Wir wissen alle, berühmtester König, wie unfein es ist, wenn jeder aus der Menge allemal den besten aus der Zahl der Christen anzugehen wagt, wie wir das heutzutage bei manchen sehen, die unter dem Vorwande, es gelte ein christ-liches Bekenntnis, unaufhörlich den besten und bedeutendsten Menschen ihr Fündlein aufnötigen, die gerade in ihrer Unverschämtheit den gänzlichen Mangel an Christentum beweisen; denn das Christentum pflegt nicht zu lärmen; es will nicht zudringlich oder ausgelassen sich eindrängen. Doch wissen wir weiter, wie furchtbar und eines Fürsten unwürdig es ist, so streng und stolz zu sein, zum persönlichen Verkehr mit ihm nur die paar Leute zuzulassen, die er aus dem ganzen Menschengeschlechte zu seinen Ratgebern und zu seinem beständigen Umgang gewählt hat. Was heißt das anders, als den Fürsten mit Schranken umgeben, die er nicht überschreiten, ja, über die hinaus er nicht einmal denken darf? Wer würde einen solchen Fürsten nicht auf’s Tiefste bedauern?! Ist er doch Knecht derer, die scheinbar seine Knechte sind. Gewiss ist es ein heilig Ding, dass ein König oder Fürst gute Ratschläge hört, die Alten ehrt, die Klugen achtet, die Weisen schätzt; aber so ist’s auf Erden: die von den Fürsten wegen ihrer wirklichen und hervorragenden Tüchtigkeit auf irgend einem Gebiete übermäßig Geehrten entarten, sobald sie sehen, dass sie das Herz des Fürsten besitzen, und missbrauchen ihn zu ihren Zwecken. So ist’s an manchem Fürstenhofe gegangen, wie wir sehen. Ich will nicht sticheln: Gesetz und Sitte der französi-schen Könige sind mir so fremd, dass ich gar nicht weiß, von welchen Männern die königliche Hoheit umgeben ist. Manchen Fürsten haben sich Parteifanatiker so an die Seite gesetzt, dass Du, fändest Du Zutritt, von 600 Königen die Er-füllung Deines Wunsches viel schneller erzielen würdest als den Durchbruch durch jenen Schwarm. Sie sind wie jener Drache, der nach den Erzählungen der Dichter das goldene Vließ hütete. Heutzutage sind es die Bischöfe mit Purpur und Barett, die allemal die mächtigsten Könige so umstehen, dass man sich wundern möchte, wie diese ihren beständigen Anblick ertragen können oder jene nicht einmal desertieren, wenn man sich nicht sagte: sie passen scharf auf, dass nichts zum König durchsickert, das ihre Schliche verriete. Doch da Deine Hoheit allgemein als zu umsichtig gerühmt wird, als dass sie sich derartig fangen ließe, ferner als frei und gütig, sodass sich Niemand zu fürchten braucht, baue ich auf diese Deine Menschlichkeit, nicht auf meine Keckheit, und wage es, diesen „Kommentar“, wie er auch sei, Deinem Namen zu widmen. Manchen Grund habe ich dazu: Ihr Könige von Frankreich seid mit Recht stolz auf den Titel: „aller christlichster König“. Nun meine auch ich, dieser „Kommentar“ sei sehr zuwider den Feinden Christi, aller christlichst; folglich durfte ich ihn nur dem aller christ-lichsten Könige widmen. Ferner gilt das französische Volk von Alters her als fromm – wem hätte also treffender ein „Kommentar über die wahre und falsche Religion“ gewidmet werden können? Endlich: Da Deutschland, das in regem Verkehr mit Frankreich steht, begonnen hat, die Augen dem Lichte der Wahrheit zu erschließen, schien es mir nachbarliche Pflicht, das lichtbringende Heilmittel den Franzosen zu geben; denn wir waren, o Jammer, lange Zeit gänzlich in eitle Finsternis seitens geizigster Menschen gehüllt, genau wie Israel unter der Knechtschaft Ägyptens. Aber der Schöpfer aller Dinge schaute auf unsere Gewissensbedrängnis nicht weniger als auf die Not Israels und offenbarte uns das Licht seines Wortes zwecks klarer Erkenntnis der auf uns lastenden Ge-fahren. Die göttliche Vorsehung liebt, rechtzeitig zu ermahnen; … hören wir auf den Mahner nicht, so lässt sie uns mitunter länger unter der Pein des Unglücks, in das wir durch unseren Ungehorsam fielen … Zeuge dafür ist unsere eigene Torheit. Christus, die Apostel und unzählige andere haben uns auf’s Ängstlichste ermahnt, keinen falschen Propheten Glauben zu schenken, die uns Christus, das heißt: den Gesalbten und Heiland, ganz anders zeigen würden als er und die Seinen, aber es war Alles vergeblich. Wir haben viel törichteren fremden Göttern bei uns Aufnahme gewährt, als je ein Heidenvolk; denn welches Volk hat je einen morgen, ja, heute schon vergehenden Menschen als Gott verehrt, wie wir den römischen Papst verehrten? Wir können’s nicht leugnen: „Gott auf Erden“ haben wir ihn genannt, im Kultus haben wir ihn, den Menschen, weit mehr verehrt als Gott. Denn wann haben Kaiser und Könige sich auf die Erde geworfen, um den höchsten Gott anzubeten? Das Kniebeugen genügte. Wer hat Christus die Füße geküsst oder umfasst? Doch nur ganz wenige! Wem wird hingegen hier eine Unterredung gegönnt, der nicht zuvor die Schuhe dieses Gottes beleckt hat?! Um unserer Sünden willen haben wir diese greuliche Abgötterei so lange nicht erkannt, bis es endlich der ewigen Güte gefiel, uns Elende von solchem Unglück zu befreien, unter Leitung des Wortes. Wer sieht nicht, wie schmählich wir uns diesem hellen Licht gegenüber stellten? Ja, wer staunt nicht über das törichte Verfahren derer, die mit Verstand und Empfindung begabt sind? So, sage ich, mahnt die gütige göttliche Vorsehung zwar rechtzeitig, aber falls wir nicht folgen oder ihr Wort in den Wind schlagen, wird der zum Rächer, der kurz zuvor Vater gewesen war, und drückt fortgesetzt mit Unglück auf uns, bis wir die Schuld in feindlichem Lande erkennen. Sobald wir sie bekennen, sofort gibt er uns die frühere Ehre wieder. Darum müssen die Weisen dieser Welt ihr Leben prüfen und es ändern, wenn es nichts taugt; im anderen Falle steht ganz gewiss die Strafe vor der Tür. Hält man sich aber täglich nach der Regel Christi, so darf man Alles hoffen. Gott vernachlässigt keines von seinen Geschöpfen, so wenig wie je eine Mutter ihr Kind vergisst. Da also Gott niemals ruht, niemals müde wird, dürfen wir niemals sorglos oder träge sein, vielmehr, sobald er ruft, müssen wir sofort aufspringen, und mit Samuel sprechen: „Rede, Herr, dein Knecht höret“ 1. Sam. 3,10. Wir wollen also, berühmtester König, ein wenig die Augen aufmachen und umherschauen, wie unrein die sogenannte reine Welt ist, ob wir vielleicht aus der Schwere der Krankheit die Notwendigkeit der Heilung erkennen möchten. Ist sie hochnötig, so werden wir auch sofort sehen, dass die göttliche Vorsehung zur rechten Zeit das Heilmittel gebracht hat; denn da zögert sie nie, versagt nie. Von den Päpsten will ich hier nicht reden, wenn sie auch entsprechend dem, dass sie unverschämt sich immer den ersten Platz angemaßt haben, zuerst künftig ge-straft werden. Deshalb und weil sie unser „Kommentar“ genügend an’s Licht zieht, wollen wir sie übergehen und die Könige und Fürsten in’s Auge fassen. Du siehst, aller christlichster König, wie fast alle Fürsten ebenso Aufruhr machen und törichte Fehler begehen wie die Trojaner oder Griechen … Oder sehen wir nicht, wie das arme Volk die Sünden der Könige büßen muss? ... Da aber die Fürsten vor allen Dingen sich vor Unrecht hüten müssen, frevelhaft begonnene Kriege aber ohne Unrecht nicht geführt werden können, sie selbst zumeist die Kriege veranlassen, so muss offensichtlich der Herr das Licht seines Wortes endlich auf den Leuchter setzen, damit man allgemein Recht oder Unrecht, gerade oder krumme Wege bei den von Begierde geleiteten Fürsten erkennen kann. Und schauen wir jetzt auf das christliche Volk: siehst Du den Druck, der auf ihm lastet? Siehst Du auch, wie er seine Gründe hat? Fasse, bitte, zunächst den harten Druck der Steuern, Abgaben, Zölle in’s Auge, wie über ihre Leiber und ihr ganzes Vermögen hinweg die gierigen Fürsten zu Ehre und Reichtum gelan-gen ... Es ist ihnen einerlei, ob sie Tausende zertreten; wenn sie nur ihre Be-gierde stillen können! Was soll ich aber des doppelten Druckes gedenken? Nicht genug damit, dass Alles, was das Volk hat, in der Könige Gewalt ist, nein, was die Könige ihnen übrig ließen, ist der Verschlagenheit verderbtester Menschen preisgegeben. Der Wolf ist da – denn „Hirten“ oder „Bischof“ mag ich den nicht nennen, der durch den Namen „Wolf“ noch nicht einmal so gekennzeichnet ist, wie er’s verdient. Die Mönche sind da; teils sind sie so reich, dass sie alle Reichen an Anmaßung und Torheit übertreffen, teils so unverschämte und freche Bettler, dass sie ungerecht erpressen, was die Barmherzigkeit ihnen weigerte; an Menge des Geldes freilich stehen sie hinter jenen Reichen kaum zurück. Denn woher kommt es, dass sie viele Tausende für einen Kardinalshut ausgeben? Auch die Nonnen sind da; sie zerfleischen, plündern, zertreten das arme Christenvolk so, dass es, was den Leib betrifft, wohl unter einem gottlosen König besser lebt als unter einem christlichen, der das ihm vom Herrn anvertraute Volk so gottlos ausplündern lässt. Ganz offen, aller christlichster König, muss ich meine Meinung aussprechen. Welch ein Wahnwitz war es – denn Frömmigkeit konnte es nicht sein –, dass die Könige in ihrem Lande die Errichtung von Müßiggänger-Klöstern duldeten! Hätten Räuber ein oder zwei Burgen erbaut, so hätte man sie doch wohl mit der ganzen Armee vernichtet? Wo sie doch nicht ohne Gefahr raubten; denn sie mussten die Rache fürchten. Jetzt aber, wo die Klöster so vieler ungestraft wütender Räuber allenthalben wie Luststätten para-diesischer Freuden so lange emporgeblüht sind, und sie ganz offen alles Gut an sich reißen – auch Fürsten und Duodezkönige wissen aus Erfahrung, wie auch ihnen Dank mönchischem Geize allmählich allerlei abgeht –, wie kommt es, dass Niemand auf das so bedrängte Volk achtet?! Sicher daher, dass alle habsüchtig sind nach dem Worte des Propheten Am. 9,1. Wo sie die Übelstände wenigstens etwas bessern sollten, sprechen sie: „Friede, Friede!“, aber nur, damit es ihnen wohlgehe, nicht dem christlichen Volke. Glauben wir etwa, der himmlische Vater schlafe angesichts solcher Not seines Volkes? Er passt auf und richtet. Sodann siehe, wie auch das Volk mitunter nicht ohne Grund so Hartes erduldet. Habsucht steckt in allen Köpfen, und der Christ übervorteilt und betrügt den Christen am aller schamlosesten und presst ihm Wucherzinse ab. Hochnäsigkeit und Kleider-luxus übertrifft gegenwärtig alles bisher Dagewesene, die Trunksucht übersteigt das Maß aller Zeiten. Gott will sein Volk auf den rechten Weg zurückführen, darum plagt er es so. Da nun also, um zum Ausgangspunkt zurückzukehren, wir persönlich bekennen müssen, dass die ganze Welt so verdorben, verworfen und schamlos ist, dass eine Besserung dringend not tut, und wir wissen, dass der himmlische Vater niemals versagt, sondern fortgesetzt mahnt oder stupst, und wir zugleich sehen, dass er sein Wort zur Heilung und Ausrottung des einge-wurzelten Übels sandte, damit wir nicht umkommen, wer wird nicht sein Haupt erheben auf die Stimme des Herrn? Wer wird nicht wissen, dass der Tag des Herrn da ist? Nicht der jüngste Gerichtstag, sondern der Tag der Besserung der gegenwärtigen Verhältnisse ... Gott lässt uns nie im Stich, wenn wir nur uns selbst nicht im Stich lassen. Niemals hat er die Welt ungestraft schlecht sein lassen, aber stets hat er zugleich zu rechtzeitiger Charakteränderung gemahnt, bevor er die Strafrute schwang. Wer sein Leben änderte, rettete seine Seele, wer nicht, wurde elend vernichtet; Sodom und Ninive beweisen es. Darum müssen auch wir einzig und allein in’s Auge fassen, aus dem schlechten Leben ein gutes zu machen. Oder es dürfte uns schlimm ergehen ... Gottes Wort wird niemals ungestraft vernachlässigt. Hören und sehen wir nun jetzt das wahre Wort des wahren Gottes hervorsprießen, so werden wir es nie ungestraft vernachlässigen. Es könnte jemand sagen: das ist nicht Gottes Wort, was man da predigt; wäre es Gottes Wort, ich würde es gerne annehmen. Darüber wollen wir uns nicht weiter beunruhigen; die Bosheit der ganzen Welt verlangt die Besserung. Wenn wir also eine neue Wortverkündigung hören, so kann das nur Gottes Wort sein, der uns mahnt, wenn wir noch weiter Frevler sind, und straft, wenn wir nicht hören. Aus unserem Frevel können wir also schließen, dass Gott sich gezwungen sieht, Wort und Rute zu senden. Noch an einem zweiten sicheren Kennzeichen können wir klar sehen, dass wirklich Gottes Wort gegenwärtig erschien. Ich will indessen nichts sagen vom Missbrauch gewisser Menschen, die unter dem Vorwande der Evangeliumspredigt Privatinteressen oder Eigenruhm verfolgen. Es genügt das über die Verderbtheit der Welt Gesagte, die Niemand leugnet. Da man nun leicht sieht, dass das heute gepredigte Wort in diametralem Gegensatze zu den Lastern steht, an denen wir überreich sind, so muss es das Wort Gottes sein. Deshalb, berühmtester König, da ich selbst die Welt voll Krieg, grausamer Schlacht, Raub, Beschimpfung, Diebstahl, Mord, und Alles in’s Wanken geraten sah, habe ich auch persönlich die Hand an den Pflug gelegt und meine Stimme so laut erhoben, dass das habsüchtige Rom und sein Götze, der Papst, doch hören mussten, mögen sie noch so dickfellig sein ... Da also viele, gelehrte und fromme Leute aus Italien, mehr noch aus Deinem Frankreich mich baten, schämte ich mich fast, ihrem Wunsche zu entsprechen ...; als sie aber drängten, ich möchte meine Ansicht über die Religion in einem Buche kundtun, siegte ihre Autorität und Ungerechtigkeit über meine Scham und ich willfahrte ihnen nach besten Kräften. So möge denn, aller christlichster König, Deine Erlauchtheit dieses Dir gewidmete Werk gnädig annehmen ... Du wirst Dich niemals auf die Seite ziehen lassen, auf die man Deine edle Mutter, Luise von Savoyen, ziehen wollte, nämlich auf die Seite des Widerstandes gegen die Lehre des Evange-liums, das den Frieden störe: in Deutschland ginge ja Alles drunter und drüber, Niemand höre auf die Gebote der Fürsten, Alles sei in Verwirrung. Die so reden, dienen nicht Gott, sondern ihrem Bauch Phil. 3,19. Denn so steht es um das Evangelium: vom Himmel kam es herab, dorthin kann es nicht unverrichteter Sache zurückkehren. Wo es verkündigt wird, muss es von vielen angenommen werden. Da die Welt aus Guten, Gerechten und Bösen und Ungerechten besteht, treten die Menschen um so leichter auf die Seite des Evangeliums, je ferner sie der Heuchelei stehen, mögen sie zu den Guten oder Bösen gehören; mitunter kamen Zöllner oder Sünder solchen zuvor im Reiche Gottes, die in großem Heiligkeitsrufe standen ... Wo die Obrigkeit den freien Lauf des himmlischen Wortes hindert, da wenden sich die Besten allemal von der Obrigkeit ab und fassen alles ins Auge, was die himmlische Lehre bewahren könnte. Ist das auch peinlich, sie tun es doch, weil sie den gefundenen Seelenschatz nicht verlieren wollen. Das war vielleicht der Grund, warum in Deutschland hie und da gefähr-licher Zwiespalt sich erhob, weil die Obrigkeit die freie Wortverkündigung zu verbieten suchte. Doch glaube mir, berühmtester König, wo die Obrigkeit dem Worte keinen Zaum anzulegen wagt, da denken allemal die Besten wie die Obrigkeit, und dann kann man leicht die Heuchler fernhalten und jene Bäuche, die sich wie der Teufel in Engel des Lichts verwandeln 2. Kor. 11,14. So steht es mit dem Wachstum. Wer auf den Erfolg achten will, wird nach der Lektüre dieses Buches finden, wie wohltätig es für König und Volk sein kann, wenn wir gemäß dem Worte des Evangeliums die Sitten verbessern wollen ... Ich hatte haupt-sächlich zum Besten Frankreichs geschrieben; da war es nicht mehr als billig, dem Könige des Landes das Werk zu widmen, damit nicht irgendwie ein Betrug entstehen könne ...

 

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