Das einundvierzigste Capitel.

Wie das ein vergotteter Mensch heißt und ist, der da durchleuchtet ist mit dem göttlichen Lichte und entzündet ist mit ewiger Liebe, und wie Licht und Erkenntnis nichts taugen ohne Liebe.

 

Man möchte fragen, welches oder was ein vergotteter oder ein göttlicher Mensch sei? Antwort: Der durchleuchtet oder durchglänzt ist mit dem ewigen oder göttlichen Licht und entzündet oder entbrannt mit einiger und göttlicher Liebe, der ist ein göttlicher oder vergotteter Mensch. Und von dem wahren Licht ist vorn etwas gesagt. Aber man soll wissen, daß das Licht oder die Erkenntnis nichts ist oder taugt ohne Liebe. Das mag man hiebei wohl merken. Denn ob ein Mensch auch weiß, was Tugend oder Untugend ist, hat er die Tugend nicht lieb, so ist er darum nicht tugendhaft, denn er folgt der Untugend nach und läßt die Tugend. Hat er aber die Tugend lieb, so folgt er ihr nach, und die Liebe macht, daß er der Untugend feind wird und kann sie nicht thun oder üben und hasset sie auch in allen Menschen und er hat die Tugend also lieb, daß er sie nicht ungethan oder ungeübt läßt, wo er kann, und das um keinen Lohn oder Warum, sondern allein der Tugend zu lieb. Und dem wird Tugend zu Lohn und daran genügt ihm auch wohl, und er nähme keinen Schatz oder Gut für die Tugend, der tugendhaft ist oder wird. Und wer ein wahrer, tugendhafter Mensch ist, der nähme nicht die ganze Welt, daß er untugendhaft werden sollte, ja er stürbe lieber eines jämmer-lichen Todes. Also ist es auch um die Gerechtigkeit. Mancher Mensch weiß wohl, was Recht oder Unrecht ist, und ist und wird doch nicht gerecht. Weil er die Gerechtigkeit nicht lieb hat, darum so übt er Untugend und Unrecht. Aber hätte er die Gerechtigkeit lieb, so möchte er kein Unrecht thun, weil er der Ungerechtig-keit also feind wäre und gram, wo er sie erkennte in einem Menschen, daß er gern große Dinge leiden oder thun wollte, auf daß die Ungerechtigkeit vertilgt und der Mensch gerecht würde. Und ehe er Unrecht wollte thun, lieber wollte er sterben, und das Alles um nichts als der Gerechtigkeit zu lieb. Und dem wird Gerechtigkeit zu Lohn und sie lohnt ihm mit sich selber, und da wird und ist ein gerechter Mensch, der lieber hundertmal sterben wollte, denn unrecht leben. Also ist es auch um die Wahrheit. Ob auch der Mensch wohl weiß, was wahr, falsch oder gelogen ist: hat er die Wahrheit nicht lieb, so ist er nicht wahrhaftig; hat er sie aber lieb, so geschieht ihm wie mit der Gerechtigkeit. Von der Gerechtigkeit spricht Jesajas im sechsten Capitel: „Wehe, wehe allen denen, die einen zwiefältigen Geist haben: das sind die, die von außen gut scheinen und innen voll Lügen sind und in ihrem Mund wird Lüge gefunden.“ Also merkt man, daß Wissen und Erkenntnis ohne Liebe nichts wert ist. Auch merkt man es bei dem bösen Geiste: der weiß und erkennt bös und gut, Recht und Unrecht und desgleichen, und weil er nicht Liebe hat zu dem Guten, das er erkennt, so wird er nicht gut, das doch geschähe, hätte er Liebe zu der Wahrheit und zu andern Tugenden, die er erkennt. Es ist wohl wahr, daß Liebe von Erkenntnis geleitet und gelehrt werden muß; aber folgt Liebe der Erkenntnis nicht nach, so wird nichts daraus. Also ist es auch um Gott und das, was Gott zugehört. Ob auch ein Mensch viel erkennt von Gott und was Gottes Eigenschaft ist, und wähnt, er wisse und erkenne auch, was Gott ist: hat er nicht Liebe, so wird er nicht göttlich oder vergottet. Ist aber wahre Liebe dabei, so muß sich der Mensch an Gott halten, und muß lassen Alles, das nicht Gott ist oder Gott nicht zugehört; und was das ist, dem ist er Allem feind und gram, und es ist ihm zuwider und ein Leiden. Und diese Liebe vereinigt den Menschen mit Gott, daß er nimmermehr davon geschieden wird.

 

Das zweiundvierzigste Capitel.

Eine Frage; ob man Gott möge erkennen und nicht lieben, und wie zweierlei Licht und Liebe ist, wahr und falsch.

 

Hieher gehört eine vernünftige Frage. Man hat gesprochen: Wer Gott erkennt und nicht liebt, der wird nimmer selig von der Erkenntnis. Das heißt, man möge Gott erkennen und nicht lieben. So spricht man anderswo: Wo Gott erkannt wird, da wird ER auch geliebt, und was Gott erkennt, das muß Ihn auch lieben. Wie kann nun dies bestehen? Hier soll man wiederum etwas merken. Es ist vorn gesagt von zweierlei Lichtern, von einem wahren und falschen. Also soll man auch merken zweierlei Liebe, wahre und falsche. Eine jegliche Liebe muß von einem Licht oder Erkenntnis gelehrt und geleitet werden. Nun macht das wahre Licht wahre Liebe und das falsche Licht macht falsche Liebe; denn was das Licht für das Beste hält, das giebt es der Liebe für das Beste dar und spricht, sie solle es lieb haben, und die Liebe folgt ihm und vollbringt sein Gebot. Nun ist vorn gesagt, daß das falsche Licht natürlich und Natur ist. Darum so ist ihm eigen und gehört ihm Alles das zu, das der Natur eigen ist und ihr zugehört, das ist: Ich, Mein, Mir, Mich und desgleichen, und darum so muß es betrogen sein an sich selber und falsch sein, denn es kam nie kein Ich, Mein oder Mich zu wahrem Licht oder zu Erkenntnis unbetrogen, außer Eins allein, das ist in den göttlichen Menschen. Und wo man zur Erkenntnis der einfältigen Wahrheit kommen soll, da muß dies Alles abfallen und verloren werden. Und dem natürlichen Lichte gehört insbesondere zu, daß es gern viel wüßte oder wissen wollte, wenn es sein möchte, und hat große Lust, Freude und Glorieren in seinem Wissen und Erkennen, und darum so begehrt es allezeit mehr und mehr zu wissen, und darin kommt es nimmer zur Ruhe und zu Genügen, und je mehr es lernt und erfährt, je mehr es Lust und Glorieren hat. Und wenn es so hoch kommt, daß es meint, es erkenne Alles und über Alle, so steht es in seiner höchsten Lust und Glorieren und es hält dann das Erkennen für das Beste und für das Edelste, und darum so lehrt es die Liebe, sie solle das Erkennen und Wissen lieb haben für das Beste und Edelste. Sieh, da wird das Erkennen und Wissen mehr geliebt denn das, das erkannt wird, denn das natürliche falsche Licht liebt sein Erkennen und Wissen, das es selber ist, mehr denn das, das erkannt wird. Und wäre es möglich, daß dies falsche natürliche Licht Gott und einfältige Wahrheit, wie sie in Gott und in der Wahrheit ist, erkennte, es ließe dennoch nicht von seiner Eigenschaft, das ist: von sich selber und von dem Seinen. Sieh, in diesem Sinne ist die Erkenntnis ohne Liebe zu dem, das erkannt ist oder wird. Und also steigt es und klimmt also hoch, daß es wähnt, es erkenne Gott und die lautere, einfältige Wahrheit, und also liebt es sich in sich selber. Und es ist wahr, daß Gott von nichts erkannt wird, denn von Gott. Und wie nun dies Licht wähnt, es erkenne Gott, so wähnt es auch, es sei Gott und giebt sich für Gott aus und will auch dafür gehalten sein, und es meint, es sei über alle Dinge und sei aller Dinge wohl würdig und habe zu allen Dingen Recht und sei auch über alle Dinge gekommen, so über Gebot, Gesetze und über alle Tugend, und auch über Christum und Christi Leben, und es wird ihm Alles ein Spott, denn es will nicht Christus sein, sondern es will Gott sein in Ewigkeit. Und das kommt davon. Weil Christus und all Sein Leben aller Natur zuwider und schwer ist, darum so will die Natur nicht daran; aber Gott sein in Einigkeit und nicht Mensch, oder Christus sein, als ER war nach der Auferstehung, das ist Alles der Natur leicht, angenehm und bequem. Darum hält sie es für das Beste, denn sie meint, es sei ihr Bestes. Sieh, von dieser falschen, betrogenen Liebe wird etwas erkannt und nicht geliebt, sondern das Erkennen und Wissen wird mehr geliebt, denn das, das erkannt wird. Auch ist ein Erkenntnis, das heißt man Wissen, das ist: daß man von Hörensagen oder von Lesen oder von großer Schriftgelehrsamkeit meint, man wisse gar viel, und nennt es ein Wissen und spricht: „Ich weiß dies oder das.“ Und wenn man fragt: „Woher weißt du das?“ so spricht man: „Ich habe es in der Schrift gelesen,“ und der-gleichen. Sieh, das heißt man Wissen und Erkennen. Es ist aber nicht Wissen, sondern ein Glauben, und von diesem Wissen und dieser Erkenntnis wird viel erkannt und gewußt und nicht geliebt. Noch ist eine Liebe, die ist zumal falsch, das ist: So man etwas lieb hat um Lohn, wie man Gerechtigkeit lieb hat, nicht um Gerechtigkeit, sondern daß man etwas damit erlange und dergleichen. Und wenn eine Kreatur die andere lieb hat um etwas des Ihren, oder die Kreatur Gott um etwas des Ihren lieb hat, so ist es alles falsch, und diese Liebe gehört eigentlich der Natur zu, denn Natur als Natur vermag oder kennt anders keine Liebe als diese; denn wer es merken kann, so hat Natur als Natur nichts lieb, denn sich selber. Sieh, in dieser Weise wird etwas für gut erkannt und nicht geliebt. Aber wahre Liebe wird gelehrt und geleitet von dem wahren Lichte und Erkenntnis, und das wahre, ewige und göttliche Licht lehrt die Liebe, nichts lieb zu haben, denn das wahre, einfältige und vollkommene Gut, und um nichts, denn um Gut und nicht, daß man das zu Lohn von ihm haben wolle oder etwas anderes, sondern allein dem Guten zu lieb und darum, daß es gut ist und daß es von Rechtswegen geliebt werden soll. Und was also von dem wahren Lichte erkannt wird, das muß auch geliebt werden von der wahren Liebe. Nun kann das vollkommene Gut, das man Gott nennt, nicht erkannt werden, denn von dem wahren Lichte, darum so muß es auch geliebt werden, wo es erkannt wird oder ist.

 

Das dreiundvierzigste Capitel.

Wobei man einen wahren vergotteten Menschen erkennen könne und was ihm zugehöre, und was einem falschen Lichte oder einem falschen freien Geist auch zugehöre.

 

Auch soll man merken: Wo wahre Liebe und das wahre Licht in einem Menschen ist, da wird das vollkommene Gut erkannt und geliebt von sich selber und als sich selber, und doch nicht, daß es sich liebt von sich selber und als sich selber, sondern das wahre Eine vollkommene Gut kann und will nichts Anderes lieb haben, insofern es ihm lieb ist, denn das Eine wahre Gut. Und weil es nun dasselbe ist, so muß es sich selber lieb haben, und nicht sich selber als sich selber, und doch nicht sich selber als sich selber und auch nicht von sich selber, sondern also und insofern, als das Eine wahre Gut liebt das Eine wahre voll-kommene Gut und das Eine wahre vollkommene Gut geliebt wird von dem Einen wahren vollkommenen Gut. In diesem Sinne spricht man und es ist auch wahr: Gott hat Sich selber nicht lieb als Sich selber. Denn wäre etwas Besseres denn Gott, das hätte Gott lieb und nicht Sich selber; denn in diesem wahren Lichte und in dieser wahren Liebe ist oder bleibt weder Ich noch Mich, Mein, Mir, Du, Dein und desgleichen, sondern das Licht erkennt und weiß ein Gut, das alles Gut und über alles Gut ist, und daß alles Gut eins ist wesentlich in dem Einen, außer welchem kein Gut ist. Und darum wird auch da nicht geliebt dies oder das, Ich noch Du oder desgleichen, sondern allein das Eine, das weder Ich noch Du, dies oder das ist, sondern es ist über alles Ich und Du, dies und das, und in dem wird alles Gut geliebt als Ein Gut, wie man spricht: Alles in Einem als Eines und Eines in Allem als Alles und Eines und alles Gut wird geliebt durch das Eine in dem Einen und dem Einen zu lieb von der Liebe, die man zu dem Einen hat. Sieh, hier muß alle Ichheit, Meinheit und Selbstheit und was das ist, zumal verloren und gelassen werden; das ist Gottes Eigen, außer dem, was zu der Persönlichkeit gehört. Und was in einem wahren vergotteten Menschen geschieht, es sei in thätiger oder in leidender Weise, das geschieht in diesem Licht und in dieser Liebe und aus demselben durch dasselbe wieder in dasselbe. Da wird und ist ein Genügen und ein Stillstehen, nichts zu begehren, minder oder mehr zu wissen, zu haben, zu leben, zu sterben, zu sein oder nicht zu sein und was das ist, das wird alles Eins und gleich und da wird nichts beklagt als allein die Sünde. Und was nun Sünde sei, das ist vorher gesagt, das ist: anders begehren oder wollen, denn das einige vollkommene Gut oder der Eine ewige Wille, und ohne und wider dasselbe oder denselben Einen Willen wollen. Und was hieraus geschieht, als Lügen, Trügen, Ungerechtigkeit, Falschheit und alle Untugend, und kürzlich alles, das man Sünde nennt und ist, das kommt Alles davon, daß man anders will, denn Gott und das wahre Gut: denn wäre kein Wille als der Eine, so geschähe nimmer keine Sünde. Darum mag man wohl sprechen, daß aller eigener Wille Sünde sei, und nichts Anderes ist dann auch Alles, das daraus geschieht. Und dies wird allein beklagt in einem wahren vergotteten Menschen und wird so sehr beklagt und thut ihm so weh: sollte derselbe Mensch hundert schändliche und peinliche Tode leiden, das würde nicht also sehr beklagt und thäte auch nicht also weh als Sünde, und das muß bleiben bis in den leiblichen Tod, und wo das nicht ist, da ist auch nicht ein wahrer göttlicher oder vergotteter Mensch ohne Zweifel. Weil nun in diesem Lichte und in dieser Liebe alles Gut in Einem und als Eines und das Eine in Allem und in Allen als Eines und als Alles geliebt wird, so muß Alles das da geliebt werden, das in Wahrheit guten Namen hat, als Tugend, Ordnung, Vernünftigkeit, Gerechtigkeit, Wahrheit und desgleichen; und alles, das Gott in dem wahren Gute zugehört und Sein Eigen ist, das wird geliebt und gelobt; und das dem zuwider ist und ohne dieses ist, das ist Leiden und Pein und wird beklagt als Sünde, weil es in der Wahrheit Sünde ist. Und von welchem Menschen gelebt wird in dem wahren Lichte und in der wahren Liebe, das ist das alleredelste, beste und würdigste Leben, das je ward oder immer wird. Darum so muß es auch geliebt und gelobt werden über alles Leben. Und dies war und ist in Christo in ganzer Vollkommenheit, es wäre anders nicht Christus. Und diese Liebe, von der dieses edle Leben geliebt wird und alles Gut, die macht, daß Alles das, was zu leiden, zu thun oder zu geschehen gebührt und sein muß oder soll, das wird Alles williglich, würdiglich und gern gethan und gelitten, wie schwer es auch der Natur ist. Darum spricht Christus: „Mein Joch ist süß und Meine Bürde leicht.“ Das kommt von der Liebe, die dieses edle Leben liebt. Das kann man merken bei den lieben Aposteln und Märtyrern: die litten williglich und gern, was ihnen zu leiden geschah, und begehrten nicht von Gott, daß ihnen das Leiden und die Pein kürzer oder leichter oder minder würde, sondern allein, daß sie fest und beständig blieben. In der Wahrheit, Alles, das göttlicher Liebe zugehört in einem wahren, vergotteten Menschen, das ist so gar einfältig, schlicht und recht, daß es mit rechtem Unterschied nie ganz ausgesprochen oder geschrieben ward, denn allein, daß es ist: denn wo es nicht ist, da kann man es auch nicht glauben: wie sollte man es denn wissen? Nun ist hinwiederum natürliches Leben da, wo eine subtile, behende, kluge Natur ist, also mannigfaltig und verworren und sucht und findet so viele Winkel und Falschheit und Täuschung, und das alles um sich selber, und dessen ist so gar viel, daß es auch nicht zu sagen und zu schreiben ist. Wenn nun alle Falschheit betrogen ist und alle Täuschung sich selber zuerst betrügt, so geschieht diesem falschen Licht und Leben auch also: denn wer betrügt, der ist betrogen, wovon vorher mehr gesagt ist. Und in diesem falschen Leben und Licht da ist Alles, das dem bösen Geist zugehört und sein Eigen ist, in solchem Maß, daß da kein Unterschied ist: denn das falsche Licht ist der böse Geist und der böse Geist ist das Licht. Das kann man merken. Denn gleichwie der böse Geist meint, er sei Gott, oder wäre gern Gott oder für Gott gehalten, und er diesem allem so gar betrogen ist, daß er meint, er sei nicht betrogen: sieh, also ist es auch um das falsche Licht und um seine Liebe und sein Leben. Und wie der böse Geist alle Menschen gern betröge und sie an sich und an das Seine zöge und sie ihm gleich machte, und kann darzu manche Kunst und List, also ist es auch in diesem falschen Lichte. Und wie den bösen Geist Niemand aus dem Seinen bringen kann, also kann auch Niemand dieses falsche betrogene Licht von seinem Irrtum bringen. Und das kommt Alles davon, daß beide, der böse Geist und die Natur, wähnen, sie seien unbetrogen und seien auf dem Aller-besten. Und das ist dann die allerböseste und schädlichste Täuschung. Darum ist der böse Geist und die Natur Eins, und wo die Natur überwunden ist, da ist auch der böse Geist überwunden; und hinwiederum, wo die Natur nicht über-wunden ist, da ist auch der böse Feind nicht überwunden. Es werde auf welt-liches oder geistliches Leben angewendet, so bleibt es doch alles in seiner falschen Täuschung also, daß es betrogen ist und betrügt Andere mit sich, wo es kann. Aus der vorstehen-den Erklärung kann man es noch näher verstehen und erkennen, als hier auseinandergesetzt ist. Denn wo man spricht von Adam und von Ungehorsam und von einem alten Menschen, Ichheit und eigenem Willen und Eigenwilligkeit, Selbstheit, Ich, Mein, Mir, Mich, Natur, Falschheit, Teufel, Sünde, das ist Alles gleich und Eins, dies ist Alles wider Gott und bleibt ohne Gott.

 

Das vierundvierzigste Capitel.

Wie nichts anderes wider Gott sei, denn eigener Wille, und wer sein Bestes sucht als das Seine, der findet es nicht, und wie der Mensch von sich selber nichts Gutes weiß oder vermag.

 

Nun möchte man fragen: Ist etwas wider Gott und das wahre Gut? Man spricht: Nein. Es ist auch nichts ohne Gott, sondern allein anders wollen, denn der ewige Wille will, das ist wider den einigen Willen. Nun will der ewige Wille, daß anders nichts gewollt oder geliebt werde, denn das wahre Gut. Und weil es nun anders ist, das ist ihm zuwider; und in diesem Sinn ist es wahr: Wer ohne Gott ist, der ist wider Gott; aber in der Wahrheit so ist nichts wider Gott oder wider das wahre Gut. Man soll es also verstehen, als ob Gott spräche: Wer ohne Mich will oder nicht will als Ich oder anders, denn Ich, der will wider Mich, denn Mein Wille ist, daß Niemand anders wollen soll, denn Ich und ohne Mich, und ohne Meinen Willen soll kein Wille sein: gleichwie ohne Mich weder Wesen noch Leben ist, noch dies oder das, also soll auch kein Wille sein ohne Mich und ohne Meinen Willen. Und gleichwie in der Wahrheit alle Wesen wesentlich Eins sind in dem vollkommenen Wesen und alles Gut Eins in dem Einen und desgleichen und nichts sein kann ohne das Eine, also sollen alle Willen Eins sein in dem Einen vollkommenen Willen und kein Wille ohne den Einen. Und wo es anders ist, das ist unrecht und wider Gott und Seinen Willen und darum ist es Sünde. Darum, alle die Willen ohne Gottes Willen (das ist aller eigene Wille) sind Sünde und Alles, was aus eigenem Willen geschieht. Alldieweil der Mensch seinen eignen Willen sucht und sein Bestes als das Seine und sich selber durch sich selber, so findet er es nimmer; denn alldieweil das geschieht, so sucht der Mensch nicht sein Bestes. Wie sollte er es denn finden? Denn so lange ihm also ist, so sucht der Mensch sich selber und wähnt, er sei selber das Beste, und weil der Mensch das Beste nicht ist, so sucht er auch nicht das Beste, dieweil er sich selber sucht. Aber in welchem Menschen gesucht, geliebt und gemeint wird Gut als Gut und um Gut und nicht anders, denn lauterlich dem Gut zu lieb, nicht als von Mir oder als Ich, Mein, Mir oder Mich und desgleichen, da wird es gefunden, denn es wird da recht gesucht, und wo es anders ist, da ist es falsch. Und in der Wahrheit, in dieser Weise sucht, meint und liebt sich das wahre, vollkommene Gut, und darum findet es sich. Es ist eine große Torheit, daß ein Mensch oder eine Kreatur wähnt, sie wisse oder vermöge etwas durch sich selber, und besonders, daß sie wähnet, sie wisse oder vermöge etwas Gutes, damit sie Großes verdienen oder erlangen möge von Gott. Man erbietet Gott Schmach damit, wer es recht verstünde. Aber das wahre vollkommene Gut übersieht es einem einfältigen, albernen Menschen, der nichts Besseres weiß, und läßt ihm so wohl geschehen, als ihm immer geschehen mag, und so viel Gutes er empfangen mag, das gönnt ihm Gott zumal wohl. Aber wie vorn gesprochen ist, er findet oder empfängt es nicht, dieweil ihm also ist, denn Ichheit und Selbstheit muß hinweg, es wird sonst nicht gefunden oder empfangen.

 

Das fünfundvierzigste Capitel.

Wo Christi Leben ist, da ist auch Christus, und wie Christi Leben das allerbeste und edelste Leben sei, das je ward oder immer werden kann.

 

Wer Christi Leben weiß und erkennt, der weiß und erkennt auch Christum. Und hinwiederum: Wer das Leben nicht erkennt, der erkennt auch Christum nicht, und wer an Christum glaubt, der glaubt, daß Sein Leben das alleredelste und beste Leben sei, das je ward, und wer das nicht glaubt, der glaubt an Christum auch nicht. Und wie viel Christi Leben in einem Menschen ist, also viel ist auch Christus in ihm, und wie wenig des einen, so wenig auch des andern. Denn wo Christi Leben ist, da ist auch Christus, und wo Sein Leben nicht ist, da ist Christus auch nicht, und wo Christi Leben ist oder wäre, da würde gesprochen, wie Sankt Paulus spricht: „Ich lebe, aber nicht ich, sondern Christus lebt in mir.“ Und das ist das edelste und beste Leben, denn wo dies Leben ist, da ist und lebt Gott selber und alles Gut. Wie möchte ein besseres Leben sein? Merke. Wenn man spricht von Gehorsam, von einem neuen Menschen und von dem wahren Lichte und von der wahren Liebe und von Christi Leben, das ist alles Eins, und wo deren Eines ist, da sind sie Alle, und wo ihrer Eines fehlt oder nicht da ist, da ist ihrer auch Keines, denn es ist alles Eins und wahrlich und wesentlich. Und womit man das erlangen möchte, daß es geboren und lebendig würde in einem Menschen, dem sollte man mit allem Fleiß anhaften, und nichts anderm. Und was es hindert, das soll man lassen und allezeit fliehen, und wer das empfängt in dem heiligen Sakrament, der hat Christum wahrlich und wohl empfangen, und je mehr man dessen empfängt, so viel mehr Christus, und je dessen minder, so viel minder Christus.

 

Das sechsundvierzigste Capitel.

Wie ein ganzes Genügen und wahre Ruhe allein in Gott sei und in keiner Kreatur, und wer Gott gehorsam sein will, der muß auch allen Kreaturen gehorsam sein in leidender Weise, und wer Gott lieb haben will, der muß alle Dinge lieb haben in Einem.

 

Man spricht: wer sich an Gott genügen läßt, der hat genug, und das ist wahr. Und wem an etwas genügt, das dies oder das ist, dem genügt nicht an Gott; sondern wem an Gott genügt, dem genügt an nichts sonst und an allem dem, das weder dies noch das ist und Alles ist: denn Gott ist Eins und muß Eins sein und Gott ist Alles und muß Alles sein. Und was nun ist und nicht Eins ist, das ist nicht Gott, und was nun ist und nicht Alles ist und nicht über Alles, das ist auch nicht Gott: denn Gott ist Eins und über Eins und ist Alles und ist über Alles. Wem nun an Gott genügt, dem genügt an Einem und allein in dem Einen als an Einem. Und wem nicht Alles Eins ist und Eins Alles und wem nicht Etwas und Nichts gleich und Eins ist, dem kann an Gott nicht genügen. Aber wo dies wäre, da wäre auch wahres Genügen, und anders nirgends. Ebenso ist es auch: wer sich Gott gänzlich lassen und gehorsam sein soll, der muß auch allen Dingen gelassen und gehorsam sein in leidender Weise und ihm nicht widerstehen oder sich zu wehren und zu behelfen suchen. Und wer also nicht Allem und allen Dingen gelassen und gehorsam ist in Einem und als Einem, der ist Gott nicht gelassen oder gehorsam. Dies merke man bei Christo. Und wer Gott leiden soll und will, der muß alle Dinge leiden in Einem als Eines und keinem Leiden mit nichten widerstehen. Das ist wiederum Christus. Und wer dem Leiden widersteht und sich dessen wehrt, der will und mag Gott nicht leiden. Dies soll man so ver-stehen. Man soll keinem Dinge oder keiner Kreatur widerstehen mit Gewalt oder mit Widerstreben an Willen oder an Werken. Man mag dem Leiden wohl zuvorkommen oder ihm entweichen und entfliehen ohne Sünde. Wer nun Gott lieb haben will oder soll, der hat alle Dinge lieb in dem Einen als Einem und Alles und Eins in Allem als Alles in Einem, und wer etwas lieb hat, dies oder das, anders denn in dem Einen und um das Eine, der hat Gott nicht lieb, denn er liebt etwas, das nicht Gott ist. Darum hat er es mehr lieb denn Gott. Wer nun etwas mehr lieb hat denn Gott, oder etwas neben Gott, der hat Gott nicht lieb, denn Gott soll und will allein geliebt sein und es sollte in der Wahrheit nichts geliebt werden denn Gott allein. Und wo das wahre Licht in einem Menschen ist und die wahre göttliche Liebe, da wird nichts Anderes geliebt denn Gott allein, denn da wird Gott geliebt als Gut und um Gut und alles Gut als Eins und Eins als Alles, denn in der Wahrheit ist Alles Eins und Eins ist Alles in Gott.

 

Das siebenundvierzigste Capitel.

Eine Frage: ob man auch die Sünde lieb haben solle, wenn man alle Dinge lieben soll.

 

Es möchte Jemand hier eine Frage thun und möchte sprechen: wenn man Alles lieb haben soll, soll man dann auch die Sünde lieb haben? Man antwortet: Nein. Wenn man spricht: Alles, so meint man das Gute, und Alles, das da ist, das ist gut insofern es ist; der böse Geist ist auch gut insofern er ist. In diesem Sinne ist nichts bös oder ungut. Aber Sünde ist anders wollen oder begehren oder lieben denn Gott. Und das Wollen ist nicht Wesen und darum ist es auch nicht gut. Kein Ding ist gut denn so viel als es in Gott und mit Gott ist. Nun sind alle Dinge wesentlich in Gott und wesentlicher in Gott denn in sich selber, und darum sind alle Dinge gut nach dem Wesen; und wäre etwas, das nicht wesentlich in Gott wäre, das wäre nicht gut. Sieh, nun ist das Wollen und Begehren, das wider Gott ist, das ist nicht in Gott: denn Gott kann nicht wollen oder begehren wider Gott oder anders denn Gott. Darum so ist es böse oder nicht gut oder auch gar nichts. Gott hat auch die Werke lieb, aber nicht alle Werke. Welche denn? Die da geschehen aus der Lehre und Anweisung des wahren Lichtes und aus der wahren Liebe. Denn was aus diesem und in diesem geschieht, das geschieht in dem Geiste und in der Wahrheit, und was dessen ist, das ist Gottes und gefällt ihm wohl. Aber was aus dem falschen Lichte geschieht und aus falscher Liebe, das ist alles bös; und besonders was geschieht und gethan oder gelassen, gewirkt oder gelitten wird aus einem andern Willen oder Begehren oder aus einer andern Liebe denn aus Gottes Willen oder Seiner Begierde oder aus Seiner Liebe, das ist und geschieht ohne Gott und wider Gott und ist auch wider Gottes Werk und ist allzumal Sünde.  

 

Das achtundvierzigste Capitel.

Wie man etliche Dinge von göttlicher Wahrheit zuvor glauben muß, ehe man zu einem wahren Wissen und Befinden göttlicher Wahrheit kommt.

 

Christus sprach: „wer nicht glaubt oder nicht glauben will oder kann, der ist und wird verdammt und verloren.“ Das ist in der Wahrheit also. Denn ein Mensch, der in diese Zeit gekommen ist, der hat kein Wissen und kann zum Wissen nicht kommen, es sei denn, daß er zuvor glaube. Und wer wissen will ehe denn er glaubt, der kommt nimmer zu wahrem Wissen. Und man meint hier nicht die Artikel des christlichen Glaubens, denn die glaubt Jedermann und ein jeglicher Christenmensch insgemein, sündig und selig, bös und gut. Und man soll eh’ glauben und kann eher nicht zum Wissen kommen. Man meint hier etwas von der Wahrheit: was möglich ist zu wissen und zu erfahren, das muß man glauben eh’ denn man es wisse oder erfahre, sonst kommt man nimmer zu wahrem Wissen, und den Glauben meint Christus.

 

Das neunundvierzigste Capitel.

Von eigenem Willen und wie Luzifer und Adam von Gott gefallen sind durch den eigenen Willen.

 

Man spricht, es sei nichts so viel in der Hölle als eigener Wille. Das ist wahr: denn da ist nichts Anderes denn eigener Wille; und wäre nicht eigener Wille, so wäre keine Hölle und auch kein böser Geist. Wenn man spricht, Luzifer fiele von dem Himmelreich und kehrte sich von Gott und desgleichen, das ist nichts Anderes, denn daß er wollte seinen eigenen Willen haben und wollte nicht einwillig sein mit dem ewigen Willen. So verhielt es sich auch mit Adam in dem Paradies. Und wenn man eigenen Willen nennt, so meint man: anders wollen denn der einige und der ewige Wille Gottes will.

 

Das fünfzigste Capitel.

Wie diese Zeit ein Paradies sei und eine Vorstadt des Himmelreichs, und ist nicht mehr denn ein Baum verboten, das ist eigener Wille.

 

Was ist aber das Paradies? Das ist Alles, das da ist, denn Alles, das da ist, das ist gut und lieblich, darum heißt es und ist wohl ein Paradies. Man spricht auch, daß das Paradies sei eine Vorstadt des Himmelreichs. Also ist Alles, das da ist, wohl eine Vorstadt des Ewigen oder der Ewigkeit und besonders was man in der Zeit und bei den zeitlichen Dingen und in und bei den Kreaturen von Gott und der Ewigkeit merken und erkennen kann: denn die Kreaturen sind eine Hinweisung und ein Weg zu Gott und zu der Ewigkeit. Also ist es Alles eine Vorburg und eine Vorstadt der Ewigkeit und darum mag es wohl ein Paradies heißen und auch sein. Und in diesem Paradies ist Alles erlaubt, was darinnen ist, ausgenommen ein Baum und seine Frucht. Das bedeutet so viel: in allem dem, das da ist, da ist nichts verboten und ist nichts, das Gott zuwider ist, außer Eins allein: das ist eigener Wille oder daß man anders wolle denn der ewige Wille will. Das ist zu merken. Denn Gott spricht zu Adam (das ist, zu einem jeglichen Menschen): „was du bist oder was du thust oder lässest oder was geschieht, das ist Alles unverboten und ist erlaubt in der Art, daß es nicht aus deinem oder nach deinem Willen geschehe, sondern aus und nach meinem Willen.“ Was aber geschieht aus deinem Willen, das ist Alles wider den ewigen Willen: nicht daß alle Werke, die da geschehen, wider den ewigen Willen seien, sondern daß sie geschehen aus einem andern Willen oder anders denn aus dem ewigen und göttlichen Willen.  

 

Das einundfünfzigste Capitel.

Warum Gott den eigenen Willen geschaffen hat, da er Ihm doch so zuwider ist.

 

Nun möchte man fragen: da dieser Baum, das ist der eigene Wille, Gott und dem ewigen Willen so zuwider ist, warum hat ihn denn Gott geschaffen und hat ihn in das Paradies gesetzt? Antwort. Welcher Mensch oder welche Kreatur begehrt zu erfahren und zu wissen den heimlichen Rat und Willen Gottes, so daß er gern wissen wollte, warum Gott dies oder das thue oder lasse und desgleichen, der begehrt nichts Anderes denn als Adam und der böse Geist. Und solange dieses Begehren währt, so wird es nimmer erkannt, und dieser Mensch ist nichts Anderes denn als Adam oder der böse Feind. Denn diese Begierde ist selten um etwas Anderes, als daß man davon Lust habe und darin gloriere, und das ist rechte Hoffart. Ein wahrer, demütiger, erleuchteter Mensch, begehrt nicht von Gott, daß ER ihm seine Heimlichkeit offenbare, also daß er frage, warum Gott dies oder das thue und verhänge oder unterlasse und desgleichen, sondern er begehrt, wie er Gott allein möge gefallen und an sich selber zu nichte und willenlos werden und daß der ewige Wille in ihm lebe und über ihn gewaltig sei und ungehindert von allen andern Willen, und wie dem ewigen Willen von ihm und in ihm Genüge geschehe. Doch kann man diese Frage anders beantworten und sprechen: das Alleredelste und Lieblichste, das in allen Kreaturen ist, das ist Erkenntnis oder Vernunft und Wille, und diese zwei sind miteinander so, wo das Eine ist, da ist auch das Andere; und wären diese zwei nicht, so wäre auch keine vernünftige Kreatur, sondern allein Vieh und viehisches Wesen, und das wäre ein großes Gebrechen und Gott möchte das Seine und Sein Eigentum nirgends bekommen (wovon vorn gesagt ist) in wirklicher Weise, das doch sein soll und zur Vollkommenheit gehört. Sieh, nun ist die Erkenntnis und Vernunft mit dem Willen geschaffen und gegeben; die sollen den Willen lehren und auch sich selber, so daß weder Erkenntnis oder Wille von sich selber ist oder daß ihrer Keines es selbst ist oder sein soll noch sich selber sollen oder wollen. Es soll ihrer Keines sich selber nützen oder gebrauchen aus sich oder um sich selber, sondern von dem sie sind, dessen sind sie auch und dem sollen sie gelassen sein und wieder darein fließen und an sich selber sollen sie zu nichte werden, das ist an ihrer Selbstheit. Hier soll man abermals etwas merken und besonders von dem Willen. Der ewige Wille, der in Gott ursprünglich und wesentlich ist und ohne alle Werke und Wirksamkeit, derselbe Wille ist in dem Menschen oder in der Kreatur wirkend und wollend: denn dem Willen gehört zu und es ist sein eigen, daß er wollen soll. Und wäre das nicht, was sollt er anders? er wäre ja sonst ganz vergebens, sollte er kein Werk haben, und dies kann ohne Kreatur nicht geschehen. Darum soll die Kreatur sein und Gott will sie haben, daß dieser Wille sein eigenes Werk darin habe und wirke, der doch in Gott ohne Werk ist und sein muß. Darum ist der Wille in der Kreatur, den man einen geschaffenen Willen heißt, ebenso wohl Gottes als der ewige Wille und ist nicht der Kreatur. Und weil nun Gott ohne Kreatur wirkend und bewegend nicht wollen kann, darum will ER es thun in und mit den Kreaturen. Darum sollte die Kreatur mit demselben Willen nicht wollen, sondern Gott sollte allein wollen wirkend mit dem Willen, der in dem Menschen ist und doch allein Gottes ist. Und wo das lauterlich und gänzlich wäre, oder in welchem Menschen das wäre, da würde gewollt, und doch nicht von dem Menschen, sondern von Gott, und da wäre der Wille nicht eigener Wille und da würde auch nicht anders gewollt denn wie Gott will: denn Gott wollte selber da und nicht der Mensch, und da wäre der Wille Eins mit dem ewigen Willen und wäre darein geflossen, und in dem Menschen wär, und bliebe Lieb und Leid, Wohl und Wehe und desgleichen. Denn wo der Wille williglich will, da ist Lieb oder Leid: denn ist es wie der Wille will, so ist es Lieb, und was anders will denn der Wille, das ist Leide, und dies Lieb und Leid ist nicht des Menschen, sondern Gottes: denn wessen der Wille ist, dessen ist auch Lieb und Leid. Nun ist der Wille nicht des Menschen, sondern Gottes: darum gehört das Lieb und Leid auch Ihm, und da wird nichts beklagt denn das allein, das wider Gott ist. So wird auch keine Freude da denn allein von Gott und von dem, das Gottes ist und Ihm zugehört. Wie es nun um den Willen ist, das ist alles Gottes und nicht des Menschen. Und wo das geschähe, daß der Wille Gott also ganz gelassen wäre, da würde das Andre allzumal gelassen, und da käme Gott zu all dem Seinen und des Menschen Wille wäre nicht eigen. Sieh, also hat Gott den Willen geschaffen, aber nicht, daß er eigen sein soll. Nun kommt der böse Geist und Adam, das ist die falsche Natur, und nimmt diesen Willen an sich und macht ihn sich zu eigen und benützt ihn für sich selber und zu ihrem Vorteil. Und dies ist der Schade und das Unrecht und ist der Biß, womit Adam den Apfel biß, und das ist verboten, denn es ist wider Gott. Und darum so lange eigener Wille irgendwo ist, da wird nimmermehr wahre Liebe, wahrer Friede, wahre Ruhe. Das merke man bei dem Menschen und bei dem bösen Geiste. Wahrlich daselbst wird nimmer wahre Seligkeit weder in Zeit noch in Ewigkeit, wo dieser eigne Wille geschieht, das ist die Aneignung, daß man sich des Willens annimmt und ihn eigen macht. Und wenn er nicht gelassen wird in der Zeit, sondern gebracht wird aus der Zeit, so ist vorauszusehen, daß er nimmer gelassen werden möge; so wird auch in der Wahrheit daselbst nimmer Genüge oder Friede oder Ruhe oder Seligkeit. Das merke man wiederum bei dem bösen Geiste. Wäre nicht Vernunft oder Wille in den Kreaturen, Gott bliebe und wäre ungeliebt und ungelobt und ungeehrt, und alle Kreaturen wären nichts wert und taugten Gott zu nichts. Sieh, damit ist diese Frage beantwortet. Wäre Jemand, der sich bessern möchte und wollte durch diese langen und vielen Worte, die doch kurz und nützlich in Gott sind, das wäre Gott lieb. Was frei ist, das ist Niemands eigen, und wer das zu eigen macht, der thut unrecht. Nun ist unter allem Freien nichts freier oder so frei als der Wille, und wer den zu eigen macht, und läßt ihn nicht in seiner edlen Freiheit und in seinem freien Adel und in seiner freien Art bleiben, der thut gar unrecht. Das thut der böse Geist und Adam und alle ihre Nachfolger. Aber wer den Willen läßt in seiner edlen Freiheit, der thut recht; und das thut Christus und alle seine Nachfolger. Wer aber den Willen seiner edlen Freiheit beraubt und ihn zu eigen macht, der muß auch zu Lohn haben, daß er mit Sorgen und Bekümmernis, mit Unge-nügsamkeit und mit Unfrieden und Unruhe und mit allem Unglück behaftet ist, und das bleibt und währt in Zeit und in Ewigkeit. Aber wer den Willen in seiner freien Art läßt, der hat Genüge, Friede, Ruhe und Seligkeit in Zeit und in Ewigkeit. Wo und in welchem Menschen der Wille nicht zu eigen gemacht wird, sondern in seiner edlen Freiheit bleibt, da wird und ist ein wahrer, freier, lediger Mensch oder Kreatur, davon Christus spricht: „die Wahrheit soll euch frei machen.“ Und gleich darauf spricht ER: „wen der Sohn frei macht, der ist wahrlich frei.“ Auch soll man merken. In welchen Menschen der Wille sich seiner Freiheit gebraucht, da hat er sein eigenes Werk, das ist Wollen, und da wähle er was er wolle, ungehindert, so wählt er doch das Edelste und das Beste in allen Dingen, und Alles, das nicht edel und gut ist, das ist ihm zuwider und ist ihm ein Jammer und eine Klage. Und so der Wille je freier ist und ungehinderter, so ihm Ungut, Unrecht, Untugend und kurz alle Bosheit und Alles, was man Sünde heißt und ist, desto weher thut und ihm desto größeren Jammer und Klage macht. Das merke man bei Christo. In dem war ER der allerfreieste, ungehindertste und unabhängigste Wille, der in keinem Menschen je ward oder immer wird. Ebenso war auch Christi Menschheit die allerfreieste und ledigste Kreatur und doch hatte Sie die größte Klage, Jammer und Leiden um die Sünde (das ist um alles das, das wider Gott ist), das in einer Kreatur sein kann. Aber wo man sich der Freiheit annimmt, also daß da kein Jammer und Klage sei um die Sünde und was wider Gott ist, sondern daß man spricht, man solle aller Dinge unachtsam und sorglos sein, und man solle sein in der Zeit wie Christus war nach Seiner heiligen Auferstehung, und desgleichen: da ist nicht eine wahre göttliche Freiheit aus einem wahren göttlichen Lichte, sondern da ist eine natürliche, ungerechte, falsche und betrogene Freiheit aus einem natürlichen, falschen und betrogenen Lichte. Wäre nicht eigener Wille, so wäre auch kein Eigentum. In dem Himmel da ist nichts Eigenes: daher ist da Genüge, wahrer Friede und alle Seligkeit. Wäre Jemand da, der sich etwas zu eigen annähme, der würde sogleich heraus gestoßen in die Hölle und würde zu einem bösen Geiste. Aber in der Hölle da will Jedermann eigenen Willen haben: darum ist da alles Unglück und Unseligkeit. Also ist es auch in der Zeit. Wäre aber Jemand in der Hölle, der ohne eigenen Willen wäre oder würde und ohne Eigentum, der käme aus der Hölle in das Himmelreich. Nun ist der Mensch in dieser Zeit zwischen dem Himmelreich und der Hölle und mag sich kehren, zu welchem er will. Denn je mehr Eigentum, desto mehr Hölle und Unseligkeit, und je minder eigenes Willens, desto minder Hölle und näher dem Himmelreich. Und möchte der Mensch in dieser Zeit lauterlich ohne eigenen Willen und ohne alles Eigentum sein ledig und frei aus einem wahren göttlichen Lichte und bliebe wesentlich also, der wäre des Himmelreichs sicher. Wer etwas Eigenes hat oder haben will oder gern hätte, der ist selber eigen; und wer nichts Eigenes hat oder haben will und nichts zu haben begehrt, der ist ledig und frei und Niemands eigen. Alles, das hier geschrieben ist, das hat Christus gelehrt mit Worten und hat es auch vollbracht mit den Werken wohl dreißig und vierthalb Jahre lang, und ER lehrt uns das mit kurzen Worten, indem ER spricht: „folge Mir nach.“ Aber wer Ihm folgen soll, der muß alle Dinge lassen, denn in Ihm waren alle Dinge so gelassen, wie es in keiner Kreatur je gelassen ward oder geschehen kann. Auch soll, wer Ihm folgen will, das Kreuz auf sich nehmen, und das Kreuz ist nichts Anderes denn Christi Leben, denn das ist ein bitteres Kreuz aller Natur. Darum spricht ER: „wer nicht alle Dinge läßt und nicht das Kreuz auf sich nimmt, der ist Meiner nicht würdig und ist Mein Jünger nicht und folgt Mir nicht nach.“ Aber die freie falsche Natur wähnt, sie habe alle Dinge gelassen: sie will aber von dem Kreuze nichts und spricht, sie habe es genug gehabt und bedürfe seiner nicht mehr, und also ist sie betrogen. Denn hätte sie das Kreuz je geschmeckt, sie möchte es nimmermehr lassen. Wer an Christum glaubt, der muß alles das glauben, das hier geschrie-ben steht.

 

Das zweiundfünfzigste Capitel.

Wie man die zwei Worte verstehen soll, die Christus gesprochen hat, das Eine: „Niemand kommt zu dem Vater denn durch Mich“; das Andere: „Niemand kommt zu Mir, der Vater ziehe ihn denn.“

 

Christus spricht: „Niemand kommt zu dem Vater denn durch Mich.“ Nun merke, wie man durch Christum zu dem Vater kommen soll. Der Mensch soll wahr-nehmen seiner selbst und alles des Seinen von innen und von außen und soll sich also halten und bewahren (so viel es möglich ist), daß in ihm von innen nimmer kein Wille noch Begehren, Liebe oder Lust, Meinung oder Gedanke entstehe oder bleibe anders, denn als es Gott zugehöre und wohl gezieme, wenn Gott selber der Mensch wäre. Und wo man gewahr wird, daß sich Anderes erhebt, das Gott nicht zugehört und Gott nicht wohl geziemt, dem soll man widerstehen und soll das vertilgen, so bald und schnell man kann. Und dasselbe soll auch sein von außen an Thun und Lassen, an Reden, an Schweigen, an Wachen, an Schlafen, an Gehen, an Stehen und kürzlich an aller Weise und allem Wandel, die der Mensch hat gegen sich und mit sich selber und gegen andern und mit andern Leuten, daß dies alles behütet sei, daß etwas Anderes geschehe oder daß sich der Mensch zu etwas Anderm kehre oder Anderm etwas in sich gestatte aufzustehen oder zu bleiben von innen und von außen oder in ihm oder durch ihn geschehe anders denn als es Gott wohl zugehört und wohl möglich und ziemlich wäre, ob Gott selber der Mensch wäre. Sieh, was das ist oder wäre: was dann da wäre oder ist von innen oder geschähe von außen, da ist oder wäre alles Gottes, und der Mensch ist oder wäre ein wahrer Nachfolger Christi nach seinem Leben, soviel wir davon verstehen und sagen können. Und wer dies Leben hätte, der ginge und käme durch Christum, denn er wäre Christi Nachfolger: darum so käme er auch mit Christo zu dem Vater und durch Christum und er wäre auch ein wahrer Diener Christi. Denn wer Ihm nachfolgt – wie ER selbst spricht: „wer Mir dienen will, der folge Mir nach“, als wenn ER spräche: wer Mir nicht folgt, der dient Mir auch nicht –und wer also Christo nachfolgt und Ihm dient, der kommt dahin, da Christus ist, das ist zu dem Vater. Das spricht Christus selber: „Vater, Ich will, wo Ich bin, daß auch Meine Diener daselbst seien.“ Sieh, wer diesen Weg geht, der geht durch die Thür in den Schafstall, das ist in das ewige Leben, und der Thorwart schließt ihm auf, und wer einen andern Weg geht, oder wähnt, er wolle oder könne zu dem Vater kommen oder zu ewiger Seligkeit anders denn durch Christum, der ist betrogen, denn er geht nicht den rechten Weg und geht auch nicht durch die rechte Thür. Darum wird ihm nicht aufgethan, denn er ist ein Dieb und ein Mörder, wie Christus spricht. Sieh, nun merke, ob man in ungeordneter Freiheit und Unge-bundenheit und Unachtsamkeit, in Tugend und Untugend, Ordnung und Unordnung und dergleichen, als ihr wohl merkt, ob man also den rechten Weg oder zu der rechten Thür eingehe oder nicht. Diese Unachtsamkeit ist nicht in Christo gewesen, sie ist auch nicht in keinem Seiner wahren Nachfolger.

 

Das dreiundfünfzigste Capitel.

Das andere Wort: „Niemand kommt zu Mir, der Vater ziehe ihn denn.“

 

Auch spricht Christus: „Niemand kommt zu Mir, der Vater ziehe ihn denn.“ Nun merke. Bei dem Vater verstehe ich das vollkommene einige Gut, das da Alles ist und über Alles und ohne das und außerhalb dem kein wahres Wesen noch kein wahres Gut ist und ohne das kein gutes Werk nie geschah noch nimmer ge-schieht. Und weil es nun Alles ist, so muß es auch in Allem sein und über Alles. Es mag auch deren keines sein, das die Kreatur als Kreatur begreifen oder verstehen kann. Denn was die Kreatur begreifen oder verstehen kann als Kreatur (das ist nach ihrer Kreatürlichkeit), das ist Alles Etwas, dies oder das, und das ist denn Alles Kreatur. Und wäre nun das vollkommene einige Gut Etwas, dies oder das, das die Kreatur versteht, so wäre es nicht Alles noch allein und wäre auch nicht vollkommen. Darum nennt man es auch: nicht. Man meint, es sei deren keines, das die Kreatur von ihrer Kreatürlichkeit begreifen, erkennen, denken oder nennen kann. Sieh, wenn nun dies Vollkommene Ungenannte fließt in eine gebärende Person, darin es gebiert seinen eingeborenen Sohn und sich selber darin, so nennt man es Vater. Nun merke genau, wie der Vater ziehe zu Christo. Wenn der Seele oder dem Menschen etwas entdeckt wird und geoffenbaret wird von diesem vollkommenen Gut wie in einem Schauen oder in einer Verzückung, so wird in dem Menschen geboren ein Begehren, dem vollkommenen Gut zu nahen und sich mit ihm zu vereinigen. Und so dieses Begehren je größer wird, desto mehr wird ihm geoffenbart, und je mehr ihm geoffenbart wird, desto mehr begehrt er und wird gezogen. Also wird der Mensch gezogen und gelockt zu der Vereinigung des ewigen Gutes. Und dies ist des Vaters Ziehen, und also wird der Mensch gelehrt von demselben das ihn zieht, daß er zu der Ewigkeit nicht kommen kann, er komme denn dahin durch Christi Leben. Sieh, nun nimmt er das Leben an sich, von welchem vorn gesagt ist. Nun merke diese zwei Worte, die Christus spricht. Das Eine „Niemand kommt zu dem Vater denn durch Mich“, das ist: durch Mein Leben, wie vorn gesprochen ist. Das andre Wort „Niemand kommt zu Mir, der Vater ziehe ihn denn“, das ist: daß er sich des Lebens annehme und Mir nachfolge, er werde denn berührt und gezogen von dem Vater: das ist von dem einigen und vollkommenen Gute, davon Sankt Paulus spricht: „wenn das Vollkommene kommt, so wird das Geteilte alles zu nichte.“ Das ist: in welchem Menschen dasselbe Vollkommene erkannt, befunden und geschmeckt wird so viel es möglich ist in dieser Zeit, denselben Menschen dünken alle geschaffene Dinge nichts gegen diesem Vollkommenen, wie es auch in der Wahrheit ist: denn außerhalb dem Vollkommenen und ohne es ist kein wahres Gut noch wahres Wesen. Wer denn das Vollkommene hat oder erkennt und liebt, der hat und erkennt alles Gut. Was sollte ihm denn mehr oder Anderes oder was sollten ihm die Teile, da die Teile alle in dem Vollkommenen vereinigt sind in Einem Wesen? Was hier gesagt ist, das gehört alles auswendigem Leben zu und es ist ein Weg und ein Zugang zu einem wahren inwendigen Leben und das inwendige das hebt an nach diesem. Wenn der Mensch das Vollkommene schmecken wird, so viel es möglich ist, so werden alle geschaffenen Dinge dem Menschen zunichte und auch der Mensch selber. Und so man erkennt in der Wahrheit, daß das Vollkommene allein ist Alles und über Alles, so folgt not-wendig darauf, daß man demselben Vollkommenen allein alles Gute zuerkennen muß und keiner Kreatur, z. B. Wesen, Leben, Erkennen, Wissen, Vermögen und desgleichen. Und darnach folgt, daß sich der Mensch nichts annimmt, weder Wesens, Lebens, Wissens, Vermögens, Thuns und Lassens, noch alles dessen, das man gut nennen kann. Und also wird der Mensch so arm und wird auch sich selber zu nichte und in sich und mit ihm alles Ich, das ist alle geschaffenen Dinge. Und nun erst hebt sich an ein wahres inwendiges Leben, und dann weiter wird Gott selber der Mensch, also daß da nichts mehr ist, das nicht Gott oder Gottes sei, und auch daß da nichts ist, das sich Etwas annehme. So ist und lebt und erkennt und vermag und liebt und will und thut und läßt Gott, das ist: das ewige Eine Vollkommene allein. Und also sollte es in der Wahrheit sein, und wo es anders ist, da möchte ihm wohl besser und rechter sein. Auch ist es ein guter Weg und Zugang, daß man wahrnehme, daß allzeit das Beste das Liebste sei, und daß man das Beste erwähle und sich dazu halte und sich damit vereinige. Zuerst in den Kreaturen. Was ist aber das Beste in den Kreaturen? Das merke. Wo das ewige vollkommene Gut und das Seine (das ist Alles, das Ihm zugehört) am meisten scheint und wirkt und erkennt und geliebt wird. Was ist aber das, das Gottes ist und Ihm zugehört? Ich spreche: es ist alles das, das man von Recht und mit Wahrheit gut heißt und gut nennen kann. Wenn man sich dann also in den Kreaturen zu dem Besten hält, das man erkennen kann, und dabei bleibt und nicht hinter sich geht, der kommt zu einem Bessern und aber zu einem Bessern also lang, daß der Mensch erkennt und schmeckt, daß das ewige Gut ein vollkommenes Gut ist ohne Maß und ohne Zahl über alles geschaffene Gut. Soll nun das Beste das Liebste sein und folgt man demselben nach, so soll das ewige Eine Gut über Alles und allein lieb gehabt sein, und es soll sich der Mensch zu dem allein halten und sich mit ihm vereinigen, so viel es möglich ist. Und soll man nun dem ewigen einigen Gute alles Gute zu erkennen, wie man doch von Recht und in der Wahrheit soll, so muß man ihm auch von Recht und in der Wahrheit zuerkennen das Anfängen und den Fortgang und das Vollenden, so daß dem Menschen oder der Kreatur gar nichts bleibe. Also sollte es in der Wahrheit sein, man sage oder singe was man wolle. Also käme man zu einem wahren inwendi-gen Leben. Und wie es denn weiter erginge oder was da geoffenbart würde oder wie da gelebt würde, davon singt und sagt Niemand. Es ward auch mit Munde nie ausgesprochen noch mit Herzen nie gedacht oder erkannt, wie es in der Wahrheit ist. Diese lange vorgesprochene Rede begreift kürzlich, wie es von Recht sollte sein und in der Wahrheit, daß in dem Menschen gar nichts wäre, das sich Etwas annähme noch Etwas begehrte, wollte oder liebte oder meinte in allen Dingen, sondern allein Gott und was göttlich ist, das ist das ewige und einige vollkommene Gut. Ist aber etwas Anderes in dem Menschen, daß er sich etwas annimmt oder will, meint oder begehrt dies oder das, es sei was es immer sei, anders oder mehr denn das vollkommene ewige Gut, das Gott selber ist, das ist zu viel und ist ein großes Gebrechen und hindert den Menschen an einem vollkommenen Leben, also daß der Mensch dies vollkommene Gut nimmer bekommt, er lasse denn alle Dinge und zuerst sich selber. Denn Niemand kann zweien Herren dienen, die wider einander sind: wer Eines will haben, der muß das Andere lassen fahren. Darum, soll der Schöpfer hinein, so muß alle Kreatur hinaus, das wisset fürwahr.  

 

Das vierundfünfzigste Capitel.

Wie der Mensch in keinen Dingen das Seine suchen soll, weder in Geist noch in Natur, sondern allein die Ehre Gottes, und wie man durch die rechte Thüre, das ist durch Christum, eingehen soll in das ewige Leben.

 

Kann der Mensch dazu gelangen, daß er Gott wie dem Menschen seine Hand ist, so lasse er sich genügen und suche nicht weiter. Das rate ich mit Treuen und bleibe dabei. Das ist, daß man sich dessen soll befleißigen und gewöhnen, daß man Gott und Seinen Geboten zu allen Zeiten und in allen Dingen so gehorsam sei, daß man weder in Geist noch in Natur keinen Widerstand finde, also daß Seele und Leib mit allen seinen Gliedern ebenso willig und bereit seien, wozu ihn Gott geschaffen, als dem Menschen seine Hand ist: denn die ist in seiner Macht, also daß er sie in einem Augenblick wendet und kehrt wie er will. Und wo man sich anders findet, das soll man bessern mit ganzem Fleiß, und das soll gesche-hen aus Liebe und nicht aus Furcht, und man soll auch in allen Dingen, was das immer sei, allein Gott meinen und Sein Lob und Seine Ehre suchen. Man soll des Seinen nirgend suchen weder in Geist noch in Natur, und das muß notwendig so sein, soll ihm anders Recht sein. Und eine jegliche Kreatur ist dasselbe von Rechtswegen und in der Wahrheit Gott schuldig, und sonderlich der Mensch, dem durch die Anordnung Gottes alle Kreaturen unterthan sind und Ihm dienen auf das, daß der Mensch Gott allein unterthan sei und Ihm diene. Auch soll man mit Fleiß merken: wenn der Mensch also weit und hoch kommt, so daß er wähnt und ihn dünkt, daß er dazu gekommen sei, so ist Zeit, daß er sich vorsehe, daß ihm der böse Geist keine Asche und seinen Samen darein sähe, also daß die Natur ihre Gemächlichkeit und Ruhe, Friede und Wollust darein suche und nehme und komme in eine törichte ungeordnete Freiheit und Unachtsamkeit, das doch einem wahren göttlichen Leben zumal fern und fremd ist. Und das geschieht dem Menschen, der nicht gegangen hat noch gehen will den rechten Weg und zu der rechten Thüre ein, das ist durch Christum, wie vorn gesagt ist, und wähnt, er wolle und möge anders und auf einem andern Wege kommen zu der obersten Wahrheit. Er meint auch wohl, er sei dazu gekommen, das er doch wahrlich nicht ist. Das bezeugt man mit Christo, der da spricht: „wer anders eingehen will denn durch Mich, der kommt nimmer hinein noch zu der obersten Wahrheit, sondern er ist ein Dieb und ein Mörder.“ Ein Dieb: denn er stiehlt Gott Sein Lob und Seine Ehre, weil sie allein Gott zugehört; der nimmt er sich an und sucht und meint sich selber. Er ist ein Mörder: denn er mordet seine eigene Seele und nimmt ihr ihr Leben, das ist Gott selber. Denn gleichwie der Leib lebt von der Seele, also lebt die Seele von Gott. Er ermordet auch alle, die ihm nachfolgen mit Lehre und mit Beispiel. Denn Christus spricht: „Ich bin nicht gekommen, daß ich thue Meinen Willen, sondern den Willen Meines himmlischen Vaters, der Mich gesandt hat.“ ER spricht ferner: „was nennt ihr Mich HErr, HErr, und thut doch nicht, was Ich euch heiße?“ als wenn ER sprechen wollte: es hilft euch nichts zu dem ewigen Leben. ER spricht ferner „es wird nicht ein Jeder eingehen in das Himmelreich, der da spricht HErr, HErr, sondern der da thut den Willen Meines himmlischen Vaters.“ ER spricht noch weiter: „willst du eingehen in das ewige Leben, so halte die Gebote Gottes.“ Was sind aber die Gebote Gottes? Das ist: habe Gott lieb in allen Dingen, von deinem ganzem Herzen und deinen Nächsten wie dich selbst. In diesen zweien Geboten sind alle andere Gebote beschlossen. Es ist Gott nichts lieber und dem Menschen nichts nütz-licher als demütiger Gehorsam. Gott ist lieber ein gutes Werk, das da geschieht aus wahrem Gehorsam, denn hunderttausende, die da geschehen aus eigenem Willen wider den Gehorsam. Darum wer den hat, der darf sich nicht fürchten, denn er ist auf dem rechten Wege und folgt Christo nach. Daß wir uns selber also verleugnen und aufgeben und alle Dinge durch Gott lassen und unsern eigenen Willen also mögen aufgeben und töten und Gott allein und Seinem Willen leben, dazu verhelfe uns der, der Seinen Willen dem himmlischen Vater aufgegeben hat: Jesus Christus, unser lieber HErr, der da gebenedeit ist über alle Dinge ewiglich. Amen.

 

- Fortsetzung -