C. F. W. Walther (1811-1887):

Die rechte Unterscheidung von Gesetz und Evangelium.


Achtunddreißigste Abendvorlesung. (23. October 1885.)

 

Viele Prediger, und nicht die schlechtesten, meinen schon viel ausgerichtet, ja, wohl gar ihr Ziel erreicht zu haben, wenn sie ihre Zuhörer aus ihrer natürlichen Sicherheit aufgeschreckt und sie dahin gebracht haben, daß sie an ihrem Gnadenstand und an ihrer Seligkeit verzweifeln. Nun ist es ja freilich nöthig, daß jeder Mensch, wenn er selig werden soll, aus seiner falschen Ruhe, aus seinem falschen Trost, aus seinem falschen Frie- (S. 379) den, aus seinen falschen Hoffnungen muß herausgeholt werden. Er muß allerdings dahin gebracht werden, daß er an seinem Heil und an seinem gegenwärtigen Zustand verzweifelt. Aber jenes ist eben nur ein Vorbereiten. Die Hauptsache, das Hauptziel ist ein ganz anderes. Der Mensch soll vielmehr dahin gebracht werden, daß er seines Gnadenstandes und seiner Seligkeit ganz gewiß wird, so daß der begnadigte Sünder mit dem frommen Woltersdorf jubeln kann:

 

„Ich weiß es, ich weiß es und werd es behalten:

So wahr Gottes Hände das Reich noch verwalten,

So wahr seine Sonne am Himmel noch prangt,

So wahr hab ich Sünder Vergebung erlangt.“

 

Daß dies das Hauptziel eines evangelischen Predigers ist, darüber kann kein Zweifel sein. Denn der Prediger soll ja den ihm Anvertrauten das Evangelium predigen, sie zum Glauben an Christum bringen; er soll taufen, er soll absolviren und das heilige Abendmahl reichen. Was ist aber das Evangelium predigen anders, als den Menschen sagen, daß sie mit Gott versöhnt sind durch Christum, daß sie vollkommen erlöst sind? Was ist ein lebendiger, wahrer Herzensglaube anders, als die göttliche Gewißheit, daß man Vergebung der Sünden habe und daß die Pforten des Himmels uns offen stehen? Was ist das Taufen anders, als auf Befehl und im Namen und anstatt Gottes einen Menschen aus der verlornen Sünderwelt herausholen und ihm die feierliche Versicherung geben: „Gott ist dir gnädig, er ist dein Vater und du bist sein liebes Kind! Der Sohn Gottes ist dein Seligmacher und du bist sein bereits selig gemachtes Kind! Der Heilige Geist ist dein Tröster und du seine Gnadenwohnung“? Was ist Absolviren anders, als im Namen und im Auftrag und anstatt Christi sagen: „Dir sind deine Sünden vergeben“? Was ist das heilige Abendmahl reichen anders, als im Namen JEsu sagen: „Auch du hast Theil am großen Werk der Erlösung! Und zur Bestätigung gebe ich dir dies kostbare Unterpfand, den Leib und das Blut Christi, das Lösegeld, womit er einst die ganze Welt erkauft hat“! Gehen wir in die heilige Schrift, so finden wir, daß alle rechten Prediger darauf ausgegangen sind, es dahin zu bringen, daß ihre Zuhörer sagen könnten: „Ich bin ein Kind Gottes und ein Erbe des ewigen Lebens.“ Christus rief seinen Jüngern zu: „Freuet euch viel mehr, daß eure Namen im Himmel angeschrieben sind.“ Was wollte er damit anders sagen als dies: „Freuet euch, daß ihr ganz gewiß selig werdet“? Und Paulus schreibt an die Corinther: „Ihr seid abgewaschen, ihr seid geheiligt, ihr seid gerecht worden durch den Namen des HErrn JEsu und durch den Geist unsers Gottes.“ Petrus schreibt an die Christen, die in (S. 380) der Fremde wohnten: „Ihr waret weiland wie die irrenden Schafe, aber ihr seid nun bekehret zu dem Hirten und Bischof eurer Seelen.“ Und Johannes, indem er sich selbst mit einschließt, sagt zu seinen geistlichen Kindern: „Wir sind nun Gottes Kinder und ist noch nicht erschienen, was wir sein werden. Wir wissen aber, wenn es erscheinen wird, daß wir ihm gleich sein werden, denn wir werden ihn sehen, wie er ist.“ Wir finden nirgends in der heiligen Schrift, daß die Apostel mit ihren Gemeindegliedern als mit Leuten umgingen, die noch gar nicht recht wüßten, wie sie mit Gott stünden, sondern immer so, daß man sieht: Die Apostel setzten voraus: Das sind theure, liebe Kinder Gottes bei allen ihren Schwächen und Gebrechen. Jetzt ist das ganz anders. Auch die besten Prediger sind meist ganz zufrieden, wenn sie die Leute dahin gebracht haben, daß dieselben von Zeit zu Zeit einmal zu ihnen kommen und ihnen klagen: „Ja, ich kann meiner Seligkeit gar nicht gewiß werden.“ Sie klagen: „Ach, ich fühle nicht anders, als daß ich, wenn ich diese Nacht sterben würde, verloren gehen würde.“ Da denken die nicht wahrhaft evangelischen Prediger: „Da habe ich es weit gebracht. Das ist ein guter Christ!“ Ja, da sollte einer erschrecken, wenn er noch nicht so weit ist, daß er sagen kann: „Ich weiß, daß mein Erlöser lebt! Ich weiß, an wen ich glaube!“ Was ist die Schuld, daß jetzt so viele umhergehen, ohne daß sie wissen, ob sie wahre Christen sind? Woher kommt das? Das kommt daher, daß die Prediger meist Gesetz und Evangelium mit einander vermischen, daß sie nicht befolgen die Ermahnung des heiligen Apostels: „Befleißige dich, Gott zu erzeigen einen rechtschaffenen und unsträflichen Arbeiter, der da recht theile das Wort der Wahrheit“, der da recht scheide Gesetz und Evangelium. Denn wenn einer das Evangelium so predigt, daß er etwas Gesetzliches hineinmischt, so ist es nicht möglich, daß einer dadurch zum Glauben an die Vergebung der Sünden kommt. Und umgekehrt, wenn einer das Gesetz so predigt, daß er etwas Evangelisches hineinmischt, so kommt man nicht zur Erkenntniß, daß man ein armer Sünder ist, der Vergebung der Sünden braucht.

 

Thesis XXIV.

Das Wort Gottes wird zwanzigstens nicht recht getheilt, wenn man die unvergebliche Sünde in den Heiligen Geist so beschreibt, als ob dieselbe wegen ihrer Größe unvergeblich sei.

 

So wird sie gewöhnlich beschrieben, als ob sie wegen ihrer Größe unvergeblich sei. Ist es aber nicht eine greuliche Vermengung von Gesetz und Evangelium? (S. 381) Das Gesetz allein verdammt die Sünde, aber das Evangelium spricht von der Sünde los und nimmt keine Sünde aus. Der Prophet schreibt: „Wenn eure Sünde gleich blutroth wäre, soll sie doch schneeweiß werden; und wenn sie gleich ist wie Rosinfarbe, soll sie doch wie Wolle werden. Der Apostel Paulus schreibt Röm. 5,20.: „Wo aber die Sünde mächtig worden ist, da ist doch die Gnade viel mächtiger worden.“ Daher auch unser Luther so herrlich singt:

 

„Ob bei uns ist der Sünden viel,

Bei Gott ist viel mehr Gnaden;

Sein Hand zu helfen hat kein Ziel,

Wie groß auch sei der Schaden.“

 

Nun, was sagt denn die heilige Schrift von der Sünde in den Heiligen Geist? Erstlich haben wir da drei parallele Stellen in den synoptischen Evangelien, dann eine Stelle im Hebräerbrief und eine im ersten Johannisbrief. Diese Stellen sind der eigentliche Sitz dieser Lehre von der Sünde in den Heiligen Geist. Matth. 12,30-32.: „Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich; und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreuet. Darum sage ich euch: alle Sünde und Lästerung wird den Menschen vergeben; aber die Lästerung wider den Geist wird den Menschen nicht vergeben. Und wer etwas redet wider des Menschen Sohn, dem wird es vergeben; aber wer etwas redet wider den Heiligen Geist, dem wird es nicht vergeben, weder in dieser, noch in jener Welt.“ Das ist die Hauptstelle. Da sehen wir erstlich: Alle Lästerung wider den Vater und den Sohn soll vergeben werden, nur nicht die Lästerung wider den Heiligen Geist. Nun ist aber gewiß, daß der Heilige Geist nicht eine herrlichere und höhere Person ist, sondern er ist gleich dem Vater und dem Sohn. Also kann nicht gesagt sein: „Die Lästerung wider die Person des Heiligen Geistes ist diese unvergebliche Sünde – denn die Lästerung wider den Vater und den Sohn ist ganz dieselbe Sünde. – Vielmehr ist die Lästerung wider das Amt des Heiligen Geistes gemeint. Wer das Amt des Heiligen Geistes verwirft, der ist verloren; diese Sünde kann nicht vergeben werden. Das Amt des Heiligen Geistes ist ja, zu Christo zu rufen und bei ihm zu erhalten. Daß es nun auch besonders heißt: „Wer etwas redet wider den Heiligen Geist“, daraus sehen wir, daß derjenige die Sünde in den Heiligen Geist nicht begangen hat, der nur lästerliche Gedanken in seinem Herzen trägt. Denn vielfach glauben liebe Christen, wenn sie solche schreckliche Gedanken haben und sie nicht los werden können, sie hätten diese Sünde begangen. Das hat unser lieber HErr Christus wohl vorausgesehen. Darum sagt er: „Die (S. 382) Lästerung muß mit dem Munde ausgesprochen sein.“ Denn der Teufel schießt seine feurigen Pfeile in die Herzen der besten Christen, so daß die schrecklichsten Gedanken auch wider ihren himmlischen Vater und wider den Heiligen Geist in ihr Herz kommen, aber wider ihren Willen. Schon ernste Christen haben geklagt: selbst wenn sie zum heiligen Abendmahl gingen, hätten sie die schrecklichsten Gedanken auch über den Heiligen Geist. Aber das ist Unflat des Teufels. Wenn ich in einem schönen Zimmer sitze und die Fenster sind offen und ein böser Bube wirft mir Koth und Unflat in das Zimmer herein – was kann ich dafür? Gott läßt es nach seiner weisen Vorsehung geschehen, daß manche seiner lieben Kinder Tag und Nacht mit solchen Gedanken gequält werden. Das haben die besten Prediger bei ihren Gemeindegliedern schon erfahren. Aber das ist nicht die Sünde wider den Heiligen Geist. Da muß die Lästerung mit dem Munde ausgesprochen sein. Ja, ich habe selbst ein solches Mädchen geistlich behandelt, die sogar diese Gedanken aussprach, aber dabei sich auf den Boden warf und seufzte und weinte, Gott möge sie doch davon erlösen. Und sie kam nicht eher zur Ruhe, als bis sie sah, das thue sie gar nicht selbst. Der Satan hatte nicht nur feurige Pfeile in sie geschossen, sondern auch ihre Lippen in Besitz genommen. Freilich die Neueren sagen: „Das ist eine abergläubische Vorstellung. Das kann der Teufel nicht.“ Marc. 3,28-30.: „Wahrlich, ich sage euch: Alle Sünden werden vergeben den Menschenkindern, auch die Gotteslästerung, damit sie Gott lästern. Wer aber den Heiligen Geist lästert, der hat keine Vergebung ewiglich, sondern ist schuldig des ewigen Gerichts. Denn sie sagten: Er hat einen unsaubern Geist.“ Da haben Sie eine Lästerung des Heiligen Geistes! Als Christus durch den Finger Gottes die Teufel austrieb, da erklärten die Schriftgelehrten, die von Jerusalem herabgekommen waren, diese Wirkung des Heiligen Geistes für eine Wirkung des Teufels. Sie waren innerlich überzeugt, daß es ein göttliches Werk sei, aber weil der Heiland sie so strafte wegen ihrer Heuchelei und Scheinheiligkeit, darum warfen sie einen tödtlichen Haß auf Christum, und das brachte sie zur Lästerung wider den Heiligen Geist. Hier wird uns die Erklärung gegeben: „Wenn man das Werk des Heiligen Geistes für Teufelswerk erklärt, während man überzeugt ist, daß es Gottes Werk ist, so ist das eine Lästerung wider den Geist.“ Daraus sehen Sie aber, daß dies ein gar ernster Gegenstand ist. Es gibt keinen Christen, der nicht zuweilen den Wirkungen der göttlichen Gnade widerstrebte und sich einzureden sucht: „Ach, das sind trübe Gedanken!“ Was heißt das anders als: „Das kommt vom Teufel“! Diese Lehre (S. 383) warnt uns, daß wir um unserer Seligkeit willen, wenn wir des Heiligen Geistes Wirkung empfinden, sogleich ihm folgen sollen und ja nicht widerstreben. Denn die nächste Stufe ist, daß man denkt: „Ach, das kommt nicht vom Heiligen Geist.“ Die nächste Stufe ist, daß man einen Haß wirft auf diesen Weg, auf dem Gott uns zur Seligkeit führen will, und dann, daß man ihn verlästert. Also, man nehme sich in Acht! Man thue dem Heiligen Geist auf, wenn immer er anklopft, und hüte sich, das mit der Welt für eine Melancholie zu halten. Es ist da nicht zu scherzen. Wenn uns der Heilige Geist nicht zum Glauben bringt – wir kommen nicht dazu. Wer ihn verwirft, dem kann niemand helfen, auch Gott nicht. Denn Gott will die Ordnung aufrecht erhalten, die er gemacht hat, um uns selig zu machen. Er zwingt auch niemand in den Himmel. Christus hatte damals gerade den Mann mit der verdorrten Hand geheilt und den Teufel ausgetrieben. Jedermann sah, daß Gottes Macht in Satans Reich hereinbrach, aber diese verruchten Menschen sagten: „Ach, der hat den Beelzebub, und daher kann er die kleinen Teufel austreiben.“ Aber sie konnten, wie er ihnen zeigte, aus seiner Handlung, aus seinen Werken und Worten sehen, daß er wider den Teufel sei. Er zerstöre ja des Teufels Reich; nun würde doch der Teufel nicht helfen, sein eigenes Reich zu zerstören. Luc. 12,10.: „Und wer da redet ein Wort wider des Menschen Sohn, dem soll es vergeben werden; wer aber lästert den Heiligen Geist, dem soll es nicht vergeben werden.“– Da sehen wir wieder: Zum Wesen dieser Sünde gehört, daß die Lästerung ausgesprochen wird, und zwar mit Wissen und Willen. Ebr. 6,4-8.: „Denn es ist unmöglich, daß die, so einmal erleuchtet sind, und geschmeckt haben die himmlische Gabe, und theilhaftig geworden sind des Heiligen Geistes, und geschmeckt haben das gütige Wort Gottes, und die Kräfte der zukünftigen Welt, wo sie abfallen, und wiederum ihnen selbst den Sohn Gottes kreuzigen, und für Spott halten, daß sie sollen wiederum erneuert werden zur Buße. Denn die Erde, die den Regen trinkt, der oft über sie kommt, und bequemes Kraut trägt denen, die sie bauen, empfängt Segen von Gott. Welche aber Dornen und Disteln trägt, die ist untüchtig und dem Fluch nahe, welche man zuletzt verbrennt.“ Eine überaus wichtige Stelle! Darin besteht also das Eigenthümliche dieser Sünde, daß, wer sie begangen hat, nie wieder zur Buße kommen kann. Es ist unmöglich, er kann nicht zur Buße kommen. Der liebe Gott ist es nicht, der den Menschen in diesen Zustand versetzt, sondern der Mensch geräth in diesen Zustand aus seiner eigenen Schuld. Wenn dieser Zustand aber eine gewisse Höhe erreicht hat, (S. 384) dann hört Gott auf, an ihm zu wirken. Dann ist der Fluch über ihn ausgesprochen, dann ist keine Möglichkeit mehr, daß er selig werde. Warum? Weil er nicht kann zur Buße kommen. Das Land seines Herzens ist ein verfluchtes geworden, das nicht mehr vom Thau und Regen der göttlichen Gnade befruchtet wird. 1 Joh. 5,16.: „So jemand siehet seinen Bruder sündigen, eine Sünde nicht zum Tode, der mag bitten; so wird er geben das Leben denen, die da sündigen nicht zum Tode. Es ist eine Sünde zum Tode; dafür sage ich nicht, daß jemand bitte.“ Dies Wort ist wohl für uns eine wichtige Belehrung, aber ausführen können wir es nicht. Denn wir können von keinem Menschen, ehe er gestorben ist, sagen, daß er die Sünde in den Heiligen Geist begangen habe; denn wenn er es auch mit dem Munde ausspricht, so wissen wir nicht, wie weit sein Inneres dabei betheiligt ist, ob es nicht eine Wirkung des Teufels ist, ob er es nicht in großer Blindheit thut, und ob er nicht zur Buße erneuert werden kann. Aber die damaligen Christen hatten die Gabe, die Geister zu unterscheiden. Da will der Apostel sagen: „Wenn ihr seht, daß der und der diese Sünde begangen hat, daß ihm Gott nicht mehr will gnädig sein, so sollt ihr dies auch nicht wollen und sollt aufhören, für ihn zu beten.“ Wir können auch nicht sagen zu Gott: „Mache die selig, die die Sünde wider den Heiligen Geist begangen haben.“ So schrecklich nun das alles klingt, ein so unaussprechlich großer Trost liegt darin. Es kommt wohl einer und sagt: „Ich bin ein elender Mensch! Ich habe die Sünde wider den Heiligen Geist begangen, – ganz gewiß!“ Ein solcher Angefochtener sagt, was er Böses gethan hat, was er Böses geredet, was er Böses gedacht hat, so daß es wirklich scheint, als hätte er den Heiligen Geist gelästert. Nun aber haben Sie die Waffe Ebr. 6. Das macht ihm ja alles gar keine Freude, es ist ihm etwas ganz Erschreckliches. Daraus können Sie sehen, daß der liebe Gott mindestens die Buße in ihm angefangen hat; es fehlt nur noch, daß er sich auch recht festhalte an der Verheißung des Evangeliums. Fragen Sie da: „Thun Sie das muthwillig?“ da sagen solche Leute manchmal, ohne daß sie es wollen, in ihrer Angst: „Ja freilich!“ Aber der Satan redet aus ihnen. Da fragen Sie: „Wollten Sie, Sie hätten das nicht begangen? Thut es Ihnen denn leid?“ – „Ja freilich“, wird er antworten, „ich kriege ja die allerschrecklichsten Gedanken deswegen!“ Da hat Gott die Buße gewiß schon angefangen. Man darf freilich auch nicht zu leichtfertig darüber reden, aber man muß ihnen nachweisen, daß sie einen Anfang zur Buße haben und damit den unwiderleglichen Beweis liefern, daß sie diese (S. 385) Sünde nicht begangen haben. Ueberhaupt muß man über diesen Gegenstand mehr so predigen, um die Leute zu überzeugen, daß sie diese Sünde nicht begangen haben, als sie zu warnen, daß sie dieselbe nicht begehen. Wer diese Sünde begangen hat, bei dem hilft alles Predigen nichts mehr. Wem seine Sünde aber leid thut und wer gern Vergebung haben möchte, der soll wissen: er ist ein liebes Kind Gottes, steht aber in schrecklicher Anfechtung. Apost. 7 wird uns erzählt, wie Stephanus zu seinen Zuhörern spricht: „Ihr Halsstarrigen und Unbeschnittenen an Herzen und Ohren. Ihr widerstrebet allezeit dem Heiligen Geist, wie eure Väter, also auch ihr.“ War das auch die Sünde in den Heiligen Geist? Nein, denn Stephanus stirbt doch mit der Fürbitte: „HErr, behalte ihnen diese Sünde nicht.“ Daraus kann man sehen, daß die Juden, wenn sie auch muthwillig gesündigt hatten, doch diese Sünde nicht begangen hatten, sonst würde dieser Märtyrer nicht für sie gebetet haben. Es konnte eine Stunde kommen, in welcher sie nicht mehr widerstrebten. Hören wir nun, was Luther zu 1 Joh. 5,16. schreibt (W. IX, 1074): „Durch die „Sünde zum Tode“ verstehe ich die Ketzerei, welche sie anstatt der Wahrheit einführen. Wenn sie nicht Buße thun, nachdem sie ein und das andere Mal sind erinnert worden, alsdann ist es eine Sünde zum Tode. Doch können diesen beigezählt werden diejenigen, die aus Halsstarrigkeit, zum Trotz, sündigen, wie Judas; der war genug gewarnt, aber wegen seiner halsstarrigen Bosheit konnte er nicht gebessert werden; auch Saul, der in seinen Sünden starb, weil er nicht auf den HErrn hoffte. Die aber also sündigen, daß sie den erkannten Irrthum noch behaupten und vertheidigen wollen, bei denen ist die höchste Halsstarrigkeit.“ – Diese Sünde ist also nicht deswegen unvergeblich, weil sie so groß wäre, denn der Apostel sagt ja ausdrücklich: „Wo die Sünde mächtig worden ist, da ist doch die Gnade viel mächtiger worden“, sondern weil sie das Mittel verwirft, durch welches ein Mensch ganz allein zur Buße, zum Glauben und zur Beständigkeit gelangen kann. Es sind solche Menschen gemeint, die also sündigen, daß sie den erkannten Irrthum noch hartnäckig wider besser Wissen und Gewissen vertheidigen. – „Dergleichen ist auch die Sünde wider den Heiligen Geist, oder die Verstockung in der Bosheit, die Bestreitung der erkannten Wahrheit, und die Unbußfertigkeit bis ans Ende.“ – Es ist zwar ohne Zweifel nicht richtig, wenn Luther darunter die Unbußfertigkeit bis ans Ende versteht, denn dann hätten die meisten Menschen diese Sünde begangen. Aber die Unbußfertigkeit bis ans Ende ist (S. 386) mit dieser Sünde verbunden. Jedoch die besondere Eigenthümlichkeit dieser Sünde ist dies, daß sie sich setzt gegen das Amt, gegen die Wirkung des Heiligen Geistes. – „Eine andere Sünde ist die Sünde, die nicht zum Tode ist, dergleichen die Sünde Pauli war, wenn er spricht: „Ich habe es unwissend gethan, im Unglauben“, nämlich: „Da ich zuvor gewesen ein Lästerer und ein Verfolger und Schmäher; aber mir ist Barmherzigkeit widerfahren.“ 1 Tim. 1,13.“ – Paulus hatte die schreckliche Sünde begangen, daß er nicht nur lästerte, sondern sogar die Christen dazu bringen wollte, zu lästern, aber er that es in seiner schrecklichen Blindheit; er ahnte nicht, daß er damit wider Gott stritt. – „Von welcher Sünde auch Christus redet Matth. 12,32.: „Wer etwas redet wider des Menschen Sohn, dem wird es vergeben.“ Ingleichen war auch die Sünde der Kreuziger JEsu nicht zum Tode, zu denen Petrus spricht: „Nun, lieben Brüder, ich weiß, daß ihr es durch Unwissenheit gethan habt“, Apost. 3,17. „Denn wo sie die erkannt hätten, hätten sie den HErrn der Herrlichkeit nicht gekreuziget“, 1 Cor. 2,8. Hingegen aber diese Sünde, weil sie noch vertheidigt wird, nachdem sie sattsam offenbart und erkannt ist, ist eine Sünde zum Tode, weil sie der göttlichen Gnade, den Mitteln zur Seligkeit, und der Vergebung der Sünden widerstrebt.“ – Ach, nehme sich jeder in Acht, daß er nicht wider den Heiligen Geist streite, daß, wenn ihm eine Sünde offenbart wird und sein Herz sagt „Ja“, sein Mund nicht „Nein“ dazu sage! Wenn das auch nicht die Sünde wider den Heiligen Geist ist, so ist es doch immerhin eine Vorstufe dazu. Viele wissen wohl, daß wir täglich viel sündigen, aber straft man sie wegen dieser und jener Sünde, so sprechen sie: „Nein, ich habe kein Kind beleidigt.“ – „Wo keine Erkenntniß der Sünden ist, da ist auch keine Vergebung. Denn die Vergebung der Sünden wird denjenigen gepredigt, welche die Sünde fühlen und die Gnade Gottes suchen. Diese aber“ – die die Sünde wider den Heiligen Geist begangen haben –“werden von keinen Scrupeln des Gewissens geängstet, und erkennen und fühlen auch die Sünde nicht.“ – Wenn also solche Leute, die einem klagen, sie hätten die Sünde wider den Heiligen Geist begangen, diese Sünde wirklich gethan hätten, wenn sie wirklich in diesem schrecklichen Zustand wären, so würden sie darüber gar nicht klagen, sondern würden ihre Freude daran haben, das Evangelium immer zu lästern. Aber solche angefochtene Christen haben ja den Glauben, und der Geist Gottes wirkt also in ihnen. Wirkt aber der Geist Gottes in ihnen, so haben sie auch diese Sünde nicht begangen. Ueber diesen Gegenstand spricht sich Baier ganz herrlich aus. In seinem Comp. theol. pos. P. II. Cap. III, §24 sagt er: „Peccatum (S. 387) actuale omnium gravissimum, quod vocatur in Spiritum Sanctum,(Nota a) consistit(Nota b) in veritatis coelestis jam agnitae(Nota c) abnegatione malitiosa (Nota d) et impugnatione blasphema(Nota e) et pertinaci.(Nota f) (Nota a.) Ratione denominandi ab objecto petita, quod est Spiritus S. hoc loco metonymice, ratione officii spectatus, quod per ministerium verbi in convertendis hominum animis exercet, qualis acceptio vocis etiam habetur 2 Cor. 3,6., ut adeo peccatum in Spiritum S. sit peccatum, quod in Spiritus S. officium et ministerium patefactamque per illud veritatem coelestem commissum est. – Den Heiligen Geist lästern heißt: sein Amt lästern, die Wirkungen des Heiligen Geistes für Wirkungen des Teufels erklären, seinem Amt Widerstand entgegensetzen. – Dicitur etiam alias peccatum ad mortem, denominatione ab effectu petita, quod mortem seu damnationem aeternam certissime afferat, 1 Joh. 5,16. – Es ist die Sünde zum Tode nicht zu verwechseln mit der Todsünde. – (Nota b.) Sedes doctrinae de hoc peccato habetur Matth. 12,30. et sqq. Marc. 3,28. Luc. 12,10. (Nota c.) Sive doctrina illa assensu fidei divinae ac professione publica semel approbata, sive tantum ita clare percepta fuerit, ut animus convictus nihil habeat, quod ad rem possit opponere. Priore modo peccant in Spiritum S. apostatae illi, qui veritatem semel agnitam et creditam abnegant et convitiis petunt, quales describit auctor Ep. ad Ebr. 6,4 sqq. Ad posteriorem classem pertinent Pharisaei et scribae, qui doctrinam Christi nunquam sua confessione comprobaverant, interim de veritate ejus ex Scripturis et miraculis Christi ita convicti erant apud animum, ut praeter convitia nihil haberent, quod opponerent. – Es gibt lutherische Theologen, welche sagen: Nur einer, der wahrhaft wiedergeboren gewesen sei, könne diese Sünde begehen. Aber da gehen sie zu weit. Denn niemand wird glauben, daß die Pharisäer früher wahrhaft bekehrt waren, sondern sie sind in ihrer Bosheit aufgewachsen. Es ist wahr, ein Wiedergeborner kann diese Sünde noch begehen, wenn er abfällt – das ist gegen die Calvinisten zu merken. Es ist sehr wahrscheinlich, daß Judas im Glauben gestanden hat. Man kann kaum glauben, daß der Heiland ihn würde berufen haben, als er unter dem Zorn Gottes stand. Aber er ist abgefallen, so daß Satan nicht nur seinen Leib, sondern auch seinen Geist in seine Macht genommen hatte. (Nota d.) Seu ut negatio et impugnatio doctrinae coelestis fiat „ekousios“, Ebr. 10,26., ita ut principium abnegationis et impugnationis sit pura puta malitia. Qui autem ex ignorantia aut metu periculi abnegant fidem, non ideo peccatores in Spiritum S. sunt, sed remissionem (S. 388) peccati consequi possunt. Vid. exempla Pauli 1 Tim. 1,13 et Petri Matth. 20,70 sqq. – Das ist ein schreckliches Zeichen, wenn man einem Gottes Wort klar und deutlich vorgetragen hat, und man merkt, es macht Eindruck auf ihn, er wird verlegen, man sieht auch, daß seine Glieder zittern, Gott kommt über ihn und dennoch sagt er: „Nein, das glaube ich nicht! Das glaube ich nicht! Du legst die Schrift nicht richtig aus.“ Das ist, wenn auch nicht schon die Sünde wider den Heiligen Geist, so doch eine Vorstufe dazu. Merken Sie wohl: Vorstufe! Er kann diese Vorstufe bestiegen haben und noch wieder zurückkehren und selig werden. Petrus hat die erste, zweite und letzte Vorstufe bestiegen, aber nur eine Vorstufe. Er hat es nicht aus Haß gegen Christum, sondern aus Angst gethan. Er dachte: „Wenn du es jetzt zugibst, daß du JEsu Jünger bist, so wirst du auch in Banden gelegt werden.“ Da stürzt der Teufel diese große, sichere Säule um. Aber der Geist Gottes kam wieder in ihn und Petrus bereute seine Sünde. – (Nota e.) Vocatur enim ll. cc. verbum, quod quis locutus sit adversus Spiritum Sanctum, et blasphemia in Spiritum Sanctum, ideoque formaliter importat dictum contumeliosum, quo Spiritus Sancti officium petitur, v. g. cum doctrina ejus aut opera miraculosa, ad confirmationem doctrinae facta, virtuti et operationi Satanae adscribuntur, quod faciebant Pharisaei. – (Nota f.) Adeoque suapte natura tale est, ut remitti non possit ac nemini unquam remittatur, juxta ll. cc. Matth. et Marci, nempe, quia per se et sua natura viam ad poenitentiam praecludit. Cur autem cum hoc peccato finalis impoenitentia sit tam arcte conjuncta, causa est, quod homines ejusmodi directe et plena malitia se opponunt mediis conversionis ideoque Deus illis subtrahit suam gratiam eosque in reprobum sensum tradit. Wer diese Sünde begangen hat, wird nicht sowohl um dieser Sünde willen verdammt, sondern um des Unglaubens willen. Das ist die causa communis, die gemeinsame Ursache. Die besondere Ursache (causa singularis) ist die böswillige, beständige Verlästerung etc. Es ist aber keine absolute Verwerfung. Die Calvinisten behaupten, solche Menschen könnten deswegen nicht gerettet werden, weil Christus nicht für sie gelitten hätte, nicht genug gethan hätte für sie, sie nicht erlöst hätte. Das ist eine recht teuflische Irrlehre. Gewöhnlich meint man, daß ein gewisser Spiera diese Sünde begangen habe. Er hat zweimal die erkannte evangelische Wahrheit verleugnet, das zweite Mal sogar öffentlich abgeschworen. Er gerieth in (S. 389) einen so schrecklichen Seelenzustand, daß man sah: „Der lebt schon in der Hölle.“ Aller Trost war vergebens. Paul Vergerius war an seinem Krankenbett und spendete evangelischen Trost. Alle unsere Theologen sagen jedoch, es sei nicht die Sünde wider den Heiligen Geist gewesen, weil er doch diese Sünde verdammt hat und fest überzeugt war, er hätte die Hölle verdient. Das war nicht die Sünde wider den Heiligen Geist, sondern vielmehr die Sünde der Verzweiflung. Aber die Verzweiflung ist keine unvergebliche Sünde wider den Heiligen Geist. Spiera hat auch bloß die Wahrheit verleugnet, weil er fürchtete, er würde sonst von den Römischen verbrannt werden. Vgl. Quenstedt, citirt in Baier, P. II, p. 328: „Addunt hic nonnulli exemplum Francisci Spierae ... eluctatus.“ Aber Spiera ist ein wichtiges, ernstes Warnexempel für alle Zeiten. Vergerius hat dadurch auch den letzten Stoß bekommen, daß er das Pabstthum verließ, als er die Höllenqual sah, die dieser Verleugner der evangelischen Wahrheit erdulden mußte.

 

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