3. Buch


Kapitel 1 - Von dem innerlichen Zuspruche Christi an die gläubige Seele.


1. „Ich will hören, was der Herr, mein Herr, in mir spricht.“ (Ps. 85,9.) Selig die Seele, die den Herrn in sich reden hört, und aus seinem Munde des Trostes Worte empfängt. Selig die Ohren, welche das leise Wehen Gottes vernehmen und auf die Einflüsterungen dieser Welt nicht achten. Ja, ganz selig die Ohren, welche nicht auf die von außen kommende Stimme, sondern auf die im Innern lehrende Wahrheit hören. Selig die Augen, welche der Außenwelt verschlossen, für das Innere aber aufgethan sind. Selig, die in’s Innere dringen und sich durch tägliche Uebungen mehr und mehr geschickt machen, die himmlischen Geheim-nisse zu erfassen. Selig, welche sich Gott zu widmen begehren, und sich von jedem Hindernisse der Welt losreißen! Merke dieß, meine Seele, und verschließe die Thüre deiner Sinnlichkeit, daß du könnest hören, was in dir der Herr, dein Gott, rede.

2. Das sagt dein Geliebter: Dein Heil bin ich, dein Friede und dein Leben. Halte dich zu mir und du wirst Friede haben. Laß fahren alles Vergängliche, suche das Ewige. Was ist alles Zeitliche anders, als verführerisch? Und was helfen alle Geschöpfe, wenn du von Gott verlassen bist? Darum entsage Allem und sei deinem Schöpfer treu und wohlgefällig, damit du die wahren Glückseligkeit zu ergreifen vermögest.


Kapitel 2 - Die Wahrheit redet im Innern, ohne daß man laute Worte vernimmt.


1. „Rede, o Herr! Denn dein Knecht höret.“ (1. Sam. 3,9.) „Dein Knecht bin ich, gib mir Verstand, daß ich erkenne deine Zeugnisse. (Ps. 118,125.) Neige mein Herz zu den Worten deines Mundes; wie Thau fließe deine Rede. Es sprachen einst die Kinder Israel zu Moses: „Rede du mit uns, wir wollen hören, und laß Gott nicht mit uns reden, wir möchten sonst sterben.“ (2. Mos. 20,19.) Nicht also, Herr, nicht also bitte ich, sondern ich flehe vielmehr mit dem Propheten Samuel demüthig und inbrünstig: „Rede, Herr, denn dein Knecht höret.“ Weder Moses, noch ein anderer Prophet soll zu mir reden, sondern vielmehr du rede, mein Gott und Herr, der du begeisterst und erleuchtest alle Propheten; denn du allein kannst, ohne sie, mich vollkommen belehren; und ohne dich werden sie alle nichts schaffen.

2. Worte mögen sie wohl ertönen lassen; aber den Geist verleihen sie nicht. Sie reden schön; aber wenn du schweigest, entzünden sie das Herz nicht. Buch-staben theilen sie mit; aber das Verständniß eröffnest du! Geheimnisse tragen sie vor; aber du schließest den Sinn der Geheimnisse auf. Gebote geben sie; du aber hilfst sie vollbringen. Den Weg zeigen sie; aber du stärkest zum Wandeln. Sie wirken nur äußerlich; du aber unterrichtest und erleuchtest die Herzen. Sie begießen; du aber gibst das Gedeihen. Sie haben Worte; aber du gibst zum Hören das Verstehen.

3. Also nicht Moses rede zu mir, sondern du, mein Herr und mein Gott, du ewige Wahrheit, damit ich nicht etwa sterbe und ohne Frucht bleibe, wenn ich nur äußerlich ermahnt und nicht im Innern entzündet würde; damit es mir nicht zur Verdammniß gereiche, wenn ich das Wort zwar gehört, aber nicht gethan, erkannt, aber nicht geliebt, geglaubt, aber nicht bewahrt habe. Rede darum, o Herr, dein Knecht höret; denn du hast Worte des ewigen Lebens! Rede zu mir, was meine Seele tröste und mein ganzes Leben bessere, dir aber zum Lob und Ruhm und zur Ehre ewiglich gereiche.


Kapitel 3 - Daß man Gottes Wort demüthig hören soll und daß Viele es nicht erwägen.


1. Höre, Sohn, meine Worte, Worte voll Lieblichkeit, die alle Wissenschaft der Philosophen und der Weisen dieser Welt weit übertreffen. Meine Worte sind Geist und Leben und nicht nach menschlichem Sinne zu erwägen. Du darfst sie nicht zur eiteln Ergötzung mißbrauchen, sondern mußt sie schweigend anhören und mit aller Demuth und großer Begierde aufnehmen. Und ich sprach: „Selig ist, den du unterweisest, o Herr, und den du belehrest von deinem Gesetze, daß du ihm Linderung gewährest in bösen Tagen und er nicht trostlos sei auf Erden.“ (Ps. 93,12.)

2. Ich, spricht der Herr, habe gelehret die Propheten von Anfang an, und bis auf diesen Tag laß ich nicht ab, zu Allen zu reden; aber Viele sind für meine Stimme taub und verstockt. Die Meisten hören die Welt lieber, als Gott; sie folgen lieber den Gelüsten ihres Fleisches, als dem Willen Gottes. Die Welt verheißt Zeitliches und Geringes, und man dienet ihr mit großer Begier; ich verheiße das Höchste und Ewiges und die Herzen der Menschen bleiben starr. Wer dienet und gehor-chet mir in allen Stücken mit solcher Sorgfalt, wie man der Welt und ihren Herren dienet. Schäme dich, Sidon, spricht das Meer. Und wenn du nach dem Grunde fragst, so höre, warum? Um eine mäßige Pfründe läuft man einen weiten Weg, um des ewigen Lebens willen heben Viele kaum einmal den Fuß auf. Einen geringen Vortheil sucht man; um ein einziges Stück Geld streitet man sich bis-weilen auf die schändlichste Weise; um ein eitles Ding und ein kleines Verspre-chen scheuet man nicht, sich Tag und Nacht abzumühen.

3. Aber, o Schande! Für ein unwandelbares Gut, für ein unschätzbares Kleinod, für die höchste Ehre und für endlose Herrlichkeit sich nur ein wenig anzu-strengen, dazu ist man zu faul und träge. Schäme dich also, du fauler und mürrischer Knecht, daß die Weltkinder bereitwilliger sind in ihrem Verderben, als du zum Leben! Jene freuen sich mehr der Eitelkeit, als du der Wahrheit. Allerdings werden sie manchmal von ihrer Hoffnung betrogen; aber meine Verheißung täuscht keinen, noch läßt sie den, der mir trauet, leer von sich. Was ich verheißen habe, werde ich geben; was ich zugesagt habe, werde ich erfüllen, sofern Einer bis an’s Ende getreu verharret in meiner Liebe. Ich bin’s, der die Guten belohnt und die Frommen streng prüfet.

4. Schreibe meine Worte in dein Herz und erwäge sie fleißig; denn zur Zeit der Versuchung werden sie dir sehr nöthig sein. Was du nicht verstehest, da du es liesest, das wirst du am Tage der Heimsuchung deutlich erkennen. Auf zwiefache Art pfleg’ ich meine Auserwählten heimzusuchen, durch Prüfung nämlich und durch Tröstung. Und zweimal nehm’ ich sie täglich in die Schule, einmal, daß ich ihre Fehler strafe, das andermal, daß ich sie zum Wachsthum in den Tugenden ermuntere. Wer meine Worte hat und verachtet sie, der hat Einen, der ihn am jüngsten Tage richten wird. Gebet um die Gnade der Andacht.

5. Herr, mein Gott, all mein Gut bist du! Und wer bin ich, daß ich mich unterstehe, mit dir zu reden? Ich bin dein allerärmster Knecht und ein verächtlich Würmlein, ja noch viel ärmer und verächtlicher, als ich weiß und aussprechen kann. Gedenke doch, o Herr, daß ich nichts bin, nichts habe und nichts vermag. Du allein bist gut, gerecht und heilig; du vermagst Alles, du gewährst Alles, du erfüllest Alles und lässest nur den Sünder leer. Gedenke deiner Erbarmungen und erfülle mein Herz mit deiner Gnade, der du nicht willst, daß deine Werke leer seien.

6. Wie kann ich aushalten in diesem elenden Leben, wenn mir nicht deine Gnade und Barmherzigkeit Stärke verleiht? Wende dein Antlitz nicht von mir; schiebe deine Heimsuchung nicht auf; entziehe mir nicht deinen Trost; damit meine Seele nicht werde vor dir wie Erdreich ohne Wasser. Herr, lehre mich thun deinen Willen, lehre mich würdig und demüthig vor dir wandeln; denn du bist meine Weisheit, der du mich in Wahrheit kennest und gekannt hast, bevor die Welt ward und bevor ich in der Welt geboren wurde.


Kapitel 4 - Daß man in der Wahrheit und Demuth vor Gott wandeln soll.


1. Sohn, wandle vor mir in Wahrheit und in Einfalt des Herzens suche mich allezeit. Wer vor mir in der Wahrheit wandelt, wird sicher sein vor bösen Anfällen und die Wahrheit wird ihn befreien von Verführern und von den Verläumdungen der Gottlosen. Wenn dich die Wahrheit frei gemacht hat, wirst du wahrhaft frei sein und dich nicht kümmern um das eitle Geschwätz der Menschen. Herr, es ist wahr: Wie du sagst, so fleh’ ich, daß es mit mir geschehe. Deine Wahrheit lehre mich; sie behüte mich und bewahre mich bis zum seligen Ende. Sie befreie mich von jeder bösen Begier und jeder unordentlichen Liebe und ich werde wandeln mit dir in großer Freiheit des Herzens.

2. Ich will dich lehren, spricht die Wahrheit, was recht ist und wohlgefällig vor mir. Bedenke deine Sünden mit großem Mißfallen und Herzeleid und wähne nie, daß du um guter Werke willen etwas seiest. Du bist fürwahr ein Sünder und von vielen Leidenschaften beherrscht und umstrickt. Von dir selber trachtest du immer dem Richtigen nach; du fällst schnell, wirst schnell besiegt, schnell beun-ruhigt, schnell zerstreut. Du besitzest nichts, dessen du dich rühmen dürftest, aber Vieles, um dessentwillen du dich gering achten mußt; denn du bist viel schwächer, als du begreifen magst.

3. Darum scheine dir nichts groß von Allem, was du thust. Nichts dünke dir wichtig, nichts werthvoll und bewunderungswürdig, ja nicht einmal des Namens werth; nichts erhaben, nichts löblich und wünschenswerth, als was ewig ist. Es gefalle dir über Alles die ewige Wahrheit; es mißfalle dir allezeit deine übergroße Unwürdigkeit. Nichts fürchte, tadle und fliehe so sehr, als deine Fehler und Sünden, welche dir mehr mißfallen sollen, als aller zeitliche Verlust und Schaden. Einige wandeln nicht aufrichtig vor mir, sondern wollen aus Vorwitz und Ver-messenheit meine Geheimnisse wissen und die Tiefen der Gottheit ergründen, versäumen aber dabei sich und ihr Heil. Diese fallen oft in große Versuchungen und Sünden wegen ihres Stolzes und Vorwitzes; denn ich bin wider sie.

4. Fürchte die Gerichte Gottes, erzittere vor dem Zorne des Allmächtigen. Maße dir nicht an, die Werke des Allmächtigen zu ergründen, sondern erforsche lieber deine Missethaten und siehe zu, wie viel Böses du gethan und wie viel Gutes du unterlassen hast. Manche tragen ihre Andacht blos in Büchern, Manche in Bildern, Manche aber in äußern Zeichen und Stellungen. Einige haben mich im Munde, aber wenige im Herzen. Es gibt Andere, die erleuchtet im Verstande und gereinigt im Herzen, allzeit nach dem Ewigen ringen, von irdischen Dingen ungern hören, den Bedürfnissen der Natur nur mit Betrübniß dienen und diese fühlen, was der Geist der Wahrheit in ihrem Innern spricht. Denn er lehret sie das Irdische verachten und das Himmlische lieben, die Welt verschmähen und Tag und Nacht sich nach dem Himmel sehnen.


Kapitel 5 - Von der wunderbaren Wirkung der göttlichen Liebe.


1. Ich preise dich, himmlischer Vater, Vater meines Herrn Jesu Christi, daß du mich Armen würdigest, meiner zu gedenken. O Vater der Barmherzigkeit und Gott alles Trostes, ich sage dir Dank, daß du mich alles Trostes Unwürdigen doch bisweilen mit deinem Troste erquickest. Ich preise dich ohne Unterlaß, und lobe dich mit deinem eingebornen Sohne sammt dem heiligen Geiste, dem Tröster, von nun an bis in Ewigkeit. Ei, mein Herr und Gott, du Heiliger, der du mich liebest, wenn du in mein Herz kommst, so wird mein ganzes Innere froh-locken! Du bist mein Ruhm und meines Herzens Wonne, du meine Hoffnung und meine Zuflucht am Tage meiner Trübsal.

2. Aber weil ich noch schwach bin in der Liebe und unvollkommen in der Tugend, so bedarf ich Stärke und Trost von dir; darum suche mich oft heim und unter-weise mich in heiliger Zucht. Mache mich frei von bösen Begierden und heile mein Herz von allen unordentlichen Trieben, damit ich, geheilet und gereinigt im Innern, geschickt werde zur Liebe, stark zum Leiden, standhaft zum Ausharren.

3. Die Liebe ist ein großes Ding und gewiß ein herrliches Gut, das allein leicht macht alles Schwere und mit Gleichmuth duldet Alles, was ungleich ist. Denn sie trägt das Schwere ohne Beschwerde und macht alles Bittere süß und schmack-haft. Die edle Liebe zu Jesu treibt zu großen Thaten und weckt das Verlangen nach stets wachsender Vollkommenheit. Die Liebe strebt aufwärts und läßt sich nicht zurückhalten durch niedere Dinge. Die Liebe will frei sein und jeder welt-lichen Neigung fremd, damit ihr inneres Schauen nicht beschränkt, damit sie durch keinen zeitlichen Vortheil umgarnt oder durch einen Nachtheil zu Boden gedrückt werde. Nichts ist süßer als die Liebe, nichts stärker, nichts höher, nichts weiter, nichts anmuthiger, nichts völliger noch besser im Himmel und auf Erden. Denn die Liebe ist aus Gott geboren und kann nur in Gott, erhaben über alle geschaffenen Dinge, Ruhe finden.

4. Der Liebende fliegt, läuft und freuet sich; frei ist er und lässet sich nicht halten. Er gibt Alles für Alles und hat Alles in Allem, weil er, über Alles erhaben, in dem Einen Höchsten ruhet, aus welchem alles Gute fließt und hervorgeht. Nicht sieht er auf die Gaben, sondern über alle Güter erhebt er sich zum Gebet. Die Liebe kennt oft kein Maß, sondern ihre Brunst übersteigt oft alles Maß. Die Liebe fühlt keine Last; sie achtet keine Mühe; sie strengt sich über Kräfte an und schützet nicht die Unmöglichkeit vor, weil sie Alles zu können und zu dürfen meint. Darum ist sie zu Allem tüchtig und vollführt und bringt Vieles zu Stande, während der, welcher keine Liebe hat, ermattet hinsinkt.

5. Die Liebe wachet und selbst schlafend schläft sie nicht. Ermüdet wird sie nicht lässig, eingeengt nicht beengt, erschreckt nicht erschrocken, sondern gleich einer lebendigen Flamme und brennenden Fackel bricht sie hervor und dringt unauf-haltsam durch. Wer liebt, weiß, was diese Stimme ruft. Ein lauter Ruf in den Ohren Gottes ist selbst das brennende Verlangen der Seele, die da spricht: Mein Gott, meine Liebe! Du ganz mein und ich ganz dein!

6. Erweitere mich in der Liebe, daß ich lerne mit dem innersten Munde des Herzens schmecken, wie süß es sei, zu lieben und in der Liebe zu zerschmelzen und zu verschwimmen. Möchte die Liebe mich halten, wenn ich über mich hinausgehe vor übergroßer Inbrunst und Bewunderung. Möchte ich singen der Liebe Gesang! Möchte ich dir, meinem Geliebten, in die Höhe folgen! In deinem Lob vergehe meine Seele, im Jubel der Liebe! Lieben möcht‘ ich dich mehr, als mich selbst und mich nur um deinetwillen und Alle in dir, die wahrhaft dich lieben, wie es gebeut der Liebe Gesetz, die aus dir hervorstrahlt.

7. Die Liebe ist rasch und aufrichtig, fromm, anmuthig und lieblich, stark, geduldig, treu, vorsichtig, langmüthig, mannhaft und such nimmer das Ihre. Denn wo Einer das Seine sucht, da fällt er von der Liebe. Die Liebe ist umsichtig, demüthig und gerade, nicht weichlich, nicht leichtfertig, nicht auf das Eitle gerichtet; sie ist nüchtern, keusch, beständig, ruhig und bewacht ihre Sinne. Die Liebe ist unterwürfig und gehorsam den Obern, sich selber gering und verächt-lich, Gott ergeben und dankbar, auf ihn allezeit vertrauend und hoffend, auch wenn er sich ihr entzieht, weil sich’s ohne Schmerz nicht in der Liebe lebt.

8. Wer nicht bereit ist, Alles zu dulden und dem Geliebten zu Willen zu stehen, der verdient nicht den Namen eines Liebenden. Der Liebende muß alles Harte und Bittere um des Geliebten willen gern annehmen und darf sich durch nichts Widerwärtiges von ihm abwendig machen lassen.


Kapitel 6 - Von der Bewährung des wahrhaft Liebenden.


1. Sohn, du bist noch kein starker und erfahrener Liebhaber. Warum, o Herr? Weil dich eine geringe Widerwärtigkeit von dem Angefangenen abbringt und du allzu begierig nach Trost suchst. Ein starker Liebhaber steht fest in den Versuchungen und trauet nicht den listigen Vorspiegelungen des Feindes. Wie ich ihm im Glück gefalle, so mißfall‘ ich ihm auch im Unglück nicht.

2. Der erfahrene Liebhaber sieht nicht so sehr auf die Gabe des Liebenden, als auf die Liebe des Gebers. Er achtet mehr auf die Gesinnung, als auf den Aus-druck dieser Gesinnung, und höher als alle Gaben stellt er den Geliebten. Der edle Liebhaber fordert Befriedigung nicht in der Gabe, sondern in mir, der ich ihm über alle Gaben gehe. Darum ist nicht Alles verloren, wann du manchmal minderes Wohlgefallen an mir oder meinen Heiligen findest, als du möchtest. Jene fromme und süße Empfindung, die du zuweilen hast, ist eine Wirkung der gegenwärtigen Gnade und ein gewisser Vorgeschmack der himmlischen Heimath, worauf man sich nicht allzu sehr stützen darf, weil sie kommt und geht. Kämpfen aber gegen die aufsteigenden bösen Regungen des Gemüths und die Einflüsterungen des Teufels verachten: das ist ein Merkmal der Tugend und großen Verdienstes.

3. Laß dich also nicht verwirren durch fremdartige Einbildungen, die über irgend eine Sache sich einschleichen. Halte fest deinen Vorsatz und die gerade Richtung auf Gott. Es ist auch keine Täuschung, wenn du manchmal plötzlich entzückt wirst und dann gleich wieder in die alten Thorheiten des Herzens zurückfällst. Denn diese leidest du mehr wider Willen, als daß du sie liebst und so lange sie dir mißfallen und du ihnen widerstrebst, ist es Verdienst und kein Schaden.

4. Wisse, daß der alte Feind immer darnach trachtet, dein Verlangen nach dem Guten zu hindern und dich von jeder frommen Uebung abzuziehen, nämlich von der Verehrung der Heiligen, von dem fruchtbaren Gedächtnisse meines Leidens, von der heilsamen Erinnerung an deine Sünden, von der Wachsamkeit über das eigene Herz und von dem festen Vorsatze, in der Tugend fortzuschreiten. Er gibt viele böse Gedanken ein, um dir Eckel und Schrecken zu machen und dich von dem Gebet und dem Lesen heiliger Schriften abzuziehen. Ihm mißfällt eine demüthige Beichte und wenn er es könnte, würde er dich auch von der Kommu-nion abwendig machen. Glaube ihm nicht und kümmere dich nicht um ihn, ob er dir gleich oft listig Fallstricke legt. Ihm rechne es zu, wenn böse und unreine Gedanken in dir aufsteigen und sprich zu ihm: Hebe dich hinweg, du unsauberer Geist; schäme dich, Elender! Ganz unrein bist du, weil du mir Solches in meine Ohren flüsterst. Weiche von mir, du ärgster Verführer, du sollst keinen Theil an mir haben, sondern Jesus wird mit mir sein, als ein starker Held, und du wirst beschämt dastehen. – Lieber will ich sterben und alle Pein leiden, als dir zu Willen sein. – Schweig und verstumme, ich will dich nicht weiter hören, so viele Plagen du mir auch noch anthun magst. Der Herr ist mein Licht und mein Heil; wen sollt’ ich fürchten? Wenn Heerschaaren sich gegen mich lagerten, so wird mein Herz sich doch nicht fürchten. Der Herr ist mein Helfer und mein Erlöser. Kämpfe als ein wackerer Kriegsmann und wenn du auch bisweilen aus Schwachheit strauchelst, so raffe dich auf von dem Falle mit vermehrter Kraft, im Vertrauen auf meine reichlichere Gnade; hüte dich aber sehr vor eitlem Dünkel und Hochmuth. Dadurch werden Viele in Irrthum gestürzt, und fallen manchmal in eine fast unheilbare Blindheit. Möge dich dieser Sturz der Stolzen, die sich thörichterweise selbst vermessen, zur Vorsicht und zur beständigen Demuth führen.


Kapitel 7 - Von dem Verbergen der Gnade unter dem Schirme der Demuth.


1. Sohn, es ist nützlicher und sicherer für dich, die Gnade der Andacht zu ver-bergen, sich ihrer nicht zu überheben, auch nicht viel davon zu sprechen, noch viel Gewicht darauf zu legen, sondern vielmehr dich selbst zu verschmähen und zu fürchten, als sei sie einem Unwürdigen zu Theil geworden. Du darfst auch an diesem Gefühle nicht zu fest hängen, da es gar bald in das Gegentheil umschla-gen kann. Im Besitz der Gnade bedenke, wie elend und arm du ohne dieselbe zu sein pflegst. Auch liegt darin nicht so viel Wachsthum des geistlichen Lebens, wenn du die Gnade der Tröstung hast, sondern wenn du ihre Entziehung mit Demuth und Entsagung geduldig erträgst, so daß du alsdann im Eifer zum Gebet nicht erkaltest, noch deine übrigen Werke, die du sonst zu thun pflegest, gänzlich unterlässest; sondern, nach bestem Wissen und Vermögen, gerne thust, was dir obliegt; auch wegen Dürre und Aengstlichkeit der Seele, die du fühlst, dich nicht gänzlich vernachlässigest.

2. Es gibt Viele, die alsbald ungeduldig und träg werden, wenn es ihnen nicht nach Wunsch von Statten gehe. Denn nicht immer steht es in der Macht des Menschen, wie er wandle oder seinen Gang richte: sondern Gottes Sache ist es, zu geben und zu trösten, wenn er will und wie viel er will und wem er will, so wie es ihm gefällt und nicht mehr. Einige haben in ihrem religiösen Eifer sich selbst zu Grunde gerichtet, weil sie mehr thun wollten, als sie vermochten und weil sie das Maaß ihrer geringen Kraft nicht in Anschlag brachten, sondern mehr dem Triebe des Herzens, als dem Urtheile der Vernunft folgten. Und weil sie sich größerer Dinge vermaßen, als Gott wohlgefällig war, so sind sie der Gnade alsbald verlustig geworden. Hilflos wurden und in Niedrigkeit blieben die, so bis in den Himmel steigen wollten, damit sie, gedemüthigt und verarmt, lernen möch-ten, nicht mit eigenen Flügeln zu fliegen, sondern unter meinen Fittigen zu harren. Welche in den Wegen des Herrn noch Neulinge und unerfahren sind, können leicht betrogen und irre geführt werden, wenn sie sich nicht nach dem Rathe der Erfahrenen richten.

3. Wollen sie aber ihrem Sinne mehr folgen, als andern Geübteren glauben, so steht ihnen ein geringer Ausgang bevor, sofern sie sich anders von ihrer Meinung nicht abbringen lassen. Selten besitzen die, welche sich selbst für weise halten, Demuth genug, um sich von Andern zurechtweisen zu lassen. Besser ist mäßiges Wissen mit Demuth und geringer Einsicht, als große Schätze von Kenntnissen mit eitler Selbstgefälligkeit. Besser ist es für dich, weniger zu haben, als viel, worauf du stolz werden könntest. Nicht vorsichtig genug handelt, wer sich ganz der Freude überläßt, uneingedenk seiner vorigen Dürftigkeit und der lauteren Furcht des Herrn, welche die empfangene Gnade zu verlieren fürchtet. Auch dem fehlt noch an Meisterschaft, der zur Zeit der Trübsal und bei jeder Bedrängniß sich zu verzagt benimmt und nicht die Zuversicht zu mir bewahrt, die er haben sollte.

4. Wer zur Zeit des Friedens allzu sicher sein will, den findet man zur Zeit des Kampfes oft gar zu kleinmüthig und furchtsam. Vermöchtest du immer demüthig und bescheiden in dir zu bleiben und deinen Geist gehörig zu mäßigen und zu regieren: so würdest du nicht so leicht in Gefahr gerathen und Aergerniß nehmen. Das ist ein guter Rath; daß du, wenn dich der Geist der Inbrunst ergriffen hat, erwägest, wie es mit dir stehen werde, wenn das Licht dich verläßt? Und wenn dieser Fall wirklich eingetreten ist, so bedenke, daß das Licht wieder-kehren könne, das ich dir zur Warnung, mir aber zur Verherrlichung auf eine Weile entzogen habe.

5. Eine solche Prüfung ist dir oft heilsamer, als wenn dir Alles stets nach Wunsch und Willen geschähe. Denn die Verdienste sind nicht darnach zu schätzen: ob Einer viele Offenbarungen oder Tröstungen habe oder ob er bewandert sei in der heiligen Schrift oder auf eine höhere Stufe gestellt; sondern darnach, ob er in der wahren Demuth gegründet und von göttlicher Liebe erfüllt sei; ob er die Liebe Gottes allzeit lauter und redlich suche; ob er sich selbst für nichts achte und in Wahrheit verschmähe, ja sich mehr freue, auch von Andern verachtet und gede-müthigt, als geehrt zu werden.


Kapitel 8 - Von der Geringschätzung seiner selbst in den Augen Gottes.


1. Darf ich reden zu meinem Herrn, da ich Staub und Asche bin? Wenn ich mich für mehr halten würde, siehe, so stehest du wider mich und meine Missethaten geben der Wahrheit Zeugniß und ich vermag nicht zu widersprechen. Wenn ich mich aber erniedrige, und für nichts halte und aller Selbstschätzung entsage und mich als das, was ich wirklich bin, als Staub achte: so wird mir geneigt deine Gnade und nahe meinem Herzen dein Licht sein und jede Selbstschätzung, wie gar klein sie auch sei, wird in dem Thale meiner Nichtigkeit versinken und untergehen ewiglich. Da zeigst du auch mir, was ich bin, was ich war und von wannen ich gekommen bin; denn nichts bin ich und wußte es nicht. Ueberlässest du mich mir selbst, siehe, so bin ich nichts als Schwachheit durch und durch: sobald du aber mich wieder anblickst, werd’ ich flugs stark und erfüllt mit neuer Freude. Und gar wunderbar ist’s, daß ich so plötzlich erhoben und so gütig von dir umfangen werde, ich, den eigene Schwere stets in die Tiefe hinabzieht.

2. Das thut deine Liebe, die mir unverdient zuvorkommt und in so vielen Nöthen mir beisteht, auch vor schweren Gefahren mich behütet und in Wahrheit mich unzähligen Uebeln entreißt. Da ich böslich mich selbst liebte, verlor ich mich und da ich dich allein suchte und dich herzlich liebte, fand ich dich und mich zugleich und versenkte mich aus Liebe zu dir noch tiefer in mein Nichts. Denn du, o Holdester! thust an mir über alles Verdienst, ja über alles Bitten und verstehen.

3. Gepriesen seist du, mein Gott! daß, obgleich ich alles Guten unwerth bin, doch deine Huld und unbegrenzte Güte nimmer aufhört, wohlzuthun auch den Undank-baren und denen, die sich weit abgewendet haben von dir. Bekehre uns zu dir, damit wir dankbar, demüthig und fromm sind; denn du bist unser Heil, du unsere Kraft und Stärke!


Kapitel 9 - Daß man Alles auf Gott, als auf das letzte Ziel beziehen soll.


1. Sohn, ich muß dein höchstes und letztes Ziel sein, wenn du wahrhaft wün-schest, selig zu werden. Durch diese Richtung wird dein Begehren gereinigt werden, das sich nur zu oft sündhaft zu dir selbst und zu den Kreaturen hinneigt. Denn wenn du dich selbst in irgend Etwas suchst, so nimmst du alsbald in dir ab und verdorrest. Darum beziehe Alles hauptsächlich auf mich, weil ich es bin, der Alles gegeben hat. Betrachte das Einzelne so, wie es aus mir, dem höchsten Gute, ausfließt: und deßhalb muß auch Alles auf mich, als auf seinen Ursprung, zurückgeführt werden.

2. Aus mir schöpft Klein und Groß, Arm und Reich, als aus der lebendigen Quelle Wasser des Lebens und die mir freiwillig und gern dienen, nehmen Gnade um Gnade von mir. Wer aber außer mir Ruhm suchen oder an irgend einem be-sondern Gut sich ergötzen will, der wird in der wahren Freude nicht bestehen, noch in seinem Herzen erweitert, sondern vielfach gehindert und beengt werden. Darum darfst du dir selbst nichts Gutes zuschreiben, noch irgend einem Menschen Tugend beimessen: sondern Alles gibt Gott, ohne den der Mensch nichts hat. Ich habe Alles gegeben, ich will dich ganz haben und forderte mit großer Strenge Danksagung.

3. Das ist die Wahrheit, die alle eitle Ruhmsucht austreibt. Und gehet die himmllische Gnade und die wahre Liebe bei dir ein, so wird kein Neid, kein Widerspruch des Herzens und keine Eigenliebe dich mehr einnehmen. Denn die göttliche Liebe überwindet Alles und erweitert alle Kräfte der Seele. Wenn du wahrhaft weise bist, so wirst du in mir allein dich freuen, auf mich allein hoffen; denn Niemand ist gut, als Gott allein, der über Alles gelobt und in Allem geprie-sen werden muß.


Kapitel 10 - Daß es süß sei, die Welt zu verachten und Gott zu dienen.


1. Ich will jetzt wiederum reden, Herr, und nicht schweigen; ich will reden vor den Ohren meines Gottes, meines Herrn und meines Königs, der in der Höhe wohnt! O wie groß, Herr, ist die Fülle deiner Süßigkeit, die du verborgen (aufbehalten) hast denen, so dich fürchten! Aber was bist du denen, die dich lieben und dir von ganzem Herzen dienen? Wahrhaft unaussprechlich ist die Süßigkeit deiner Beschauung, die du reichlich mittheilst denen, so dich lieben. Du hast mir die Süßigkeit deiner Liebe allermeist darin bewiesen, daß du mich, da ich nicht war, geschaffen, und da ich weit von dir in der Irre ging, zurück geführt hast, damit ich dir dienete, und dich, wie du geboten, liebte.

2. O du Brunnquell der ewigen Liebe, wie soll ich dich würdig preisen? Wie sollte ich deiner vergessen können, der du an mich Unwürdigen dachtest, auch da noch dachtest, als ich schon ganz verdorben und verloren war? Ueber alles Hoffen hast du an deinem Knechte Barmherzigkeit gethan, und über alles Ver-dienst ihm Gnade und Freundschaft bewiesen. Was soll ich dir wieder geben für solche Gnade? Denn es ist nicht allen verliehen, daß sie Alles verlassen, der Welt entsagen und das klösterliche Leben wählen. Ist es denn etwas Großes, daß ich dir diene, dem alle Kreatur zu dienen schuldig ist? Das soll mir nicht groß dünken, dir zu dienen; mehr aber erscheint mir das groß und wunderbar, daß du mich, der ich so arm und unwürdig bin, würdigtest zum Knechte anzunehmen und deinen geliebten Knechten beizugesellen.

3. Siehe, Alles ist dein, was ich habe, und womit ich dir diene. Doch ist es umgekehrt, du dienest vielmehr mir, als ich dir. Siehe, Himmel und Erde, welche du zum Dienste des Menschen geschaffen hast, sind bereit, und thun täglich, was du ihnen geboten hast. Und das ist noch wenig; denn selbst die Engel hast du zum Dienste des Menschen verordnet. All dieses aber übersteigt das, daß du dich selbst herabgelassen, dem Menschen zu dienen, und ihm verheißen hast, dich selbst ihm darzugeben.

4. Was soll ich dir geben für all’ diese tausendfältigen Gaben? O daß ich dir dienen könnte mein ganzes Leben lang! Fürwahr, du bist würdig alles Dienstes, aller Ehre und ewigen Lobes! Du bist wahrlich mein Herr, und ich bin dein armer Knecht, der aus allen Kräften dir zu dienen verpflichtet ist und in deinem Lobe nie ermüden darf. So will, so verlange ich es, und was mir abgeht, das ersetze du!

5. Große Ehre, großer Ruhm ist es, dir zu dienen, und Alles um deinetwillen zu verachten. Denn große Gnade werden die haben, die sich freiwillig deinem heiligen Dienste unterwerfen. Die werden die süßsten Tröstungen des heiligen Geistes finden, welche aus Liebe zu dir aller fleischlichen Lust entsagten. Große Freiheit des Geistes werden die erlangen, die um deines Namens willen den schmalen Weg gehen und sich aller weltlichen Sorge entziehen.

6. O angenehmer und lieblicher Dienst Gottes, wodurch der Mensch wahrhaft frei und heilig wird! O heiliger Stand der geistlichen Dienerschaft, welcher den Menschen den Engeln gleich, Gott wohlgefällig, den bösen Geistern schrecklich und allen Gläubigen werth macht. O liebenswürdige und allzeit wünschenswerthe Dienstbarkeit, wodurch man das höchste Gut verdient und eine Freude erwirbt, die ohne Ende bleiben wird.


Kapitel 11 - Daß man die Wünsche des Herzens prüfen und mäßigen soll.


1. Sohn, du mußt noch Vieles lernen, was du noch nicht recht gelernt hast. Was ist dieses, o Herr? Daß du dein Verlangen ganz nach meinem Wohlgefallen richtest und dich selbst nicht liebtest, sondern meinen Willen eifrig zu vollbringen dich bestrebtest. Oft entzünden dich Begierden und treiben dich heftig; doch überlege, ob du um meiner Ehre oder deines Nutzens willen mehr angeregt wirst. Bin ich die Ursache, so wirst du wohl zufrieden sein, wie ich es auch ordnen mag, ist aber dabei etwas von Selbstsucht im Spiele, sieh, so ist es dieß, was dich hindert und beschwert.

2. Darum hüte dich, daß du nicht allzu sehr auf ein, ohne meinen Rath, von dir selbst hervorgerufenes Verlangen trauest, damit nicht etwa nachher dich gereue oder gar mißfalle, was dir zuerst gefiel und wofür du eifertest, als ob es das Bessere wäre. Denn nicht jeder Neigung, die gut scheint, darf man sofort folgen, aber auch nicht jede widrige Empfindung sogleich fliehen. Es ist bisweilen zuträglich, selbst bei guten Bestrebungen und Wünschen den Zügel zu ge-brauchen, damit du nicht durch Ungestüm in Geisteszerstreuung gerathest;

damit du nicht Andern durch Zuchtlosigkeit Aergerniß gebest, oder auch durch den Widerstand Anderer plötzlich bestürzt werdest und fallest.

3. Zuweilen jedoch muß man Gewalt brauchen und dem sinnlichen Begehren mannhaft entgegen treten, und nicht darauf achten, was das Fleisch wolle, sondern vielmehr gerade darauf hinarbeiten, daß es auch wider Willen dem Geiste sich unterwerfe. Und so lange muß es kasteiet und zur Unterwürfigkeit gezwungen werden, bis es zu allem willig ist, bis es gelernt hat, sich an Wenigem genügen zu lassen, am Einfachen Vergnügen zu finden und bei keiner Wider-wärtigkeit zu murren.


Kapitel 12 - Von der Unterwerfung in der Geduld und dem Kampfe gegen die Begierden.


1. Herr, mein Gott, ich sehe ein, daß mir Geduld sehr vonnöthen ist; denn in diesem Leben ereignet sich viel Widerwärtiges. Wie ich es auch meines Friedens halber ordnen mag, so kann doch mein Leben nicht ohne Kampf und Schmerz sein.

2. So ist’s, mein Sohn! Aber ich will nicht, daß du nach einem solchen Frieden trachtest, welcher von allen Anfechtungen frei ist oder Widerwärtiges nicht erfährt. Vielmehr sollst du erst dann glauben, den Frieden gefunden zu haben, wenn du durch allerlei Trübsale geübt und durch viele Widerwärtigkeiten bewährt bist. Sagst du aber, du könnest nicht so viel leiden: wie wirst du dann das Feuer des Reinigungsortes aushalten? Von zwei Uebeln muß man immer das kleinste wählen. Damit du also den zukünftigen Strafen der Ewigkeit entgehen mögest, so befleißige dich, die Leiden dieser Zeit um Gottes willen mit Gleichmuth zu ertragen. Glaubst du denn, die Weltkinder hätten nichts oder nur wenig zu leiden? Das wirst du nicht finden, selbst wenn du die Verzärteltsten aufsuchtest. Du sprichst: Ja, aber sie haben doch viele Ergötzlichkeiten und folgen ihrem eigenen Willen, weßwegen sie ihre Trübsale nicht hoch anschlagen.

3. Gesetzt nun auch, sie hätten, was sie wünschen; aber wie lange, meinst du, wird das währen? Siehe, wie Rauch werden sie vergehen, die in der Welt Ueberfluß haben, und nicht eine Erinnerung an die vergangenen Freuden wird ihnen bleiben. Aber auch, so lange sie noch leben, haben sie keine Ruhe darin ohne Bitterkeit, Ueberdruß und Furcht. Denn gerade das, woraus sie sich Freude schöpfen, wird ihnen auch häufig zur Quelle des Schmerzes und der Pein. Hieran geschieht ihnen ganz recht, denn da sie ungeordnet Vergnügungen suchen und ihnen nachgehen, so können sie dieselben nicht ohne Scham und Bitterkeit befriedigen.

4. O wie kurz, wie täuschend, wie unordentlich und schändlich sind alle diese Genüsse! Aber das sehen solche Menschen vor Trunkenheit und Blindheit nicht ein, sondern rennen, gleich den unvernünftigen Thieren, um einer geringen Lust des vergänglichen Lebens willen in den Tod der Seele. Du also, mein Sohn! Folge nicht deinen Begierden, und brich deinen Willen. Freue dich in dem Herrn, und er wird dir geben, was dein Herz wünschet.

5. Denn wenn du wahrhaft erfreut und überschwänglich von mir getröstet werden willst, siehe, so wird die Verachtung aller weltlichen Dinge und die Entsagung aller niedrigen Freuden dein Segen sein und dir reichlicher Trost gewährt werden. Und je mehr du dich allem Troste der Kreatur entziehest, um so süßeren und kräftigeren Trost wirst du in mir finden. Aber anfänglich wirst du nicht dazu gelangen ohne einige Traurigkeit und manchen harten Kampf. Die alte einge-wurzelte Gewohnheit wird sich dagegen sträuben, aber sie wird zuletzt doch durch eine bessere Gewöhnung überwunden werden. Murren wird das Fleisch, aber es wird am Ende doch durch des Geistes Eifer gezügelt werden. Reizen und erbittern wird dich die alte Schlange; aber durch Gebet wird sie verscheucht, überdieß auch durch nützliche Beschäftigung der Haupteingang ihr versperrt werden.

- Fortsetzung -