C. F. W. Walther (1811-1887):

Die rechte Unterscheidung von Gesetz und Evangelium.


Vierzehnte Abendvorlesung. (16. Januar 1885.)

 

Was, meine Freunde, den Unterschied betrifft zwischen der lutherischen und reformirten Kirche, so meinte wenigstens früher das lutherische Volk, der ganze Unterschied bestehe darin, daß der Lutheraner bete: „Vater unser“ und der Reformirte: „Unser Vater“; daß in der lutherischen Kirche ungebrochene Hostien gebraucht würden, jedoch in der reformirten Kirche gewöhnliches Brod, welches man breche. An dieser schauerlichen Unwissenheit waren Schuld die untreuen Diener unserer Kirche. Sie haben das Volk schändlich verwahrlost. Bei solcher Unwissenheit war es freilich nun kein Wunder, daß sich die armen Lutheraner endlich bequemten zu einer Union mit den Reformirten. Seit einiger Zeit ist es anders geworden, und gerade die zuerst in Preußen mit Gewalt durchgesetzte Stiftung der unirten Kirche ist die Veranlassung geworden, daß das liebe lutherische Volk sich wieder besann auf den Unterschied zwischen der reformirten und der lutherischen Kirche. Claus Harms, Prediger und Professor in Kiel, gab 1817, als die Union inaugurirt wurde, 95 neue Sätze heraus zur Feier des Reformationsfestes. Und in der 95. These schreibt er: „Man hat jetzt eine Copulation vor, um die lutherische Kirche, diese arme Magd, reich zu machen.“ „Aber“, setzt er hinzu, „thut es ja nicht über Luthers Grabe! Seine Gebeine werden lebendig werden, und dann wehe euch!“ Und das ist eingetroffen. Jetzt weiß fast jedes einigermaßen geschulte lutherische Kind, daß der Unterschied zwischen der lutherischen und reformirten Kirche allerdings ein großer sei, der in den Hauptartikeln der christlichen Lehre besteht. Jetzt weiß das lutherische Volk ganz gut: Der Lutheraner bleibt fest bei dem ewig wahrhaftigen Wort JEsu Christi: „Das ist mein Leib und das ist mein Blut!“ und glaubt darum auch, daß Christi Leib und Blut wesentlich und wahrhaftig im heiligen Abendmahl gegenwärtig seien, ausgetheilt und von den (S. 117) Communicanten genossen werden, während die Reformirten jene deutlichen, sonnenhellen Worte anders auslegen und sagen: „Das bedeutet Christi Leib, das bedeutet sein Blut“, daher sie auch behaupten, Christi Leib und Blut sei im heiligen Abendmahl so weit entfernt, als der Himmel von der Erde, denn Christus sei jetzt im Himmel eingeschlossen und erst am jüngsten Tage sei er wieder auf Erden zu erwarten. Jetzt weiß das ganze lutherische Volk, daß nach der Schrift, also nach dem Buch der ewigen Wahrheit, die heilige Taufe ist ein Bad der Wiedergeburt, ein Mittel, durch welches die Wiedergeburt gewirkt wird vom Heiligen Geist von oben, während die Reformirten behaupten, die Taufe sei nur ein Zeichen, sei nur ein Symbol, sei nur eine Repräsentation dessen, was schon vorher im Menschen vorgegangen ist. Jetzt weiß das ganze lutherische Volk, daß die Menschheit Christi durch die persönliche Vereinigung derselben mit der Gottheit auch göttliche Eigenschaften erhalten habe, daß ihr nämlich mitgetheilt ist Allwissenheit, Allmacht, Allgegenwart und die Würde der Anbetung, während hingegen die Reformirten behaupten, es sei zwischen dem Menschen Christo und andern Menschen nur ein gradueller Unterschied; er habe wohl höhere Gaben, aber auch die höchsten, die seine Menschheit besitze, seien nur geschöpfliche, creatürliche Gaben. Jetzt weiß das ganze lutherische Volk, daß nach der heiligen Schrift die Gnade des Vaters eine allgemeine, die Erlösung des Sohnes eine allgemeine und die kräftige Berufung des Heiligen Geistes durch das Wort ebenfalls eine allgemeine sei, während die reformirte Kirche einen Particularismus lehrt und auf das Entschiedenste behauptet, daß Gott schon den größten Theil der Menschen zur ewigen Verdammniß erschaffen und darum von Ewigkeit zum ewigen Tod bestimmt habe. Eine entsetzliche, schauerliche Lehre bei dem hellen Licht des allerseligsten, theuren Evangeliums! Kurz, jeder Lutheraner weiß jetzt, daß der Unterschied zwischen der lutherischen und reformirten Kirche ein fundamentaler sei, der nicht nur in der Peripherie liegt, sondern im Centrum. Und woher kommt es nun doch, daß trotzdem so viele, welche Lutheraner sein wollen, sich in das Netz der Union verstricken lassen und, indem sie Lutheraner sein wollen, ruhig in diesem Nothstand der Union verbleiben, in einer Kirche, die nicht Christus, sondern ein irdischer König gestiftet hat, in einer Kirche, in welcher man nicht einerlei Rede führt, wie der Apostel nach 1 Cor. 1 haben will, wo man nicht in einerlei Sinn und einerlei Meinung ist, wo nicht Ein Glaube, Eine Taufe, Eine Hoffnung ist, wie der Apostel Eph. 4 von der Kirche JEsu Christi sagt? Woher kommt das? Das kommt eben daher, daß man meint, so viele und so große Irrthümer sich auch in der reformirten Kirche fänden, in der Hauptsache sei sie doch (S. 118) mit der lutherischen Kirche einig; es sei ein ganz anderes Verhältniß, als zwischen der lutherischen und papistischen Kirche. Das Letztere ist wohl wahr, aber wollte Gott, die reformirte Kirche wäre nur in den Hauptsachen mit uns einig, so würde sie auch bald in einigen weniger wichtigen Punkten mit uns einig werden! Aber gerade das fehlt der reformirten Kirche, die rechte Antwort zu geben auf die Frage: „Was muß ich thun, daß ich selig werde?“ Gerade in der Rechtfertigungslehre, in dieser Cardinallehre der lutherischen Kirche stimmt sie nicht mit uns, zeigt nicht den rechten Weg, wie man zur Gnade, zur Seligkeit kommen kann. Das erkennen ja jetzt sehr wenige. Alle Reformirten und die von der reformirten Kirche abstammenden Secten sagen: „Ja, der Mensch wird allein aus Gnaden selig.“ Sobald man aber nachsieht in der Praxis, so sieht man bald: Sie haben wohl diese Theorie, aber sie führen sie nicht aus, sondern sie zeigen gerade den entgegengesetzten Weg. Und das zu erörtern, dazu werden wir aufgefordert durch die folgende Thesis, zu der wir heute Abend kommen.

 

Thesis IX.

Gottes Wort wird fünftens nicht recht getheilt, wenn man die vom Gesetz getroffenen und erschreckten Sünder, anstatt sie auf Wort und Sacrament zu weisen, anweist, durch Beten und Kämpfen sich den Gnadenstand zu erringen, nämlich so lange zu beten und zu kämpfen, bis sie fühlen, daß sie Gott begnadigt habe.

 

Das ist die gemeinsame Lehre aller Reformirten und reformirten Secten, zu welchen auch die Baptisten gehören, die Methodisten, die sogenannten Albrechtsleute (Evangelische Gemeinschaft), die Episcopalen, die Presbyterianer. Das sind alles nur Zweige an dem großen reformirten Kirchenbaum, und sie alle lehren dies, was in unserer Thesis verurtheilt wird. Die reine evangelische Lehre, wie ein armer, erschrockener Sünder zur Gewißheit kommen kann, daß er einen gnädigen Gott habe, hört man bei ihnen nicht, diesen Weg zeigen uns alle diese Secten nicht. Doch damit wir göttlich gewiß werden, welches in dieser Beziehung die rechte Weise sei, Gottes Wort recht zu theilen, so lassen Sie uns einige Beispiele aus der Schrift besehen. Lassen Sie uns die heiligen Apostel beobachten, die ja vom Heiligen Geist getrieben und erfüllt waren, die also ohne Zweifel Gottes Wort recht theilten und den erschrockenen Sündern den rechten Weg zeigten, wie sie könnten zur Ruhe, zum Frieden und zur Gewißheit ihres Gnadenstandes kommen. Und damit kein Zweifel übrig bleibt, wollen wir gerade die größten und gröbsten Sünder vor uns nehmen, und sehen, wie die Apostel sie behandelten. (S. 119) Apost. 2 wird uns berichtet, wie der Apostel Petrus solche Leute behandelte, die wenige Wochen vorher geschrieen hatten: „Kreuzige, kreuzige ihn!“ Diese elenden Menschen, die vor dem Richthaus des Pilatus schrieen: „Hinweg mit JEsu! An den Galgen mit diesem Verruchten! Da ist uns Barrabas viel lieber!“ hatte die Neugierde dahingeführt, wo das große Wunder der Ausgießung des Heiligen Geistes eben geschah. Denn sie hörten das Brausen wie das Brausen eines gewaltigen Windes und wollten sehen, was da wäre. Da sehen wir, daß Petrus zuerst die Spötter, die sagten, die Apostel seien voll süßes Weins, zurechtwies. Er zeigt ihnen, die Ausgießung des Heiligen Geistes sei nichts anderes, als eine Erfüllung der Weissagung des Propheten Joel. Dann erzählt er, wie der HErr Christus gelitten habe, gestorben und auferweckt sei und wie er endlich gen Himmel gefahren sei. Und dann schließt er mit den Worten: „So wisse nun das ganze Haus Israel gewiß, daß Gott diesen JEsum, den ihr gekreuziget habt, zu einem HErrn und Christ gemacht hat.“ Das war eine furchtbare Gesetzespredigt, so kurz auch diese Worte waren. Darum heißt es denn auch V. 37.: „Da sie aber das höreten, ging es ihnen durchs Herz.“ Diese Worte des Apostels durchbohrten ihr Herz, es war ihnen nicht anders, als wenn der Apostel ihnen damit einen Dolch ins Herz gestoßen habe. Sie erbebten, sie entsetzten sich, und der Geist Gottes drückte nach und brachte sie zum Bewußtsein, welche schreckliche Sünde sie begangen hatten, daß sie ihren eigenen Messias gekreuzigt hätten. „Und sie sprachen zu Petro und den andern Aposteln: Ihr Männer, lieben Brüder, was sollen wir thun?“ Was thut nun der Apostel? Spricht er: „Ihr müßt euch nun selbst bessern, ihr müßt eure Sünde noch besser erkennen, ihr müßt auf eure Kniee fallen und um Erbarmung schreien! Vielleicht hilft euch Gott noch, vielleicht nimmt er euch an“? Nichts von alledem! Er spricht zu ihnen: „Thut Buße, und lasse sich ein jeglicher taufen auf den Namen JEsu Christi zur Vergebung der Sünden.“ „Metanoeite“, „werdet anderer Gesinnung!“ Damit ist ganz offenbar der zweite Theil der Buße gemeint, nämlich der Glaube. Das Wort „thut Buße“ ist also synekdochisch gebraucht, denn das Gesetz hatte bereits sein Werk an diesen Zuhörern gethan. Da war der Apostel Petrus weit davon entfernt, darin das Heil zu suchen, daß er sie in noch größere Noth, Angst und Schrecken hineinjagte. Jetzt, da ihr Herz durchstochen war, jetzt war es genug; jetzt waren sie vorbereitet, das allerseligste Evangelium zu hören und in ihr Herz aufzunehmen. Der Apostel sagt ihnen darum jetzt: „Ihr müßt anderer Gesinnung werden, ihr müßt an das Evangelium dieses Gekreuzigten glauben, ihr müßt alle eure Irrthümer fahren lassen und müßt euch alsobald taufen lassen auf (S. 120) den Namen JEsu Christi zur Vergebung der Sünden.“ Und sie lassen sich taufen. So gibt ihnen also der Apostel das Zeugniß zur Antwort: „Eure Sünden sind euch vergeben. Jetzt ist alles gut. Gott gedenkt eurer schrecklichen Sünden nicht mehr.“ Er setzt noch hinzu: „So werdet ihr empfahen die Gabe des Heiligen Geistes. Denn euer und eurer Kinder ist diese Verheißung, und aller, die ferne sind, welche Gott, unser HErr, herzurufen wird. Auch mit viel andern Worten bezeugete er, und ermahnete und sprach: Lasset euch helfen von diesen unartigen Leuten. Die nun sein Wort gerne annahmen, ließen sich taufen, und wurden hinzugethan an dem Tage bei dreitausend Seelen.“ Das war also alles, mehr hat der Apostel nicht von ihnen begehrt; sie sollten nur sein Wort annehmen und dieser süßen Trostworte, dieser Verheißung der Vergebung der Sünden, des Lebens und der Seligkeit sich trösten. Da hören wir nicht das Geringste von solchen Maßregeln, die jetzt die Secten gebrauchen. Wir werden davon noch hören. Das ist die erste Predigt, die Petrus gehalten hat, nachdem er so zu sagen frisch aus der Werkstätte des Heiligen Geistes kam. Mit der höchsten Inbrunst des Glaubens verfuhr er, und so gewann er dreitausend Seelen mit einer einzigen Predigt, brachte sie zur Ruhe, zum Frieden und zur Gewißheit der Seligkeit. V. 42. heißt es noch: „Sie blieben aber beständig in der Apostel Lehre, und in der Gemeinschaft, und im Brodbrechen, und im Gebet.“ Es war also nicht nur eine fliegende Hitze erzeugt worden, wie die Schwärmer jetzt häufig hervorrufen, wenn sie umherreisen und sogenannte Revivals veranstalten. Nein, es ging ihnen tief ins Herz hinein, änderte ihnen das ganze Herz, sie wurden fröhlich und getrost und übernahmen nun alle Schmach und Verfolgung, alle Leiden, welche damals die wahren Christen erdulden mußten. Das ist das erste Beispiel aus der apostolischen Praxis. Das zweite ist die Bekehrung des Kerkermeisters zu Philippi. Davon wird uns erzählt: Apost. 16. Das erste Beispiel waren Juden, hier hören wir von einem Heiden, und zwar von einem recht gottlosen Heiden. V. 19.20. heißt es: „Da aber ihre Herren“ (die Herren der Magd, von welcher Paulus einen Wahrsagergeist ausgetrieben hatte) „sahen, daß die Hoffnung ihres Genießes war ausgefahren, nahmen sie Paulum und Silani, zogen sie auf den Markt vor die Obersten, und führeten sie zu den Hauptleuten, und sprachen: Diese Menschen machen unsere Stadt irre, und sind Juden.“ Das war ihre Politik. Die Juden waren überall gehaßt und verachtet. V. 21.: „Und verkündigen eine Weise, welche uns nicht ziemet anzunehmen, noch zu thun, weil wir Römer sind.“ Das adelige Volk wollte aus einem besseren Teig gebacken sein als eine andere (S. 121) Nation. V. 22.: „Und das Volk ward erregt wider sie; und die Hauptleute ließen ihnen die Kleider abreißen, und hießen sie stäupen.“ Ohne allen Proceß geschah das. V. 23.24.: „Und da sie sie wohl gestäupet hatten, warfen sie sie ins Gefängniß, und geboten dem Kerkermeister, daß er sie wohl bewahrete. Der nahm solch Gebot an, und warf sie in das innerste Gefängniß, und legte ihre Füße in den Stock.“ – Das war dem Kerkermeister gar nicht geboten, daß er sie in das innerste Gefängniß werfen und ihre Füße in Eisen legen sollte. Aber das war ihm eine Lust. Wenn er gleich nicht wußte, ob die Apostel mit Recht gefangen gesetzt würden, so war ihm das doch ganz einerlei. Er war ein entmenschter Mensch! V. 25.: „Um die Mitternacht aber beteten Paulus und Silas, und lobeten Gott. Und es höreten sie die Gefangenen.“ Das hörte ohne Zweifel auch der Kerkermeister, und jedenfalls hat das schon einen gewaltigen Eindruck auf ihn gemacht. Er hatte ohne Zweifel erwartet, sie würden jetzt zähneknirschend im Kerker sitzen und ihn verfluchen, aber nun hörte er sie singen und Gott lobpreisen. Da muß er gedacht haben: „Das sind merkwürdige Männer! Solche Leute hast du noch nicht in deinem Zuchthaus gehabt!“ V. 26.27.: „Schnell aber ward ein großes Erdbeben, also, daß sich bewegeten die Grundfesten des Gefängnisses. Und von Stund an wurden alle Thüren aufgethan, und aller Bande los. Als aber der Kerkermeister aus dem Schlaf fuhr, und sahe die Thüren des Gefängnisses aufgethan, zog er das Schwert aus und wollte sich selbst erwürgen; denn er meinte, die Gefangenen wären entflohen.“ Die Römer ließen nämlich nicht mit sich spaßen. War einer ein Kerkermeister, so war er auch verantwortlich dafür, daß die Gefangenen nicht entkamen. Und wenn es besonders gefährliche Leute waren, konnte er auch um seinen Kopf kommen, wenn er sie entspringen ließ. An einen Gott glaubte er nun nicht, der ihn richten würde, und so dachte er: „Was nützt dir das Leben, wenn du doch bald zum Tode verurtheilt wirst? Du machst das lieber selbst ab und erwürgst dich.“ V. 28.: „Paulus aber rief laut und sprach: „Thue dir nichts Uebels, denn wir sind alle hier.“ Was mag das für einen Eindruck auf den Kerkermeister gemacht haben! Er hatte die Apostel in das innerste Gefängniß gelegt, und anstatt ihm zu zürnen, anstatt sich an ihm zu rächen, kommen sie ihm in die Arme und rufen: „Thue dir nichts Uebels, wir sind alle hier.“ Aus den Gesängen der Apostel hatte er ohne Zweifel doch so viel gefaßt, daß das Leute wären, die dem Volk sagen wollten, wie sie jenseits des Hades ein glückliches Loos finden könnten, und in seiner großen Angst bittet er nun: „Liebe Herren, was soll ich thun, daß ich selig werde?“ V. 30. Wären die Apostel nun Schwärmer gewesen, so hätten sie gesagt: „Ja, (S. 122) mein lieber Freund, das geht nicht so geschwind! Da müssen wir dir eine große, lange Kur vorschreiben, ehe so ein gottloser, verruchter Mensch, wie du bist, kann selig werden.“ Aber kein Wort davon! Sie sahen: der arme Mensch ist zubereitet für das Evangelium. Er ist jetzt noch so gottlos, wie zuvor. Er hat noch keinen Haß gegen die Sünde. Von dem allen spricht er nicht. Er möchte nur nicht der Sünde Strafe haben, sondern ein glückliches, seliges Loos jenseits des Grabes haben. Aber trotz alledem lesen wir V. 31-33.: „Sie sprachen: Glaube an den HErrn JEsum Christum, so wirst du und dein Haus selig. Und sagten ihm das Wort des HErrn und allen, die in seinem Hause waren. Und er nahm sie zu sich in derselbigen Stunde der Nacht und wusch ihnen die Striemen ab; und er ließ sich taufen und alle die Seinen alsobald.“ Noch in der Nacht wird er bekehret, kommt zum Glauben und zur Gewißheit der Gnade und der Versöhnung mit Gott. Er wird ein liebes Kind Gottes. Und was haben die Apostel angewendet? Nichts weiter, als daß sie ihm das Evangelium unverklausulirt verkündigten. Ohne alle Bedingung sagen sie: „Glaube an den HErrn JEsum Christum.“ Da sehen wir, was für eine Praxis die Apostel hatten. Und immer, sobald durch das Wort der Glaube gewirkt war, folgte auch alsbald die Taufe. Die Apostel sagten nicht: „Nun müssen wir erst einen langen Cursus mit dir durchmachen, damit du alle Artikel des christlichen Glaubens genau und gründlich kennen lernst, und dann müssen wir dir eine Probezeit geben, in der du dich bewähren kannst“ – nichts dergleichen! Der Kerkermeister begehrt die Taufe, weil er weiß, daß er durch dieselbe in das Reich Christi aufgenommen wird, und sie ertheilen ihm dieselbe auch. – Nun vergleichen Sie diese Praxis mit der Praxis, wie sie in der Gegenwart von der reformirten Kirche geübt wird. Damit meine ich alle diejenigen Secten, die aus der reformirten Kirche hervorgegangen sind. Wenn die sehen würden, daß ein lutherischer Prediger so handelte, so würden sie rufen: „Der gottlose, leichtfertige Prediger, wie kann der so handeln? Er sollte dem Sünder doch erst einschärfen: „Du mußt die Gnade erst fühlen in deinem Herzen.“ Aber nichts von alledem. Er tröstet den Menschen und tauft ihn sogar!“ Das ist aber biblisch, das ist lutherisch; denn die lutherische Kirche ist nichts anderes als die biblische Kirche, die nicht von der Bibel abgehen, die nichts davonthun und nichts dazuthun, sondern bei dem Wort Gottes feststehen will. Das ist ihr oberster Grundsatz, den sie auch in allen ihren Lehren und in ihrer Praxis durchführt. – Wir lesen endlich V. 34.: „Und führete sie in sein Haus, und setzte ihnen einen Tisch, und freuete sich mit seinem ganzen Hause, daß er an Gott gläubig geworden war.“ Er freute sich und er hatte Ursache dazu. (S. 123) Er wollte nun erklären: „Vorher hatte ich keinen Gott, vorher bin ich ohne Hoffnung in dieser Welt gewesen. Nun habe ich einen Gott und Heiland, der mich erlöst, der mich erkauft hat mit seinem theuren Gottesblut, der mir die Verheißung gegeben hat, daß er wiederkommen und mich aufnehmen wird in das Reich seiner Herrlichkeit.“ Das war also das zweite Beispiel, das ich Ihnen aus der apostolischen Praxis vorgeführt habe, wenn es sich darum handelte, den Menschen zur Gewißheit der Gnade zu bringen. Nun kommen wir zu dem Beispiel des Apostels Paulus selbst. Ein so schändlicher Mensch war er gewesen, daß er die Christen aufs allerscheußlichste verfolgte. Wie ist er nun bekehrt worden? Er beschreibt es selbst am allerschönsten Apost. 22. Es heißt V. 1.2.: „Ihr Männer, lieben Brüder, und Väter, höret meine Verantwortung an euch. Da sie aber höreten, daß er auf Ebräisch zu ihnen redete, wurden sie noch stiller.“ Fast immer, wenn er öffentlich auftrat, hat er seine Bekehrung erzählt, besonders wenn er zu den Juden redete. Er sprach hier hebräisch, um seine Zuhörer zur Aufmerksamkeit zu reizen. Vollkommen hebräisch verstanden damals sehr wenige, aber Paulus als ein gelehrter Mann verstand es. Es wurde nun ganz still, damit sie kein Wort überhörten. V. 3.: „Ich bin ein jüdischer Mann, geboren zu Tarsen in Cilicien, und erzogen in dieser Stadt, zu den Füßen Gamaliels, gelehret mit allem Fleiß im väterlichen Gesetz, und war ein Eiferer um Gott, gleichwie ihr alle seid heutiges Tages“ – Er will sagen: „Ich war auch ein solcher Mensch, wie ihr noch seid.“ – V. 4.: „Und habe diesen Weg“ („diesen Weg“ so viel als „diese Religion“) „verfolget bis an den Tod. Ich band sie und überantwortete sie ins Gefängniß, beide Männer und Weiber.“ V. 5.: „Wie mir auch der Hohepriester und der ganze Haufe der Aeltesten Zeugniß gibt, von welchen ich Briefe nahm an die Brüder, und reisete gen Damascus, daß ich, die daselbst waren, gebunden führete gen Jerusalem, daß sie gepeiniget würden.“ – Er nöthigte sie also durch Qualen und Torturen, Christum zu verleugnen und zu lästern. V. 6-9.: „Es geschah aber, da ich hinzog und nahe bei Damascus kam, um den Mittag, umblickte mich schnell ein großes Licht vom Himmel. Und ich fiel zum Erdboden, und hörete eine Stimme, die sprach zu mir: Saul, Saul, was verfolgest du mich? Ich antwortete aber: HErr, wer bist du? Und er sprach zu mir: Ich bin JEsus von Nazareth, den du verfolgest. Die aber mit mir waren, sahen das Licht, und erschraken; die Stimme aber deß, der mit mir redete, höreten sie nicht.“ Paulus sollte wissen, er sei gemeint. Er allein hörte diese Stimme, daher Christus auch seinen Namen nennt. V. 10.: „Ich sprach aber: HErr, was soll ich thun? (S. 124) Der HErr aber sprach zu mir: Stehe auf und gehe gen Damascus; da wird man dir sagen von allem, das dir zu thun verordnet ist.“ – Er soll durch nichts anderes als durch das Wort bekehrt werden. Der Heiland predigt ihm hier nichts von Bekehrung. Was er thun müsse, um selig zu werden, sollte er durch einen Menschen erfahren. V. 11-13.: „Als ich aber vor Klarheit dieses Lichts nicht sehen konnte, ward ich bei der Hand geleitet von denen, die mit mir waren, und kam gen Damascus. Es war aber ein gottesfürchtiger Mann nach dem Gesetz, Ananias, der ein gutes Gerücht hatte bei allen Juden, die daselbst wohneten. Der kam zu mir und trat bei mich und sprach zu mir: Saul, lieber Bruder, stehe auf. Und ich sahe ihn an zu derselbigen Stunde.“ Ananias hatte eine Erscheinung des HErrn gehabt, bei welcher er beauftragt wurde, was er sagen sollte, wenn er zu Saulus kommen würde. Er nennt ihn schon seinen Bruder, als er zu ihm kommt. V. 14-16.: „Er aber sprach: Gott unsrer Väter hat dich verordnet, daß du seinen Willen erkennen solltest, und sehen den Gerechten, und hören die Stimme aus seinem Munde. Denn du wirst sein Zeuge zu allen Menschen sein deß, das du gesehen und gehöret hast. Und nun, was verziehest du? Stehe auf, und laß dich taufen und abwaschen deine Sünden, und rufe an den Namen des HErrn.“ –– Ananias spricht also nicht: „Erst mußt du beten und die Gnade fühlen!“ Nein: „Erst laß dich taufen, nachdem du den HErrn JEsum erkannt hast, und laß damit abwaschen deine Sünden! Und nun rufe an den Namen des HErrn JEsu!“ Denn das ist die rechte Gnadenordnung: Nicht erst beten um die Gnade Gottes, sondern erst dann, wenn ein Mensch die Gnade Gottes hat, kann er recht beten. – Da haben wir also die Praxis des HErrn selbst. Der muß es doch wohl wissen, wie mit armen Sündern umzugehen ist. Sobald Saulus erschrak, kam er alsbald mit seinem Trost, verlangte nicht, daß er erst allerlei fühlen sollte, sondern ließ ihm einfach das Wort von der Gnade verkündigen. Dann thut er die heilige Taufe noch als ein Siegel hinzu. – Da erkennen wir denn, wie ein rechter Diener Christi verfahren muß, wenn er vom Gesetz zerschlagene Sünder zur Gewißheit der Gnade Gottes bringen will. Wie machen es aber die Secten? Das directe Gegentheil davon thun sie. Erst predigen sie wohl auch das Gesetz, und zwar mit großer Schärfe. Daran thun sie auch ganz recht. Das thun wir auch, das haben auch die Apostel, das hat auch Christus gethan. Nur das ist verkehrt, daß sie die Qualen der Hölle gewöhnlich so sinnlich vorstellen, daß sie eigentlich damit mehr die Phantasie beschäftigen, anstatt auf des Herzens tiefsten Grund zu kommen, Sie predigen freilich das Gesetz in seinen schrecklichen Drohungen häufig ganz vortrefflich, aber nur nicht nach seinem (S. 125) geistlichen Sinn. Es fehlt bei den meisten Secten daran: sie machen die Leute nicht zu armen, verlornen und verdammten Sündern, die da wissen: „Ja, ich gehöre in die Hölle“, sondern sie bringen sie eher dahin, daß sie denken: „Das ist doch zu erschrecklich, daß Gott um solcher Sünden willen so entsetzlich droht.“ Wenn man einen Menschen durch das Gesetz nicht dahin bringt, daß er das Kleid seiner eignen Gerechtigkeit ganz auszieht, daß er denkt: „O, ich bin ein elender, gottloser Mensch; mein Herz sündigt Tag und Nacht mit bösen Lüsten, bösen Gedanken und bösen Begierden, mit schändlichen Gesinnungen und Wünschen jeder Art!“ – wer einen nicht dahin bringt, der hat das Gesetz nicht recht gepredigt. Ein Prediger muß den Menschen dahin bringen, daß er bis an seinen Tod sich auf keinem Schritt traut, sondern bekennt: „Ich bin eine elende Creatur! das Gute, was ich thue, kommt nicht von mir, sondern vom lieben Gott. Wohl aber bin ich es, der das Gute, das Gott durch mich thun will, noch verderbt, vergiftet und versäuert.“ Wenn es nicht so im Herzen heißt, da ist der Mensch noch nicht recht vorbereitet für das Evangelium. Aber das ist noch nicht das Schlimmste bei den Secten, daß sie das Gesetz nicht predigen, wie sie sollten. Wenn einer bei ihnen in Schrecken und Angst gejagt ist, so predigen sie ihm noch nicht das Evangelium. Nein, da würden sie meinen, sie begingen die schrecklichste Sünde, wenn sie einen solchen Menschen gleich trösten sollten. Da sagen sie dann dem armen Menschen, was er alles sollte vornehmen, um doch vielleicht zu Gnaden zu kommen, wie lange er nun beten müsse, wie lange er kämpfen, ringen und schreien müsse, bis er endlich sagen könne: „Ach, jetzt fühle ich es, ich habe den Heiligen Geist und Gottes Gnade“, bis er aufstehen kann und schreien: „Halleluja!“ Und damit er recht schnell dahin komme, sagen die Methodistenprediger in einer größeren Versammlung: „Nun wollen wir um dich herum niederknieen und zu Gott schreien, daß er dir doch deine Sünden vergebe.“ Manchmal ist das dann erfolglos, manchmal dauert es Wochen und Monate lang. Wenn einer ehrlich ist und gesteht: „Ach, ich fühle nur Ohnmacht und lauter böse Neigungen in mir“, so antworten sie ihm: „Ja, da steht es noch traurig mit dir! Du mußt beten und ringen!“ – bis er endlich ein Gefühl erfahren hat. Da sagen sie dann: „Nun Gott Lob! du bist die Sünde los! Nun ist es gut! Du hast den Bußkampf durchgemacht. Nun bist du ein Kind Gottes und seiner Gnade.“ Aber das ist ein falscher Grund. Jenes Gefühl kann ja einen ganz andern Grund haben. Es kann die physische Wirkung sein, die durch die lebhafte Vorstellung des Predigers hervorgerufen und erzeugt ist, und nicht das Zeugniß des Heiligen Geistes. Daher denn auch manche aufrichtige Seelen vielfach, wenn sie nun glauben, einmal fühlen, (S. 126) sie haben den HErrn JEsum, dann wieder, sie haben ihn verloren; einmal meinen, sie stehen in der Gnade, dann wieder, sie seien aus der Gnade gefallen. Wehe nun solchen armen Seelen, wenn sie in der Todesstunde kein Gefühl der Gnade haben und denken: „Wehe dir, du bist verdammt und verloren in Ewigkeit!“ Wie oft mag das der Fall sein! Doch zweifeln wir nicht, daß der Heilige Geist solchen armen Seelen, die in so schlechten Händen gewesen sind, entgegenkommt, daß sie all ihr Kämpfen und Ringen und Arbeiten über Bord werfen, sich in den Schooß der freien Gnade Gottes werfen und so selig sterben. Das ist dann aber nicht die gute Wirkung der methodistischen Predigt, sondern die Wirkung des Heiligen Geistes trotz Methodisten-Predigt. Wir sehen nun aus dem allen, daß es drei große schreckliche Irrthümer sind, auf welche sich jene verkehrte Praxis gründet. Erstens: Die Secten glauben und lehren nicht eine wirkliche, völlige Versöhnung des Menschen mit Gott. Sie glauben das nicht und lehren es auch nicht, denn sie behandeln den lieben Gott als einen sehr harten Mann, dem man erst durch bitteres Flehen und Weinen und Schreien das Herz erweichen müsse. Das ist aber nichts anderes, als eine Verleugnung JEsu Christi, welcher dem lieben Gott längst das Herz erweicht hat, der ihn längst mit der ganzen Welt versöhnt hat. Denn bei Gott gibt es nichts Halbes. Gott liebt in Christo alle Sünder ohne Ausnahme; aller Sünder Sünde ist getilgt; alle Schuld ist bezahlt. Es gibt nun nichts, wovor sich der arme Sünder zu fürchten braucht, wenn er zu dem durch Christum versöhnten, himmlischen Vater kommt. Aber man meint, der HErr Christus habe das Seine gethan, und nun müsse der Mensch auch noch das Seine thun; wenn das beides zusammenkomme, dann werde der Mensch erst mit Gott versöhnt. Die Secten stellen die Versöhnung so dar, als hätte sie darin bestanden, daß der Heiland Gott willig gemacht hätte, die Menschen selig zu machen, wenn der Mensch auch willig sei, sich versöhnen zu lassen. Das ist aber ein Antievangelium. Gott ist versöhnt! Darum ruft der Apostel Paulus uns zu: „Lasset euch versöhnen mit Gott“ und erklärt damit: „Gott ist versöhnt mit euch durch JEsum Christum! Darum schlagt ein in die Hand, die der himmlische Vater euch entgegenstreckt.“ Ferner sagt der Apostel: „Denn so einer für alle gestorben ist, so sind sie alle gestorben.“ Das heißt: Ist Christus für aller Menschen Sünde gestorben, so ist es gerade so gut, als wenn alle Menschen gestorben wären und für ihre Sünden genug gethan hätten. Darum bedarf es von Seiten der Menschen gar nichts, um Gott zu versöhnen, er ist schon versöhnt. Die Gerechtigkeit ist bereits vorhanden, der Mensch braucht sie nicht erst zu erarbeiten. Ja, wenn (S. 127) er es will, so ist das ein schrecklicher Frevel, ein Kampf gegen die Gnade, gegen die Versöhnung und vollkommene Erlösung des Sohnes Gottes. Zweitens lehren die Secten falsch vom Evangelium. Sie halten dasselbe für weiter nichts als für eine Anleitung zu dem, was der Mensch thun müsse, um sich Gottes Gnade zu erwerben, während doch das Evangelium vielmehr die Proclamation Gottes ist: „Ihr Menschen, ihr seid erlöst von euren Sünden; ihr seid versöhnt mit Gott; eure Sünden sind euch vergeben.“ Das wagt kein Sectenprediger frei heraus zu sagen. Wenn es ja einmal einer thun sollte, wie es z. B. Spurgeon in einigen Predigten thut, so ist so etwas Lutherisches unter den Secten eine Ausnahme. Das wird ihm aber auch sehr verdacht; da heißt es eben: „Der geht doch zu weit.“ Drittens lehren die Secten falsch vom Glauben. Sie sehen denselben für eine Qualität im Menschen an, die den Menschen bessert; und darum, weil der Glaube den Menschen bessert, ist er ihnen von so außerordentlicher Wichtigkeit und Heilsamkeit. Allerdings ist das wahr: Wer zum wahren Glauben kommt, wird auch ein ganz anderer Mensch. Mit dem Glauben kommt die Liebe in das Herz. Der Glaube kann nicht ohne Liebe sein, wie das Feuer nicht ohne Wärme ist. Aber daß der Glaube diese Eigenschaft hat, ist nicht die Ursache, warum er uns rechtfertigt, warum er uns das gibt, was Christus uns schon erworben hat, was darum schon unser ist, was wir eben nur ergreifen müssen. Sie lehren nicht, wie es in der Schrift heißt auf die Frage: „Was muß ich thun, daß ich selig werde?“ – „du mußt glauben, du mußt also selbst gar nichts thun!“ Denn wenn der Apostel auf jene Frage antwortet: „Glaube an den HErrn JEsum Christum“, so ist das nichts anderes als: „Du sollst gar nichts thun, sondern du sollst nur annehmen, was Gott für dich gethan hat; dann hast du es, dann bist du ein seliger Mensch.“ Das ist die köstliche Lehre des göttlichen Worts. Ach, was sind wir Lutheraner doch für überaus glückliche, selige Menschen, daß wir diese Lehre haben! Diese Lehre führt uns gerade zu Christo ohne alle Umwege. Diese Lehre thut uns den Himmel auf, wenn wir die Hölle in unserm Herzen fühlen. Diese Lehre macht es, daß wir jeden Augenblick können Gnade erlangen; denn wenn wir uns lange herumschlagen – vielleicht in der besten Meinung – so sind das eben ganz vergebliche Wege. Wir brauchen uns nicht herumzuschlagen, sondern können geradezugehen und sagen: „HErr JEsu, ein armer Sünder bin ich, das weiß ich, das habe ich erfahren und erfahre es noch in diesem Augenblick, wenn ich überlege, was in meinem innersten Herzen vorgeht; aber du hast mich zu dir gerufen in deinem Evangelium. Ich komme nun gerade so, wie ich bin, denn sonst könnte ich nicht zu dir (S. 128) kommen.“ Das ist die seligmachende Lehre der evangelisch-lutherischen Kirche, die sie Christo und den Aposteln abgelernt hat. Diese Lehre mögen Sie sich nun auch zu Nutze machen. Es wäre erschrecklich, wenn einer unter Ihnen heute Abend zu Bette ginge, der sich sagen müßte: „Ich weiß nicht, ob Gott mir gnädig ist, ob ich bei Gott in Gnaden stehe, ob meine Sünden vergeben sind. Ich weiß nicht, ob ich selig stürbe, wenn mich Gott heute Nacht aus diesem Leben abrufen würde.“ Gott gebe, daß niemand unter Ihnen ist, der so zu Bette geht, denn ein solcher legt sich unter Gottes Zorn zur Ruhe. Wie wir uns Gott denken, so ist er uns. Wer denkt und glaubt, Gott sei ihm gnädig, dem ist Gott auch gewiß gnädig. Machen wir uns aber einen Popanz aus dem lieben Gott, einen Gott, der uns zürnt, dann haben wir auch einen ungnädigen Gott, dessen Zorn auf uns ruht. Aber der Gott, der uns zürnt, ist uns durch unsern Heiland weggenommen; wir haben einen Gott, der sich aller erbarmen will. Das Andere, was ich Ihnen wünsche, ist dies, daß Sie eine rechte Freudigkeit in Ihr Herz bekommen, daß Sie diese allerseligste Lehre einst in Ihren Gemeinden mit Freuden verkündigen. Müßten Sie nur trockene Moral predigen, so könnten Sie vielleicht denken: „Ach, das ist ein saures Ding! da kannst du doch nicht viel ausrichten.“ Aber haben Sie es selbst an Ihren Herzen erfahren, was es heißt, evangelischen Trost zu bringen, den Zuhörern zu sagen: „Ihr seid ja arme, verlorne und verdammte Sünder, aber kommt nur und glaubt nur: ihr seid erlöst“, ich sage, glauben Sie das und bedenken Sie das recht, ach, so können Sie nicht anders, als mit Freuden dem Tage entgegensehen, an dem Sie zum erstenmal vor Ihrer Gemeinde stehen und ihr diese selige Botschaft bringen können. Wenn Sie das von Herzen glauben und recht bedenken, so werden Sie gewißlich sagen müssen: „Ja, ich habe doch den schönsten, herrlichsten Beruf gewählt, den es gibt.“ Denn jeder Bote, der gute Botschaft bringt, ist immer angenehm. Und so möge es Ihnen auch gehen! Dazu verhelfe Ihnen Gott!


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