VOM BEGRIFF DER RELIGION.

 

... Wir verstehen hier unter „Religion“ die ganze Frömmigkeit der Christen, das heißt: Glauben, Leben, Gebote, Kultus, Sakramente. Die Unterscheidung der Religion vom Aberglauben durch den Zusatz „wahr“ und „falsch“ geschieht zu dem Zwecke, nach dem Genuss der Religion aus den wahren Quellen des Wortes Gottes gleichsam in einem zweiten Becher auch den Aberglauben anzubieten; nicht damit jemand daraus trinke, vielmehr um ihn auszugießen und zu zerbrechen. So steht’s ja: aus dem Vergleiche von Unterschiedlichem und Gegensätzlichem gewinnen wir bessere Kenntnis, als wenn man nur das Eine vorführt und ausmalt, das Andere aber im Dunkeln lässt; mitunter ist der Ver-stand so träge oder schwach, dass er entweder nur das ihm Dargebotene fasst oder aus Furcht vor Vergewaltigung nicht zu sagen wagt, was er erfasste. Ich will offen sprechen: manche hören zwar, dass Christi Wort: „Ihr aber nicht so“, das heißt: Ihr sollt nicht so herrschen Luk. 22,26 an die Adresse der sogenannten „Kirchenmänner“ gerichtet ist, aber wenn sie bei den Bischöfen das Gegenteil finden, so denken sie von ferne nicht so weit, dass sie sprächen: das ist aber gegen Gottes Gebot. Andere erkennen zwar das Unrecht, sind aber so bange, dass sie es nicht kundzutun wagen. Es wird sich lohnen, nach den Worten über die gerechte und wahre Religion sogleich auch die falsche zu behandeln, damit wir nicht trotz beständiger energischer Erörterung über die wahre Religion in Wirklichkeit unfromm, gottlos und ungläubig sind. So geht’s ja gegenwärtig ganz deutlich: Bischöfe und auch Fürsten geben Gesetze: „wir wollen, dass das Evangelium verkündigt wird, aber wörtlich, ohne Erklärung und ohne Ver-gleich“ ... Wir werden also in diesem Werke so vorgehen: zuerst von der wahren, dann von der falschen Religion sprechen, nicht in zwei besonderen Büchern, wohl aber in Sonderabschnitten.

 

SUBJEKT UND OBJEKT DER RELIGION.

 

Die Religion bewegt sich zwischen zwei Polen: Objekt, das heißt: derjenige, auf den sich die Religion richtet, und Subjekt, das heißt: derjenige, der in der Religion sich auf einen anderen hinrichtet; also müssen wir zunächst über die beiden Pole sprechen. Das Objekt ist Gott, das Subjekt der Mensch; folglich kann nur dann richtig von Religion gehandelt werden, wenn vor allem die Gotteserkenntnis und die Erkenntnis vom Wesen des Menschen erzielt ist.

 

VON GOTT.

 

Was Gott ist, geht vielleicht über Menschenverstand, aber dass er ist, nicht; denn viele Weise sind zur Annahme der Existenz Gottes gekommen. Einige freilich haben das göttliche Sein auf mehrere verteilt, aus beschränktem Verstande, der die gewaltige Macht und Majestät, wie sie das Göttliche haben musste, nicht Einem allein zuzuweisen wagte. Immerhin haben andere diese Beschränktheit Gott gegenüber gemerkt, sie sahen die Existenz Gottes gefährdeter, wenn sie auf mehrere verteilt, als wenn sie einem allein zugewiesen wurde. Deshalb kamen sie – ich lasse beiseite, ob das göttliche Offenbarung oder menschlichen Ursprungs war, da ich bald darauf zurückkommen werde – zu der Ansicht, nur „einen und einzigen Gott“ zu verkünden, wobei sie freilich entsprechend der Trägheit und Nachlässigkeit des Menschengeistes keinen hohen Wert darauf legten, auf diese Gotteserkenntnis fest zu vertrauen; sie waren zweifellos mit der Erkenntnis als solcher zufrieden und schmeichelten sich damit; nach Gottes Willen zu leben, verachteten sie. Derartiges finden wir heute noch bei den Ge-lehrten unter den Christen; sie streiten wacker um das Wort und die wahre Gottesverehrung, werden aber in Wirklichkeit keine besseren Menschen. Die Grundlage für alle diese hat Paulus Röm. 1,19 kundgetan: „Das Wissen von Gott ist unter ihnen offenbar; denn Gott hat es ihnen offenbart“ ... Paulus passte sich hier etwas der Gewohnheit der Heiden an, wenn sie von Gott reden; nicht dass seiner Meinung nach die Gotteserkenntnis der menschlichen Vernunft ent-spränge, vielmehr weil die Heiden so denken, zwischen denen und den Juden er den Vermittler spielt. Darum setzt er vorsichtig hinzu: „Gott hat es ihnen offen-bart“. Nach diesem Vorbilde haben auch wir mit den Fragen nach Existenz und Wesen Gottes begonnen, damit uns die leichter verständen, die das Wissen von Gott mehr aus Menschen als aus Gott selbst schöpften ... Die Existenz Gottes steht allgemein bei allen Heiden fest, aber in sehr verschiedener Weise. Einige sind zur Anerkennung des Monotheismus gekommen, haben aber Gott nicht gebührend verehrt; ihrer waren sehr wenige. Andere spürten eine übermensch-liche Kraft und Gewalt und erkannten sie als Gott; aber sie fassten sie nicht monotheistisch sondern urteilten vom menschlichen Standpunkte über Gott. Sie zerteilten ihn vorab in eine Mehrheit, weil sie seine unbegrenzte Macht gar nicht fassen konnten, und so schufen sie sich allerlei Fantasieprodukte, bald so, bald so. Daher entstand die Götzen- und Dämonenverehrung; die armen, törichten Menschenkinder schufen Götter und unterschieden sie in mannigfaltigen Ge-stalten von einander, und die waren so schlau, sich das gefallen zu lassen. So dürfte die Übereinstimmung fast aller Heiden in der Annahme der Existenz Gottes sicher sein, mögen auch die einen eine Mehrzahl von Göttern, die anderen eine kleinere Zahl, die wenigsten nur einen Gott angenommen haben. Trägheit und Vertrauen auf die eigene Weisheit ließ sie ihren Gott vernach-lässigen, sie empfanden ihn und verehrten ihn nach Belieben ... Die Gläubigen aber – so pflegt man allgemein die glaubenden Frommen, die Verehrer des wahren Gottes zu nennen – sind nur deshalb gläubig, weil sie an einen, wahren, allein allmächtigen Gott glauben und ihm allein vertrauen. Warum das so ist und die Frommen nicht nach heidnischer Sitte irgend eine beliebige unbekannte Kraft zu Gott machen, kann der Fromme leicht sagen. Es geschieht durch Kraft und Gnade des Glaubensgegenstandes; denn was Menschenverstand und Menschennatur betrifft, so ist der Fromme nicht anders als der Gottlose. Jeder könnte hier fehlgreifen, wenn es nicht eine höhere Kraft gäbe, die den Geist des Menschen, der von Natur zum stärksten Irrtum neigt, zu sich riefe und an sich knüpfte. Da erschließen sich denn die ersten Lebenspulse des Glaubens und der Frömmigkeit. Denn die Gläubigen sind nicht, wie man zumeist geglaubt hat, deshalb gläubig, weil sie das Wort des Moses hören: „im Anfang schuf Gott Himmel und Erde“ 1. Mos. 1,1. Unzählige hören das, glauben aber nicht an die Erschaffung der Welt nach dem Berichte des Moses. So sind auch nicht alle fromm, die den Herrn selbst reden und Wunder tun sehen und hören; denn zu Christi Zeiten sind manche durch Sehen und Hören keineswegs zu Gott bekehrt worden, im Gegenteil, gerade solche haben am aller meisten gewütet, nicht nur gegen Fromme, nein, gegen die Frömmigkeit selbst … Wenn das bloße Wort Glauben schaffte, so wären alle fromm. Täte es unser Verstand, wäre jeder, der das Wort hört, fromm. Offenbar glauben die Gläubigen deshalb an Gott und an die Weltschöpfung durch ihn usw., weil Gott es sie so gelehrt hat. So ist also Dein Glaube an Gott und Dein Gottvertrauen das Werk Gottes allein. Was Gott sei, wissen wir von uns aus ebenso wenig wie ein Käfer weiß, was der Mensch ist. Ja, das unbegrenzte und ewige Göttliche ist weiter vom Menschen entfernt als der Mensch vom Käfer, weil ein Vergleich von Geschöpfen unter einander besser die Probe besteht, als ein Vergleich eines Geschöpfes mit dem Schöpfer ... Es ist also Schwindel und falsche Religion, was die Theologen aus der Philosophie zur Frage nach dem Wesen Gottes beigebracht haben. Haben einige einiges Wahre darüber gesagt, so kam das aus Gottes Munde, der einige Samenkörner seiner Erkenntnis auch unter die Heiden streute, wenn auch sparsam und verhüllt; sonst wäre es nicht wahr. Wir jedoch, zu denen Gott selbst durch seinen Sohn und den heiligen Geist redete, dürfen die Gotteserkenntnis nicht bei den menschlichen Allweisen, die die richtig empfangenen Gedanken verpfuschten, suchen, sondern in Gottes Wort. Sobald man das missachtete, kam man in allerlei Fleischliches hinein, das heißt: in die Erdichtungen der Philosophie. Denen glaubte man, im Vertrauen auf sie dachte man über Gott, was man wollte, und zwang auch andere zu der Meinung – dabei gestattete keiner dem anderen über ihn selbst beliebig zu denken! Das ist die Keckheit des Fleisches, die sich als Theologie ausgab. Wir wollen Gottes Wesen aus seinem Munde erfahren, um nicht bei unseren Studien verdorben und verwerflich zu erscheinen. Als Moses den Herrn um Kundgabe seines Namens bat 2. Mos. 3,13, um mit den Kindern Israels besser verhandeln zu können, sprach der Herr zu ihm: „Ich bin, der ich bin“. Damit gab sich Gott selbst ganz. Denn die Worte wollen besagen: „Ich bin, der ich durch meine eigene Kraft, durch mich selbst bin, der ich das Sein selbst bin, der ich selbst bin“. Diesen Sinn drückt er immer wieder aus, indem er hinzusetzt: „So sollst du zu den Kindern Israels sprechen: der da ist, hat mich zu euch gesandt“. Damit gab er kund, dass er allein das Sein aller Dinge sei; denn nur so, wenn man deutet: „der da ist, das heißt: das Sein aller Dinge und zwar Er allein“, unterscheidet sich der Herr von anderen Dingen, die existieren, obwohl aus ihm und durch ihn, immerhin existieren; im anderen Falle müsste man glauben, Gott hätte die Frage des Moses mehr verspottet als beantwortet. Denn angenommen, Moses und die Kinder Israels hätten das Wort: „der da ist“ nur so verstanden, wie wir von irgend einer Sache die Existenz behaupten; dann hätten sowohl Moses als auch die Kinder Israels nichts Anderes verstehen können, als: irgend einer hat mich zu Euch geschickt. Was wäre das Großes oder Besonderes oder des Glaubens Würdiges gewesen? So ist’s also klar, dass Moses mit den Worten: „ich bin, der ich bin“ und: „der da ist, hat mich zu euch gesandt“ den gemeint hat, der kraft seiner eigenen Natur ist, und zwar das Sein aller Dinge; und dass die Kinder Israels die Worte ebenso verstanden. Denn niemals hätten sie von einem, der ihnen in verworrener Weise angekündigt war, zum Auszug aus Ägypten bewogen werden können; sie wären nicht einem gefolgt, den sie nicht kannten. Auch die Sprachgeschichte des Namens Jahve beweist diese Deutung ... Mit dem allem wollen wir nur klar machen, dass wir bei der Frage nach der Gotteserkenntnis zuerst wissen müssen: er ist der, der von sich aus ist, der selbst das Sein ist und es von Niemandem empfing. Dann kommen wir nachher leicht zu der Überzeugung, dass Alles, was es nur sei, das wir sehen, von Gott, nicht von sich selbst sein kann, vielmehr von einem andern, aus jener Quelle und Ader des Seins, nämlich von Gott stamme. Gott allein also – das sei unsere Überzeugung – besteht durch sich selbst, gab Allem das Sein, und zwar so, dass es in jedem Augenblicke nur mit Gottes Sein bestehen kann; er ist für Alles das Sein und Leben, erhält und regiert Alles Jes. 40,12 ... Dieses Sein ist damit zugleich das Gute. Wie es allein das Sein ist und durch sich selbst ist, so ist es auch allein das Gute, Wahre, Richtige, Gerechte, Heilige; denn es ist durch sich selbst gut, wahr, richtig usw. Das wird klar durch sein Wort 1. Mos. 1,31: „Und Gott sah Alles, was er gemacht hatte, und es war sehr gut“. Wenn die große Masse aller Kreaturen sehr gut war, sodass dass Einzelne wie die Ge-samtheit gut war, so muss offenbar ihr Schöpfer gut sein und zwar das durch sich selbst bestehende, von keinem abhängige Gute; er wäre wie Kraft und Wesen alles Seins, so auch Quell und Brunnen alles Guten. Das drückt auch Christus etwas klarer Luk. 18,19 mit den Worten aus: „Niemand ist gut außer Gott allein“. Ist seine ganze Schöpfung nach seinem eigenen Urteil sehr gut, und nichts destoweniger nur Gott allein gut, so muss folgerichtig alles, was ist, in ihm und durch ihn sein. Denn ist Alles, was ist, gut und doch nur Gott allein gut, so ist Alles, was ist, „Gott“, das heißt: es ist deshalb, weil Gott ist und das Wesen von Allem ist. Das drückte Paulus Röm. 11,36 so aus: „aus ihm und durch ihn und zu ihm ist Alles“. Dieses Gute ist nicht etwas Bewegungsloses und Stilliegendes; denn kurz vorher erschien es ja als das Wesen und die Grundlage aller Dinge. Was heißt das Anderes als: alles wird durch ihn und in ihm bewegt, lebt und besteht durch ihn und in ihm? Er selbst wird ja von den Philosophen Entelechie und Energie, das heißt: vollkommene, wirksame und vollendende Kraft, genannt, die als vollkommene niemals aufhören, nachlassen, schwanken, vielmehr fortgesetzt Alles so erhalten, bewegen, regieren wird, dass in allen Dingen und Taten kein Fehler seine Kraft hindern oder seine Absicht täuschen kann. Das wird wiederum aus seinem eigenen Worte klar; denn so liest Du im Anfang der Schöpfung: „Gott sprach: es werde Licht und es ward Licht“ 1. Mos. 1,3. Schau, wie das gerufene Licht nicht nur plötzlich da war, sondern auch aus dem Nichts wurde, um dem Befehle seines Schöpfers zu gehorchen ... Das zeigte Paulus Apg. 17,28 treffend, da er nach längerer Rede so schloss: „In ihm leben, weben und sind wir. Wie auch einige eurer Dichter sagten: wir sind seines Geschlechts“. Nebenbei bemerkt, sehen wir hier den Brauch des Apostels beim Zitieren von Profanschriftstellern: er benutzt sie nicht als Autoritäten gleichsam, vielmehr zeigt er, wo man das finden kann, was etwa der göttliche Geist durch sie kund tun wollte; wir sollen nicht auf der Suche nach der einen oder anderen Perle den ganzen Schmutz durchwühlen müssen ... Wiederum ist Gott nicht so Leben und Bewegung aller Dinge, dass er selbst ohne Überlegung beseelt oder bewegt; oder dass, was lebt oder bewegt wird, ohne Überlegung ihn um Leben und Bewegung bittet. Wie könnte ihn bitten, was ohne ihn gar nicht existieren kann, oder wie könnte es vor seiner Existenz bitten? Es ist also klar, dass Gott nicht nur gleichsam als Urstoff das ist, von dem Alles herkommt, bewegt wird und lebt, vielmehr zugleich Weisheit, Einsicht, Klugheit ist, derart, dass ihm nichts verborgen, nichts unbekannt, nichts zu entlegen, nichts ungehorsam ist. Daher hat selbst die Mücke ihren spitzen Stachel und ihr melodisches Summen nicht ohne Gottes Weisheit, Wissen und Klugheit. Seine Weisheit weiß Alles, noch ehe es ist; sein Wissen erkennt Alles, seine Klugheit ordnet Alles. Denn Gott wäre nicht das höchste Gute, wenn er nicht zugleich höchste Weisheit und Klugheit wäre. Könnte Gott etwas verborgen sein, so käme seine Weisheit und sein Wissen zu kurz; würde etwas ohne seine Vorsehung anderweitig angeordnet, so hätte die göttliche Vorsehung hier eine Lücke und wäre nicht mehr die höchste und absolut; denn wo sie versagte, an dem Punkte wäre sie auch unvollkommen. Unvollkommenheit steht aber in aller schärfstem Widerspruche mit Gottes Ver-nunft und Geist. Was unvollkommen ist, ist nicht Gott. Umgekehrt: nur Voll-kommenes, Absolutes, Makelloses ist Gott, Alles, was sich für das höchste Gute ziemt, muss da sein. Wir reden hier ja nicht vom Vollkommenen wie gemeinhin die Theologen. Nichts kann Gott entgehen, nichts seine Absicht und Anordnung täuschen oder ändern. Und wenn wir mehr keck als gläubig Rechenschaft über seine Taten und Absichten von ihm fordern, warum er den Floh, die Bremse, die Wespe und die Hornissen, diese Feinde für Mensch und Tier, gemacht hat, so verraten wir damit nur ohnmächtige und unnütze weibliche Neugier. Wie wenn Menschenverstand die göttliche Weisheit fassen könnte, und nicht sofort, wenn wir das Eine oder Andere erkannt haben, nicht vielmehr Fragen auftauchen, die genau so erkannt sein wollen, und die insgesamt nur der unbegrenzte und unendliche Verstand fassen kann; ein so beschränkter aber wie der menschliche macht sich durch derartig neugieriges Fragen nur eitle Mühe, wie der Prediger Salomo im 1. Kapitel erinnert. Wenn also die armen Sterblichen die göttliche Weisheit und Vorsehung betrachten, so müssen sie es so machen, wie man es gemeinhin bei sich daheim macht. Da hat der eine diese, der andere jene Instrumente für sein Handwerk; bei einigen möchte er, dass alle um ihren Ge-brauch wissen, bei anderen, dass sie Niemand kennt, obwohl er sie selbst sehr wohl kennt; denn er weiß zu seiner Zeit, wie und wozu er sie gebrauchen will. So wollen wir das, was Gott uns bekannt gibt, ehrfürchtig betrachten, das Verborge-ne aber nicht schamlos antasten; es möchte uns sonst entrüstet entrissen werden, und die Strafe des Prometheus, wie die Dichter erzählen, uns treffen. Gottes Haus ist weit, der Himmel ist sein Sitz und die Erde der Schemel seiner Füße Jes. 66,1, sein Hausrat aber so mannigfaltig, so gewaltig, dass, wer Alles wissen möchte, eher von Verzweiflung gepackt wird, als dass er hoffen könnte, Alles zu begreifen. Willst Du nur eine einzige Ranke genau und ganz erforschen, es wird Dir nicht gelingen. Sie hat einen Stamm, der von der Mitte bis zum äußersten Ende läuft; von ihm aus breiten sich gleichsam Hauptadern nach bestimmten Richtungen aus, aus diesen wieder ergießen sich wie Mesodermen die Spitzen in die große Blattfläche, und verteilen den Saft richtig, ganz ähnlich wie beim Menschen oder der ganzen Welt. Und Du siehst Dich genötigt, bei einem so kleinen Blatte das Kunstwerk eher aus der Hand zu geben, als dass Du es ganz begreifen kannst. Schau, wie alle Menschenweisheit tatsächlich offenbar gar nicht die Probe besteht; sie muss ihre gänzliche Unwissenheit eingestehen; bei der göttlichen Weisheit und Klugheit ist es nicht so; durch sie geschieht Alles wohl und wird gut geordnet. Doch es wird Zeit, für das bisher über die Weisheit und Vorsehung Gottes Gesagte Zeugnisse des göttlichen Wortes selbst beizu-bringen (Zwingli führt u. a. Jer. 51,15, Ps. 104,1–35, Mat. 6,25–34, Luk. 12,7, Mat. 10,29 an ...) Es wäre zwecklos, unfruchtbar und unnütz für die Sterblichen, wenn dieses höchste Gute, Gott, nur im eigenen Interesse, für sich selbst weise wäre, nur für sich das Gute, das Leben, die Bewegung, Wissen und Klugheit wäre; denn dann würde er sich nicht von den Sterblichen unterscheiden, in deren Natur es liegt, sich selbst ein Lied zu singen, den eigenen Interessen nachzu-gehen, sich selbst vor anderen zu bevorzugen. Es muss also dieses höchste Gute, Gott, von Natur gütig und freigebig sein. Es darf nicht eine Freigebigkeit sein, die geschenkt zu haben glaubt, während sie tatsächlich auf Belohnung oder Ehre spekuliert, vielmehr nur eine solche, mit der Gott denen nützen will, die er beschenkt; seinem Schöpferwerke – das ist ausschließlich sein Gesichtspunkt – will er gehören, umsonst will er sich gleichsam aufteilen lassen. Wie er die Quelle aller Dinge ist – denn Niemand konnte vor seiner Existenz Ursprungsansprüche an ihn stellen, – so ist er auch fortgesetzt freigebig gegen die, die er nur dazu erzeugte, um seine Freigebigkeit zu genießen. Kurz: dieses Gute unterscheidet sich von anderem scheinbar Guten dadurch, dass es nur umsonst gegeben werden will und kann, während das scheinbar Gute sich, schmutzig und schäbig, nicht ohne Lohn darbietet. Das scheinbar Gute ist auch sparsam mit sich; eng und dürftig kann es nur sehr wenigen Genüge leisten. Das göttliche Gute ist überreich, für alle Wünsche aller ist reichlich genug da, es ist ja unbegrenzt und will gerne verteilt sein. Selbst anderes genießen kann es nicht, es steht ja Alles unter ihm und hat nur in ihm, dem Schöpfer, Bestand ... Die ganze Kreaturen-schar bezeugt die Richtigkeit dieser Ansicht; wünschte Gott nicht, dass seine Werke ihn genießen sollten, so hätte er sie nie aus dem Nichts in’s Dasein gerufen; denn er genießt sie nicht. Weshalb also schuf er sie? Damit sie ihren Schöpfer genössen. (Bibelbeweis dafür sind u. a.: 1. Mos. 15,1, Jes. 45,1, 55,1, Eph. 2,1-7, Mat. 11,28, Jer. 31,33 f., Röm. 8,32.). Doch, warum sollte ich noch mehr über die Erkenntnis Gottes sagen, da die Worte aus seinem Munde von einem Gottlosen wie weggeschenkte Ware gewertet werden? Es wäre vergebene Arbeit, Perlen vor die Säue zu werfen. Umgekehrt haben die Frommen Gott viel innerlicher und traulicher daheim bei sich, als dass meine Worte ihnen neue Kenntnis bringen könnten. Ihnen ist ja Gott Alles: Sein, Leben, Licht, Kraft, vollkommener Inbegriff aller Dinge, wirklich ein Schatz des Guten. Aus dieser Erfahrung heraus haben die heiligen Menschen Gottes von Beginn der Welt an Gott mannigfache Namen gegeben; das kann man ja allenthalben im alten und neuen Testamente sehen; bald haben sie ihn „Herrn“, bald „Gott, Leben, Be-harrlichkeit, Vater, den Starken, Licht, Allmächtigen, Allgenugsamen“ genannt; alle diese Namen haben sie Gott kraft ihres inneren Glaubens gegeben, weil sie nämlich daheim bei sich so über Gott empfunden, dass er ihre Kraft, ihr Leben, ihr Sein, ihr Vater usw. wäre. Aus dem Glauben heraus, der sie Kraft, Leben usw. erfahren ließ, gaben sie nachher ihm den Namen: Stärke, Herr, Leben, Kraft. So sind also alle unsere bisherigen Worte über die Gotteserkenntnis ohne den Hinzutritt des Glaubens müßig. Niemand kann mir daher den Vorwurf machen, ich hätte auf Grund menschlicher Überzeugung Gotteserkenntnis gelehrt. Denn erstlich habe ich mich nur auf Gottes Wort gestützt; sodann habe ich offen gezeigt, dass es nicht in menschlicher Kraft steht, zur Erkenntnis und Anbetung Gottes zu kommen. Denn es liegt nicht an unserem Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen Röm. 9,16. Sein Geschenk ist es, dass die Werke seiner Hände ihn selbst allein als wahren Gott, Herren, Heiland, Helfer, Kraft, Leben, Licht, Vater, die Fülle aller Güter, den Reichen, Gütigen, Wohlwollenden, der umsonst gerne seine Fülle verteilt sieht – das Alles begreifen wir in dem Namen „Gott“ – , anerkennen. Denken wir nicht so über ihn, so werden wir niemals auf ihn allein vertrauen, niemals zu ihm allein unsere Zuflucht nehmen, niemals von ganzem Herzen und mit allen Kräften in unserem eigenen Nichts ersterben. So viel über die Gotteserkenntnis.  

 

VOM MENSCHEN.

 

Den Menschen zu erkennen ist so mühsam, wie einen Tintenfisch fangen. Denn wie dieser sich in seinem schwarzen Safte verbirgt, damit man ihn nicht greifen kann, so entwickelt der Mensch, sobald er merkt, dass man an ihn will, plötzlich so dichten heuchlerischen Wolkendunst, dass auch das schärfste Auge ihn nicht fassen kann. (Beweis sind: 1. Kor. 2,11, Jer. 17,9 f.) ... Aus diesen Zeugnissen erhellt: der Mensch kann nicht vom Menschen erkannt werden. Seine Frechheit im Lügen, seine Bereitwilligkeit, zu leugnen und zu verleugnen ist so groß, dass er, wenn Du glaubst, ihn irgendwo gefasst zu haben, längst durch eine Hintertür entschlüpft ist. Sagst Du: Der Prophet bezeugt öffentlich, dass das Menschen-herz böse sei Jer. 17,9, so gleitet er Dir sofort aus den Händen durch die Erklärung, „böse“ stehe hier für „geneigt zum Bösen“, und betreffe nicht alle Menschen. Dabei hat er im Auge, wenn ihm die Ablösung einiger von der totalen Verderbtheit gelingt, dass er dann auch zu diesen Glücklichen gerechnet werde, oder er zielt auf den Ruhm und die Unschuld eines stets ehrbaren Herzens. Da man also zu den Verborgenheiten des menschlichen Herzens keinen Zugang finden kann, müssen wir jedenfalls verzweifeln, es zu erkennen. Sei’s drum! Möge jeder sich selbst erkennen, von einem anderen wird er doch nicht erkannt, obwohl er solchen Vorrat an Eigenliebe besitzt, dass nur wenige, ja, gar keine durch diesen Berg hindurch zur Selbsterkenntnis durchstoßen können. So wird man die Geheimnisse des Menschenherzens nur unter der Leitung Gottes, des himmlischen Baumeisters des Menschen, erkennen können. Der hat den Menschen geschaffen und kennt nun alle Tiefen seiner Schliche und ihren Ursprung ... Bei Gott also, dem Schöpfer des Menschen, muss man die Er-kenntnis des Menschen suchen, so gut wie die Gotteserkenntnis. Nur aus verschiedenen Ursachen. Die Erkenntnis Gottes ist unserem Verstande versagt, weil sie zu glänzend und licht ist für seine Schwäche; die Erkenntnis des Menschen aber wegen seiner Frechheit und Bereitwilligkeit im Lügen und Erdichten. Der himmlische Baumeister bildete den Menschen nach seinem Bilde und setzte ihn in den köstlichen Paradiesgarten, nicht nur als Bürger, nein, als Familienvater und Herrn; doch unter der Bedingung: er durfte von allem, was dort gedieh, essen, mit Ausnahme des Baumes der Erkenntnis des Guten und Bösen. Seine Frucht durfte er weder berühren noch kosten, sonst würde er sofort des Todes sterben. Dieses frohe Glück neidete der Teufel dem Menschen; er redete Adams Frau ein, Gott habe aus Furcht für seine Herrschaft jenen Baum verboten, dessen Name ja selbst lehre, dass sie göttergleich werden, das heißt: wissen würden, was Gut und Böse sei, sobald sie von seiner Frucht gegessen hätten. Das unglückliche Weib glaubte den stolzen Versprechungen, pflückte die Frucht, und aß, reicht dann als künftige treue Gattin auch dem Manne davon. Der hatte keine Ahnung von der List und der weiblichen Unbedachtsamkeit – was hätte er seiner Gattin verweigern sollen? –, gehorchte, und tat, was kein Mann seiner Frau zu Liebe abgelehnt hätte. Aber schau, wie die Übel da, wo man es am wenigsten fürchtet, unvermutet uns überfallen. Unser Stammvater hoffte, zu wissen, was gut und böse ist, und Gott zu werden, lernte aber tatsächlich nur seine eigene Schande kennen, und fand den Tod für immer. Denn so sprach Gott zu ihm: „an welchem Tage du davon issest, wirst du des Todes sterben“ 1. Mos. 1,27-2.17 ff. Leichter aber vergehen Himmel und Erde als ein Wort Gottes Mat. 24,35. So ist der Mensch, wie Gott vorausgesagt hatte, gestorben, sobald er in den verhängnisvollen Apfel biss. Wir müssen aber prüfen, welchen Todes Adam starb nach dem Genuss der Speise vom verbotenen Baum. Da ist zuerst sicher: er ist nicht sofort nach dem Genuss dieser Speise tot zusammengebrochen; denn er hat noch viele Jahre hiernach gelebt. Es ist ferner sicher: er ist seiner Zeit nur gestorben, weil er einst das Gebot übertreten hatte; denn „durch die Sünde kam der Tod“ Röm. 5,12. Hätte er den Unglücksapfel nicht gekostet, so wäre ihm andauerndes Glück beschieden gewesen. Es steht drittens fest: irgendwie hat Adam, sobald er die kecke Hand mit der verhängnisvollen Frucht an den Mund führte, einen Tod erlitten. Denn so sagt es Gottes Wort: „an welchem Tage du isst, wirst du des Todes sterben“ 1. Mos. 2,17. Der Tod trat also im Momente des Essens ein. Leiblicher Tod trat aber nicht sofort ein; so ist es seelischer gewesen. Denn der leibliche Tod entstand, wie gesagt, aus der Sünde; daher kam er auch später als der seelische. (Beweis: Röm. 5,12) ... So war also der Adam so plötzlich treffende Tod die Sünde. Dieser Tod ist um so verderblicher als der leibliche, je schwerer seine Ursächlichkeit wiegt als seine Wirkung. Denn der Sünden-Tod ist des leiblichen Todes Vater. Nun müssen wir uns Wesen oder Bedeutung des Sünden-Todes ansehen. Wir erschließen das Wesen dessen, was wir sehen, aus dem begehrenden Wollen, durch das man zum Erwerb des Begehrten angetrieben wird. So nennen wir den einen Geizigen, der um Gewinnes willen voller Angst das Meer durchschifft. So müssen wir sorgfältig darauf achten, was Adam vorab wollte, wodurch er seine Absicht verriet. Er stand im Begriff, göttergleich zu werden; wäre das gelungen, so hätte er aus eigener Kraft erkannt, was gut oder böse wäre. Das war die Speise, die er begehrte und die ihn gefangen nahm: Gott sein, selbst wissen, was gut und böse ist. Doch woher konnte diese Begierde anders kommen als aus der Eigenliebe? Denn wir wollen alle lieber für uns sorgen als für andere; der Eigennutz also, die Selbstliebe, war der Grund, dass Adam seinem übel ratenden Weibe folgte. Von Natur liebt der Mensch sich selbst; nicht zwar war er so von Gott geschaffen und ausgestattet, er ist es geworden, weil er mit dem von Gott ihm gegebenen Lose nicht zufrieden war, er wollte wissen, was gut und böse war, ja, Gott gleich werden. Der Selbstliebe also wurde der Mensch schuldig, und wegen dieses Vergehens verurteilt; so ist offenbar der Sünden-Tod seinem Wesen nach die fortgesetzte Selbstliebe des Menschen: er gefällt sich selbst, vertraut auf sich, macht sich Alles angenehm, glaubt zu sehen, was krumm und gerade ist; was er gutheißt, müssen, so glaubt er, alle gutheißen, auch sein Schöpfer. Bei dieser Tat wurde er ertappt, dass er hinter dem Rücken seines Schöpfers Gott werden wollte, wissend, was gut und böse ist. Es kann also die Bosheit, die böse Absicht, die Erbsünde – was ist das anders als der Tod? – nicht geleugnet werden. (Den Bibelbeweis liefern u. a.: 1. Mos. 6,3 ff., Röm. 8,5, Gal. 5,17, Joh. 8,34, Röm. 6,16, 7,18.) Es wird wohl nicht abwegig sein, wenn ich die Ansicht eines sehr gelehrten und beredten Mannes – ich meine Cicero – aus seiner Rede für Archias hier wie ein Einschiebsel einfüge; er lehrt da, dass der Mensch Alles aus Begierde nach Ruhm tue, und stimmt dabei so völlig mit der Ansicht der heiligen Schrift überein, dass Gottes Kraft, und nicht sowohl Ciceros ruhmsüchtige Lebenskraft dahinter zu stecken scheint. Denn wie sollte er so sein eigenes Ich preisgeben, hier zu behaupten, es geschähe von uns Alles aus Begierde nach Ruhm, wo er sonst Alles aus Liebe zur Tugend und zum Staate getan haben will?! Die Worte lauten so: „Jede Tugend sucht als Lohn für die Mühe und Arbeit nur Lob und Ruhm; sollten wir, Ihr Herren Richter, ohne diesen Preis auf unserer kurzen Lebenslaufbahn uns irgendwie Mühe geben? Wahrhaftig, wenn die Seele keine Zukunftserwartungen hegte, und wenn bei der Begrenzung des Lebens alle Gedanken in diesen Lebensgrenzen ihr Ziel fänden, so würde man sich nicht mit so viel Arbeit zermürben, sich nicht so viel mit Sorgen und Wachen plagen und nicht so oft um sein Leben kämpfen. Jetzt steckt auch im Besten eine Kraft, die Tag und Nacht die Seele mit dem Stachel des Ruhmes reizt und sie daran erinnert, es dürfe nicht mit dem Leben auch das Gedächtnis unseres Namens untergehen, vielmehr, es müsse bei der Nachwelt auch gelten usw.“ Hat hier nicht Cicero das Innere des Menschen offen enthüllt? Er sagt, es steckt auch im Besten eine Kraft, die unablässig zum Erwerb von Ruhm anstachelt, und alle Gedanken, Pläne, Mühen hierauf konzentriert. Was er „Kraft“ nennt, das ist uns Gläubigen nichts Anderes als Tod und Sünde, die elende Lage des Menschen nach dem Fall, kraft derer er fortgesetzt nach Eigenliebe strebt. Sollten „Gläubi-ge“ diese Herrschaft des Ruhmes und Eigennutzes beim Menschen in allem seinem Tun leugnen, so darfst Du sicher sein, das sind keine Gläubigen, viel-mehr fleischlich Gesinnte, Knechte der Sünde. Solange wir uns selbst verteidi-gen, fehlt uns ganz sicher das Licht des Geistes, das dem Menschen den Spiegel vorhält und ihn bloßstellt. So lehrt uns also auch der Heide, dass unser ganzes Dichten und Trachten auf uns selbst gerichtet ist. Daran darf man sich nicht stoßen, dass Cicero alle Menschen unter den Bann der Begierde nach Ruhm zwingt, wo wir doch manche vielmehr im Banne des Geldes, des Bauches oder der Frau Venus sehen. Ciceros Worte zielen auf die Besten; er meint, sie richteten stufenförmig ihr ganzes Tun auf ein Emporklimmen an der Ruhmes-leiter. Die sozial oder besser noch: ethisch niedriger Stehenden konzentrieren Alles auf den Bauch und auf Frau Venus, darum stehen sie tiefer als die Ruhmgierigen. Wir reden aber nur von einer Begierde nach Ruhm auf ehren-haftem Gebiete. Ruhm in schlimmen Sachen missfällt den Schlimmen nicht selten. Die Geldgierigen wollten zum Teil dadurch in die Höhe kommen, zum Teil Mittel für Völlerei und Venusdienst gewinnen. Es steht trotzdem unverrückt fest: alle Menschengedanken sind, soweit sie nur der Mensch fasst, Sünde. Denn er bezieht Alles auf sich, rückt sich in den Mittelpunkt seines Strebens, denkt über sich besser als über andere. Und trotzdem er sieht, dass er vielfach von anderen besiegt wird, findet er doch immer für sich einen ersten Platz heraus, nur um nicht ruhmlos zu erscheinen ... Ich will schweigen von der Bosheit, mit der die meisten Menschen gerade auf das für alle Schädliche sinnen, nur damit es ihnen an nichts fehlt. Wenn wir nur immer einst und jetzt über göttliche Dinge schrei-ben, schrecken wir bei dieser Arbeit, die doch von Ruhmbegierde ganz fern sein müsste, vor ihr nicht zurück. Wer setzt und ziert seine Worte nicht so, dass alle sie billigen und nachahmen wollen? Das ist noch keine Sünde; aber es kann ein Laster daraus werden, wenn wir nicht scharf aufpassen. Manche wollen aus innerem Drang, der Liebe heraus allen mitteilen, was sie für fromm und recht halten; andere hingegen achten nur darauf, sich jedermann als so beredte, weise, geübte Künstler zu empfehlen, dass sie ... über alles Mögliche vorzüglich sprechen, vorzüglich urteilen können. Ich glaube, jeder empfindet den Ruhmes-stachel, auch da, wo er sagt, man müsse gerade den Ruhm verachten. Das ist zum Beispiel Plato oft begegnet; so oft er seinen Sokrates philosophieren lässt, drückt er sich so weitschweifig und wortreich aus, dass er gerade da nach Ruhm gestrebt zu haben scheint, wo er den Sokrates den Ruhm am meisten verachten lässt. Das habe ich aus den Heiden beigebracht, damit womöglich auch die Jünger der Philosophie den Menschen mit rechten Augen ansähen. Man denke nicht, damit wären die Frommen verachtet, als wenn sie den Heiden ähnlich wären; zweifellos haben manche in aufrichtiger Absicht geschrieben, aber das war dann nicht Menschen, sondern Gotteswerk. Sich selbst überlassen, bezieht der Mensch Alles auf sich selbst. Ich habe bisher vom Wesen des Menschen gesprochen. Da man nun auch unter den Theologen manche findet, die Gottes Wort als Geschäftssache behandeln – sie leben ja davon – , so sind auch sie zweifellos ruhmbegierig. Wäre es doch anders! Doch ist bisher genügend be-wiesen, dass der Mensch Alles aus Eigenliebe tut und tun wird, wenn er sich nicht ändert. Darum habe ich mit gutem Grunde auch das Theologenvolk, das sogar das Göttliche eigenem Interesse unterordnet, zu denen gezählt, die in jedem Fall Alles aus Eigennutz oder Ruhm tun. Wenn sie also aus dieser Be-merkung sehen, dass ihr Reden nach dem Munde, ihr Verbergen der eigenen Meinung über ihre innere Beschaffenheit nicht hinwegtäuschen kann, so mögen sie doch, bitte, mit uns, das heißt: mit den Gläubigen, bekennen, der Mensch sei ganz schlecht, denke und handle Alles aus Eigenliebe.  

 

VON DER RELIGION.

 

Wir müssen zur Religion zurückkehren, konnten das solange nicht, bis wir über Subjekt und Objekt der Religion sprachen, so viel der Herr uns gab. Über das Wort „Religion“ ist genug gesagt, wir kommen zur Sache. „Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde und ihm ähnlich“ 1. Mos. 1,27, und umgab ihn mit Glück und unaussprechlicher Wonne, aber in seiner Torheit ließ er sich durch eitle Hoffnung in’s äußerste Unglück ziehen. Sobald es dazu kam, begann er etwas Missliebiges an sich zu sehen. Denn so steht geschrieben: „Da wurden ihrer beiden Augen geöffnet“ 1. Mos. 3,7. Wie, guter Gott, waren sie denn vorher blind? Keineswegs, aber ihr Geist wie ihre Augen wussten nichts vom Argen, solange sie dem Lebensbaum fernblieben; Trauer und Scham gab’s nicht. Aber nach dem Genuss des verhängnisvollen Apfels wurden die Augen geöffnet; denn er stammte ja vom Baume der Erkenntnis des Guten und Bösen. Aber was sahen sie denn jetzt erstmalig, was sie früher nicht gesehen hatten? Etwa irgendwelche unbekannten Geheimnisse? Derartiges schien der Teufel zu versprechen – die Armen, die darauf hofften! Sie sehen, dass sie nackt sind. Sie waren schon vorher nackt gewesen, aber ihre Nacktheit wurde nicht als solche empfunden; die Sünde wurde nicht angerechnet, bevor das Gesetz kam Röm. 5,13. So wurde die Nacktheit nicht erkannt, bevor der Kleidermangel empfunden wurde. Diese Empfindung trat ein, als der Mensch seinen Schöpfer, den Quell alles Guten, verließ. Daraus sollen wir lernen, dass unser Geist immer nur auf Not, Unglück und Elend stößt, mag er sich wenden, wohin er will, Pläne fassen oder Hoffnun-gen hegen – das ist letztlich die Nacktheit, allen Übeln ausgesetzt, vom Schutze Gottes verlassen zu sein; unser Trost und unsere Ruhe aber stehen allein bei Gott. Und wenn wir etwas schärfer zusehen, so bemerken mir, dass diese Torheit unserer Art entspricht, dass wir ungewisse und schwierige Dinge unüberlegt anfangen, um das Ende uns aber sorglos nicht bekümmern; kommt es dann endlich, so werden wir zu unserem Schaden sehend, aber so, dass wir nur Übles sehen, in das wir durch unsere Verwegenheit gerannt sind. Der menschliche Geist ist immer zu Neuerungen geneigt ... , erst durch Schaden wird man klug. So bedeutet also Adams Nacktheit nichts Anderes als die Schuld und den Sündentod, über den wir oben ausführlicher sprachen. Denn man kann doch nicht glauben, dass Adam zu dem Schlusse nicht fähig gewesen wäre: „Was tut’s, dass Du nackt bist? Gott selbst hat Dich nackt geschaffen, so möge er Dich nackt sehen!“ Nein, um des bösen Gewissens willen schämte er sich, Gott vor die Augen zu treten. Hätte Adam irgendwie noch auf Erschmeichelung göttlicher Gunst gehofft, so hätte er sich nicht versteckt; aber er sah seine Sache so verfahren, dass er sich der Erzählung zufolge auch nicht auf’s Bitten verlegte. Weil sein Gewissen das aller Schlimmste erwartete, verbarg er sich und gab seine Nacktheit als Vorwand für seine Flucht und sein Zaudern an. Was können wir daraus anders schließen, als dass die Sache des Menschen so jammervoll und beklagenswert ist, dass er nicht wagt, vor Gott zu erscheinen, ja, ihn flieht, seinen Ruf fürchtet, ihm nicht unter die Augen kommen will? Zugleich aber lernen wir Gottes Güte kennen, der den Fahnenflüchtigen, nicht Bittenden, vielmehr eilend Davonlaufenden und sein Gewand Ändernden in Gnaden aufnimmt, ruft, schilt, und, so weit es seine Gerechtigkeit erlaubt, die glückliche Lage in eine traurige umwandelt. Denn was hatte Adam anders als Verderben und Ver-nichtung verdient? Aber Gott nahm, soweit er konnte, Adams freches Vergehen in seinen Ratschluss auf, um von Anfang an sein künftiges Tun an Adams Nachkommen anzudeuten; obwohl der gerechte Zorn über den frisch began-genen Frevel noch rauchte, urteilte er gütiger, als es die Schuld verdiente. Ehe wir weiter gehen, will ich gewissen Theologen folgende Erwägung stellen: ... Wäre wohl Adam irgend wie aus eigenem Antrieb umgekehrt und hätte um Gnade gebeten? Ihr werdet doch zugeben müssen, dass ein so auf Flucht und Versteck ausgehender Mensch, dass man ihn kaum herauslocken kann, schwerlich umgekehrt wäre, wenn nicht der Herr den Flüchtigen eingeholt hätte. Warum wollt Ihr nicht anerkennen, dass der selbst erworbene Glaube, von dem Ihr so viel redet, eine Erdichtung ist – „denn Niemand kommt zu Christus, es sei denn, dass ihn der Vater gezogen hat“ Joh. 6,44 –, und dass es nicht an jemandes Wollen oder Laufen liegt, sondern an Gottes Erbarmen Röm. 9,16.? Wo Ihr doch sehet, dass unser Stammvater, dessen Sünde und Tod auf uns überging, so vor Gott zurückschreckte, dass er der Torheit, die ihm ein: „Versteck dich!“ zuflüsterte, folgte und sich versteckte, um nicht den Vorwurf der Flucht vor Gott hören zu müssen. Was bedarf’s da noch vieler Worte? Angenommen, Gott ließe Adam im Stich, – niemals wird er zu ihm zurückkehren, den er floh. Ange-nommen, er ließe den Menschen im Stich, – niemals wird er seinen Schöpfer suchen. Jeder ist sich selbst der eigene Gott; das zeigt schon der Kultus. Wer treibt nicht mit sich selbst Kultus, wer schätzt sich nicht irgendwie auf’s Höchste ein, fragt aber nicht nach Gottes Tun und Denken? Was heißt das anders, als sich über Gott erheben und sich zum Richter über seine Werke aufwerfen? Mit Absicht bin ich ausführlicher geworden; es sollte der Abstand des Menschen von Gott klar werden, falls Gott nicht, den wir fliehen, den Lauf hemmt; ebenso der Abstand jener Theologen vom rechten Wege, wenn sie vom selbst erworbenen Glauben und der Willensfreiheit kälter selbst als Heiden sprechen. Ganz offen-sichtlich hat also da die Religion ihren Ursprung gewonnen, als Gott den flüchtenden Menschen zu sich zurückrief, der ihn sonst dauernd verlassen hätte. Denn er sah seine Nacktheit, das heißt: er erkannte seine Schuld als so groß, dass er an der Rückkehr zur Gnade verzweifelte. Aber Gott war gnädiger; er erbarmte sich des hartnäckigen Flüchtlings und der niedergeschmetterten Seele, wie ein frommer Vater, der die Torheit oder Keckheit seines Kindes zwar hasst, das Kind selbst aber nicht hassen kann, und nun den Verlorenen und Ver-zweifelnden schmeichelnd ruft, ihn fragt, wie es um ihn stehe: „Adam, wo bist du?“ O wundervolle und unaussprechliche Freundlichkeit des himmlischen Vaters! Er, ohne dessen Anordnung ja überhaupt nichts existierte, fragt, wo Adam sei?! Aber er fragt um des unglücklichen Menschenkindes willen, um ihm seine Schuld klarer vorrücken zu können; denn es wusste nicht, wo es war. Voller Gewissensangst sah Adam, dass es für ihn mit der Heimat, der glücklichen Häuslichkeit, aus sei; er erkannte, dass sein Herr nur zu wahr gesprochen hatte: „an welchem Tage du davon issest, wirst du des Todes sterben“. Er fühlte, wie sein Herz zitterte, wie sich die Gedanken jagten, unglücklich, verräterisch, verworren, und fürchtete zugleich jeden Augenblick das Todesverhängnis. Daher fragt der himmlische Vater: „wo bist du?“, damit der Mensch immer daran gedächte, wo und wann Gott ihn gnädig gerufen hätte. Hier, sage ich, nahm die Religion oder besser: das liebende Vertrauen – denn das besteht zwischen Eltern und Kindern, zwischen Gott und Mensch – seinen Anfang. Der unglück-liche Mensch sah: ich habe nur Zorn verdient; er verzweifelt also und flieht vor Gott. Schau doch da des Vaters liebendes Vertrauen gegen das gottlose Kind! Er eilt herbei und lässt den Störrigen unter seinen verwegenen Gedanken nicht hochkommen. Was ist das anders als liebendes Vertrauen gegen den Sohn? So geht also bis zum heutigen Tage das liebende Vertrauen von Gott aus, aber zu unserem Besten. Was hätte es wohl Gott ausgemacht, wenn Adam plötzlich vom Todesverhängnis ereilt worden wäre? Dann aber ist das liebende Vertrauen vollendet, wenn wir uns von uns selbst und unseren Gedanken bekehren zu dem, der uns ruft. Wie unglücklich ist ein Vater, wenn er seinem Kinde in anhaltender Güte nachgeht, dieses aber noch anhaltender widerstrebt und ihn zurückweist – die Liebe zum Kinde ist vergeblich! Aber solches Unglück kann Gott nicht begegnen; wen er ruft, der muss antworten, er mag wollen oder nicht. (Beispiel: 2. Sam. 11,1-5, 6-17, Apg. 8,1-3.) Liebendes Vertrauen oder Religion ist also dieses: Gott bringt den Menschen dazu, seinen Ungehorsam, seinen Verrat, sein Elend anzuerkennen wie Adam. Daraufhin verzweifelt der Mensch ganz an sich; zugleich öffnet ihm Gott weit das Herz seiner Güte; er, der schon ganz ver-zweifelt hatte, sieht, dass sein Schöpfer und Vater noch Gnade und Gunst für ihn übrig hat, so sicher und fest, dass ihn nichts trennen kann von dem, nach dessen Gnade er strebt. Dieses Hangen an Gott ist liebendes Vertrauen, ist Religion. Kraft dessen vertraut man auf Gott als das einzige Gut, das allein unsere Nöte stillen, alles Übel abwenden oder zu seiner Ehre und der Seinen Besten zu wenden weiß und wenden kann, unerschütterlich, und hat ihn zum Vater. Die so empfindenden, in Gott den Vater sehenden Menschen sinnen ihrerseits eifrig und unaufhörlich darauf, wie sie Gott gefallen und ihm Freude machen können. Da also ist sicher das religiöse Vertrauensverhältnis vorhanden, wo man nach Gottes Willen zu leben sich bemüht; denn auch das Vertrauensverhältnis zwischen Eltern und Kindern verlangt, dass das Kind dem Vater folgen will, wie der Vater dem Kinde nützen möchte. Ferner: echte Frömmigkeit entsteht nur da, wo der Mensch nicht nur glaubt, dass ihm viel fehlt, er vielmehr sieht, dass er nichts besitzt, um Gott zu gefallen, sein Schöpfer und Vater hingegen so über-reich an allem ist, dass Niemand irgendwie einen Mangel bei ihm spüren kann; dabei ist seine Güte und Liebe zum Menschengeschlecht so groß, dass er Niemand etwas abschlagen kann. Das lässt sich mit Schriftzeugnissen beweisen; alle Lehre, alte wie neue, alle Frommen preisen nur das Eine: wir haben nichts, Gott fehlt nichts, er schlägt nichts ab. Denn beim Herrn ist Barmherzigkeit, und die ist sehr reich ... Daraus kann man leicht den Unterschied zwischen wahrer und falscher Religion feststellen. Die wahre Religion oder Frömmigkeit hängt einzig und allein an Gott. Die Frommen hören nur auf ihren Herrn, der sie vom Fleische losriss und mit sich verknüpfte, sodass sie nur seine Stimme hören wollen ... Die wahre Frömmigkeit bedingt also ein Hängen am Munde des Herrn, ein ausschließliches Hören oder Annehmen des Wortes des himmlischen Bräutigams. Um uns dieses Vertrauensverhältnis recht klar zu machen, vergleicht es der Herr in der Schrift oft mit einer treuen Ehe und schreckt wie ein treuer Ehemann uns von Ehebruch und Hurerei ab, nur darauf bedacht, wie in der Ehe vorab Treu und Glauben erfordert wird – die Ehe ist ja nichts anderes als ge-leistete und empfangene Treue –, so sollte auch die Frömmigkeit nur dann Frömmigkeit sein, wenn Du von ganzem Herzen auf den Herrn, den Seelen-bräutigam, vertraust, auf ihn allein das Auge richtest und außer ihm Niemand Dein Ohr leihst ... Nur die sind wirklich fromm, die nur an Gottes Worten hängen. Wie notwendig das zur wahren Frömmigkeit ist, wird aus Gottes Wort selbst klar. (Beweis: 5. Mos. 4,1 f., 12,32 f.) Glaube oder Frömmigkeit bedingt also zuerst, dass wir von Gott lernen, wie wir ihm gefallen, wie ihm dienen können; sodann, dass wir dem von ihm Gelernten nichts hinzusetzen und nichts nehmen. Im ersteren Falle beschuldigt man Gott der Unweisheit und setzt sich über Gott, wie wenn man – wie gescheit! – aus eigener Weisheit das von Gott nicht einsichtig genug Offenbarte ergänzen könnte! Im zweiten Falle macht man Gott grausam, wie wenn er als Despot Gebote erlassen hätte, die man mit eigener Menschlich-keit und Milde zu lindern wüsste. Das ist eine gewichtige Stelle, (nämlich 5. Mos. 12,32;) an ihr hängt das Wesen der wahren und falschen Religion; aber wie gewichtig sie auch ist, sie besitzt überreichlich Kraft zur Wahrung der echten und Abweisung der falschen Religion ... Fromm ist nur, wen Gottes Wort speist, erquickt, stärkt. Umgekehrt kann der Fromme nur durch das göttliche Wort erquickt werden. Denn wie er auf Gott allein vertraut, so wird er durch sein Wort allein gewiss gemacht; und wie er durch Gottes Wort allein gewiss gemacht wird, so nimmt er nur Gottes Wort auf. Daraus wird auch nicht nur aus der heiligen Schrift, sondern auch aus der Natur des Glaubens selbst klar, dass kein Krea-turenwort für Gotteswort gelten kann; denn im Kreaturenwort wird das Gewissen nicht ruhig und still. Wir dürfen also zum Worte Gottes nichts aus Eigenem hinzutun und auch nichts aus eigener Vermessenheit vom Worte Gottes davon-tun. Hier könnte man freilich einwerfen: Es haben aber doch viele auch im Menschenwort Ruhe gefunden, ja, finden sie noch; denn heutzutage sind manche Gewissen fest überzeugt, das Heil für sich zu gewinnen, wenn der römische Papst sie absolviert, ihnen Ablass schenkt und sie dem Himmel verschreibt; wenn Nonnen und Mönche für sie eine bestimmte Zahl von Gebeten sprechen, für sie das Brevier und Messe lesen und dergleichen für sie tun. Auf diesen Einwand antworte ich: diese Menschen sind entweder Dummköpfe oder Heuchler. Es kann nur Dummheit oder Unwissenheit sein, wenn man sich etwas einbildet, was man gar nicht ist. Wer seine Frömmigkeit an dem Glauben an die Erdichtungen des römischen Papstes bemisst, hat nie etwas von Gott ge-schmeckt, noch nicht einmal mit der Zungenspitze hat er Gottes Lieblichkeit gekostet, weiß nichts von der Seligkeit dessen, der auf Gott vertraut. Ist er nicht dumm oder unwissend, so kann er dem Makel der Heuchelei nicht entgehen. Ziemlich viele nämlich schätzen den römischen Papst und die kalten Zeremonien deshalb hoch, weil sie sehen, dass ihnen mancherlei entgeht, wenn seiner Herrschaft irgendwie Abbruch geschieht; so sind sie, wie kluge Hunde, beizeiten auf der Hut. Es bleibt dabei: das fromme Gemüt findet seine Ruhe nur in Gottes Wort, nimmt nur Gottes Wort an. (Dasselbe beweisen Stellen des Neuen Testa-mentes, wie: Mat. 15,8, Joh. 1,13, 8,47, 10,4 f., 15,4.)

 

VON DER CHRISTLICHEN RELIGION.

 

Unsere Zeit verfügt über viele Gebildete, allenthalben kommen sie, wie aus dem trojanischen Pferd, hervor. Aber noch mehr Kritikaster hat’s; sie wollen aus Gottlosigkeit die Renaissance (Neugeburt) des Evangeliums nicht annehmen, so heucheln sie Frömmigkeit und füllen den Frommen mit falschen und erdichteten Verdächtigungen die Ohren. Andere treten, wenn wir energisch lehren, man müsse alles Vertrauen auf Gott, unseren Vater, setzen, sofort mit dem frechen Verdachte hervor, man müsse sich vor uns hüten, unser ganzes Leben ziele auf eine Entfernung Christi ab, nach jüdischer Art wollten wir alle Menschen zum Glauben nur an eine Person verführen, wie wir nur an einen Gott glauben. Andere sagen umgekehrt, wenn wir willig Alles Christus zuweisen, sie fürchteten, wir möchten unüberlegt ihm zu viel zuweisen. Beide äußern sich jedoch so, dass man aus ihrem Urteil erkennen kann: sie sind entweder verwegen dumm oder wissentlich gottlos. Entweder nämlich wissen sie gar nichts vom Vater, Sohne und heiligen Geiste, wissen nicht, dass Aussagen über das Sein, das Wesen, die Gottheit, die Macht einer Person sich auf alle drei Personen beziehen, wie Du es ja auch verstehen willst; zugleich kommt Frechheit zur Unkenntnis hinzu: was sie nicht wissen, das verdächtigen sie um so heftiger. Oder sie sind so absichtlich und bewusst gottlos, dass sie Richtiges und Frommes in ihrem verderbten Sinne bekämpfen, und wenn sie sich vom offenen, ehrlichen Kampfe nichts ver-sprechen, so arbeiten sie mit derartigen geheimen Minengängen: sie fürchteten, wir möchten bald den Vater, bald den Sohn bevorzugen. Von all diesen wollen wir nichts wissen. Nach unserer Lehre muss man Gott so anerkennen und ehren, dass man stets den allein Guten, Gerechten, Heiligen, Gütigen und alles Übrige unter ihm begreift, mag man ihn nun Vater, Sohn oder heiligen Geist nennen. Teilen wir dem Sohne Alles zu, so geben wir es dem, der mit dem Vater und heiligen Geist identisch ist; er hat das Reich und die Macht mit demselben Rechte wie der Vater und der heilige Geist. Er ist ja identisch mit dem Vater und dem heiligen Geiste, nur in den sogenannten Eigenschaften liegt ein Unter-schied. Wenn also unsere Gegner hier sagen wollen, wir hätten bei unseren bisherigen Ausführungen über die Religion des Heiles durch Christus und der Gnade gar nicht gedacht, so werden sie vergebens krächzen wie die Raben. Man kann nicht Alles auf einmal sagen; sodann bezogen sich unsere Worte von der Ehe zwischen der Seele und Gott auf Christus so gut wie auf Gott – denn Christus ist Gott und Mensch; endlich geht naturgemäß die Erkenntnis Gottes derjenigen Christi voraus. Wie die Gnade dann richtig erkannt wird, wenn die Schuld durch das Gesetz bewusst geworden ist ... Röm. 7,25 ... , so wird Christus, das Pfand der Gnade, ja, die Gnade selbst, dann richtig gelehrt und erkannt, wenn wir nach Erkenntnis der Schuld lernen, dank der Gnade, dass uns der Weg zum Himmel versperrt ist. Wie ein Gesunder den Arzt nicht beachtet, ein dem Tode Naher ihn aber fast für einen Gott hält, so ist Christus den Gesunden nicht genügend liebwert, den Kranken aber der deus ex machina, das heißt: das unverhoffte, von Gott geschickte Heil Luk. 5,31 f. ... Um also Christus recht zu erkennen, müssen wir uns selbst recht erkennen. Ein Selbstgerechter nimmt Christus nicht auf, wie aus Christi Worten klar hervorgeht; und ein Gesunder fragt nicht nach ärztlicher Hülfe ... Da aber das Übel der Heuchelei so stark ist, dass es sich wie gewisse törichte Kranke, die ihr Leiden verleugnen, von allem Verdacht, wenn auch vergeblich, zu befreien wagt und ihn bestreitet, so müssen wir wie erfahrene Ärzte, die durch allerlei Umstände und Zufälligkeiten die Wahrheit herausbekommen, den Menschen so ausfragen und erforschen, bis wir seine Kühnheit, zu verheimlichen, in ein offenes, ehrliches Bekenntnis ver-wandeln. Denn manche Kranke sind so schlau, dass sie, um die Erfahrung des Arztes auf die Probe zu stellen, ihre Krankheit nicht sagen, bis der Arzt sie ihnen kundtut, die sie selbst innerlich empfinden. Dann nämlich glauben sie ihm um so zuversichtlicher, in der festen Überzeugung, dass eine richtig gestellte Diagnose auch die Heilung kennt. Hartnäckige Heuchler können aber selbst durch die größte Beredsamkeit nie dazu gebracht werden, ihre inneren Empfindungen zu bekennen. Je hartnäckiger sie aber leugnen, desto sicherer werden sie von geistigen Ärzten erkannt. „Denn der geistige Mensch richtet Alles“ 1. Kor. 2,15. Um sie zu dem Bekenntnis der durch die geistige Heilkunde erkannten Fehler zu bringen, ist mehr nötig als ein Mensch, mag er noch so erfahren sein. „Denn ein Mensch siehet, was vor Augen ist, Gott aber nur das Herz“ 1. Sam. 16,7. Er flößt dem Menschenherzen das Schamgefühl ein, damit er nicht mehr wider sein Gewissen leugnet, demütigt ihn, sodass er seine Ruhmsucht anerkennt; sonst würde er niemals seinen wahren Zustand eingestehen. Denn Niemand will in sich gehen, kein einziger! So kommen wir also wiederum zu dem Ergebnis, dass der Mensch wie zur Erkenntnis Gottes so zur Erkenntnis seiner selbst Gott nötig hat. „Niemand weiß, was im Menschen ist, außer dem Geiste des Menschen, der in ihm ist“ 1. Kor. 2,11. Doch machen wir nunmehr die Versuche, die den Menschen zum Bekenntnis dessen bringen sollen, was wir ihm zuschreiben. Ich frage also zuerst Dich, der Du aus Deinen Werken gerecht sein willst: ist Almosengeben ein gutes Werk oder nicht? Antwort: Ja, es ist eines. Kommt es auf die Art und Weise nicht an? Antwort: Sehr viel, der Mensch muss tun, soviel an ihm liegt – so heißt es. Sage mir bitte, was verstehst Du darunter: soviel an ihm liegt? Antwort: nach seinen Kräften. Darauf erwidere ich: Damit kommen wir nicht weiter; denn soviel auch gegeben wird, und weshalb, der Mensch tut immer, soviel an ihm liegt und nach Kräften. So wird jedes Almosen ein gutes, rechtfertigendes Werk sein. Antwort: Ja. Auch dann, wenn ich gebe, um von den Menschen gesehen zu werden? Antwort: Nein. Wie denn?! Antwort: ich möchte nicht streiten. Da schau, was das heißt: was in ihm ist, tut der Mensch. Eine Erdichtung ist es, die Christus überflüssig machen will. Denn jeder könnte durch derartige nach seinen Kräften getane Werke gerechtfertigt werden. Jeder kann ja tun, soviel an ihm liegt, auch wenn wirklich Gutes nur sehr wenig zu finden ist. Doch ich kehre zur Hauptsache zurück. Die Almosen können so schlecht sein, wie die Reben durch Krankheiten zu Grunde gehen können. Zunächst, wenn sie nicht im Namen Gottes gegeben werden. Wer sie nur zum Zweck der Erlösung von den Höllenstrafen gibt, gibt sie in seinem, nicht in Christi Namen. Wer sie sodann so prunkhaft gibt, um bei den Menschen sich Ruhm zu erwerben, hat seinen Lohn schon dahin Mat. 6,1. Wer traurig und nicht gern gibt und gar nichts geben würde, wenn er nicht die üble Nachrede fürchtete, schändet das Almosen; „einen fröhlichen Geber hat Gott lieb“ 2. Kor. 9,7. Gibt man nicht so, wie man selbst in Not empfangen möchte, so gibt man nicht recht. „Denn Alles, was ihr wollt, dass euch die Leute tun, tut ihnen auch“ Mat. 7,12. Ebenso ist’s, wenn man verächtlich oder nachlässig gibt ... Oder nur bezwungen durch das Elend und Unglück des Empfängers, nicht aus Liebe zu Gott und dem Nächsten 1. Joh. 3,17. Kurz, bei diesem so unbezweifelt als gut geltenden Werke lauern so viele Fehler, dass Niemand hoffen darf, es würdig vollbringen zu können. Denn wer gibt nicht so, dass er das Beste für sich zurück-behält? Wer gibt nicht so, dass er entweder als Geber gesehen wird oder wenigstens nicht als Geizhals angesehen wird? Wie wollen wir also der Ge-rechtigkeit Gottes Genüge leisten, wenn ein so frommes Werk von Niemanden so getan werden kann, dass ein gerechter und frommer Richter es als des Lohnes wert zu beurteilen vermöchte? Gehe so all unser Tun durch, Du wirst nicht geringere, vielmehr nur größere Fehler entdecken. Wir beten oft, um gesehen zu werden, wie die Heuchler Mat. 6,5. Wir erbitten Reichtümer, Vergnügen, eine wohlhabende Frau, Ehren, Herrschaften, Reiche, ja, göttliche Ehren vom Herrn und wissen gar nicht, was wir bitten sollen Röm. 8,26. Wir fasten, damit unsere Sparsamkeit kund wird, oder damit unsere Magerkeit und das bleiche Gesicht uns die Heiligkeit einbringen, oder um Leckerbissen und köstliche Speisen zu bekommen, oder um den schamlos heraustretenden Wanst wieder in die alten Kleider zu zwängen, oder um, schmutziger als die schmutzigsten Geizhälse, unsere Vorratskammer zu schonen; oder endlich um das Fasten, das nur geschehen darf, damit wir durch Entbehrung am Fleisch die Stimme und Herr-schaft des Geistes besser hören, als ein gutes Werk zu werten. So, sage ich, beziehen wir Alles auf uns selbst, nicht auf den, dem wir ganz angehören und in dem wir sind. Durch welche Opfer oder Gaben werden wir also gerechtfertigt werden können, wenn wir bei unseren eigenen Werken so darnieder liegen, so kalt und verworren sind? Das ist so klar und wahr, dass alle Gläubigen es so an sich empfinden. Sie sehen, dass auf diese Weise der Bresten von Adam, dem Urheber dieses Todes, zu uns übergeströmt ist; sie sehen das nicht nur im Worte, empfinden es vielmehr wirklich an sich selbst. Hier, wie gesagt, irrten die Theologen, wie ich vorhin bemerkte. Sie meinten, die Gerechtigkeit Gottes genau zu erfassen, mussten aber einsehen, sie bedürfe der Genugtuung, und schätzten dabei die Durchschnittswerke nicht genau ein, so hoch sie ihre eigenen bewerte-ten. Denn sie kennen überhaupt den Menschen nicht recht, wie er nur Unreinig-keit, Schmutz und Befleckung ist, sodass er selbst etwas rein Gelerntes unrein wiedergibt. Denn selbst, wenn er durch den himmlischen Geist so weit ge-kommen ist, dass er an den Forderungen des Gesetzes Freude hat, so bäumt sich doch das Fleisch dagegen auf, sodass wir nichts Richtiges tun. Während daher die Gerechtigkeit Gottes so unerschütterlich und heilig ist, dass unsere Unreinigkeit sie sich gar nicht verdienen kann, wollten die Theologen nichts von Verzweiflung wissen – ich meine Verzweiflung an uns selbst, nicht an Gottes Barmherzigkeit. Dieser Fehler kam ebenfalls von der Selbstüberschätzung her. Denn es kostet Mühe, dass sich der Mensch so verachtet, so preisgibt, dass er nichts von sich selbst hält. Und das war eine wunderliche und unverschämte Anmaßung. Sie lehrten, kraft eigenen Verdienstes müssten wir den Himmel erwerben, boten dabei aber sich selbst als Diener und Helfer an, die für andere verdienten; sie nahmen Geld und „verdienten“ wacker, aber mit selbst erdichteten Werken – darüber später mehr. Insgemein kannten sie weder Gottes Gerechtig-keit noch des Menschen Ungerechtigkeit recht, Christus kannten sie so schlecht oder verachteten ihn so, dass sie ihm kaum mehr Bedeutung beimaßen als die Juden. Kein Wunder! Hätte man sich allgemein auf Christus verlassen – das heißt: auf die durch Christus erworbene und gefestigte Gnade Gottes – , wer hätte bei ihnen sein Heil weiter so teuer erkauft? Daher sind sie heute auch nicht ohne Grund wütend, wenn sie sich anbieten, für andere das Heil zu verdienen, aber Niemand sie dingt, sie sitzen den ganzen Tag arbeitslos. Doch es ist schon genug über unser Unvermögen und unsere Verzweiflung an uns selbst gesagt. Wir wollen zu Erquicklicherem übergehen: zum Evangelium; durch dasselbe hat der barmherzige Gott das Heil nicht nur verkündet, sondern das längst ver-heißene und angekündigte auch geschickt. Dieses Geheimnis muss mit höchster Ehrfurcht, mit Zittern und Anbetung behandelt werden; so müssen wir uns vor dem Quell aller Gnade niederwerfen, er möchte unsere Worte so richten und erleuchten, dass wir nichts seiner Unwürdiges sagen ... Gebe der Herr uns die rechten Worte in den Mund! Unser Schöpfer wollte unserer verlorenen Sache endlich aufhelfen; da schickte er als Genugtuungsopfer für seine Gerechtigkeit keinen Engel, keinen Menschen, nein, seinen Sohn im Fleische – seine Majestät sollte nicht vom Verkehr mit ihm abschrecken, seine Niedrigkeit uns nicht hoffnungslos machen. Denn dass Gott und Gottes Sohn als Mittler und Schieds-mann geschickt wurde, stärkt die Hoffnung. Gott kann oder hat ja Alles. Als Mensch aber verheißt er Traulichkeit, Freundschaft, ja, enge Verbindung und Gemeinschaft; denn was könnte ein Bruder, der Gefährte unserer Schwäche, abschlagen? Diese seltsame und ungewöhnliche Tatsache ist sogleich bei Beginn des menschlichen Elends geplant und kundgetan worden; wie Gott durch seinen Sohn den Menschen schuf, so beschloss er den dem Tode Verfallenen auch durch den Sohn wieder zu heilen, Schöpfung und Wiederherstellung sollten in einer Hand liegen Joh. 1,3; Kol. 1,16-20; Eph. 2,18 ... Um mit dem ersten Anfang zu beginnen: Gott hat sich des Menschen unmittelbar nach dem Falle erbarmt; als er den Beschluss seiner Gerechtigkeit und seines Gerichtes kundtat, da hat er an seinem harten Richterspruch manchen Vorbehalt gemacht, damit der Mensch nicht dauernd elend bliebe. Als er nämlich der Schlange die Strafe androhte, machte er zu Gunsten des Menschen den Vorbehalt, es werde einst der Weibessame der wahren Schlange, dem Teufel, den Kopf zertreten: „Ich will Feindschaft setzen, sprach er, zwischen dir und dem Weibe, zwischen deinem Samen und ihrem Samen; derselbe soll dir den Kopf zertreten, und du wirst ihn in die Ferse stechen“ 1. Mos. 3,15 ... In diesen Worten Gottes wird deutlich verkündet: vom Weibe wird einst der Same kommen, der der Schlange, das heißt: dem Teufel, den Kopf zertritt, dagegen wird der Teufel ihn in die Ferse stechen. Sehen wir kurz, was beide Weissagungen bedeuten: Der Same, von dem vielerlei im alten Testamente gesagt wird, (zum Beispiel 1. Mos. 15,5, Jer. 23,5) ist Christus. Dieser Same, Christus, hat dem Teufel den Kopf zertreten. Der Teufel selbst aber stellte Christi Ferse nach, das heißt: seiner Menschheit. Es ärgerte ihn, dass sie nicht so dem Fall unterworfen war, wie unsere, die in Sünden empfangen wurde; doch wollte er keine Gelegenheit ungenutzt lassen und verlangte einst nach einem wunderbaren Fasten von 40 Tagen und Nächten, sogar in der Wüste, von ihm, er möchte Steine in Brot verwandeln, in der Hoffnung, seine Zähne und seine Kehle würden ihn dazu reizen. Dann versuchte er es mit Begierde nach Herrschaft, Macht, schließlich nach Ruhm Mat. 4,1-11. Als er nichts erreicht hatte, macht er seine Truppen gegen ihn mobil: er erregt grimmen Hass der Schriftgelehrten und Priester gegen ihn ... , ja, er strebte, ihn ganz zu vernichten; fürchtete er doch von Tag zu Tag mehr für sein Reich, wenn er die unbeugsame Festigkeit der Wahrheit bei seiner Lehre, die unfehlbare Kraft bei der Vernichtung von Krankheiten sah. Die Glut seiner Eifersucht steigerte sich täglich, bis er seine vorerwähnten Anhänger, die Schriftgelehrten, Priester und Pharisäer dahin gebracht hatte, dass sie ihn auf jeden Fall töten wollten. Christus wusste das wohl und hat ihnen oft ihre Bosheit vorgeworfen. Im Tumulte seiner Gefangennahme selbst stellte er die List der Schlange und die Bosheit und den Hass der Priester bloß mit den Worten: „Das ist eure Stunde und die Macht der Finsternis“ Luk. 22,53. Der Teufel stellte sogar dem Verstorbenen nach, er wollte durch seine Anhänger das Grab bewacht wissen. Man muss ferner Alles beachten, was durch die beiden Adam geschah, das heißt: durch unseren fleischlichen Stammvater und durch Christus. Denn Paulus stellt Röm. 5,12 und 1. Kor. 15,22 die beiden neben einander, damit klar werde, wie Christus durch entsprechende Gegenmittel bei seinem Genugtuungswerke an die göttliche Gerechtigkeit den Menschen wieder herstellte. Einige Vergleichspunkte wollen wir, soviel uns der Herr verliehen hat, angeben. 1. Adam wurde in einen köstlichen Garten gesetzt, nach seinem Sündenfall von diesem seligen Platz auf die unbebaute Erde verwiesen, mit Hacke, Pflug und Eisen sollte er dort ein Kämpfer sein. Christus maßte sich keine ungebührliche Ehre an, wenn er sich neben den Vater stellte, aber er stieg vom Himmel herunter und wollte unsere Gestalt annehmen, in ihr die, welche nichts als harter Boden und Fleisch waren, durch sein Wort mit eiserner Rute, wie es Ps. 2,9 heißt, niederwerfen, damit wir durch ihn dorthin zurückkehrten, woher er selbst gekommen war, wir, die wir durch Adam dank seiner und unserer Schuld aus der Heimat verwiesen waren.

2. Der erste Adam wollte durch das Wissen um Gut und Böse Gott werden, der zweite wollte Form und Gestalt des unwissenden Menschen anziehen, um uns zur Erkenntnis und Gnade dessen zurückzuführen, der allein gut ist und allein weiß, was gut und böse ist. 3. Adam ließ sich durch die Verführungskünste eines Weibes gewinnen, von der verbotenen Speise zu essen. Mitunter bäumte sich in Christus die menschliche Schwäche, die des Leidens nicht gewohnt war, auf, aber sie wurde stets überwunden. „Dieser Kelch gehe an mir vorüber“ rief die Schwäche Mat. 26,39; aber die Gottheit siegte, die das widerstrebende Fleisch dem Willen des Vaters unterwarf. 4. Adam streckte die Hand zum verbotenen Baume aus, in der Hoffnung, gut und weise, ja, Gott zu werden. Christus streckte alle seine Glieder auf das schmachvolle Kreuzesholz damit wir durch seine Not glücklich, durch seine Torheit weise – denn „das Wort vom Kreuz ist eine Torheit für die, die verderben“ 1. Kor. 1,18 – , durch seine Armut Götter würden. 5. Der Urheber des Todes streckte seine Hand nach dem Todes-Apfel aus, der Urheber des Lebens nach dem Heils-Kreuze. 6. Der Biss in den süßen Apfel gebar den Tod, Christi bitteres Leiden das Leben. 7. Adam versteckte sich in der Hoffnung, verborgen zu bleiben; denn er fürchtete sich, Gott vor die Augen zu kommen. Christus gab sich der ganzen Welt preis, unterwarf sich dem Gericht und den Händen der größten Bösewichte, um die verlorene Erbschaft rechtlich wieder-zugewinnen. Er litt es, vor aller Augen als Missetäter zu erscheinen, damit wir durch ihn vor dem Vater gerecht erscheinen möchten. 8. Ein Holz brachte uns in Knechtschaft, weil Adam sich nicht enthalten wollte; ein Holz schenkte uns die Freiheit, weil Christus alles lieber als unser Unglück ertragen wollte ... 9. Über Adams Fehltritt lachte Gott und kleidete ihn und sein Weib in Tierfelle; Christi Gehorsam machte uns aus wilden Tieren zu Söhnen Gottes und umkleidete uns mit seliger Unsterblichkeit. Weit entfernt, in Gottes Augen verachtet zu sein, sind wir sogar seine Erben, Christi Miterben, geworden. 10. Kurz: Die Verwegenheit unseres Stammvaters verschloss uns das Paradies, Christi Demut erschloss uns den Himmel. Die von Paulus Röm. 5,15-21 gebrachten Vergleichspunkte will ich nicht erwähnen; sie kommen alle darauf hinaus, uns vor Augen zu führen, wie unsere Krankheit durch die entsprechenden Gegenmittel geheilt, und die göttliche Gerechtigkeit durch des einen Christus Gerechtigkeit zu unserem Besten versöhnt wurde. Denn seine Unschuld, uns geschenkt, wie auch das Leben, das wir aus ihm schöpften, sind ganz unser geworden … Er, durch den wir alle geschaffen wurden, und durch den es Gott gefiel, die Welt neu zu schaffen und zu erneuern, als ihm die Zeit gekommen schien, wurde im Leibe einer reinen Jungfrau, ohne Zutun eines Mannes, durch Befruchtung vom heiligen Geiste – denn der hier geboren werden sollte, wurde gesandt, Fleisch-liche zu Geistigen zu machen – empfangen und begann, Mensch zu werden. Man lese die beiden ersten Kapitel bei Lukas, damit wir uns nicht bei diesen bekannten Dingen aufhalten, und bei Matthäus und Johannes das erste Kapitel. Christus musste aus doppeltem Grunde von einer Jungfrau geboren werden: zunächst konnte seine Gottheit die Berührung mit dem Schmutz der Sünde nicht vertragen ... Denn Gott ist so sehr Licht, Reinheit, Unschuld, Güte, dass er irgend etwas Dunkles, Unreines, Beflecktes oder Böses nicht verträgt. So musste die Geburt ganz rein von jeder Befleckung sein; denn der da geboren wurde, war auch Gott. Zweitens um der Natur des Opfers willen. Das musste frei von allem Makel sein, wie das Gesetz des Moses verlangt, das doch nur für die Reinigung des Fleisches Bedeutung hatte Heb. 9,9. Um wie viel mehr musste das Opfer ganz makellos sein, das für die Sünde aller, der vergangenen wie der künftigen, Menschen geopfert wurde! Das konnte nur durch einen aus einer reinen Jungfrau Geborenen geschehen. Hätte die Jungfrau aus männlichem Samen empfangen, so wäre die Geburt schon befleckt gewesen. Hätte ihn eine, die vorher einen Mann gehabt hatte, empfangen, auch vom heiligen Geiste, wer hätte je geglaubt, das Geborene sei vom heiligen Geiste? Denn die Natur kennt nur eine befleckte Geburt Ps. 51,7 ... So musste ihn eine Jungfrau, und zwar eine, die Jungfrau blieb, gebären, damit er auch nicht eine Spur von Verdacht auf Befleckung, geschweige die Wirklichkeit, an sich trüge ... So gebar also eine ewig reine Jungfrau den Christus, Gottes und ihren eigenen Sohn, zu Bethlehem in der Fremde laut den Weissagungen der Propheten Mich. 5,2; Mat. 2,6; Luk. 2,7 und legte das Kindlein in die Krippe; denn sie hatten keinen Platz in der Herberge infolge des Zusammenströmens der Menschen, die damals dort zur Steuer-schätzung zusammengekommen waren. So wollte es die göttliche Vorsehung: wie Adam durch seine Sünde sich bloßstellte und in Not brachte, so sollte Christus zur Versöhnung der göttlichen Gerechtigkeit Armut, Kälte und alle über den Menschen infolge der Sünde verhängten Übel erfahren. Darin nämlich bestand die Gerechtigkeit, dass unser aller Schöpfer, der Sündlose, den wir verlassen hatten, unschuldig das ertrug, was wir durch unsere Sünde verdient haben, zu unserem Besten ertrug. „Er hat keine Sünde getan, ist auch kein Betrug in seinem Munde erfunden worden“ 1. Pet. 2,22. Was er ertrug, ertrug er für uns; denn er selbst entbehrte nichts, aber für uns ist er arm geworden, damit wir seinen Reichtum genießen könnten. Ähnlich wurde der, der die Speise der Seelen sein sollte, dorthin gelegt, wo das Vieh gespeist wird, damit wir schon sogleich am Anfang sähen, der werde die Speise für uns sein, die uns geistig mache, die wir ohne die Erkenntnis Gottes nichts als Tiere sind. Er wird der Winterkälte ausgesetzt, der die Blumen auf dem Felde köstlicher kleidet, als sich je ein Salomo zu kleiden vermöchte, der die Raben speiset und den Zugtieren Nahrung gibt. Dort wird er geboren, wo die Menge der Menschen zusammen-geströmt war; denn allen Menschen sollte er gehören. In der Krippe wird er geboren, nicht im weichen Federbett; denn er ist der wahre Hirte, der immer über seiner Herde wacht. Er wird am achten Tage beschnitten; der ganze Nutzen der Beschneidung lag ja in der Hindeutung auf ihn. Er bekommt einen Namen, „der über alle Namen ist“ Phil. 2,9, und der glänzend das zum Ausdruck bringt, was Christus ist. Denn er ist der Heiland, deshalb wird er auch Jesus genannt; das heißt nichts Anderes als Heiland. Denn er macht sein Volk selig von seinen Sünden. Er nimmt zu an Alter und Weisheit, damit wir die wahre Menschheit an ihm erkennen sollen. Er wird von Simeon und Hanna begrüßt und als Heil und Licht aller Völker gepriesen, damit uns zugleich seine Gottheit bewusst bleibe. Mit zwölf Jahren sitzt er um deswillen unter den Gelehrten, redet mit ihnen, besiegt und widerlegt sie Luk. 2,42-47. Sofort aber, damit wir nicht an der wahren Menschheit zweifeln, zieht er mit der Mutter und dem Nährvater nach Nazareth, und gehorcht ihnen. Ja, so gehorcht er, dass er das Handwerk seines Nährvaters ergreift und sich darin einen so guten Ruf erwirbt, dass man allgemein sagte: „Ist das nicht der Zimmermann?“ Mark. 6,3. Als aber die Zeit seiner Hinwegnahme von der Erde gekommen war, bezeugte er sich auf jede Weise als Gottes Sohn, teils durch seine Lehre, teils durch seine außergewöhnlichen Wunder; nicht nur die Menschen, nein, auch die Dämonen mussten wider Willen bekennen, dass er Gottes Sohn sei. Hungernde Scharen speist er bald mit wenigen Broten, bald tränkt er sie durch die Verwandlung von Wasser in Wein, Aussatz entfernt er, vertreibt Krankheiten, erstickt das Fieber, gibt Blinden das Augenlicht wieder, heißt die Lahmen gehen, gibt verdorrten Gliedern die Bewegung zurück, macht die Krüppel gerade und weckt die Toten mit der Stimme des Lebens auf – kurz, es gibt keine Übel des Leibes und der Seele, die er nicht beseitigte. Da er aber die Listen und Anschläge der Heuchler kühn an’s Licht zieht, und die Bosheit – so ist es ihre Art – , die wie ein Nachtvogel sich nicht an’s Licht wagt, sich widersetzt, findet sie einen Weg, um den Preis des Seelenheils sich zur Geltung zu bringen. Man beschließt also, Christus zu töten, den unschuldigen Sohn Gottes und der Jungfrau, unerachtet des Schadens der Gewissen, wenn sie sich nur vor den Einfältigen als Gerechte, Christus aber als Ungerechten, der die Gerechten zu Unrecht beleidigt hätte, hinstellen konnten. Da sie über keine eigene Gerichtsbarkeit verfügten, finden sie den Weg zu einer Anklage bei der Obrigkeit. Damit nichts dazwischen träte, er etwa nicht gefangen genommen würde oder nach der Gefangennahme entwische, bemühen sie sich um seine persönliche Festnahme, in der Meinung, das Verderben sei ihm sicherer, wenn sie ihn selbst brächten, als wenn sie ihn nur denunzierten. Sie bringen ihn also gefangen vor den Statthalter und klagen ihn des Majestätsverbrechens an, er habe verboten, dem Kaiser Steuern zu zahlen. Um auch den Volkshass gegen ihn zu erregen, stiften sie falsche Zeugen an und behaupten, er habe gesagt, er könne den Tempel abbrechen und in drei Tagen wieder aufbauen – auf diese Weise hoffen sie, selbst wenn der Richter schwankend werden sollte, dank dem Toben und Schreien des Pöbels den Mord erzielen zu können. So geschah es auch. Der Richter fand, wie er wiederholt bekannte, keinen Grund zur Ver-urteilung, trotzdem er vielerlei versucht hatte, wagte aber nicht den Freispruch, überließ Christus vielmehr dem Wahnwitz seiner Ankläger. So führen die Laster die Unschuld, die Ungerechtigkeit die Gerechtigkeit, den Gott die Glieder des Teufels, den Friedensfürsten der Zank, den Wohltäter die Undankbaren, das Leben die Mörder, den Vater des Vaterlandes die Vatermörder dahin, so bespeit, verspottet, mit Backenstreichen geschlagen, mit Dornen und Geißeln von Kopf bis zu Füßen verwundet und ganz verderbt, dass seinem Elend gegenüber das Mitleid der Töchter und Frauen den Tränen nicht gebieten konnte. Doch blieb er diesen Übeln gegenüber ungebrochen und ruhig, sagte das Unglück voraus, das die Mörder durch das schwere Unrecht über sich bringen würden. Die ver-achtetste Strafe verhängen sie über ihn, schlagen ihr Leben mit Mördern an’s Kreuz; hätte er ihnen nicht das Leben gegeben, so hätten sie nichts gegen ihn vermocht. Sich selbst getreu bittet er, so jammervoll den Elementen und dem Spott der Menschen preisgegeben, für seine Feinde, der himmlische Vater möchte ihnen ihr Wüten nicht anrechnen. Denn als ihn unter den Qualen dürstete, tränkten sie ihn mit Essig, unter Galle vermischt, – so groß war die Ungeheuerlichkeit ihres Tuns. Als er erkannte, dass des Vaters Auftrag erfüllt sei, gibt er ein Zeichen: „es ist vollbracht“, sprach er, nämlich sein Werk, mit dem er den Anspruch des Teufels und des Todes durch seine Unschuld von uns getrieben hatte. Nachdem Alles glücklich ausgerichtet war und er den Geist aufgeben wollte, befahl er ihn dem Vater: „in deine Hände befehle ich meinen Geist“. Mit diesen Worten starb er. Da begann plötzlich eine gewaltige Bewegung des Alls wegen des seinem Schöpfer widerfahrenen Unrechts. Die Sonne verbarg ihren Glanz; es sollte den grausamen Mördern wie bei einem Nachtauf-ruhr die Schwere ihrer Tat offenbar werden. Vor Schmerz zerriss der Tempel-vorhang wegen der gewaltigen Beleidigung Gottes. Die Felsen zerbersten aus Ungeduld – daraus sollen wir erkennen, dass die Tat der Juden härter als Stein war. Die Erde schüttelt sich in Entrüstung, dass sie solche Bestien trägt, und droht zusammenzustürzen. Aus den Gräbern brechen bei diesem Aufruhr Tote hervor. Aber die Herzen der gottlosen Heuchler bleiben unbeweglich. Sie gehen zum Richter, bitten um Bestellung einer Wache bei dem Leichnam und erreichen das auch. Als der dritte Morgen graute, stand er durch die Herrlichkeit des Vaters gegen den Willen der Soldaten von den Toten auf! Die Soldaten meldeten das Geschehnis den Priestern. Die verabredeten mit ihnen um hohen Preis die Lüge, sie sollen allenthalben sagen, die Jünger hätten, während sie schliefen, heimlich den Leichnam gestohlen. So handelt das wahnwitzige Wüten, und der stets blinde Neid weicht der Wahrheit nicht, glaubt, er könne sich wohl verbergen, ja, auf seinem Gipfelpunkte verliert er gänzlich die Scham, einerlei, ob man ihn sieht oder nicht ... Christus aber zeigt sich nach seiner Triumphfahrt durch die Hölle sofort den Seinen, verkehrt 40 Tage mit ihnen und geht dann aus eigenem Antrieb vor den Augen der Jünger zum Vater. Das Alles habe ich um so lieber erzählt, damit jedem Christi Gerechtigkeit, durch die er Adams Wunde heilte, klar werde. Denn wir stehen noch bei dem Beweise, dass Christus unsere Gerechtig-keit, unsere Unschuld und der Preis unserer Erlösung ist. Denn dazu ist er für uns gestorben und auferstanden, um das Geheimnis der Erlösung zu erklären und die Hoffnung zu stärken; sieht die ihn tot und alsbald aus eigener Kraft wieder auferstehen, so muss sie des ewigen Lebens nach diesem irdischen gewiss werden Röm. 6,10 ...

 

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