Pflichten der Gottesfurcht und Nächstenliebe ein Genüge geschehen muss. Dagegen wird in unsern Tagen häufig gesündigt, wobei noch das Schlimmste ist, dass dieser Missbrauch des Eides, weil er zur Gewohnheit geworden, unter den Menschen nicht einmal für eine Sünde gilt; aber vor Gottes Richterstuhl bleibt er ein schweres Verbrechen. Denn oft entehrt man Gottes Namen auch in albernem Geschwätz, ohne dass man glaubt, dabei etwas zu tun, indem diese gottlose Vermessenheit, die hienieden ungestraft bleibt, den Menschen zur andern Natur geworden ist. Jedoch behält das Gebot des Herrn seine Gültigkeit, und die beigefügte Drohung: „der Herr wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen missbraucht“ – wird einst an den leichtsinnigen Übertretern in Erfüllung gehen. Eben so sündigen wir, wenn wir, statt bei dem Namen Gottes, bei seinen Knechten, den Heiligen schwören. Das ist eine offenbare Gottesverleugnung, weil ihm die Ehre entzogen, und den Kreaturen gegeben wird. Nicht ohne Absicht befiehlt daher der Herr (5 Mos. 6,13. 10,20.), bei seinem Namen zu schwören, und verbietet ausdrücklich (2. Mos. 23,13.), bei dem Eidschwur den Namen anderer Götter aus unserem Munde hören zu lassen. Dasselbe bezeugt auch der Apostel (Hebr. 6,13.16.): „die Menschen schwören bei einem Höhern, denn sie sind: Gott aber schwur bei sich selbst, da er bei keinem andern, der höher gewesen wäre, als er, schwören konnte“. Diese Beschränkung des Eides genügt den Wiedertäufern noch nicht, die vielmehr alle Eidschwüre verwerfen, weil sie glauben, dass Christus überhaupt das Schwören verboten habe, wenn er sprach (Matth. 5,34-37): „Ich sage euch, dass ihr allerdings nicht schwören sollt; eure Rede aber sei: Ja, Ja, Nein, Nein; was darüber ist, das ist vom Übel“. Aber auf diese Weise werden sie höchst unbedachtsam Christo ärgerlich, indem sie ihm den Vater entgegen-setzen, als ob er auf die Erde gekommen sei, um dessen Gebote aufzuheben. Denn der ewige Gott hat in seinem Gesetze den rechtmäßigen Eid nicht nur erlaubt, was schon Beweis genug für die Zulässigkeit desselben ist, sondern ihn sogar auch bei Angelegenheiten von Wichtigkeit geboten (2 Mos. 22,10.11.). Nun aber sagt Christus (Joh. 10,30. 5,36. 8,28. 7,16.): „Ich und der Vater sind Eins; ich tue nichts von mir selbst, sondern vollbringe das Werk, das mir der Vater aufgetragen hat: meine Lehre ist nicht mein, sondern deß, der mich gesandt hat“. Setzen sie also Gott nicht in Widerspruch mit sich selbst durch die Annahme, dass er wiederum verbiete und verwerfe, was er vordem in seinem Gesetze angeordnet hatte? Weil jedoch die Auslegung jener Worte Christi einige Schwierigkeit zu haben scheint, so will ich sie kürzlich erklären. Wir werden sie aber nur dann recht verstehen, wenn wir wohl erwägen, was Christus hier beabsichtigt. Er will das Gebot nicht aufheben oder einschränken, sondern in seinem wahren und wirklichen Sinne wieder darstellen, der durch die eigenmächtigen Zusätze der Schriftgelehrten und Pharisäer ganz verfälscht war. Bedenken wir das, so wird unmöglich unsere Meinung sein, dass Christus überhaupt alle Eide untersagt habe, sondern nur diejenigen, welche die Vorschrift des Gesetzes überschreiten. Aus seinen eigenen Worten sieht man, dass das Volk zu seiner Zeit sich bloß vor dem Meineide scheute, da doch das Gesetz nicht allein diesen, sondern auch alles unnütze und leichtfertige Schwören untersagt. Der Herr also, als der zuverlässigste Ausleger des Gesetzes, erklärt nicht nur den falschen Eid, sondern überhaupt das Schwören für Sünde. Welches Schwören? Das unnütze und leichtsinnige! Die im Gesetze verordneten Eide lässt er unberührt und frei. Um ihre Meinung zu verteidigen, berufen sie sich auf das Wort „Allerdings“ (überhaupt). Aber dieses ist nicht mit „schwören“, sondern mit den nachfolgenden Beteurungsformeln zu verbinden. Denn auch darin bestand ihr Irrtum, dass sie glaubten, Gottes Namen zu umgehen, wenn sie bei dem Himmel und bei der Erde schwuren. Indem nun der Herr diese betrüglichen Beteurungsformeln verbannt wissen will, so nimmt er ihnen jede Ausflucht, sich für schuldlos anzusehen, wenn sie, mit Übergehung des Namens Gottes, Himmel und Erde zu Zeugen anriefen. Denn auch dann schwören die Menschen bei Gott, wie ich hier gelegentlich anmerke, wenn sie seinen Namen nicht ausdrücklich nennen, sondern in gewissen Formeln verhüllen, wie wenn sie bei dem Lebenslichte, bei dem nährenden Brote, bei ihrer Taufe oder bei andern Pfändern der göttlichen Güte schwören. Und Christus verbietet das Schwören bei dem Himmel, bei der Erde und bei Jerusalem auch nicht als Aberglauben, wie Einige irrig meinen, sondern vielmehr um die Sophisterei derer zu widerlegen, welche es für keine Sünde hielten, mit solchen Eiden ihr betrügliches Spiel zu treiben, gleich als ob sie des heiligen Namens Gottes schonten, der doch allen seinen Gaben eingeprägt ist. Ein anderer Fall ist es, wenn ein Geschöpf, sei es ein verstorbener Mensch oder ein Engel, an Gottes Stelle gesetzt wird, wie unter den Heiden die hässliche durch Schmeichelei erzeugte Beteurungsformel – „bei dem Leben oder Genius des Königs“ – im Schwange ging: denn solche Vergötterung vermindert und verdunkelt die Ehre des ewigen Gottes. Da man aber bei Berufung auf den heiligen Namen Gottes keinen andern Zweck hat, als die Wahrheit seiner Aussagen zu bekräftigen: so sind alle unnötigen und leichtsinnigen Schwüre, wenn auch Gottes Name nicht geradezu genannt wird, ein Vergehen wider die ihm schuldige Ehrfurcht. Was solchem vermessenen Leichtsinn Vorschub tun kann, nimmt er hinweg, wenn er sagt: „ihr sollt allerdings nicht schwören.“ Dieselbe Absicht hat Jakobus (Jak. 5,12.): wenn er die angezogenen Worte Christi wiederholt, weil dieser Leichtsinn immer unter den Menschen herrschend war, wiewohl er eine Entweihung des göttlichen Namens bleibt. Denn wenn man das Wörtlein „überhaupt“ auf das Zeitwort „schwören“ bezieht, als ob jeder Eid ohne Ausnahme untersagt wäre: wozu dann die hinzugefügte Erklärung: „weder bei dem Himmel noch bei der Erde etc.“ Daraus erhellet genugsam, dass hier den Spitzfindigkeiten begegnet wird, womit die Juden ihre Trügerei zu beschönigen suchten. Aus so wichtigen Gründen ist es also keinem Zweifel mehr unterworfen, dass der Herr in jenen Worten nur die durch das Gesetz verbotenen Eide missbilligt. Denn er selbst, dessen Wandel das treue Abbild seiner Lehre war, trug kein Bedenken, einen Eid abzulegen (Matth. 26,63.64.), wo die Umstände es erforderten; und seine Jünger, die ihrem Meister in allem folgsam waren, sind ihm auch darin nachgefolgt. Wer möchte glauben, dass Paulus würde geschworen haben, wenn der Eid durchaus verboten gewesen wäre? Er aber, wo die Umstände es forderten, bedient sich unbedenklich eidlicher Versicherungen, oft mit ausdrücklicher Berufung auf Gott (2 Kor. 1,23. Röm. 1,9. Phil. 1,8.). Die Untersuchung ist jedoch noch nicht beendigt: denn Einige erklären bloß die öffentlichen oder gerichtlichen Eide für zulässig, wie z. B. solche, zu denen die Obrigkeit auffordert, oder welche Fürsten ablegen, wenn sie Bündnisse schließen, oder die das Volk leistet, wenn es dem Regenten Treue und Gehorsam schwört, und der Soldat, wenn er zum Kriegsdienst angezogen wird, und dem ähnliche. Dahin rechnen sie auch diejenigen Eide, deren sich Paulus in seinen Briefen bedient, um die Würde des Evangeliums zu behaupten, und das mit Recht, da die Apostel in ihrem Amte nicht Privatpersonen, sondern Diener Gottes sind. Und wahrlich, ich leugne nicht, dass man dergleichen Eide ohne das mindeste Bedenken ablegen könne, da sie das unzweideutige Zeugnis der Schrift für sich haben. Die Obrigkeit soll in schwer zu entscheidenden Fällen den Angeklagten auf den Eid ziehen, und dieser den Eid ablegen, welcher, wie der Apostel sagt, „zur Entscheidung alles Haders unter den Menschen dient“. Gottes Gebot rechtfertigt, was beide tun. Selbst die alten heidnischen Völker hielten den öffentlichen Eid in großen Ehren; aber die übrigen, im täglichen Leben gebrauchten Beteurungen waren ihnen etwas ganz Gleichgültiges, weil sie wahrscheinlich glaubten, dass die Gottheit um dieselben sich nicht bekümmere. Aber es möchte doch wohl allzu gewagt sein, solche außergerichtlichen Eide (Eide in Privatangelegenheiten) zu verwerfen, welche mit besonnenem Ernst und heiliger Ehrfurcht vor Gott in wichtigen Angelegenheiten und dringenden Fällen des täglichen Lebens abgelegt werden, da sie sich aus der Vernunft und aus Beispielen in der Schrift rechtfertigen lassen. Denn wenn Privatpersonen in wichtigen Fällen Gott zum Schiedsrichter zwischen sich anrufen dürfen; warum nicht auch als ihren Zeugen? Es kann mich mein Nächster ungerechter Weise der Treulosigkeit beschuldigen, und ich suche meine Unschuld darzutun, wie die Pflicht der Liebe es gebietet; aber er glaubt meinen Versicherungen nicht. Wenn nun durch seine beharrliche Feindschaft mein guter Ruf leidet, so kann ich ohne Scheu Gott, den heiligen und gerechten Richter, anrufen, dass er zur Zeit meine Unschuld ans Licht bringen möge. Wollen wir die Worte wägen, so ist es etwas Geringeres, Gott bloß zum Zeugen der Wahrheit anzurufen. Ich sehe also keinen Grund, warum in diesem Falle die Berufung auf Gott als Zeugen unerlaubt sein sollte. Auch sind davon mehrere Beispiele in der Schrift (1 Mos. 21,23. 26,28. 31,44-54. Ruth. 3,13. 1. König. 18,10.) vorhanden. Ist Abrahams und Isaaks Bund mit Abimelech als ein Fürstenbund zu betrachten, so waren doch wenigstens Jakob und Laban Privatpersonen, welche durch einen gegenseitigen Eid miteinander einen Vertrag abschlossen. Ein Privatmann war Boas, der sein Versprechen, die Ruth zu ehelichen, ebenfalls eidlich bekräftigte, und Obadja, ein frommer und gottesfürchtiger Mann, der dem Ahab eidlich versichert, dass er Elias Herz erweichen wolle. Die Pflichten, die wir in Absicht des Eides zu beobachten haben, sind also diese: wir müssen nicht leichtsinnig und unnötig, nicht aus Mutwillen oder in böser Absicht schwören, sondern, wenn es die Not erfordert, um Gottes Ehre und das Beste unseres Nächsten zu befördern, worauf das Gebot hinweiset. 

 

DAS VIERTE GEBOT. 

„Gedenke des Sabbattages, dass du ihn heiligest. Sechs Tage sollst du arbeiten, und alle deine Werke tun; aber am siebenten Tage ist der Sabbat des Herrn deines Gottes, Da sollst du keine Arbeit tun, noch den Sohn, noch deine Tochter, noch dein Knecht, noch deine Magd, noch dein Vieh, noch der Fremdling, der in deinen Toren ist. Denn in sechs Tagen hat der Herr Himmel und Erde gemacht, und das Meer und alles, was darinnen ist; und ruhete am siebenten Tage. Darum segnete der Herr den Sabbattag, und heiligte ihn.“ 

 

Der Zweck dieses Gebotes ist, dass wir eigenen Neigungen und Werken abgestorben, nach dem Reiche Gottes trachten, und in diesem Trachten nach seiner Vorschrift uns üben sollen. Weil es aber einen eigentümlichen und von den übrigen ganz verschiedenen Gegenstand behandelt, so bedarf es auch einer besondern Erläuterung. Die Alten pflegen dies Gebot ein vorbildliches zu nennen, weil es sich auf die äußerliche Feier eines Tages bezieht, welche samt den übrigen Vorbildern durch die Erscheinung Christi ist aufgehoben worden. Das ist zwar richtig, erschöpft aber die Sache nur zur Hälfte. Man muss also bei der Erklärung dieses Gebotes noch etwas tiefer eingehen, und folgende drei Vorschriften in demselben unterscheiden. Der himmlische Gesetzgeber wollte nämlich zuerst unter der Feier des siebenten Tages, dem Volke Israel die geistige Ruhe abbilden, womit die Gläubigen von ihren Werken feiern sollen, um Gott in sich wirken zu lassen. Zweitens verordnete er einen Tag, an welchem sie, um das Gesetz zu hören, und die in demselben vorgeschriebenen äußern Übungen zu vollbringen, sich versammeln, oder den sie wenigstens der besondern Betrachtung seiner Werke widmen sollten zur Übung in der Frömmigkeit. Drittens wollte Gott den Knechten und denen, die unter Anderer Herrschaft stehen, einen Ruhetag gönnen, an welchem sie sich von der Arbeit erholen könnten. Dass der Sabbat vorzüglich ein Bild der geistigen Ruhe sein sollte, dafür haben wir vielfältige Beweise: Die Beobachtung fast keines Gebotes hat der Herr nachdrücklicher gefordert. 4. Mos. 15,22. etc. 2. Mos. 35,2.3. Jer. 17,21-27. Wenn er durch die Propheten verkündigen lassen will, dass alle Gottesfurcht von dem Volke gewichen sei, so ist die Klage darüber, dass seine Sabbate befleckt, geschändet, nicht gehalten, nicht geheiligt werden; gleich als wenn er, wo dies unterbleibet, nicht anders verehrt und verherrlicht werden könne. Dahingegen wird die Heiligung des Sabbats vor allen hoch gepriesen. Jes. 56,2-7. Darum freuten sich auch die Gläubigen über keine Offenbarung Gottes so sehr, als über die Einführung des Sabbats. Denn also sprechen die Leviten in einer feierlichen Versammlung der ganzen Gemeine nach Nehemias Bericht, Cap. 9,14.: „Herr Gott, du hast unsern Vätern deinen heiligen Sabbat kund getan, und hast ihnen Gebote, einen äußerlichen Gottesdienst und ein Gesetz durch Mose gegeben.“ Daraus sieht man, wie das Gebot der Sabbatfeier unter allen Vorschriften des Gesetzes ihnen besonders teuer und wert war. Dies alles dient zur Empfehlung des Geheimnisses, welches Moses und Ezechiel so wunderschön darstellen. So heißt es im zweiten Buch Mose, Cap. 31,13. 14,16.17.: „haltet meinen Sabbat, denn derselbe ist ein Zeichen zwischen mir und euch, auf eure Nachkommen, dass ihr wisset, dass ich der Herr bin, der euch heiliget. So haltet meinen Sabbat, denn er ist euch heilig. Darum sollen die Kinder Israel den Sabbat halten, und ihn feiern mit ihren Nachkommen; er ist ein ewiger Bund zwischen mir und den Kindern Israel und ein ewiges Zeichen.“ Noch weitläufiger redet davon Ezechiel, C. 20,12. etc., wovon der Hauptinhalt ist: „die Sabbate seien Israel zum Zeichen gegeben, daran sie erkennen sollten, dass Gott es sei, der sie heiligt.“ Besteht nun aber unsere Heiligung vornehmlich in der Tötung des Eigenwillens, so ist das äußere Zeichen dem höhern geistigen Segen, der dadurch abgebildet werden sollte, vollkommen ähnlich. Wir müssen gänzlich ruhen, damit Gott in uns wirke, nämlich von unserm Willen abstehen, unser Herz hingeben, allen Lüsten des Fleisches entsagen. Endlich feiern müssen wir von allen Werken des eigenen Sinnes, damit wir, wenn nun Gott in uns wirket, in ihm Ruhe finden, wie auch der Apostel sagt, Hebr. 4,8-11. Jenes stetige Feiern wurde den Juden durch die Feier des siebenten Tages vorgehalten, und damit er von ihnen recht heilig gehalten würde, empfahl ihn der Herr durch sein eigenes Beispiel. Denn für den Menschen ist es ein mächtiger Anreiz, wenn er weiß, dass er dem Vorgange des Schöpfers nachfolgt. Sucht man in der Zahl sieben eine geheimnisvolle Bedeutung; so ist sie, da sie in der Schrift die Zahl der Vollendung ist, allerdings nicht ohne Absicht gewählt, um stetige Fortdauer zu bezeichnen. Dafür stimmt auch, dass Moses mit dem siebenten Tage, an welchem der Herr von allen seinen Werken ruhte, die Beschreibung der Reihenfolge der Tage und Nächte beschließt. Nicht zu verwerfen ist auch eine andere Deutung dieser Zahl, dass nämlich der Herr die vollkommene Sabbatsruhe andeuten wollte, die erst mit dem letzten Tage beginnt. Diese fangen wir in diesem Leben schon an, und schreiten in derselben täglich fort; aber weil der Kampf mit dem Fleisch hier nicht aufhört, so wird sie nicht eher vollendet werden, als bis in Erfüllung gegangen ist, was Jesaias 66,23. sagt, dass sich Neumond an Neumond, Sabbat an Sabbat anschließt, wenn nämlich Gott alles in allen sein wird, 1 Kor. 15,28. Der Herr könnte also durch den siebenten Tag seinem Volke die Vollendung seines Sabbats in der Ewigkeit abgebildet haben, damit es nach derselben durch ununterbrochene geistige Sabbatsübung sein Lebenlang trachte. Sollte man diese Deutung der Zahl sieben, als gesucht und gekünstelt, verwerfen, so habe ich nichts dagegen, die einfachere Erklärung zu wählen: der Herr habe einen bestimmten Tag verordnet, damit sich das Volk an demselben unter der Zucht des Gesetzes in dem Trachten nach einer unwandelbaren geistigen Ruhe üben lerne; und zwar den siebenten Tag, weil Gott entweder diesen schon für genügend hielt, oder durch Vorhaltung seines Beispiels das Volk anlocken oder wenigstens daran erinnern wollte, dass der Sabbat ihm ein Mittel zur Vollendung seiner Ähnlichkeit mit seinem Schöpfer sein sollte. Nur vergesse man nicht, dass hier absonderlich die ewige Ruhe von unsern Werken abgebildet werde, worauf die Juden oft von den Propheten aufmerksam gemacht wurden, damit sie die Sabbatfeier nicht bloß auf die leibliche Ruhe beschränken möchten. Außer den bereits angeführten Stellen hören wir noch bei Jesaias 58,13.: „So du deinen Fuß von dem Sabbat kehrest, dass du nicht tust, was dir gefällt, an meinem heiligen Tage, und der Sabbat dir ein lieblicher, dem Herrn heiliger und geweihter Tag ist, so dass du ihn feierst durch Ruhe von deinen Werken, und an demselben nicht gefunden werde, was deinem Herzen gelüstet noch törichtes Geschwätz: dann wirst du gesegnet sein in dem Herrn etc.“ Jedoch ist offenbar alles, was hier äußerlicher Gebrauch war, durch die Zukunft Christi aufgehoben. Denn er ist die Wahrheit, vor deren Erscheinung alle Vorbilder verschwinden, der Körper, bei dessen Anblick man die Schatten verlässt. Er selbst ist die wahre Vollendung des Sabbats. Durch die Taufe mit ihm begraben, sind wir ihm einverleibt zur Teilnahme an den Früchten seines Todes, so dass wir seiner Auferstehung teilhaftig, in einem neuen Leben wandeln. Röm.6,4.5. Deswegen sagt der Apostel, Kol. 2,16.17.: „der Sabbat sei der Schatten der zukünftigen Güter gewesen, aber der Körper selbst in Christo“, d. i. das eigentliche Wesen der Wahrheit, welche er daselbst trefflich entwickelt. Dieser genüget nicht ein Tag, sondern sie fordert unser ganzes Leben, bis wir uns selbst gänzlich abgestorben von Gottes Leben erfüllt werden. Unter Christen darf also keine abergläubische Unterscheidung der Tage herrschen. Die zwei letztern, im Gesetze enthaltenen, Vorschriften gehören jedoch nicht zu den Vorbildern des alten Bundes, sondern bleiben für alle Zeiten gültig: denn wenn auch der jüdische Sabbat abgeschafft ist, so müssen wir doch noch jetzt an gewissen Tagen uns gemeinschaftlich zu Anhörung des Wortes, zum heiligen Brotbrechen, und zum öffentlichen Gebet versammeln, desgleichen den Dienenden Erholung von der Arbeit gewähren. Dass der Herr beides durch das Gebot der Sabbatfeier beabsichtigte, leidet keinen Zweifel. Für das erstere zeugt schon genügend der Gebrauch bei den Juden. Das zweite bekräftigt Moses mit diesen Worten, 5 Mos. 5,14.15.: „auf dass dein Knecht und deine Magd ruhe, gleich wie du, denn du sollst bedenken, dass auch du Knecht in Ägypten warest“. Wiederum sagt er, 2 Mos. 23,12.: „auf dass dein Ochs und Esel ruhe, und deiner Magd Sohn sich erquicke“. Wer wollte es leugnen, dass beides uns eben so gelte, als den Juden? Auch die kirchlichen Zusammenkünfte werden uns in Gottes Wort geboten, und wie notwendig sie sind, erhellet genugsam aus der Erfahrung. Aber wie können sie ohne bestimmte Anordnung und Festsetzung gewisser Tage regelmäßig gehalten werden? Alles soll schicklich und ordentlich unter uns zugehen, wie der Apostel sagt, 1 Kor. 14,40.; das kann aber ohne jene Anordnung und Bestimmung nicht erreicht werden, da wenn solche aufgehoben würde, der Kirche Verwirrung und Untergang unvermeidlich bevorstände. Wenn wir einerlei Bedürfnisse mit den Juden haben, für welche der Herr den Sabbat verordnet hatte, so kann Niemand sagen, dass er uns nicht angehe. Denn der sorgsame und gütige Vater im Himmel berücksichtigte dabei ebenso unsere als der Juden Bedürfnisse. Man könnte sagen: warum versammeln wir uns nicht lieber täglich, um so den Unterschied der Tage aufzuheben? Möchte es nur geschehen! Die himmlische Weisheit verdiente es wohl, ihr täglich einen Teil unserer Zeit zu widmen. Aber wenn es die Schwachheit Vieler nicht zulässt, tägliche Zusammenkünfte zu halten, und wir auch von ihnen, ohne Lieblosigkeit, nicht mehr fordern können: warum wollten wir uns nicht in die Ordnung fügen, die von Gott uns angewiesen ist? Ich muss hier etwas umständlicher sein, weil wegen des Sonntags einige unruhige Geister in unsern Tagen viel Lärm erheben. Das Christenvolk klagen sie, werde durch die beibehaltene Feier gewisser Tage in dem Judentume erhalten. Ich behaupte dagegen, dass diese Tage ohne Judentum von uns gefeiert werden, und dass wir hierin uns von den Juden völlig unterscheiden. Denn wir feiern sie nicht mit der ängstlichsten Gewissenhaftigkeit als eine Ceremonie, durch welche uns ein geistiges Geheimnis vorgebildet werde, sondern nehmen sie als Mittel die kirchliche Ordnung zu erhalten. Aber, erwidert man, Paulus sagt doch, Kol. 2,16.: es dürfe Niemand den Christen wegen Nichtbeobachtung der jüdischen Feiertage Vorwürfe machen, da sie nur ein Schatten des Zukünftigen waren. Er fürchtet deswegen, unter den Galatern vergeblich gearbeitet zu haben, weil sie sich noch an die Feier gewisser Tage hielten. Gal. 4,10.11. In dem Brief an die Römer 14,5. erklärt er es für Aberglauben, wenn Jemand zwischen den Tagen einen Unterschied mache. Aber wer könnte, außer jenen Schwärmern, den Sinn des Apostels verkennen? Nicht zur Erhaltung der kirchlichen Verfassung und Ordnung behielten sie die Feier jener Tage bei, sondern als Vorbilder geistiger Güter, und verdunkelten so die Herrlichkeit Christi und das Licht des Evangeliums. Von ihren Arbeiten ruhten sie nicht deswegen, weil diese die Erbauung und Andacht verhindern, sondern weil sie noch von Vorbildern geistiger Geheimnisse träumten. Gegen diese abergläubische Unterscheidung der Tage eifert der Apostel, nicht gegen eine solche Feier, welche den Frieden in der christlichen Kirche fördert. Dazu wurde in den von ihm gestifteten Gemeinden der Sabbat beibehalten; denn er empfiehlt den Korinthern, 1 Kor. 16,2., an diesem Tage eine milde Beisteuer für die armen Christen in Jerusalem zu sammeln. Besorgt man Aberglauben, so war dieser bei der Feier des jüdischen Sabbats mehr zu befürchten, als bei dem Sonntag der Christen: denn um Aberglauben zu verhüten, wurde jener abgeschafft, und dafür ein anderer Feiertag verordnet, wie es zur Erhaltung der Zucht, der Ordnung und des Friedens in der Kirche notwendig war. Absichtlich haben die Alten den Sonntag oder des Herrn Tag gewählt; denn da die wahre Ruhe, welche durch den jüdischen Sabbat vorgebildet wurde, in der Auferstehung des Herrn ihr Ziel und ihre Vollendung empfing, so erinnert schon dieser Tag, an welchem die Vorbilder ein Ende nahmen, die Christen, dem Schattenwesen nicht ferner zu huldigen. Übrigens halte ich die Feier des siebenten Tages nicht für unabänderlich notwendig in der christlichen Kirche, und tadle keine Gemeine, welche zu ihren gottesdienstlichen Versammlungen andere Tage wählt, wenn es nur ohne Aberglauben geschieht, bloß zur Erhaltung frommer Zucht und Ordnung. Die Hauptsache sei uns folgende: Wie den Juden unter Vorbildern die Wahrheit gegeben wurde, so wird sie uns ohne Schatten dargeboten: erstens, dass wir unser ganzes Leben als einen Sabbat betrachten und von unsern Werken feiern sollen, damit der Herr durch seinen Geist in uns wirke; zum andern, dass Alle durch fromme Betrachtung der Werke Gottes, so viel möglich, in der Stille sich erbauen, aber auch den kirchlichen Versammlungen fleißig beiwohnen, um das Wort zu hören, die Sakramente zu gebrauchen, und gemeinschaftlich zu beten; drittens, dass wir unsere Untergebenen nicht unmenschlich behandeln. So verschwinden die Possen der Lügenpropheten, die in vorigen Jahrhunderten dem Volke jüdische Grundsätze beibrachten, indem sie lehrten, dass nur das Ceremonielle in diesem Gebote, die Schätzung des siebenten Tages, wie sie es nannten, abgeschafft sei, das Moralische aber, nämlich die Feier eines Tages in der Woche, bestehe. Das heißt aber nichts weiter, als den Juden zum Verdruss die äußere Feier des Tages ändern, ihm aber fortan denselben Wert beilegen. Auf diese Weise bliebe uns dieselbe geheimnisvolle Unterscheidung der Tage, wie sie bei den Juden stattfand. Welche verderbliche Folgen das aber habe, kann man bei denen sehen, die solchen Grundsätzen anhangen, denn diese begehen den Sabbat noch weit fleischlich gröber und abergläubischer, als die Juden, so dass die Strafrede des Jesaias 1,13. auf sie jetzt noch eben so passt, als auf die Zeitgenossen des Propheten. Übrigens ist hier wohl zu merken, dass wir die gottesdienstlichen Versammlungen, damit die Religion unter uns nicht versinke oder erschlaffe, fleißig besuchen, und überhaupt auch im Äußerlichen nichts fehlen lassen dürfen, was die Gottesverehrung erheben kann. 

 

DAS FÜNFTE GEBOT. 

„Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf dass du lange lebest im Lande, das dir der Herr dein Gott gibt.“ 

 

Der Zweck dieses Gebots ist: es liegt Gott dem Herrn an der Aufrechthaltung seiner Ordnung, weshalb wir die von ihm ausgezeichneten Stände in Ehren halten müssen. Es schärft also überhaupt ein, allen unsern Vorgesetzten Ehrfurcht, Gehorsam und Dankbarkeit zu beweisen. Daraus folgt das Verbot, ihr Ansehn durch Unehrerbietigkeit, Ungehorsam und Undank herabzuwürdigen. Denn diese vielumfassende Bedeutung hat das Wort „Ehre“ in der Schrift. Wenn der Apostel z. B. sagt 1 Tim. 5,17.: „die Ältesten, welche ihr Vorsteheramt in der Gemeine gut verwalten, sind zwiefacher Ehre wert“ – so versteht er das nicht bloß von der ihnen schuldigen Ehrfurcht, sondern auch von der Belohnung, die ihnen für ihre Amtsführung gebührt. Weil sich aber gegen dieses Gebot des Gehorsams der Stolz des Menschen erhebt, der aufgeblasen von Hochmut sich ungern Andern unterwirft: so ward der von Natur liebenswürdigste und dem Neide am wenigsten ausgesetzte Hoheitsstand, nämlich der Eltern, als Muster ausgehoben, weil durch Anerkennung ihres Vorrangs unser Gemüt am leichtesten zu Gehorsam und Folgsamkeit erweicht und gewöhnt werden konnte. Durch dieses Gebot des leichtlich zu leistenden kindlichen Gehorsams sucht uns also der Herr allmählich zu jeder Art von Folgsamkeit zu gewöhnen, wozu überall gleiche Verbindlichkeit statt findet. Denn Allen, welchen er einen höhern Stand angewiesen, teilet er, sofern es nötig ist, um ihr Ansehen zu erhalten, seinen Namen mit. Die Benennungen „Vater, Gott, Herr“ – sollen, so oft wir sie hören, mit dem Gefühl der damit verbundenen Majestät unsere Herzen erfüllen. Die also dieselben führen, verherrlicht der Herr durch seinen Glanz, damit sie allesamt die ihrem Range zukommende Hochachtung empfahen. Also wer uns Vater ist, in dem haben wir etwas Göttliches anzuerkennen, weil er den göttlichen Ehrennamen nicht ohne Ursach trägt. Wer Fürst oder Herr ist, wird gewisser-maßen der Gott schuldigen Ehre teilhaftig. Nach diesen Bemerkungen ist es unleugbar, dass der Herr hier die allgemeine Vorschrift erteilt, einem jeden, der nach göttlicher Ordnung unser Vorgesetzter ist, Ehrerbietung, Gehorsam, Dankbarkeit und was wir sonst ihnen schuldig sind, zu erweisen. Es macht keinen Unterschied, ob sie würdig oder unwürdig sind, die zu einem solchen ausgezeichneten Range erhoben werden: denn mögen sie beschaffen sein, wie sie wollen, so sind sie doch nicht ohne Gottes Bestimmung zu der Würde gelangt, wegen welcher der Gesetzgeber selbst sie von uns geehrt haben will. Namentlich handelt das Gebot aber von der Ehrfurcht gegen die Eltern, durch welche wir dieses Leben empfingen, und dazu muss schon das natürliche Gefühl uns hinziehen. Denn Ungeheuer sind es, nicht Menschen, die das elterliche Ansehen durch Schmähung oder Trotz vernichten. Darum gebietet der Herr, alle halsstarrigen und ungehorsamen Kinder, als des Lebens unwürdig, zu töten, weil sie diejenigen vergessen, denen sie dasselbe verdanken. Aus einigen Zusätzen zu dem Gesetze lernt man, dass hier, wie schon bemerkt ist, absonderlich drei Pflichten eingeschärft werden, Ehrerbietigkeit, Gehorsam und Dankbarkeit. Die erste Pflicht macht der Herr unverletzlich, indem er dem die Todesstrafe androht, wer Vater oder Mutter flucht, 2 Mos. 21,17., 3 Mos. 20,9., vergl. Sprüchw. 20,20., 30,17., wo er also Beschimpfung und Misshandlung der Eltern verdammt. Die zweite Pflicht ist von derselben Drohung (5 Mos. 21,18-21.) an ungehorsame und widerspenstige Kinder begleitet. Zur dritten gehört, was Christus sagt, Matth. 15,4.: „Gott hat geboten, wir sollen den Eltern wohltun.“ Und so oft der Apostel dieses Gebot erwähnt, Eph. 6,1.3., Kol. 3,20., erinnert er, dass in demselben Gehorsam gefordert werde. Dem Gebote ist eine Verheißung beigefügt, um uns zu erinnern, wie sehr diese uns gebotene Folgsamkeit Gott wohlgefällig sei. Ein solcher Stachel unsere Trägheit zu erwecken ist es, wenn Paulus sagt Ephes. 6,7.: „das sei das erste Gebot, das die Verheißung habe“. Denn die der ersten Gesetztafel vorangestellte Verheißung bezieht sich nicht auf ein Gebot, sondern auf das ganze Gesetz. Die gegenwärtige ist so zu verstehen: der Herr redet insbesondere zu den Israeliten von dem Lande, das er ihnen als Erbteil zugesichert hatte. War also der Besitz dieses Landes das Unterpfand der göttlichen Huld: so dürfen wir uns nicht wundern, wenn der Herr seine Gnade durch die Zusage eines langen Lebens verkündigen wollte, da dieses zu einem langen Genusse seiner Wohltaten verhalf. Der Sinn dieses Gebotes ist also: „ehre Vater und Mutter, auf dass du lange im Besitze des Landes bleibst, welches du zum Beweise meiner Gnade erhalten wirst“. Weil indessen die ganze Erde für die Gläubigen gesegnet ist, so zählen wir mit Recht das gegenwärtige Leben unter die Segnungen Gottes. Deswegen bezieht sich diese Verheißung auch auf uns, in sofern nämlich die lange Lebensdauer hienieden uns ein Zeugnis der göttlichen Güte ist. Denn langes Leben wird eben so wenig uns, als früherhin den Juden in dem Sinne verheißen, als ob es eine Seligkeit an sich enthielte, sondern weil es den Frommen ein Zeichen göttlicher Langmut zu sein pflegt. Wenn daher ein gehorsames Kind in früher Jugend stirbt, wie es oft geschieht: so macht der Herr dennoch seine Verheißung so wahr, als wenn er Jemanden mit hundert Morgen Landes beschenkte, dem er nur einen versprochen hatte. Der Hauptpunkt, worauf wir hiebei zu merken haben, besteht darin, dass langes Leben nur in so weit verheißen wird, als es ein Segen Gottes ist, dass es aber ein Segen sei, in sofern es ein Beweis der göttlichen Gnade ist, welche er in dem Tode seinen Knechten noch unendlich herrlicher bezeugt und durch die Tat selbst erweiset. Indem der Herr in dem gegenwärtigen Leben solchen Kindern Segen verheißt, die ihre Eltern gebührend ehren, so verkündigt er dagegen allen widerspenstigen und ungehorsamen Kindern den Fluch, und damit die Vollziehung nicht fehle, belegt er sie in seinem Gesetze mit der Todesstrafe. Wenn sie der Strafe der weltlichen Obrigkeit entgehen, so ahndet er selbst an ihnen den Ungehorsam auf vielfältige Weise: denn viele derselben kommen im Kriege oder Streithändeln um, andere geraten in schwere Drangsale; aber fast an allen haben wir den Beweis, dass es mit jener Drohung ernstlich gemeint sei. Wenn auch einige ein hohes Alter erreichen, so darf man nicht glauben, dass sie des Segens teilhaftig werden, der frommen Kindern verheißen ist: denn von Gottes Segen ausgeschlossen, quälen sie sich durch das Leben, und werden für desto schwerere Strafen in der Zukunft aufbewahrt. Aber auch das muss im Vorbeigehen bemerkt werden, dass wir ihnen nicht anders als in dem Herrn gehorchen sollen; wie aus dem zuvor dargelegten Grunde leichtlich erhellt. Denn sie herrschen auf der Stelle, zu welcher der Herr sie erhob, nur durch die ihnen erteilte Gemeinschaft an seiner Ehre. Es darf ihnen also kein anderer Gehorsam bewiesen werden, als der zur Verherrlichung des himmlischen Vaters gereicht. Wollen sie uns daher zur Übertretung des göttlichen Gesetzes überreden, so können wir sie nicht mehr als unsere Eltern ansehen, sondern als Fremde, die uns von dem Gehorsam abzubringen suchen, den wir dem wahrhaftigen Vater im Himmel zu leisten verbunden sind. Ebenso verhält es sich auch mit Fürsten, Herren und allen Obern. Denn unwürdig und widersinnig wäre es, wenn ihre Erhebung zur Verminderung der Ehre Gottes sich geltend machen wollte, da jene von dieser unabhängig, uns eben zu dieser hinleiten soll. 

 

DAS SECHSTE GEBOT. 

„Du sollst nicht töten.“ 

 

Der Zweck dieses Gebotes ist: da Gott das Menschengeschlecht zu einer Art von Einheit verbunden hat, so muss die Erhaltung Aller einem jeden am Herzen liegen. Es wird uns also jede Gewalttat und jeder Frevel, überhaupt alles untersagt, was dem Leben unseres Nächsten schädlich werden kann, und dagegen geboten, zur Erhaltung seines Lebens nach unserem besten Vermögen beizutragen, seine Ruhe und Zufriedenheit zu befördern, Schaden von ihm abzuwenden, in Nöten und Gefahren ihm Hilfe und Beistand zu leisten. Beherzigen wir, dass Gott der Gesetzgeber also rede, so werden wir erkennen, dass er durch diese Vorschrift unsere Seelen regieren wolle. Denn es wäre offenbar lächerlich, zu glauben, dass der, welcher unsere Gedanken erforscht, und vornehmlich auf das Herz siehet, bei der Anweisung zur wahren Frömmigkeit nur den äußern Menschen berücksichtige. Er untersagt uns in diesem Gebote also auch den Totschlag des Herzens, und gebeut die innere Neigung das Leben des Bruders zu erhalten. Zwar die Hand gebiert den Mord, aber die Seele, von Zorn und Hass ergriffen, empfängt ihn. Kannst du gegen deinen Bruder zürnen, ohne von Begierde ihm zu schaden zu entbrennen? Ohne Zorn kein Hass; denn Hass ist nichts anders, als eingewurzelter Zorn. Magst du ihn verbergen; wo Zorn oder Hass ist, da wohnt die boshafte Neigung. Jede Ausweichung entkräftet des Geistes Ausspruch (1 Joh. 3,15.): „wer seinen Bruder hasse, sei ein Totschläger“. Und Christus lehrt (Matth. 5,22.): „wer mit seinem Bruder zürne, sei des Gerichts: wer zu seinem Bruder sage: Racha, sei des Rats; wer aber sage: du Narr, des höllischen Feuers schuldig“. Die Schrift führt einen doppelten Rechtsgrund an, worauf dieses Gebot beruhet: der Mensch ist Gottes Bild, und unser Fleisch. Wollen wir nun das Ebenbild Gottes nicht verderben, noch alles menschliche Gefühl verleugnen: so müssen wir auch jenen heilig halten und wie unser eigenes Fleisch ihn achten. Von der Verpflichtung, welche aus der Erlösung und Gnade Christi herfließt, wird nachher (im 3. u. 4. Buch) die Rede sein. Der Herr hat gewollt, dass wir, der Natur gemäß, jene beiden benannten Stücke in dem Menschen beachten, die uns anleiten, ihm wohlzutun, nämlich dass wir in einem jeden sein ihm eingeprägtes Ebenbild ehren und unser eigen Fleisch lieben. Derjenige ist also noch nicht von Blutschuld frei, der kein Blut vergossen hat. Wenn du etwas unternimmst und vollbringst, wünschest und beschließest, was der Wohlfahrt deines Nächsten entgegen ist, bist du des Totschlages schuldig. Ferne wenn du solche nicht, wie und wo du kannst, zu befördern suchst, so ist auch diese Härte Übertretung des Gesetzes. Haben wir aber für die Erhaltung und Beförderung des leiblichen Wohls Anderer so große Sorge zu tragen: so erhellet daraus, wie viel unsererseits zum Heile ihrer Seele geschehen müsse, welche in Gottes Augen einen unendlich höhern Wert hat. 

 

DAS SIEBENTE GEBOT. 

„Du sollst nicht ehebrechen.“ 

 

Der Zweck dieses Gebotes ist: weil Gott Keuschheit und Reinheit liebt, so sollen wir alle Unreinigkeit von uns ferne sein lassen. Es verbietet also jede Befleckung und unordentliche Lust des Fleisches, und gebietet Keuschheit und Enthaltsamkeit in allen Dingen. Namentlich wird aber Hurerei, zu welcher alle Lust hinneigt, verboten, damit wir an diesem Laster, dessen Hässlichkeit auch durch Befleckung des Leibes äußerlich sichtbar wird, alle Lüste verabscheuen lernen. Der Mensch ist so geschaffen, dass er nicht ein einsames Leben führen, sondern fremder Hilfleistung sich bedienen soll. Durch den Fluch der Sünde ist ihnen dieses ein noch dringenderes Bedürfnis geworden. Diesem hat aber der Herr durch Anordnung des Ehestandes sattsam abgeholfen, und solche Verbindung, wenn wir nach seinem Willen sie schließen, mit seinem Segen geheiligt. Daraus ergibt sich, dass auf jeder andern Verbindung außer der Ehe Gottes Fluch ruhet, und dass der Ehestand von ihm als Mittel verordnet sei, um den Ausbruch unordentlicher Lüste zu verhindern. Ferne sei also jede Beschönigung, da wir hören, dass eine Vermischung des Mannes mit dem Weibe außer der Ehe ohne Gottes Fluch nicht stattfinden könne. Da nun sowohl die Beschaffenheit unserer Natur als die nach dem Sündenfall erwachte Fleischeslust die eheliche Verbindung für alle notwendig macht, welche Gottes besondere Gnade nicht davon ausgenommen hat; so mag ein jeglicher sehen, was ihm gegeben ist. Ehelosigkeit ist nicht zu verwerfen; aber weil sie einigen versagt, andern nur eine Zeitlang vergönnt ist: so mögen diejenigen, welche von fleischlichen Begierden gequält werden, und dieselben nicht unterdrücken können, zur Ehe schreiten, um so auf dieser Stufe ihres Berufs einen züchtigen Wandel zu führen. Denn die, welche dieses Wort nicht fassen, und ihrer Unenthaltsamkeit nicht auf diese Weise abzuhelfen suchen, widerstreben Gott und seiner Ordnung. Es wende mir hier Niemand ein, wie es heut zu Tage von vielen geschieht, dass man mit Gottes Hilfe alles vermöge. Denn Gottes Beistand haben nur diejenigen, welche in seinen Wegen wandeln, d. i. wie der Herr sie berufen hat. Diesem Berufe entziehen sich aber alle, welche die angebotene göttliche Hilfe verschmähen, und in törichter Vermessenheit versuchen, ihre sinnlichen Begierden zu bekämpfen. Dass Enthaltsamkeit eine besondere Gabe Gottes sei, und nicht allen, sondern nur wenigen Christen zugeteilt werde, versichert unser Herr selbst, wenn er spricht (Matth. 19,11.12.): „Manche enthalten sich des Ehestandes um des Himmelreichs willen“, d. h. um desto ungestörter und freier für das Himmelreich wirken zu können. Aber damit man nicht glaube, dass solche Enthaltsamkeit in des Menschen Vermögen stehe, hatte er kurz vorher gesagt: „nicht alle seien dazu fähig, sondern nur die, denen es vom Himmel vorzugsweise gegeben ist“. Und so schließt er mit den Worten: „Wer es fassen kann, der fasse es“. Noch deutlicher schreibt Paulus (1 Kor. 7,7): „Ein jeglicher habe seine eigene Gabe von Gott, einer sonst, der andere so“. Da solche deutliche Aussprüche der Schrift beweisen, dass nicht ein jeglicher ohne Ehe die Keuschheit bewahren könne, wie eifrig er sich auch darum bemühet, sondern nur Einige durch die besondere Gnade des Herrn es vermögen, um desto ungestörter sein Werk zu fördern: so widerstreben wir Gott und seiner Ordnung, wenn wir bei der Wahl zwischen dem ehelosen und ehelichen Stande nicht unsere Kräfte berücksichtigen. Hier untersagt der Herr Hurerei, und fordert also von uns Reinheit und Keuschheit. Um dieser Forderung zu genügen, hat jeder seine Fähigkeit zu prüfen. Niemand verachte geradezu den Ehestand als etwas Nutzloses und Überflüssiges, Niemand wähle die Ehelosigkeit, außer wenn er des Weibes entbehren kann. Auch muss uns dazu nicht die Schwäche der sinnlichen Triebe nach Gemächlichkeit bestimmen, sondern allein der Gedanke, dass wir frei von diesem Bande desto ungehinderter Gott dienen können. Und weil diese Wohltat vielen nur auf eine Zeitlang vergönnt ist, so darf der Mensch nicht länger unverehelicht bleiben, als er dazu tüchtig ist. Kann er seine sinnlichen Begierden nicht mehr beherrschen, so erkenne er darin einen Aufruf zur Ehe, der abseiten des Herrn an ihn ergeht. Diese Beziehung hat die Ermahnung des Apostels (1 Kor. 7,2.9.): „Zur Vermeidung der Hurerei habe ein jeglicher sein eigen Weib, und ein jegliches Weib habe ihren eigenen Mann“ – und in einer andern Stelle: „Wer zur Enthaltsamkeit nicht geschickt ist, der möge im Namen des Herrn den Ehebund schließen“. Zuerst beschuldigt er die meisten Menschen der Unenthaltsamkeit, und darnach fordert er ohne Ausnahme jeden von diesen auf, durch die eheliche Verbindung sich vor der Unkeuschheit zu sichern. Machen also die Unenthaltsamen von diesem Mittel, ihren Leiden-schaften zu steuern, keinen Gebrauch: so ist das ein strafbarer Ungehorsam gegen die Ermahnung des Apostels. Und halte sich keiner etwa deswegen für frei von Unkeuschheit, weil er kein Weib berührt hat, wenn dagegen sein Herz von Lust entbrennt; denn die Keuschheit besteht nach Paulus in Reinheit zugleich des Leibes und der Seele. Die Jungfrau, welche nicht freiet – sagt er (1 Kor. 7,34.) – „besorget, was dem Herrn angehöret, dass sie heilig sei beides am Leibe und auch am Geiste“. Zur Bekräftigung obiger Behauptung sagt er nicht bloß, es sei besser, sich zu verehelichen, als sich mit Hurerei beflecken, sondern sich verehelichen sei besser, als Brunst leiden. Bedenken Gatten ferner, dass die Ehe ein von dem Herrn geheiligter Stand ist, so liegt darin für sie eine Warnung, dieselbe durch unmäßige und zügellose Lust nicht zu beflecken. Zwar verbirgt die eheliche Verbindung alle Wollust vor den Augen der Welt; aber das darf uns keinesweges reizen, ihr uns ohne Scheu zu ergeben. Darum müssen Ehegatten nicht glauben, dass ihnen alles erlaubt sei, sondern sie müssen ehrbar bei einander wohnen, und nichts sich verstatten, was diesen heiligen Stand entweihet. Mäßigkeit und Züchtigkeit geziemt dem in dem Herrn geschlossenen Ehebunde, nicht aber Ausschweifung und Wollust. Ambrosius (Anm.: In der Schrift de philosophia, die Augustin zitiert in seinem Buch contra Julianum) bezeichnet solche Zuchtlosigkeit mit einem harten, aber nicht unangemessenen Ausdruck, wenn er den, welcher in der Ehe Zucht und Scham außer Augen setzt, einen Ehebrecher seines Weibes nennt. Endlich dürfen wir nicht vergessen, welcher Gesetzgeber die Hurerei verdammt, nämlich er, der uns ganz zu seinem Eigentum haben muss, und mit Recht Reinheit der Seele und des Leibes von uns fordert. Indem er also Hurerei verwirft, so untersagt er zugleich, durch wollüstigen Anzug unzüchtige Gebärden und Worte der Keuschheit Anderer Schlingen zu legen. Denn was Archelaus (griechischer Philosoph) zu einem üppig und wollüstig gekleideten Jünglinge sagt: „Es sei einerlei, an welchem Teile des Leibes er als Weichling sich zeige“ – ist ganz wahr, wenn wir auf Gott sehen, der an aller Befleckung, sie mag an der Seele oder am Körper sich zeigen, einen Abscheu hat. Dass Niemand daran zweifle, so bedenke man, dass der Herr hier Keuschheit fordere. Fordert er diese, so verdammt er zugleich alles, was ihr entgegen ist. Wollen wir also Gehorsam üben: so darf die Seele nicht von innerer Lust entbrennen, die Augen nicht lüstern nach dem Verbotenen schauen, der Leib nicht kupplerisch sich schmücken und gebärden, die Zunge nicht durch unflätige Worte zu gleichen Lüsten locken, und der Gaumen durch Unmäßigkeit solche nicht entflammen. Denn alle die Verderbtheiten sind gleichsam Flecken, welche die reine Keuschheit besudeln. 

 

DAS ACHTE GEBOT. 

„Du sollst nicht stehlen.“ 

 

Der Zweck dieses Gebotes ist: weil Gott Ungerechtigkeit verabscheut, so sollen wir einem Jeden das Seinige lassen und geben. Verboten wird also die Begierde nach fremdem Eigentume, und geboten, für die Erhaltung desselben eifrige Sorge zu tragen. Denn hier muss uns der Gedanke leiten: was Andere besitzen, haben sie nicht durch ein Ungefähr, sondern aus der gütigen Vaterhand des Herrn über alles erhalten; gegen ihn und die göttliche Ordnung übet man also Betrug, wenn man sich an des Nächsten Vermögen vergreift. Es gibt aber mehrere Arten von Diebstahl. Dazu gehört: gewaltsamer Einbruch und Raub, arglistiger Betrug, der Andere in die Falle lockt, versteckte List und Tücke zur Beeinträchtigung des Nächsten unter dem Scheine des Rechts, Schmeicheleien, wodurch man Schenkungen erschleicht. Um jedoch bei Aufzählung der mancherlei Diebereien nicht zu lange zu verweilen, erinnere ich, dass alle Kunstgriffe und Ränke, durch welche Menschen, die ihren Nächsten, statt aufrichtig zu lieben, hintergehen, und auf seinen Schaden denken, sein Geld und Gut an sich zu bringen wissen, als Diebstahl anzusehen sind. Mögen sie im gerichtlichen Streit gewinnen, vor Gott werden sie anders gerichtet. Er kennt die Ränke, womit der Verschlagene die truglose Einfalt umstrickt und in sein Netz ziehet. Er siehet die harten Auflagen und Gesetze, wodurch Obrigkeiten die Untertanen unnatürlich belasten und zur Verzweiflung bringen. Er siehet die Tücke, womit der Arglistige den Einfältigen, wie mit Angeln, anködert. Er weiß alles, was oft der Kenntnis des weltlichen Richters entgeht. Und solches Unrecht findet nicht bloß statt in Geld, Waren, Äckern; sondern in eines jeden Recht. Schon in dem Falle handeln wir betrüglich an den Nächsten, wenn wir ihm die schuldigen Dienstleistungen verweigern. Verringert ein Verwalter seines Herrn Vermögen durch Nachlässigkeit und Verwahrlosung der Wirtschaft; veruntreuet oder verschwendet ein Haushalter die ihm anvertrauten Güter; erlaubt sich ein Diener gegen seinen Herrn Frechheit, plaudert er seine Geheimnisse aus, oder tut er irgend etwas, was dem Leben und Wohlstande desselben schadet; behandelt der Herr dagegen das Gesinde hart und unmenschlich: so ist er in Gottes Augen des Diebstahls schuldig. Denn derjenige begeht einen Eingriff in die Rechte Anderer, der das nicht leistet, was er nach seinem Berufe andern schuldig ist. Der Forderung dieses Gebotes geschieht also ein Genüge, wenn wir erstens, zufrieden mit dem uns beschiedenen Lose, nur erlaubten Gewinn suchen, uns nicht auf eine unrechtmäßige Weise bereichern, des Nächsten Wohlstand nicht zerstören, um den unsrigen zu vergrößern, Andern ihren sauer erworbenen Verdienst nicht abpressen, noch endlich unter den Seufzern und Verwünschungen der Armut, auf alle ersinnliche Weise, auch durch unerlaubte und sündliche Mittel, Reichtümer zusammen scharren, um entweder unsere Habsucht oder Verschwendung zu befriedigen. Dagegen müssen wir aber auch zweitens jedermann, nach unserem besten Vermögen, durch Rat und Tat sein Eigentum zu sichern suchen, und wenn wir mit treulosen und arglistigen Menschen zu tun haben, lieber von dem Unsrigen etwas aufopfern, als uns mit ihnen in Streit einlassen. Wenn wir drittens den Nächsten in Not und Verlegenheit sehen, so müssen wir uns seiner annehmen, und von unserem Überflusse seinem Mangel abhelfen. Endlich sei jeder der besondern Verpflichtung eingedenk, die er in seinen Verhältnissen gegen Andere zu beobachten hat, und erfülle sie treu und redlich. So ehre das Volk die Obrigkeit, unterwerfe sich willig ihrer Herrschaft, gehorche ihren Gesetzen und Befehlen, und verweigere ihr keinen Dienst, welchen er unter Gottes Beistande leisten kann. Wiederum sorge die Obrigkeit eifrigst für die Wohlfahrt des ihrer Leitung anvertrauten Volkes, erhalte die öffentliche Ruhe, beschütze die Guten, bestrafe die Bösen, und gedenke stets an die Rechenschaft, die sie einst Gott von der Verwaltung ihres Amtes zu geben hat. Die Diener der Kirche müssen ihr Lehramt treu und gewissenhaft verwalten, und die Lehre des Heils nicht verfälschen, sondern lauter und rein dem Volke Gottes verkündigen. Aber nicht bloß lehren und ermahnen müssen sie, sondern auch ihren Gemeinen durch einen frommen Lebenswandel vorleuchten, und der Herde wohl vorstehen als treue Hirten. Das christliche Volk betrachte die Lehrer der Kirche dagegen als Gottes Diener und Boten, erweise ihnen die Ehre, welcher sie der himmlische Lehrer gewürdigt hat, und sorge für ihren anständigen Unterhalt. Eltern müssen ihre Kinder, die Gott ihrer Sorge anvertraut hat, ernähren, erziehen und unterrichten lassen, aber dieselben nicht durch all zu große Strenge gegen sich erbittern, und aus ihren Herzen die kindliche Liebe verdrängen, sondern sie zärtlich lieben, mit schonender Nachsicht zurecht weisen, und mit mildem Ernst strafen, wie es sich für ihren Stand geziemt. Welche wichtige Pflichten Kinder den Eltern schuldig sind, ist bei Erklärung des fünften Gebotes gezeigt. Die Jugend muss das Alter ehren, wie es Gottes Wille ist. Die Alten sollen, bei ihrer mehr gereiften Weisheit und größern Erfahrung, die unerfahrene Jugend beraten, warnen und leiten, aber nie mit harten Schmähworten, sondern immer mit Freundlichkeit und Leutseligkeit zurechtweisen. Diener müssen ihren Herren willigen und freudigen Gehorsam leisten, nicht mit Augendienerei, sondern mit Herzensdienst, als die Gott dienen. Herrschaften sollen ihre Dienstleute nicht mit eigensinniger Willkür und unfreundlichem Stolze, noch mit Härte und Verachtung behandeln, sondern sie vielmehr als Brüder und Mitknechte des himmlischen Herrn betrachten, denen sie Liebe und menschliche Behandlung schuldig sind. Auf diese Weise mache sich jeder mit den Pflichten bekannt, die er nach seinem Stande und Berufe dem Nächsten schuldig ist, und erfülle sie mit gewissenhafter Treue. Dazu ist erforderlich, dass man auf den Gesetzgeber siehet, welcher uns vorschreibt, so gesinnt zu sein, unser Tun und Lassen so einzurichten, dass die Wohlfahrt Anderer dadurch erhalten und befördert wird. 

 

DAS NEUNTE GEBOT. 

„Du sollst kein falsches Zeugnis reden wider deinen Nächsten.“ 

 

Der Zweck dieses Gebotes ist: da Gott als der Wahrhaftige die Lüge verab-scheut, so sollen wir alle Heuchelei ablegen, und uns der Wahrhaftigkeit unter einander befleißigen. Es wird also verboten, durch Verleumdungen und falsche Beschuldigungen die Ehre und den guten Namen des Nächsten zu verletzen, durch Lügen ihm Schaden zuzufügen, oder durch Lästerung und freche Schmähsucht ihn zu kränken. In diesem Verbot liegt das Gebot, jedermann, so fern wir vermögen, in Behauptung der Wahrheit zur Erhaltung seines guten Namens und seiner Wohlfahrt, treulich Hilfe zu leisten. Es scheint, als wenn der Herr des Gebotes Sinn mit diesen Worten habe erklären wollen (2 Mos. 23,1.7.): „Du sollst falscher Anklage nicht glauben, dass du einem Gottlosen Beistand tuest und ein falscher Zeuge seiest. Sei ferne von falschen Sachen“. – Und wiederum: „Halte dich fern von der Lüge“. In einer andern Stelle (3 Mos. 19,16.) wird uns das Lügen auch auf die Art verboten, dass wir keine Verleumder und Ohrenbläser unter dem Volke sein, und unsern Bruder nicht hintergehen sollen. Über beides sind ausdrückliche Verbote vorhanden. Wie der Herr in den vorhergehenden Geboten Härte, Unkeuschheit und Habsucht untersagte, so warnt er hier vor der Falschheit, die in zwiefacher Gestalt sichtbar wird. Denn wir vergreifen uns entweder an dem guten Namen des Nächsten durch Lästerung und Verleumdung, oder wir entziehen ihm zeitliche Vorteile durch Lüge und gehässigen Tadel. Es ist aber ganz gleich, ob wir hier an ein feierliches Zeugnis vor Gericht oder an solche Aussagen denken, die wir in unsern täglichen Gesprächen tun. Denn wir dürfen nicht vergessen, dass nur ein einziges Laster als Beispiel aufgestellt wird, nach welchem die übrigen zu beurteilen sind, und zwar dasjenige, dessen Schändlichkeit am meisten einleuchtet. Wir müssen jedoch das Gebot allgemeiner fassen, und es auch auf die Verleumdungen und falschen Beschuldigungen beziehen, wodurch wir dem Nächsten schaden: denn das gerichtliche falsche Zeugnis ist immer ein Meineid; wiefern durch diesen aber Gottes heiliger Name entweihet wird, davon ist bei Erklärung des dritten Gebotes die Rede gewesen. Es wird also hier die Vorschrift eingeschärft, durch Wahrhaftigkeit den guten Ruf des Nächsten zu sichern, und sein Bestes zu befördern. Die Billigkeit dieser Forderung leuchtet ein: denn ist der gute Name ein köstlicheres Gut, als Silber und Gold, so ist es kein geringeres Verbrechen den Menschen seines unbescholtenen Rufs, als seiner Glücksgüter zu berauben. Selbst aber Geld und Gut verlieren wir oft nicht minder durch falsches Zeugnis, als durch Raub und Diebstahl. Um so mehr muss man sich wundern, wie hierin so sorglos gesündigt wird, so dass deren sehr wenige sind, die nicht an dieser Krankheit leiden. Wir freuen uns der vergifteten Süßigkeit, die Fehler Anderer aufzusuchen und zu offenbaren. Und Keiner glaube, deswegen genügend gerechtfertigt zu sein, weil wir nur nicht lügen: denn er, welcher verbietet, den Namen des Nächsten durch Lügen zu schänden, will auch, dass derselbe durch Wahrhaftigkeit unbefleckt erhalten werde. Mag er allerdings nur gegen die Lüge ihn in Schutz nehmen, so gibt er eben darin doch zu erkennen, dass dieser ihm teuer sei. Darin aber liegt eine starke Aufforderung für uns, des Nächsten Ehre zu retten und zu befördern. Deswegen wird offenbar alle Lästerung für verdammlich erklärt. Unter Lästerung verstehe ich jedoch nicht den Tadel, welcher Besserung beabsichtigt; nicht die Anklage und Anzeige vor Gericht, durch die man sich vor der Bosheit schützt; nicht den öffentlichen Verweis, der andere Übeltäter vom Bösen abschrecken soll: nicht die offene Erklärung an solche, deren Wohlfahrt Warnung erheischt, damit sie nicht durch Unwissenheit in Gefahr kommen, sondern jede gehässige Beschuldigung, welche aus Bosheit und Verkleinerungs-sucht entspringt. Nicht minder untersagt das Gebot auch beißenden Witz und bittern Scherz, wodurch Anderer Gebrechen, wie zur Belustigung, bissig bespöttelt werden, wie es gewöhnlich von denen geschieht, die sich zur Beschämung oft auch zum Seufzen ihres Nächsten, als angenehme Gesellschafter geltend zu machen suchen, ohne zu bedenken, wie schmerzhaft die Brüder oft durch solche Frechheit verwundet werden. Wenn wir nun auf den Gesetzgeber blicken, dem nicht minder die Herrschaft über unsere Ohren und Herzen, als über unsere Zunge zusteht; so werden wir auch leicht erkennen, dass es eben so sehr verboten sei, verleumderische Reden begierig anzuhören, und argen Urteilen unser Herz zuzuwenden. Denn es wäre wahrlich lächerlich, zu glauben, dass Gott zwar die Lästerzunge hasse, aber Bosheit des Herzens nicht verwerfe. Wenn also wahre Furcht und Liebe Gottes in uns ist, so müssen wir keinen Schmäh- und Spottreden weder Mund noch Ohr leihen, noch scheelem Argwohn das Herz öffnen, sondern wie die christliche Liebe es erfordert, die Reden und Handlungen anderer Menschen aufs Beste auslegen, und mit unserm Urteil, Ohren und Zunge ihnen ihre Ehre treulich bewahren. 

 

DAS ZEHNTE GEBOT. 

„Laß dich nicht gelüsten deines Nächsten Hauses laß dich nicht gelüsten deines Nächsten Weibes, noch seines Knechts, noch seiner Magd, noch seines Ochsen, noch seines Esels, noch alles, was dein Nächster hat.“ 

 

Der Zweck dieses Gebotes ist: da Gott Liebe von ganzem Herzen von uns fordert, so sollen wir jede Begierde, welche der Nächstenliebe entgegen ist, aus unserm Herzen verdrängen. Es verbietet also, auch nur den leisesten Gedanken und die kleinste Lust, die nach dem Schaden des Nächsten trachtet, in unser Herz kommen zu lassen. Darin ist dies Gebot enthalten: was wir denken, beschließen, wollen und aussinnen, muss dem Wohlsein Anderer förderlich sein. Aber hier tritt eine, dem Anscheine nach, große und verwickelte Schwierigkeit ein. Denn wenn die obige Erklärung richtig ist, dass unter „Hurerei und Diebstahl“ – jede wollüstige Begierde und der Vorsatz, zu schaden und zu betrügen, verboten wird: so könnte es unnötig scheinen, dass uns nochmals besonders eingeschärft wird, nicht fremdes Eigentum zu begehren. Aber diese Schwierigkeit lässt sich leicht lösen, wenn man zwischen „Vorsatz“ und „Lust“ gehörig unterscheidet. Denn „Vorsatz“ bezeichnet in dem Sinne, wie das Wort bei Erklärung der vorhergehenden Gebote gebraucht ist, einen mit Überlegung gefassten Willen, wo die Begierde die Seele unterjocht hat. „Lust“ kann ohne solche Überlegung und Zustimmung der Seele stattfinden, wenn der Anblick eitler und sündlicher Dinge das Herz reizt und locket. Wie der Herr also bis daher gebot, sich von der Nächstenliebe bei seinen Entschließungen, Unternehmungen und Handlungen leiten zu lassen: so schärft er hier ein, dass auch alle unsere Neigungen mit derselben übereinstimmen müssen, damit keine sündlichen Begierden in uns erwachen, die das Gemüt davon abziehen. Wie er verbot, dem Zorn, dem Hasse, der Hurerei, dem Diebstahl und der Lüge uns zu ergeben: so untersagt er hier den Reiz und das Gelüsten. Nicht ohne Absicht fordert Gott eine solche Rechtschaffenheit: denn wer mag es für eine unbillige Forderung halten, dass unser Herz ganz mit Liebe erfüllt sein soll? Wer es für gesund erklären, wo es von der Bahn der Liebe abweicht? Und woher kommt es, dass Begierden in dir erwachen, die deinem Bruder zum Nachteil sind, als daher, weil du nicht auf ihn, sondern nur auf dich allein siehest. Denn beseelte der Geist der Liebe unser ganzes Herz, so würde kein Teil desselben solchen Gelüsten offen stehen. Ihm mangelt also die Liebe, so lange noch eine Lust darin wohnet. Wendet jemand ein, dass Gedanken, welche in der Seele entstehen und wieder verschwinden, doch billiger Weise nicht gleich den Lüsten, die im Herzen wohnen, für verwerflich erklärt werden können: so antworte ich, dass hier von solchen Gedanken die Rede sei, welche, in der Seele erscheinend, zugleich das Gemüt mit Begierden erfüllen und beunruhigen; da die Seele nichts wünschen kann, ohne dass auch das Herz entflammt wird. Eine solche wunderbare Glut der Liebe fordert also Gott, die nicht das geringste Gewirr des Gelüstes umschlinge, ein solches wunderbarlich geordnetes Herz, das auch nicht der kleinste Stachel gegen das Gebot der Liebe reize. Zu dieser Erkenntnis öffnete mir zuerst Augustinus (Anm.: Man vergl. epist. 200 ad Asellicum. – quaest. 83. gegen Ende. – In Ps. 118 et 143. – Homil. 45. – Retract. lib. 1. c. 5. – Lib. de continentia c. 8.) den Weg, auf dass es meiner Behauptung nicht an gewichtigem Zeugnisse gebreche. Obwohl nun der Herr jede böse Lust verbeut, so macht er doch solche Dinge beispielshalber namhaft, welche unsere Begierde vornehmlich reizen, um ihr jeden Gegenstand zu entziehen, indem er dasjenige gegen sie verwahrt, wonach sie am meisten strebt und gelüstet. Siehe, so lehrt die zweite Gesetztafel uns alle Pflichten, die wir von Gottes wegen, in dessen Anschauung das ganze Wesen der Liebe beruhet, gegen die Menschen zu beobachten haben. Diese Erkenntnis des Gesetzes nützt aber nichts, wenn ihr nicht die Gottesfurcht zum Grunde liegt. Dass nun diejenigen, welche aus diesem Gebote wider das Gelüsten zwei Gebote machen, mit Unrecht trennen, was ursprünglich ein Ganzes war, sieht der kundige Leser ohne mein Erinnern. Die Wiederholung der Worte: „laß dich nicht gelüsten“ – beweiset nichts. Denn nachdem er das Haus genannt hat, zählt er dessen Teile auf mit dem Weibe beginnend. Daraus erhellet zu Genüge, dass wir diese Worte, wie die Hebräer, in ihrer natürlichen Verbindung lassen müssen, und dass Gott überhaupt gebietet, wir sollen uns nicht bloß jedes Unrechts, Schadens und Betruges enthalten, sondern auch nicht das geringste Gelüste in unserm Herzen dulden.