C. F. W. Walther (1811-1887):

Die rechte Unterscheidung von Gesetz und Evangelium.


Fünfundzwanzigste Abendvorlesung. (24. April 1885.)

 

Unter den mancherlei schweren und harten Aufgaben, die ein Diener JEsu Christi hat, ist ohne Zweifel der allerschwerste und allerhärteste Dienst der, daß er nicht nur die reine Lehre des Evangeliums von Christo verkündige, sondern auch die entgegenstehenden Lehren ans Licht ziehen, sie widerlegen und verwerfen soll. Denn thut er das, was ist dann die Folge? Es bewährt sich an ihm jenes alte Sprüchwort: „Veritas odium parit. Die Wahrheit erzeugt Haß.“ Hätte einst der treue Athanasius nur seine Lehre getreulich verkündigt, daß JEsus Christus sei wahrhaftiger Gott, vom Vater in Einigkeit geboren, und auch wahrhaftiger Mensch, von der Jungfrau Maria geboren, hätte er nicht zugleich den Arius und die Arianer angegriffen mit großem Ernst, welche dies leugneten, er würde ohne Zweifel als ein hochbegabter Mann in Ehre und gutem Frieden sein Leben geführt und im Frieden beschlossen haben. Hätte es Luther gemacht, wie Staupitz, hätte er nämlich das reine Evangelium zwar seine Ordensbrüder in aller Stille gelehrt, aber nicht zugleich den Greuel des Pabstthums mit großem Ernst angegriffen, so hätte man ihm auch nicht ein Härlein gekrümmt; denn bisher war das oft der Fall gewesen, daß die Mönche zur Erkenntniß des Evangeliums (S. 255) gekommen waren, und dies auch ausgesprochen hatten, aber sie traten nicht heraus, bekämpften nicht die Irrthümer des Pabstthums, und so ließ man sie ruhig gewähren, wenn sie sich nur zum Centrum der römisch-katholischen Kirche hielten, das heißt: zum Pabst. Die Welt und alle falschen Christen können nicht anders, sie müssen diejenigen, welche anders glauben und lehren, angreifen und darum als Friedensstörer, für friedenshässige, streitsüchtige und boshaftige Menschen ansehen. Ach, die armen Leute ahnen in ihrer Verblendung nicht, wie gerne zugleich die tapfersten Streiter Christi je und je auch Frieden gehabt hätten mit allen Menschen, wie gern sie geschwiegen hätten, wie schwer es ihrem Fleisch und Blut wurde, öffentlich aufzutreten und nun der Gegenstand des Hasses, der Feindschaft, der Schmähungen und Lästerungen, ja, der Verfolgung zu werden. Aber eben, sie konnten auch nicht anders, sie mußten nicht nur die Wahrheit bekennen, sondern mußten auch gegen den Irrthum auftreten. Ihr Gewissen nöthigte sie dazu. Warum? Weil Gottes Wort dies verlangt. Sie dachten daran, daß JEsus Christus nicht nur zu seinen lieben Jüngern gesagt hat: „Ihr seid das Licht der Welt“, sondern auch hinzusetzt: „Ihr seid das Salz der Erde“, das heißt: „Ihr sollt nicht nur die Wahrheit verkündigen, sondern sollt auch die Welt mit ihren Sünden und Irrthümern salzen, sollt beißendes Salz darauf streuen, damit die Welt nicht verfaule.“ Sie dachten daran, daß Christus ausdrücklich gesagt hat: „Ihr sollt nicht wähnen, daß ich gekommen sei, Frieden zu senden auf Erden. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert.“ Nicht als ob der HErr ein Gefallen daran hätte, wenn Krieg entsteht und der Friede aufgehoben wird, nicht als ob er in die Welt gekommen wäre, um Uneinigkeit und Zwiespalt anzurichten, sondern der HErr will sagen: „Meine Lehre ist von solcher Beschaffenheit, daß, wo sie nach Ja und Nein recht verkündigt wird, unmöglich unter den Menschen Friede bleiben kann. Denn sobald dieses Wort verkündigt wird, dann theilen sich die Menschen in zwei Klassen; die einen nehmen das Wort mit Freuden auf, die andern ärgern sich daran und fangen nun an, diejenigen, die es annehmen, zu hassen und zu verfolgen. Rechte Prediger denken ferner daran, daß ja die Kirche nicht ein Reich ist, welches man im Frieden bauen kann; denn die Kirche befindet sich hier in des Teufels Haus, der Teufel ist der Fürst dieser Welt. Da ist es nicht anders möglich: die Kirche muß stets im Streit sein. Sie ist eine ecclesia militans, eine streitende Kirche, und wird es bleiben bis an den lieben jüngsten Tag. Wo eine Kirche nicht eine ecclesia militans ist, sondern eine ecclesia quiescens, da ist sicher die falsche Kirche. Ein rechtschaffener Prediger weiß ferner auch, daß er ja ein Hirte ist. (S. 256) Aber was hilft es, wenn ein Hirte zwar die Schafe auf grüne Weide führt, aber, sobald der Wolf kommt, flieht? Denn dann gilt es, dem Wolf entgegenzustehen, der die Schafe zerreißen will, und das ist eben im Reiche Gottes „kämpfen“. Ein rechter Prediger weiß auch, daß er ein rechter Säemann sein soll. Aber was nützt es, wenn einer guten Weizen aussät und es ruhig geschehen läßt, wenn ein andrer zwischen seinen Weizen das Unkraut seiner falschen Lehre aussät? – und es dauert nicht lange, so wuchert das Unkraut über den Weizen und erstickt ihn. Das lassen denn auch Sie, meine theuren Freunde, sich gesagt sein! Wollen Sie treue Diener Christi sein, so ist es unmöglich, daß Sie das werden ohne Kampf und Streit gegen die falsche Lehre, gegen das falsche Evangelium, gegen den falschen Glauben. Wohl wird dann Ihr Loos ein vor der Welt nicht sonderlich begehrenswerthes sein. Schon der weise Sirach sagt: „Willst du Gottes Diener sein, so schicke dich zur Anfechtung.“ Sir. 2,1. Er will sagen: „Es ist gar nicht anders möglich, willst du ein treuer Diener Gottes werden, so wirst du auch angefochten werden.“ Wer keine Anfechtung erfährt, der mag noch so fleißig sein in seinem Amt, es ist nicht der rechte Fleiß. Wo der rechte Fleiß ist, da pflanzt man nicht nur, da baut man nicht nur, sondern da hat man auch das Schwert an seine Seite gegürtet, da zieht man hinaus in den Streit und führt des HErrn Kriege. Darum machen Sie zu Ihrer Losung:

 

„Hier durch Spott und Hohn, dort die Ehrenkron!

Hier im Hoffen und im Glauben,

Dort im Haben und im Schauen!

Denn die Ehrenkron folgt auf Spott und Hohn.“

 

Aber das lassen Sie zugleich auch Ihren Trost sein! Denn wie gesagt, Ihre Sache wird als eine boshaftige verworfen werden, wenn Sie nicht alles lassen recht und gut sein, was andere meinen; aber so wird auch Ihre Sache desto heller glänzen droben im Himmel. Gott wird dann zu Ihnen sprechen: „Ei du frommer und getreuer Knecht, du bist über wenigem getreu gewesen, ich will dich über viel setzen! Gehe ein zu deines HErrn Freude!“ Dann werden wir uns recht erquicken, wenn wir aus der gottlosen Welt und der Gemeinschaft der falschen Christen heraus sind, wo unsere besten Werke so schändlich verlästert wurden als die ärgsten Greuel, wenn der HErr Christus dann sagen wird: „So war es recht! Du hast es recht gemacht! Du hast nicht nach guten Tagen getrachtet, sondern wolltest nur das, was ich dir anvertraut hatte, getreulich bewahren.“ Aber bedenken Sie auch hierbei: je versteckter ein Irrthum ist, desto gefährlicher ist er, und desto nöthiger ist es, daß er ans Licht gezogen und bekämpft werde. Und daran erinnert uns auch die vierzehnte Thesis. (S. 257)

 

Thesis XIV.

Gottes Wort wird zehntens nicht recht getheilt, wenn man den Glauben fordert als eine Bedingung der Rechtfertigung und Seligkeit, als ob der Mensch nicht allein durch, sondern auch wegen des Glaubens, um des Glaubens willen und in Ansehung des Glaubens vor Gott gerecht und selig werde.

 

Es gibt viele, die meinen: wenn ein Prediger immer predige, daß der Mensch durch den Glauben an Christum vor Gott gerecht und selig werde, der sei doch offenbar ein echter evangelischer Prediger. Was könnte man noch mehr verlangen? Das sei doch der innerste Kern des Evangeliums und des Wortes Gottes. Ja, wenn das in Wahrheit geschieht, so ist das richtig. Ein solcher ist gewiß ein rechter evangelischer Prediger. Aber daß man ein solcher ist, das folgt nicht allein daraus, daß man diese Worte gebraucht: „Der Mensch wird allein durch den Glauben vor Gott gerecht und selig“, sondern daß man diese Worte auch in dem rechten Sinn nimmt, daß man unter Glauben auch das versteht, was die heilige Schrift sagt, wenn sie vom Glauben redet. Aber daran fehlt es eben. Man versteht etwas ganz anderes darunter, als die Propheten, die Apostel und der HErr Christus darunter verstanden haben. Von den Rationalisten will ich gar nicht reden. Die haben gepredigt: „Freilich wird der Mensch durch den Glauben selig.“ Aber was nannten sie denn Glauben? Sie meinten, der Glaube an JEsum Christum sei nichts anderes, als die Annahme der herrlichen Tugendlehren, die JEsus gepredigt habe. Wenn man diese Tugendlehren annehme, sei man ein rechter Jünger des HErrn, dann würde man gerecht und selig. Sie dürfen nur ein echt radicales, rationalistisches Buch aus jener Zeit hernehmen, so werden Sie sehen: Das wurde gepredigt zur Zeit des vulgären Rationalismus. Ja, auch die Papisten sind nicht abgeneigt, zu sagen: „Der Glaube macht gerecht und selig vor Gott“, und wenn man sie drängt, gehen sie vielleicht auch so weit und sagen: „Allein der Glaube macht gerecht und selig.“ Aber was verstehen sie unter Glauben? Nur die fides formata, den Glauben, der auch die Liebe bei sich hat. Und so können sie vom Glauben manches Herrliche sagen und dennoch das gerade Gegentheil von dem Glauben meinen, den die heilige Schrift lehrt. – Auch alle modernen Theologen haben in ihren Postillen und Erbauungsschriften diese Lehre: „Der Mensch wird durch den Glauben vor Gott gerecht und selig.“ Aber was verstehen sie unter Glauben? Nichts anderes, (S. 258) als etwas, was der Mensch sich selbst gibt, was der Mensch selbst wirkt. Sie verstehen darunter eigentlich ein Product der menschlichen Kraft und des menschlichen Entschlusses, und damit ist das ganze Evangelium wieder umgestoßen. – Wenn aber Gottes Wort sagt: „Der Mensch wird gerecht und selig allein durch den Glauben“, so will die Schrift nichts anderes sagen, als: „Der Mensch wird nicht durch sein eigen Thun selig, sondern allein durch das Thun und Leiden seines HErrn und Heilandes JEsu Christi, des Erlösers der ganzen Welt.“ Die neueren Theologen sagen hingegen: „Es gibt eben zweierlei Werke. Erstens ist etwas nöthig von Seiten Gottes. Der muß das Schwerste, das Erlösungswerk, vollbringen. Nun wird aber auch vom Menschen etwas gefordert. Denn das geht nicht so, als ob der Mensch nun ohne Weiteres in den Himmel kommen könnte. Nein, der Mensch muß auch etwas thun, und noch dazu etwas Großes – er muß glauben.“ Damit ist aber das ganze Evangelium umgestoßen. Ach, wie schön reden sie oft in ihren Predigten, und dann kommt es heraus, sie meinen etwas total Anderes! Die Schrift lehrt klar und deutlich: Der Mensch wird nicht durch das selig, was der Mensch thut, was er selbst leistet, sondern durch das, was Gott thut und leistet. Hören Sie z.B., was Luthardt sagt (Compend., S. 202): „Auf der andern Seite wird Buße und Glaube vom Menschen gefordert als seine Leistung: metanoeite kai pisteuete – auf allen Stufen der Heilsgeschichte. Der Forderung der Buße soll und kann der Berufene alsbald nachkommen, Ps. 95,7.f. Hebr. 4,7.ff., und der Glaube ist freier Gehorsam, den der Mensch leistet.“ Merken Sie wohl auf das Wort „leisten“. Was ist eine Leistung? Es ist eine Pflicht, die ich zu erfüllen habe, um irgend etwas dafür zu erhalten. Aber der Glaube ist nicht eine Leistung. Denn wäre er eine Bedingung, die mir Gott gestellt hätte, dann hätte Gott gleichsam gesagt: „Ich habe das Meine gethan, nun thue du auch das Deine. Ich fordere nicht viel von dir, aber doch Buße und Glaube.“ Ist das aber ein Geschenk, wenn ich sage: „Ich schenke dir das, aber du mußt auch das dafür thun“? Nein, das ist kein Geschenk. Wenn ich etwas nur deswegen schenke, weil der andere die und die Bedingung erfüllt, so hört es auf, ein Geschenk zu sein. Hier in America sind viele Geschenke nicht gültig; daher man, wenn man etwas schenken will, ohne fürchten zu müssen, daß es vom Gesetz umgestoßen werden kann, für etwas Großes sich etwa einen Dollar geben läßt. Dann kann es nicht durch das Gesetz umgestoßen werden. Warum nicht? Weil es nach dem Begriff „Kaufen“ wirklich ein Kauf ist, während das betreffende Eigenthum vielleicht (S. 259) Millionen werth ist. Man umgeht damit das Gesetz, aber man zeigt doch an, daß ein wesentlicher Unterschied ist zwischen Schenken und Verkaufen. Sobald also Gott eine Leistung von mir fordert, mag sie auch keine so unermeßlich schwere sein – wiewohl sie unermeßlich groß und schwer wäre, wenn diese Leistung nicht vom lieben Gott geleistet würde – aber gesetzt den Fall, sie wäre leicht, dann wäre es keine Schenkung, dann hätte uns Gott seinen Sohn nicht gegeben, sondern er hätte uns denselben angeboten unter einer gewissen Bedingung. Aber so ist es nicht. Der Apostel Paulus spricht: „Und werden ohne Verdienst (dorean) gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, so durch Christum JEsum geschehen ist.“ Also wir werden gerecht „dorean“, ohne irgend etwas, ohne das Geringste von unserer Seite. Darum, Gott Lob! wir armen Sünder haben eine Zuflucht, wohin wir uns flüchten können, wenn wir auch als ganz verlorne Menschen kommen, die nichts bezahlen können, als bettelarmes Leute, die auch nicht die geringste Kraft haben, dem lieben Gott etwas anzubieten von ihren eigenen Leistungen. Wohl uns, wir haben ein Evangelium, das verkündigt uns: „Hier ist Zuflucht für Sünder!“ JEsus Christus ist der treue Heiland, zu dem können alle fliehen. Und wir sollen ihm nichts anbieten als daß wir sprechen: „Hier sind meine Sünden!“ Dann fragt mich gleichsam Christus: „Hast du auch weiter nichts?“ Und antworte ich: „Nein, nur meine Sünden habe ich!“ dann sagt er: „Gut, dann bist du auch der Rechte für mich.“ Sobald einer kommt und ihm etwas anbieten will, so verleugnet er den HErrn JEsum. „Denn es ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, darin sie sollen selig werden“, als allein der theure Name Jesus. Also merken Sie wohl: Es ist eine große, schreckliche Verkehrung des Evangeliums, wenn man den Glauben fordert, als wäre das die Bedingung der Rechtfertigung und Seligkeit. Wenn ein Bettelmann zu Ihnen kommt, und bittet um ein Almosen, werden Sie ihm dann sagen: „Ja, unter einer gewissen Bedingung will ich dir etwas geben“? Er würde fragen: „Unter welcher denn?“ „Nun, daß du es nimmst!“ Der würde denken, Sie machen Spaß, würde lachen und sagen: „Ja, das will ich gerne thun; und je mehr Sie geben, desto fröhlicher will ich nehmen.“ – Aber es ist eine greuliche Verkehrung des Evangeliums, wenn ich den Glauben zur Bedingung mache. Freilich, willst du nicht glauben, dann kann dir kein Mensch helfen. Aber du sollst einmal nicht sagen: „Gott hat mir wohl Gnade angeboten, aber unter einer Bedingung, und die war zu schwer.“ Nein, unter keiner Bedingung hat er dir Gnade angeboten. Gott hat keine Bedingung gemacht, sondern er hat es dir hingehalten und gesagt: „Da, nimm es!“ Wenn einer (S. 260) zu mir kommt und will etwas von mir haben, und ich sage: „Ja, ich will dir etwas schenken, wenn du arbeitest und mir den Garten umgräbst“, da wird der sagen: „Das ist mir ein schönes Geschenk! Da soll ich erst den ganzen Tag arbeiten?“ Nein, ich werde zu einem solchen sagen: „In der Bibel steht: „Wer nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen!“ Geh du ’mal hin und arbeite und laufe nicht so in der Welt herum!“ Wie leicht man aber hier abirren kann, sehen wir jetzt im Gnadenwahlslehrstreite. Unsere Gegner stoßen sich daran, daß wir lehren: „Wer zur Seligkeit erwählt ist, an dem hat Gott gar nichts vorausgesehen, das ihn bewogen hätte, ihn zu erwählen. Das ist freie Gnade.“ Das ist ihnen erschrecklich, daß bloß zwei Ursachen der Seligkeit sein sollen, wie die Concordienformel lehrt, nämlich Gottes Barmherzigkeit und Christi Verdienst. Warum ist das ihnen so erschrecklich? Ja, da sei Gott parteiisch; die einen erwähle er und die andern vernachlässige er und werfe sie weg! Aber da muß man mit dem alten Sprüchwort sagen: „Das dankt ihnen Herodes, daß sie solchen Schluß machen!“ Sie sollten bedenken, daß der Mensch allein durch den Glauben, nicht um des Glaubens willen vor Gott gerecht und selig wird. Aber sie denken: „Es muß doch noch ein Unterschied zwischen den Menschen da sein, sonst wäre die Parteilichkeit Gottes da!“ Doch, die alten Theologen haben gesagt, solche Leute, die Gott der Parteilichkeit zeihen, die wären werth, daß sie mit Ruthen gestäupt würden. Die deutschen Theologen gehen mehr grob heraus, aber unsere hiesigen Gegner sind mehr gewitzigt; sie bleiben bei dem Ausdruck der alten Dogmatiker und sagen: „Intuitu fidei“, in Ansehung des Glaubens habe Gott erwählt. Sie verbergen sich so hinter die alten Dogmatiker, aber das hilft ihnen gar nichts. Die Alten haben das gar nicht so gemeint, wie jene es meinen. Unsere Gegner sagen ja ganz offenbar: In Ansehung des Verhaltens des Menschen habe Gott beschlossen, gewisse Menschen zu erwählen; in Ansehung des „conduct“, und wie sie es auch immer ausdrücken. Sie machen offenbar etwas, das der Mensch thut, zum Grund der Seligkeit, sie mögen das drehen und wenden, wie sie wollen. Wenn ein Joh. Gerhard und ein Aegidius Hunnius heute von den Todten auferstehen und sehen würden, daß man sich auf der Seite unserer Gegner auf sie beruft in dieser Lehre von der Gnadenwahl, so würden sie die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Denn eine solche Lehre haben sie verworfen und verdammt, wie deutlich nachgewiesen werden kann. Joh. Gerhard schreibt (Locus de Evang. 26): „Wir halten, daß das Gesetz vom Evangelio unterschieden sei 3. in Betreff der Verheißungen. Die Verheißungen des Gesetzes sind bedingte, denn sie fordern einen voll- (S. 261) kommenen Gehorsam und verlangen die Bedingung vollkommener Erfüllung als Ursache. . . . Lev. 18,5.: „Darum sollt ihr meine Satzungen halten und meine Rechte. Denn welcher Mensch dieselbe thut, der wird dadurch leben.“ Aber die Verheißungen des Evangeliums sind Gnadenverheißungen und, daß ich so sage, geschenksweise (donative) gegeben. Daher das Evangelium genannt wird das Wort von der Gnade Gottes, und Röm. 4,16.: „Derhalben muß die Gerechtigkeit durch den Glauben kommen, auf daß sie sei aus Gnaden““ – Da sehen Sie: deswegen gehört diese Thesis hierher. Wer da sagt: „Der Glaube ist eine Bedingung, die das Evangelium stellt“, der macht die Verheißungen des Evangeliums auch zu bedingten. Und dadurch unterscheidet sich das Gesetz vom Evangelium. Das Gesetz verheißt nichts Gutes, außer unter der Bedingung, daß man das vollkommen halte, was es fordert; aber das Evangelium verheißt alles unbedingt als ein freies Geschenk. Kurzum, die Gnadenverheißungen fordern nichts vom Menschen. Denn wenn der HErr sagt: „Glaube!“ so fordert er nichts vom Menschen, sondern es ist das nichts als eine Aufforderung und Einladung: „Nimm das an! Ich will es dir gerne geben. Ich verlange nichts dafür. Ergreife es, eigne es dir an.“ – Wenn mir Gott etwas schenkt, so habe ich nichts zu erfüllen. Aber ich muß es annehmen. Wenn ich es nicht annehme, so habe ich es nicht; aber nicht, weil Gott eine Bedingung daran geknüpft hätte. Gerhard: „Der Glaube wird der Gnade nicht entgegengesetzt, wie das Ergreifen des Bettlers nicht der freien Güte entgegengesetzt wird.“ – Würde ein Bettler sagen: „Nun soll ich es auch wohl gar noch annehmen“? Nur ein Wahnsinniger würde so sagen. Ich würde ihm antworten: „Nein, du sollst es gar nicht annehmen, sondern mach, daß du fortkommst!“ Ferner schreibt Gerhard: „Das Wörtchen „wenn“ ist entweder ätiologisch oder syllogistisch, das heißt, es bezeichnet entweder die Ursache oder die Folge. In den Gesetzespredigten: „Wenn du das thust, wirst du leben“, ist das Wörtchen „wenn“ ätiologisch (bezeichnet die Ursache), sintemal der Gehorsam die Ursache ist, weswegen denen, die das Gesetz halten, das ewige Leben gegeben wird; aber in den evangelischen Verheißungen ist das Wörtchen „wenn“ syllogistisch (bezeichnet nur die Folge), denn es wird bezeichnet die Art und Weise (modus) der von Gott bestimmten Zueignung (applicationis), welche nur dem Glauben zukommt.“ Wenn man nun den Glauben eine Leistung nennt, so wird eine Bedingung gesetzt; denn ist es des Menschen Leistung, so ist es des Menschen Werk. Darum ist das ein schrecklicher Irrthum, der die ganze Theologie Luthardts vergiftet. (S. 262) Adam Osiander schreibt (Colleg. theol., tom. V, 140): „Der Glaube rechtfertigt nicht, insofern er ein Gehorsam und unter dem Gebot ist, denn auf diese Weise verhält er sich thätig, ist ein Werk und ist also etwas Gesetzliches, sondern insofern er empfängt und nach Art eines leidenden Werkzeugs zur Rechtfertigung hinzukommt.“ Da sehen Sie wieder, daß diese Thesis hierher gehört zum Unterschied des Gesetzes und des Evangeliums. Ist der Glaube ein Gehorsam, so ist er ein Gesetzeswerk; dann ist der Apostel Paulus ganz verkehrt gewesen, wenn er sagt, daß der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben. Aber er ist nicht verkehrt, sondern die neueren Theologen sind verkehrt. Der Glaube ist nur ein leidendes Werkzeug. Er ist nur wie eine Hand, in die ich einen Thaler hineinlege. Die Hand ist ein instrumentum passivum. Er bekommt den Thaler, wenn er nur die Hand nicht zurückzieht, sonst braucht er gar nichts zu thun. Ich thue, was zu thun ist. Das Hineinlegen ist es, was ihm hilft, nicht das Handausstrecken. Denn geht er zu einem Geizigen, so mag er immer die Hand hinstrecken, es hilft ihm nichts; der hetzt ihn wohl noch mit Hunden fort, wenn es ihm zu viel wird. Ferner schreibt Gerhard (Loc. de justific. § 179): „Etwas anderes ist es, wegen des Glaubens, etwas anderes, durch den Glauben gerechtfertigt werden. Jenes bezeichnet die verdienstliche Ursache, dieses aber die werkzeugliche.“ – Es muß eben ein Werkzeug da sein, damit das, was mir ein anderer umsonst anbietet, auch von mir nun genossen wird. – „Wir werden nicht gerechtfertigt wegen des Glaubens als eines Verdienstes, sondern durch den Glauben, der Christi Verdienst ergreift.“ – Nicht mein Verdienst, sondern Christi Verdienst macht mich selig. Jedoch darf man bei diesen Vergleichen die Regel nicht vergessen: „Omne simile est dissimile“, denn sonst wäre es kein Gleichniß. Denn indem ich die Hand ausstrecke, muß ich doch eine Bewegung machen. Hier beim Glauben ist es anders. Da bewirkt der liebe Gott auch das. Ich muß nur erst zugerichtet werden durch Gottes Gesetz. Wenn ich freilich in meinen Sünden dahinlebe und darin bleibe und will darin bleiben und verspotte Gottes Wort nur, dann kann er solches nicht in mir wirken. Joh. Olearius, der eigentlich Carpzovs Isagoge, dieses herrliche Werk, zu Ende gebracht hat, schreibt (Carpzovii Isag. in lib. symbol. p. 1361): „Der Glaube ist in Beziehung auf die Seligkeit nicht unser Werk“, – In einem gewissen Sinn kann man sagen: „Der Glaube ist unser Werk“, aber weil das falsch verstanden werden kann, soll man gar nicht so reden. Aber in einem gewissen Sinn ist es so, denn Gott glaubt nicht, sondern wir glauben, aber der Glaube ist nicht meine Leistung. (S. 263) Gott allein wirkt ihn in mir, ich habe nichts dazu beigetragen. – „sondern gehört zu der von Gott bestimmten Ordnung, und darum ist er auch keineswegs eine eigentliche sogenannte Bedingung“, – Das müssen Sie sich merken: Der Glaube ist nicht die Bedingung, sondern das Mittel! – „welche von dem Menschen abhängt, sondern eine vom lieben Gott erwiesene Wohlthat oder Erforderniß, bei dessen Darreichung das Subject sich leidentlich verhält, und das Werkzeug, welches die Seligkeit ergreift, keineswegs aber die thätige Ursache, die vom Menschen ausgeht oder auf die Bewirkung der Seligkeit nach Art einer eigentlich sogenannten Ursache einen Einfluß hat.“ Freilich sagen die alten Dogmatiker, der Glaube sei eine causa instrumentalis. Da sieht man aber, wie gefährlich es ist, wenn alles in causas zerlegt wird. Wie sie nun an den Glauben kamen, da dachten sie nach: „Was ist denn das nun für eine causa?“ Und da nannten sie ihn causa instrumentalis. Nehmen Sie aber die Bibel her und lesen Sie sie durch, und zeigen Sie mir eine einzige Stelle, wo gelehrt wird, daß der Mensch wegen des Glaubens gerecht wird! Sie sollen es wohl bleiben lassen! Es wird nie gesagt: „Wegen des Glaubens, weil ihr glaubt, deswegen, weil ihr glaubt etc., werdet ihr gerecht und selig“, sondern sobald von dem Verhältniß des Glaubens zur Gerechtigkeit die Rede ist, werden solche Worte gebraucht, die zeigen, daß der Glaube ein Mittel ist. Ich denke, das ist doch wahrlich Beweis genug, was Bibellehre ist. Und es hilft nichts: entweder legen Sie die Bibel beiseite und wählen sich einen andern Beruf, oder wollen Sie das nicht, weil der liebe Gott Sie gefangen hat, wohlan, dann gehen Sie aber auch streng nach Gottes Wort! Heerbrand schreibt in seinem Compendium, p. 379 – Dieses Compendium des ausgezeichneten Württemberger Theologen Heerbrand wurde sogar ins Griechische übersetzt und dem Patriarchen von Constantinopel geschickt – Heerbrand schreibt also: „Der Glaube ist nicht eine Bedingung, ist auch, eigentlich zu reden, nicht als Bedingung nöthig, weil die Rechtfertigung nicht wegen seiner Würdigkeit oder Verdienstlichkeit, oder insofern er ein Werk ist, verheißen und dargereicht wird. Denn der Glaube ist auch unvollkommen, aber er ist eine solche Art und Weise (modus), die Wohlthat, die dargereicht und durch und wegen Christo geschenkt worden ist, anzunehmen.“ – Wer wird aber so unvernünftig sein und sagen: „Dann ist es doch eine Bedingung“? – „Die Hand wird nicht die Bedingung genannt, sondern das Mittel und Instrument, mit welchem das Almosen empfangen wird.“ Endlich sagt Calov in seiner Biblia illustrata ad Rom. V,10.: „Wir sind nicht unter einer Bedingung erlöst, versöhnt und unsere Sün- (S. 264) den gesühnt, sondern schlechthin auf das Vollkommenste und Völligste, was das Verdienst und die Bewirkung betrifft, obwohl, was den thatsächlichen Genuß und die Aneignung betrifft, der Glaube nöthig ist, welcher nichts anderes ist, als die Aneignung jener Sühne und Genugthuung und Versöhnung Christi, weil, wenn einer für alle gestorben ist, dies nach Gottes Urtheil dasselbe ist, als wenn alle gestorben wären.“ Dieser goldene Spruch, 2 Cor. 5,14., leuchtet selbst in der Heiligen Schrift wie eine Sonne. Da Christus nun für alle gestorben ist den Tod der Versöhnung, so ist es, als hätten alle Menschen den Tod der Versöhnung erduldet. Daraus folgt, daß ich nicht den geringsten Zweifel haben soll, sondern gewißlich sagen kann: „Ich bin erlöst, ich bin versöhnt, die Seligkeit ist mir schon erworben.“

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