C. F. W. Walther (1811-1887):

Die rechte Unterscheidung von Gesetz und Evangelium.


Achtzehnte Abendvorlesung. (13. Februar 1885.)

 

Ein wegen seiner Missethaten bereits gefangen gesetzter und auch zum Tode verurtheilter Mensch, der zwar ein unbestimmtes Gerücht gehört hat, daß er begnadigt werden soll, der aber darüber durchaus nicht zur Gewißheit kommen kann, ist ohne Zweifel, meine Freunde, in einer ganz erschrecklichen Lage. So oft er ein Geräusch hört, welches ihm anzeigt: „Jetzt wird die Thür deines Gefängnisses geöffnet“, so schrickt er zusammen, (S. 168) denn er weiß nicht, ob ihm nun soll feierlich und endgültig die Begnadigung angekündigt werden, oder ob er soll auf den Richtplatz geführt werden. Nur ein ganz roher, verwilderter, atheistischer, ruchloser Mensch wird dann noch scherzen und lachen können. In einer ähnlichen Lage aber befindet sich im Geistlichen jeder Mensch von Natur. Nachdem das menschliche Geschlecht in seinen Stammeltern von Gott abgefallen ist, so ist nun jeder Mensch schon von Natur von Gott zum zeitlichen und ewigen Tod verurtheilt. Ein jeder hat zwar wohl ein dunkles Gerücht gehört, daß ihn Gott begnadigen wolle, aber er kann darüber zu keiner Gewißheit kommen. So oft er etwa tödtlich erkrankt, oder so oft ihn sonst ein schreckliches Unglück trifft, insonderheit wenn Unruhe, Angst und Schrecken sein Herz und Gewissen erfüllen, da ist es ihm nicht anders, als ob die Pforten der Ewigkeit sich öffneten, aber der arme Mensch weiß nicht, ob zum ewigen Tode oder zum ewigen Leben. Nur der verruchteste Mensch kann dann ruhig sein, ein jeder andere wird beben und zittern; das Lachen wird ihm vergangen sein, so viel er auch vielleicht in seinem Leben über das Heilige gelacht hat. Wie? sollte denn der freundliche, gütige, gnädige, barmherzige Gott nichts gethan haben, um uns gewiß zu machen, ob wir Vergebung der Sünden haben und ob wir in jener Welt werden in die Wohnungen eines ewigen Friedens und ewiger Ruhe kommen? Sollte Gott nichts gethan haben, um uns aus jener schrecklichen Lage zu befreien? Es ist das undenkbar! Gewiß, Gott hat es gethan! Hat nicht Gott so Großes gethan, daß es all unser Denken übersteigt? Er hat uns seinen eingebornen Sohn in diese Welt gesandt, hat ihn einen Menschen werden lassen, wie wir sind, hat ihm die Last unserer Sünden aufgelegt und ihn endlich dahingegeben in den Kreuzestod der Versöhnung. Und er sollte uns nun Zeit unsers Lebens in dem schrecklichen Zustand lassen, in welchem wir nicht wüßten, ob er noch immer Feind sei, in dem Zustand, in welchem wir nicht wüßten, ob der Tag unsers Todes der Tag unsers Gerichts sein werde? Das ist unmöglich! Nein, sobald der ewige Sohn Gottes Mensch geworden und auf diese Erde gekommen war, da kam auch alsbald der höchste Diener vor dem Throne Gottes auf diese Erde herab und verkündigte in den bethlehemitischen Hirten uns, uns allen, der ganzen Welt: „Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der HErr, in der Stadt Davids!“ Und nachdem nun Christus sein großes Werk vollbracht, nachdem Gott der Vater ihn von den Todten auferweckt und damit ihn, unsern Bürgen und Stellvertreter, freigesprochen und in demselben uns alle gerechtfertigt und absolvirt hatte, da gab Christus (S. 169) seinen Jüngern den Auftrag: „Gehet hin in alle Welt und prediget das Evangelium – das heißt, die Freudenbotschaft von der geschehenen Erlösung – aller Creatur.“ Und er setzt noch hinzu: „Ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende“, und bezeugt damit: „Diese Freudenbotschaft wird nun fortklingen bis an den jüngsten Tag, so weit der Erdkreis reicht.“ O, wir seligen, hochbegnadigten Menschen! Wer kann unsere Seligkeit aussprechen? Himmel und Erde sind ganz voll der Güte des HErrn, von der Gnade des HErrn, unsers Gottes! Wo wir gehen und stehen, ruft uns alles zu: „Du bist erlöst! Deine Sünden sind dir vergeben! Der Himmel steht dir offen! Ach glaube, glaube es nur, so hast du es!“ Aber ach, durch falsche Lehrer wird der hochbegnadigten Menschheit die ihr gewordene unaussprechliche Freude ach! so sehr verkümmert! Wir haben das namentlich in den letzten drei Abendstunden gesehen. Wir wollen uns nun noch mehr hiervon überzeugen, zunächst zu diesem Zwecke, damit wir erstens uns selbst nicht den Kelch der unaussprechlichen Freude, den der himmlische Vater uns gefüllt hat, vergällen, und zweitens, damit Sie, wenn Sie in das Amt eintreten, das die Versöhnung predigt, den armen Menschen nicht das wieder entziehen, was Gott ihnen schon längst gegeben, ja, von Ewigkeit her zugedacht hat. Diese neunte Thesis, die uns noch vorliegt, ist eigentlich die Centralthesis in dein ganzen Cyclus von Thesen. Wer diese Thesis recht versteht, der kann Gesetz und Evangelium recht unterscheiden; wer aber diese Thesis nicht versteht, der wird dies nie lernen durch alle andern Regeln. Darauf kommt überaus viel an, wenn es hier heißt: „Gottes Wort wird fünftens nicht recht getheilt, wenn man die vom Gesetz getroffenen und erschrockenen Sünder, anstatt sie auf Wort und Sacrament zu weisen, anweist, durch Beten und Kämpfen sich den Gnadenstand zu erringen, nämlich so lange zu beten und zu kämpfen, bis sie fühlen, daß sie Gott begnadigt habe.“ Wir haben nun schon gesehen: Daß die Schwärmerprediger Gesetz und Evangelium nicht zu scheiden wissen, das zeigt sich sonderlich darin, daß sie die Absolution verwerfen. Nicht nur haben sie eine ganz verkehrte Vorstellung von der Beschaffenheit der Absolution, sie wissen gar nicht, was wir eigentlich von der Absolution lehren, sondern, weil sie sehen, daß wir es äußerlich ungefähr so machen, wie die Papisten, so meinen sie, unsere Lehre von der Absolution sei eine papistische Vorstellung. Aber nein, wenn die Papisten auch die köstlichen Worte der Absolution sagen, so haben sie doch den Kern herausgenommen. Wir behalten die köstlichen Worte, aber auch den Kern suchen wir denen, welche (S. 170) die Absolution begehren, darzubieten und laden sie ein, denselben zu genießen. Hören wir nun weiter, was Luther in der Hauspostille über das Evangelium am 19. Sonntag nach Trinitatis schreibt. In diesem Evangelium finden wir ja die Geschichte von jenem Gichtbrüchigen, dem der HErr die Sünden vergab. Und als der HErr JEsus das that, da murreten die heuchlerischen Pharisäer und sagten bei sich selbst: „Dieser lästert Gott! Wer kann Sünde vergeben, denn allein Gott?“ Da meinten sie, sie hätten eine große Weisheit dargethan und dem HErrn entgegengestellt. Doch der HErr hat ihnen bald das Maul gestopft. Er fragte sie, was wohl leichter sei, diese Worte zu sagen: „Deine Sünden sind dir vergeben“, oder zu dem Gichtbrüchigen zu sagen: „Stehe auf und wandle, nimm dein Bett und gehe heim.“ Sie antworteten nicht, denn sie wußten wohl, daß sie mit ihrer eigenen Antwort sich fangen würden. Sagten sie: „Einem Menschen zu sagen: „Dir sind deine Sünden vergeben ist leichter, als zu einem Gichtbrüchigen zu sagen: ,Stehe auf und wandle“, so hatten sie schon Angst: „Er kann es“, denn er hatte schon so viele herrliche Wunder gethan. Und richtig, er kann es! Der Gichtbrüchige nimmt auf das Wort des HErrn sein Bett und geht fröhlich heim. Die Volks-haufen, die das mit ansahen, wußten: Christus war ein wahrer Mensch – und das war er auch – aber daran stoßen sie sich nicht. Er hatte sich ja schon kräftig genug als den Sohn Gottes erwiesen. Und nun preisen sie Gott, daß Gott den Menschen solche Macht gegeben habe. Wäre das Aberglaube gewesen, so hätte der Heilige Geist sicherlich hinzugesetzt: „Die armen Menschen dachten, den Menschen sei solche Macht gegeben; aber nein, den Menschen ist sie nicht gegeben.“ Aber kein Wort davon, denn der Heilige Geist hatte ihnen das eingegeben, und sie dachten wohl auch: „Nun, wenn wir einen solchen Messias haben, dann steht es gut mit uns.“ Das ist ja immer so, wenn das Volk auf dürre Weide geführt wurde, wenn der Trost des Evangeliums ihnen verkümmert worden ist, dann sind sie wie verschmachtete Schafe. Wenn ihnen dann das grüne Gras des reinen Evangeliums gebracht wird, o, mit welcher Freude verzehren sie das! Man sieht das in Deutschland. Die Kirchen der Rationalisten stehen leer, wo aber ein Prediger auf der Kanzel steht, der mit Beweisung des Geistes und der Kraft predigt, da ist die Kirche voll. Die Leute haben noch ihre Bibel, ihren Katechismus, ihr altes Gesangbuch, sie bleiben bei ihren alten Bibelsprüchen, die sie gelernt haben, und ergötzen sich noch an den alten Erbauungsbüchern, und wenn nun eine lebendige Person kommt und ihnen das Evangelium verkündigt, dann sind sie außer sich vor Freuden. (S. 171) Aber es gibt leider! auch Prediger, die, obgleich sie im Glauben stehen, doch mit so hohen Worten predigen, daß es über die Köpfe hinweggeht, so daß man sieht: „Der Prediger ist gläubig, aber die Leute sind todt, todt!“ Man muß nicht nur die Wahrheit verkündigen, sondern muß auch einfältig reden, daß Hans hinter der Thür es verstehen kann, der so angezogen ist, daß er sich gar nicht in die Kirche hinein getraut. Wir sollen so predigen, daß es jedem sonnenklar ist: „Das ist der Weg zur Seligkeit, und kein anderer.“ Es wäre kein Wunder, wenn Gott allemal einen Blitz auf den Prediger herabschleuderte, welcher hohe Worte in seinem Manuscript hat, um mit seiner Rednergabe zu glänzen, welche darum auch das Volk nicht verstehen kann und die wohl höchstens in den Verstand, aber nicht in das Herz gehen. Aber in das Herz soll es gehen. – Hören wir nun Luther: „Also sagen die Wiedertäufer auch: Was sollte die Taufe zur Vergebung der Sünden thun? Ist’s doch nur eine Handvoll Wassers! Der Geist muß es thun, so wir recht von Sünden sollen rein werden, das Wasser kann’s nicht thun. Ziehen also Vergebung der Sünden auch vom Wort hinweg und wollen’s bei dem nicht lassen bleiben, wie die frommen Leutlein hier sagen, daß solche Macht den Menschen gegeben sei.“ – Sie sehen das Taufwasser wie mit Kuhaugen an und denken, wir lehren: das Wasser soll helfen. Ja, das hilft nicht. In das Wasser ist keine besondere Kraft hineingelegt, das ist Wasser, wie andres Wasser; aber es ist verbunden mit dem Wort Gottes, welches lautet: „Wer da glaubet und getauft wird, der wird selig werden.“ Wenn diese Worte zu dem Taufwasser kommen, so machen sie das Taufwasser so köstlich, köstlicher als Himmel und Erde und alle Schätze der Welt. Weil Gott uns nur durch den Glauben und nur aus Gnaden will selig machen, so sagt er: „Gut, laß dich taufen – und glaube meiner Verheißung! Und so wahr ich Gott bin, wirst du selig werden.“ Du sollst nicht dich ansehen und fragen: „Was soll ich denn nun thun zu meiner Seligkeit?“ Du bleibst ein verdammter Sünder und die Seligkeit wird dir aus freier Gnade und aus freiem Erbarmen zu Theil. Aber die Wiedertäufer machen einen ganz neuen Weg, von dem kein Wort in der Bibel steht, daß nämlich die Leute ringen sollen, bis sie endlich sagen können: „Nun fühle ich es, ich habe Gnade erlangt.“ Das ist schrecklich, viel schrecklicher, als die meisten ahnen. – „Die Sacraments-schwärmer sagen auch also: Es sei im Sacrament nur Brod und Wein, darum könne man Vergebung der Sünden da nicht finden, der Geist müsse es geben, das Fleisch sei kein nütze. In Summa, keine Rottengeister, kein Pfaffe noch Mönch hat das können sehen, daß Vergebung der Sünden sei eine Macht, den Menschen gegeben, (S. 172) wie es hier steht im Evangelium. Darum lerne hier, daß du könnest so von der Sache reden: Ich weiß wohl, bekenne auch, daß Gott allein die Sünde vergibt. Aber ich muß auch dies wissen, wobei ich’s merken könne, daß die Sünden mir vergeben sind, oder welches das Mittel sei, dadurch die Sünden mir vergeben werden. Da lehrt die heilige Schrift mich und alle Christen, wenn ich Vergebung der Sünden will haben, müsse ich mich nicht in den Winkel setzen und sagen: Mein Gott, vergib mir meine Sünden; und alsdann warten, wenn ein Engel vom Himmel komme und mir sage: Deine Sünden sind dir vergeben.“ – Bedenken Sie doch: wenn Sie jemand ganz schrecklich beleidigt hätten und der Gedanke daran quälte Sie und Sie wollten gerne, daß er Ihnen verzeihen möchte, wollten wieder gut Freund mit ihm werden – wie wollen Sie denn da gewiß werden, daß er Ihnen verziehen hat? Etwa dadurch, daß Sie merken, es wird Ihnen leicht ums Herz, daß Sie denken: „Nun, der hat es mir schon vergeben“? Jedermann wird zu Ihnen sagen: „Du bist ein Narr, denn es kommt nicht darauf an, wie du fühlst, sondern darauf, wie der fühlt, den du beleidigt hast.“ Oder wird der Beleidiger etwa dadurch der Verzeihung gewiß, daß ihm der andre irgend etwas schenkt? Nein, das macht ihn ungewiß. Der Beleidigte kann ihn da fühlen lassen: „Was hast du gethan, du elender Mensch? Ich bin ein ganz andrer Mensch. Schäme dich bis in dein Herz hinein! Ich will feurige Kohlen auf dein Haupt sammeln.“ Was bleibt ihm dann übrig, um Gewißheit zu erlangen? Der Beleidigte muß es ihm sagen, daß er ihm verziehen hat. Wenn er dann kommt und sagt: „Du hast Sorge, daß ich dir noch zürne, weil du mich beleidigt hast. Es ist wahr, du hast schändlich gehandelt, aber es ist dir alles verziehen! Sei nur wieder fröhlich und gutes Muths! Wir sind wieder gute Freunde!“ – nicht wahr, dann wissen Sie: „Der hat mir verziehen!“ Gerade so ist es auch bei Gott. Sie können nicht daraus schließen, daß Gott Ihnen Ihre Sünden vergeben hat, daß Sie so leicht fühlen, auch nicht daraus, daß er Sie mit Wohlthaten überschüttet; denn er läßt regnen über Gerechte und Ungerechte und läßt seine Sonne aufgehen über Böse und über Gute. Nein, allein daraus können Sie es wissen, daß er es Ihnen sagt. Wer diese Gewißheit auf einem andern Wege sucht, der findet sie nicht, sondern täuscht nur sich selbst, wenn er sie auf diesem andern Wege meint gefunden zu haben. Aber wo sagt es Gott denn, daß er uns vergeben will? Eben im Wort, im Evangelium, in der Taufe, im Abendmahl, in der Absolution, da sagt er es. Im heiligen Abendmahl ist nicht eigentlich der Genuß des Leibes und Blutes Christi das Gnadengut, das wir da herausnehmen, sondern das Gnadengut ist die Verheißung der Ver- (S. 173) gebung der Sünden, welche Christus zugleich darangeknüpft hat, wenn er sagt: „Der für euch gegeben ist; das vergossen ist zur Vergebung der Sünden.“ Der Leib Christi und sein Blut ist nur das königliche Siegel, welches der Heiland auf diese Worte drückt. Kurz, in allem, was Gott thut, um uns seiner Gnade zu versichern, hat den ersten Platz das Wort. Das ist auch bei der Absolution der Fall. Das Wort ist es, worauf es ankommt. Darum sollen wir nicht warten, ob ein Engel vom Himmel kommt und uns sagt: „Dir sind deine Sünden vergeben.“ Da könnten wir lange warten. Gott hat das auch nicht verheißen. Hätte er es freilich verheißen, dann könnten wir getrost darum bitten. Gott will uns gerne die größten Gaben geben, obgleich wir arme Sünder sind. Hat er etwas verheißen, so thut er es auch. Nur getrost! „Thue deinen Mund weit auf, laß mich ihn füllen“, heißt es Ps. 81. Er hat uns Vergebung der Sünden verheißen, und glauben wir das, so haben wir sie auch. – „Denn Gott verheißt, er wolle sich zu mir herunter finden und selbst Vergebung der Sünden mir zusagen.“ – Das wollen die Leute nicht glauben. Calvin war nicht zufrieden mit der Auslegung Zwinglis vom heiligen Abendmahl, aber zurecht ist doch auch er nicht gekommen. Er sagte, wenn man Christi Leib und Blut genießen wolle, so geschähe das nicht dadurch, daß man sie unter dem Brod und Wein empfange, sondern man müsse sich im Glauben in den Himmel hineinschwingen; dann würde es der Heilige Geist vermitteln, daß man gespeist würde mit dem Leib und Blut Christi. Das sind jedoch lauter Phantasien, die in dem Kopfe eines Calvin entstanden sind. Aber so zeigt eben der Mensch, daß er nicht glauben will, daß Gott so große Liebe zu uns armen Sündern hat, daß er zu uns kommt. Die Schwärmer meinen: „Wir müssen zu ihm hinauf!“ Aber er ist schon zu uns heruntergekommen. Das Evangelium ist eben eine solche Lehre, die den Juden ein Aergerniß und den Griechen eine Thorheit ist und bleibt, nicht nur den beschnittenen Juden und den ungetauften Heiden, sondern vielen Tausenden und Abertausenden mitten in der Christenheit. – „Solches geschieht erstlich in der heiligen Taufe; denn daselbst ist sein Befehl, daß man mich taufen soll im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Und steht ferner bei solchem Wort diese Zusagung: „Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden.“ Ja, sprichst du: ist doch die Taufe nur Wasser! Wahr ist’s; aber solch Wasser ist nicht allein, es ist Gottes Wort dabei. Also, wenn du zu deinem Seelsorger gehst, der solches einen sonderlichen Befehl hat, oder sonst zu einem Christen“ – Da macht Luther gar keinen Unterschied, wie wir hernach noch ausführlicher hören werden. – „und begehrest, daß er dich tröste und absolvire von deinen Sünden, und er zu dir spricht: Ich, an Gottes (S. 174) Statt, verkündige dir durch Christum Vergebung aller deiner Sünden; hier sollst du gewiß sein, daß dir deine Sünden durch solch äußerlich Wort wahrhaftig und gewiß vergeben sind; denn die Taufe und das Wort werden dir nicht lügen. Solches hat man im Pabstthum nicht gepredigt und versteht’s noch heutiges Tages kein päbstischer Prediger. Darum danket ihr Gott für solche Gnade und lernt’s, daß Gott will die Sünde vergeben. Aber wie? Anders nicht, denn hier steht: daß er solche Macht den Menschen gegeben hat. Wie denn Christus solches hier anhebt, und danach befiehlt, daß man’s fortan in der Kirche, bis an der Welt Ende, also halten soll, und in seinem Namen Buße und Vergebung der Sünden predigen. Daß also jedermann lerne Vergebung der Sünden bei den Menschen, und sonst nirgends, suchen. Denn da soll man’s allein finden. Denn also lautet unsers HErrn Christi Befehl: „Wahrlich, ich sage euch, was ihr auf Erden lösen werdet, soll auch im Himmel los sein“, Matth. 18,18.; item: „Welchen ihr die Sünden erlasset, denen sind sie erlassen“, Joh. 20,23. Denn das will Gott nicht leiden, daß ein jeder sich wollte eine sonderliche Stiege oder Treppe in den Himmel bauen, er will der einige Baumeister sein. Darum so du willst Vergebung der Sünden haben, so gehe hin, lasse dich taufen, so du nicht getauft bist; oder bist du getauft, so erinnere dich derselben Zusagung, welche Gott dir dazumal gethan hat, und sei nicht ungläubig. Item, gehe hin, und versöhne dich mit deinem Nächsten, begehre danach die Absolution. Und wie du hörst, daß man dir im Namen JEsu Vergebung der Sünden zusagt, also glaube du es: so hast du sie wahrhaftig. Gehe danach auch zum hochwürdigen Sacrament und empfange da den Leib und das Blut Christi, auf daß du gewiß werdest, solcher theure Schatz gelte dir, und sei dein eigen, daß du sein sollst genießen etc. Daß man also die Taufe, Absolution, Predigt und Sacrament nicht verachten, sondern Vergebung der Sünden dabei suchen und holen soll. Denn dazu hat Gott deinen Pfarrherrn, deinen Vater und Mutter, und deinen nächsten Christenmenschen berufen und geordnet, und sein Wort in ihren Mund gelegt, daß du Trost und Vergebung der Sünden bei ihnen suchen sollst. Denn ob es gleich Menschen reden, so ist es doch nicht ihr, sondern Gottes Wort. Darum soll man fest dran glauben und es nicht verachten. . . . Darum haben die Wiedertäufer und andere Rotten zugleich Vergebung der Sünden, Taufe, Sacrament, die christliche Kirche und alle christliche Werke verloren, weil sie das Wort, so sie von ihrem Nächsten hören, wegwerfen und für anderes nicht halten, denn so irgend eine Kuh blökete. Nun, wenn dein Gott gleich durch eine Kuh oder ander Thier redete, wie er einmal durch eine Eselin geredet hat, sollte man gleichwohl sein Wort nicht verachten, sondern gelten (S. 175) lassen; warum will man’s denn verachten, da es die Menschen aus Gottes Befehl und Ordnung reden? Denn ob du wohl eines Menschen Stimme hörest, so hörest du doch nicht eines Menschen Wort, sondern Gottes Wort, und findest gewißlich Vergebung der Sünden dabei, wenn du es nur mit Glauben annimmst.“ Ferner schreibt Luther in seiner Evangelienpostille (W. XI, 999–1002) zu den Worten: „Gleichwie mich mein Vater gesandt hat, so sende ich euch. Nehmet hin den Heiligen Geist; welchen ihr die Sünden erlasset“ etc. „Christus will so viel sagen: Wenn ihr ein Wort saget über einen Sünder, soll es gesagt sein im Himmel und so viel gelten, als wenn es Gott im Himmel selbst redet; denn er ist in eurem Munde, darum ist es auch so viel, als sagte er es selbst. Nun ist es je wahr, wenn Christus ein Wort saget, dieweil er ein HErr ist über Sünde und Hölle, und zu dir spricht: Deine Sünden sollen hin sein; so müssen sie hinweg, und kann nichts dawider. Wiederum, wenn er sagt: deine Sünden sollen dir nicht vergeben sein; so bleiben sie unvergeben, daß weder du, noch kein Engel, noch Heiliger, noch keine Creatur die Sünde vergeben kann, wenn du dich auch todt marterst. Eben die Gewalt stehet bei einem jeglichen Christen. . . . Und das ist die Kraft, die wir haben aus seiner Auferstehung und Himmelfahrt.“ – Wäre Christus nicht auferstanden, so könnten wir auch nicht absolviren. Denn worauf sollten wir das gründen? Erst nachdem Gott der Vater Christi Versöhnungs- und Erlösungswerk anerkannt hatte, durch die Auferweckung von den Todten Christum absolvirt und damit auch alle Menschen absolvirt hatte, können wir Menschen einer zum andern sagen: „Sei getrost, alle Sünden sind dir vergeben, alle deine Sünden sind getilgt! Sei getrost, glaube es nur!“ Das gründet sich eben darauf, daß Gott der Vater Christum, unsern Stellvertreter, verherrlicht und damit vor Himmel und Erde ausgerufen hat: „Ja, ihr Menschen seid erlöst, ihr seid versöhnt! Eure Sünden sind euch vergeben.“ – „Doch muß man hierin schön fahren, daß man nicht thue wie der Pabst; denn sie haben‘s dahin gezogen, daß sie solche Gewalt hätten, wie und was sie sprechen, daß es müsse also gehen, darum, daß sie es sprechen. Nein, die Gewalt hast du nicht; sondern allein die göttliche Majestät. Sie sagen also: Wenn der Pabst ein Wort spricht, und sagt: die Sünden sind dir vergeben: so sind sie hinweg, wenn du schon nicht Reue hast noch glaubst. Damit meinen sie, es stehe in ihrer Gewalt, den Himmel zu geben und zu nehmen, auf- oder zuschließen, in Himmel setzen oder in die Hölle werfen; das wird noch lange nicht geschehen. Denn daraus wollte folgen, daß unsere Seligkeit in Menschenwerken Kräften und Gewalt stünde.“ – (S. 176) Ich habe es leider, als ich zum ersten Mal wieder in Deutschland war, von einem hochangesehenen, gläubigen Prediger mit eigenen Ohren gehört: „Ja, ein Laie kann dir auch manche tröstliche Wahrheit sagen, aber absolviren kann er dich nicht. Das ist ein Privilegium, welches Gott seinen von der Kirche ordinirten und eingesetzten Dienern gegeben hat.“ Was muß ein solcher Mann sich unter Absolution gedacht haben? Nichts anderes, als die papistische Vorstellung muß in ihm gewesen sein. Es ist das übrigens schon über dreißig Jahre her. Da kam ich denn auch mit ihm tüchtig zusammen, aber er ließ sich nicht weisen. Aber es ist schrecklich, schrecklich, zu sagen: „Ja, wenn der Pastor es sagt, dann sind dir, deine Sünden vergeben; wenn es aber ein Laie sagt, dann sind sie nicht vergeben.“ Gerade wie der Pabst redet! Nein, darin ruht es nicht, daß der Pastor eine so geheimnißvolle Kraft hätte, die Sünden wegzunehmen, sondern darin ruht es, daß Christus die Sünden schon weggenommen hat und daß nun jeder es dem andern sagen soll, und sonderlich auch die Prediger, nicht weil sie eine besondere Kraft hätten, sondern weil es Gottes Ordnung ist: die Prediger sollen die Gnadenmittel, Wort und Sacrament, verwalten. Aber in der Noth, da zeigt es sich, daß auch ein Laie das thun kann, gerade so gut, wie ein Prälat oder Superintendent. Hieraus erkennen Sie auch: unsere Lehre von der Absolution ist das directe Gegentheil zu der Lehre der Papisten. Es ist keine Spur von Papismus da. Der Pabst verflucht und verdammt unsere Lehre. Er sagt ja, daß überhaupt kein Mensch seiner Seligkeit könne gewiß sein, oder daß er gerechtfertigt sei. Bellarmin, der sogenannte größte Theologe unter den Papisten, schreibt (De justificatione c. 3): „Die Meinung ist bei fast allen Theologen die gewöhnliche, daß sie lehren, daß die Menschen in diesem Leben keine Gewißheit des Glaubens über ihre Gerechtigkeit haben können, mit Ausnahme derjenigen, welche Gott würdigt, ihnen dies durch eine besondere Offenbarung anzukündigen.“ Er will sagen: „Ich will dir die Bibel geben. Nun suche darin deinen Namen und siehe, ob da dir insonderheit die Versicherung der Vergebung deiner Sünden gegeben wird. Du wirst deinen Namen nicht finden. Aber es gibt einige Männer, wie Petrus und Paulus; solchen hat es Gott auf übernatürliche Weise offenbart. Aber du kannst deiner Rechtfertigung und Seligkeit nicht gewiß sein.“ Ist das nicht eine schändliche Teufelslehre? Die papistische Kirche nennt sich eine Mutter aller Kirchen, und raubt doch den Christen allen Trost, sagt ihnen ins Angesicht: „Ihr könnt nicht gewiß sein, ob ihr selig werdet. Ihr müßt damit warten bis nach dem Tode, bis zur Ewigkeit, da wird es sich schon zeigen.“ Eine schreckliche, teuflische Grausamkeit! – (S. 177) Luther schreibt weiter: „Darum, weil das wider die ganze heilige Schrift ist, kann es nicht also sein, wenn du zuschleußest oder aufthust, daß darum müsse geschlossen und aufgethan sein. Darum muß man es recht verstehen, wenn Christus spricht: Welchen ihr die Sünden erlasset, denen sind sie erlassen etc., daß da nicht wird eingesetzt die Gewalt deß, der da spricht, sondern deren, die da glauben.“ – Weil der Glaube selig macht, darum ist meine Absolution gültig, nicht weil ich sie spreche. Wenn ich auch ein ganz heiliger Mensch wäre, wenn auch gar nichts Unrechtes an mir wäre, so daß man keinen Tadel an mir finden könnte, wenn ich alle Heiligkeit hätte, wenn ich ein Erzengel wäre, so hilft das alles nicht das Geringste, um die Absolution gültig zu machen. Aber wenn ich das Wort des Evangeliums sage, ohne welches niemand zur Seligkeit kommen kann, das ist kräftig und gut. Nun folge noch eine Stelle aus Luthers Schrift von den Schlüsseln. Das ist eine ganz unvergleichliche Schrift! Wenigstens ich muß sagen, aus dieser Schrift habe ich erst gelernt, was Evangelium ist. Ich hatte gemeint, ich wüßte es, und wußte es damals doch noch nicht. Aus dieser Schrift habe ich es gelernt. Gott sei ewig Lob und Dank dafür! Als ich zum Christenthum kam, gerieth ich unter die Pietisten. Dann kam ich über Luthers Schriften, und da las ich auch diese. Luther schrieb schon früher eine Schrift über die Schlüssel. Und wie er sie durchliest, gefällt sie ihm nicht und er kassirt sie, denkt, er muß noch einmal von vorne anfangen. Veit Dietrich hört das, schreibt an ihn und bittet ihn kläglich, er möchte ihm doch diese Schrift schicken. Er bekam sie auch, aber mit der Bedingung, daß er sie nie drucken lasse und niemandem zeige, denn die Schrift wäre nicht so, wie er sie hätte haben wollen. Er hätte eine andere gemacht. Aber im vorigen Jahrhundert ist sie doch gedruckt worden. Ich habe sie auch. Sie ist ganz vortrefflich, aber die letzte Schrift von den Schlüsseln geht doch noch weit drüber. In derselben (W. XIX, 1172–1177) heißt es: „Darnach denke, daß die Schlüssel oder Vergebung der Sünden nicht stehet auf unserer Reue oder Würdigkeit, wie sie lehren und verkehren; denn das ist ganz pelagianisch, türkisch, heidnisch, jüdisch, wiedertäuferisch, schwärmerisch und endechristisch.“ – Da kommen schöne Prädikate heraus! So ist es auch: sobald meine Sache auf eigene Reue gegründet ist, dann brauche ich keinen HErrn Christus. Die Reue ist wohl nöthig, aber nicht, damit ich mir Sündenvergebung erwerbe. Denn wenn ich ein hochmüthiger, pharisäischer Mensch bin, was frage ich da nach Vergebung der Sünden? Dann geht es mir so, wie einem, der sich toll und voll gefressen und gesoffen hat, und man setzt ihm die köstlichsten Speisen und Getränke vor, so sagt (S. 178) er bloß: „Hm! Hm!“ So sind die allermeisten sogenannten Christen. Sie haben sich toll und voll gegessen, und wenn man ihnen diese köstliche Speise für ihre Seele bringt, so sagen sie: „N – o – !!“ Also Reue, Reue ist nöthig. Man mißverstehe unsern guten Luther nicht! Er hat solch fleischlich sicheren Sündern den Trost des Evangeliums nicht verkündigt, hat sie nicht getröstet. Aber wenn einer Reue hatte, so daß er Verlangen hatte nach der Vergebung der Sünden, so sagte er: „Da, nimm sie hin, so hast du sie!“ – „sondern wiederum, daß unsere Reue, Werk, Herz und was wir sind, sollen sich auf die Schlüssel bauen und mit ganzem Erwägen getrost darauf verlassen, als auf Gottes Wort, und bei Leibs und Seelen Verlust ja nicht zweifeln, was dir die Schlüssel sagen und geben, es sei so gewiß, als rede es Gott selber; wie er’s denn gewißlich selbst redet; denn es ist sein Befehl und Wort und nicht eines Menschen Wort oder Befehl.“ – Er will sagen: Du mußt nicht denken: Ja, wie ist es denn mit meiner Reue? Ist sie hinreichend? Nein, so sollst du nicht denken. Darauf seine Hoffnung gründen heißt: sie bauen auf eitel Sand! Sondern umgekehrt sollst du denken: „Gott Lob! ich habe doch jetzt die Absolution erhalten, darum ist auch jetzt meine Reue gut!“ Ja, man soll nicht die Absolution auf die Reue bauen, sondern auf die Absolution die Reue bauen. So ist es richtig! – „Zweifelst du aber, so lügenstrafest du Gott, verkehrst seine Ordnung und bauest seine Schlüssel auf deine Reue und Würdigkeit. Reuen sollst du, das ist wahr, aber daß darum die Vergebung der Sünden sollte gewiß werden und des Schlüssels Werk bestätigen, das heißt den Glauben verlassen und Christum verleugnet. Er will dir die Sünde nicht um deinetwillen, sondern um sein selbst willen, aus lauter Gnaden, durch den Schlüssel vergeben und schenken.“ – Christus hat so gesagt: „Dir sind deine Sünden vergeben.“ Hat er es gesagt, so glaube es. Glaubst du es nicht, so sprichst du selbst, daß Christus ein Lügner sei. Wenn dann wir Prediger einem solchen zehnmal die Vergebung zusprechen, es hilft doch nichts bei ihm. Wir können eben den Leuten nicht in das Herz sehen, aber das haben wir auch gar nicht nöthig; wir sollen nur dem lieben Gott in das Wort sehen. Daraus wissen wir, daß Gott die ganze Welt absolvirt hat. So ist es gewiß, daß allen die Sünden vergeben sind. Da wird vielleicht mancher sagen: „So? Da sind auch dem die Sünden vergeben, der ein gottloser Bösewicht ist, der vielleicht gerade mit dem Gedanken umgeht, heute Abend einzubrechen und zu stehlen und rauben?“ Ja wohl, aber woran liegt es, daß ihm die Absolution nichts nützt? Er nimmt die Vergebung nicht an, er glaubt nicht an die Absolution. Denn wenn er dem Heiligen Geist glaubte, dann würde er das (S. 179) Stehlen lassen. Fragen Sie aber weiter: „Ist es denn recht, einen solchen Buben zu absolviren?“ so ist zu antworten: „Ja, das ist unrecht, wenn er mir als ein solcher bekannt ist, weil ich weiß, er nimmt die Vergebung nicht an. Weiß ich das, so ist es eine große, schwere Sünde, wenn ich diese heilige Handlung an ihm vollziehe, wenn ich die Perlen also vor die Säue werfe. Aber gültig ist die Absolution und sie bleibt gültig. Und wenn Judas die Absolution empfangen hätte, so wären ihm die Sünden vergeben worden vom lieben Gott, aber er nimmt es nicht an. Soll ich diesen Schatz bekommen, so gehört zweierlei dazu: einer, der ihn gibt, und ein andrer, der ihn nimmt. Ein solcher Mensch aber nimmt ihn nicht an, wenn er es sich auch einbildet und mit dem Mund sagt: „Ich nehme ihn an.“ Sein Herz sagt: „Ich will doch lieber dem Teufel dienen und in meinem Sündenleben fortfahren.“ Aber sicher macht diese Lehre nicht, sondern sie holt den Menschen heraus aus dem Reich des Teufels, gründlich und radical, nicht wie die Moralisten, die nur den Menschen weiß anstreichen und der schwarze Mensch steckt darunter.“ –– „Christus spricht: Was ihr bindet auf Erden etc. Merke hie, daß er gewiß, gewiß zugesagt, es solle gebunden und los sein, was wir auf Erden binden und lösen; hie ist kein Fehlschlüssel. Er spricht nicht: Was ich im Himmel binde und löse, das sollt ihr auf Erden auch binden und lösen, wie die Lehrer des Fehlschlüssels narren. Wann wollten wir erfahren, was Gott im Himmel binde oder lösete? Nimmermehr, und wären die Schlüssel vergebens und kein nütze.“ – So sprechen nämlich die Papisten mit ihrer schändlichen falschen Lehre. Wenn ihnen einer sagt: „Was hilft denn diese Absolution, wenn der Betreffende ein Bösewicht ist? Absolvirt ihr den auch?“ „Da sagen sie: „Ja, bei dem ist der Schlüssel ein Fehlschlüssel. Da haben wir nicht den rechten Schlüssel bekommen; der gehört nicht hierher und paßt nicht in das Schlüsselloch hinein.“ Aber unser Schlüssel fehlt nie; denn der sagt nur, was Gott gesagt hat. Aber der Mensch fehlt. Ist er noch unbußfertig, so hilft ihm der Löseschlüssel gar nichts, sondern verdoppelt nur seine Verdammniß. – „Spricht auch nicht: Ihr sollt wissen, was ich im Himmel binde und löse; wer wollt’s oder könnt’s wissen? Sondern so spricht er: Bindet ihr und löset auf Erden, so will ich mitbinden und lösen im Himmel; thut ihr der Schlüssel Werk, so will ich’s auch thun ; ja, wenn ihr’s thut, so soll’s gethan sein, und ist nicht noth, daß ich’s euch nachthue. Was ihr bindet und löset (spreche ich), das will ich weder binden noch lösen, sondern es soll gebunden oder los sein ohne mein Binden und Lösen; es soll einerlei Werk sein, meines und eures, nicht zweierlei; thut euer Werk, so ist meines schon geschehen; bindet und löset ihr, (S. 180) so habe ich schon gebunden und gelöset. Er verpflichtet und verbindet sich an unser Werk, ja, er befiehlet uns sein selbst eigen Werk; warum sollten wir’s denn ungewiß machen, oder umkehren und vorgeben, er müsse vorhin binden und lösen im Himmel? Gerade als wäre sein Binden und Lösen im Himmel ein anderes, denn unser Binden und Lösen auf Erden, oder als hätte er andere Schlüssel droben im Himmel, denn diese auf Erden, so er doch deutlich und klärlich saget, es seien des Himmels Schlüssel und nicht der Erde Schlüssel.“ – Die Himmelsschlüssel haben wir hier auf Erden. – “Es kommen aber solche Gedanken von zweierlei Schlüsseln daher, daß man Gottes Wort nicht für Gottes Wort hält, sondern weil es durch Menschen gesprochen wird, so siehet man es eben an, als wären’s Menschenworte, und denkt, Gott sei hoch droben und weit, weit, weit von solchem Wort, das auf Erden ist, gaffet darnach gen Himmel hinauf und dichtet noch andere Schlüssel. . . . Laß dich hie nicht irren das pharisäische Geschwätz, damit sich etliche selbst närren, wie ein Mensch möge Sünde vergeben, so er doch die Gnade nicht geben kann, noch den Heiligen Geist. Bleibe du bei den Worten Christi und sei du gewiß, daß Gott keine andere Weise hat, die Sünde zu vergeben, denn durch das mündliche Wort, so er uns Menschen befohlen hat. Wo du nicht die Vergebung im Worte suchst, wirst du umsonst gen Himmel gaffen nach der Gnade oder, wie sie sagen, nach der innerlichen Vergebung.“ – Die Schwärmer sagen, auf die innerliche Vergebung komme es hauptsächlich an. Und sie wissen nie, ob es wirklich die innerliche Vergebung des Heiligen Geistes oder ihres Schwarmgeistes ist. – „Sprichst du aber, wie die Rottengeister und Sophisten auch thun: Hören doch viel der Schlüssel Binden und Lösen, kehren sich dennoch nicht daran und bleiben ungebunden und ungelöset, darum muß etwas anderes da sein, denn das Wort und die Schlüssel: der Geist, Geist, Geist muß es thun. Meinst du aber, daß der nicht gebunden sei, der dem Bindeschlüssel nicht gläubet? Er soll’s wohl erfahren zu seiner Zeit, daß um seines Unglaubens willen das Binden nicht vergeblich gewesen ist, noch gefehlet hat. Also auch, wer nicht gläubet, daß er los sei und seine Sünde vergeben, der soll’s mit der Zeit auch wohl erfahren, wie gar gewiß ihm seine Sünden jetzt vergeben sind gewesen und er’s nicht hat wollen gläuben. St. Paulus spricht Röm. 3,3.: Um unsers Unglaubens willen wird Gott nicht fehlen. So reden wir auch jetzt nicht, wer den Schlüsseln gläubt oder nicht; wissen fast wohl, daß wenig gläuben; sondern wir reden davon, was die Schlüssel thun und geben“ – (S. 181) Mancher wird sich einst wundern, wenn ihm der liebe Gott alle die Sonntage vorrechnen wird, an welchen er ihn hat absolviren wollen, und er hat es nicht geglaubt, hat Gott zum Lügner gemacht; wie oft er an des Himmels Thor gestanden hat, und er hat nicht hineingehen wollen. – „Wer’s nicht annimmt, der hat freilich nichts; der Schlüssel fehlet darum nicht. Viel gläuben dem Evangelio nicht, aber das Evangelium fehlet und lüget darum nicht. Ein König gibt dir ein Schloß; nimmst du es nicht an, so hat der König darum nicht gelogen, noch gefehlet, sondern du hast dich betrogen und ist deine Schuld, der König hat’s gewiß gegeben.“ – Das müssen Sie anwenden auf die Absolution. Da gibt Gott allen Vergebung. Und die Sünde ist dir wirklich vergeben, wenn du es auch nicht glaubst, sondern im Unglauben dich herumdrehst und denkst: „Was kann mir der elende Mensch vergeben?“ Ach du armer Mensch! Der vergibt dir ja die Sünden nicht, sondern Gott selbst thut es. Der Prediger kann selbst ein Kind der Hölle sein, und deine Sünden werden dir durch die von ihm gesprochene Absolution doch vergeben. Warum? Weil er es in Gottes Namen und in Gottes Auftrag thut. So hat oft ein König einen gottlosen Diener geschickt, und die Befehle, die durch ihn an die Unterthanen ergingen, waren doch ebenso gültig, als wenn der König sie selbst ertheilt hätte mit seinem eigenen Munde. – „Denn es ist Gottes Befehl und Wort, das jener spricht und dieser hört; sind beide schuldig bei ihrer Seelen Seligkeit, solches so gewiß und fest zu gläuben, als alle andern Artikel des Glaubens.“ – Ja, auch der Prediger ist schuldig zu glauben, daß die Sünden alle vergeben werden, wenn er die Absolution spricht. Thut er das nicht, so ist er ein elender Frevler, daß er es wagt, sein Maul aufzumachen und dabei im Herzen denkt: „Das ist nur eine Komödie für das einfältige Volk.“

 

- FORTSETZUNG -