C. F. W. Walther (1811-1887):

Die rechte Unterscheidung von Gesetz und Evangelium.


Siebenundzwanzigste Abendvorlesung. (8. Mai 1885.)

 

Die ganze Menschheit besteht bekanntlich aus drei von Gott selbst gestifteten und verordneten Ständen, dem Lehrstand, dem Nährstand und dem Wehrstand, wie man es auszudrücken pflegt. Und keiner dieser von Gott geordneten Stände ist gering zu schätzen; – sagt doch David im 111. Psalm: „Was er ordnet, das ist löblich und herrlich“ – denn in jedem jener drei Stände kann jeder Mensch den Weg zum Himmel wandeln, kann jeder Gott und den Kindern Gottes gefallen, kann jeder Gott und seinem Nächsten dienen. Was will man mehr? Im Lehrstand dies Lehrer in Kirche und Schule; im Nährstand der Bauer, der Professionist, der Künstler und der Gelehrte; im Wehrstand endlich der Regent, der Staatsbeamte, der Jurist und der Soldat. Zwar ist nun gerade der Lehrstand der von der Welt verachtetste und gehaßteste, aber dennoch ist und bleibt er unter allen der allerherrlichste Stand, und zwar hauptsächlich aus sieben einfältigen Gründen. Der Lehrstand hat nämlich 1. das allerherrlichste Object seiner Thätigkeit, den Menschen, insofern er eine unsterbliche Seele hat und zum ewigen Leben bestimmt ist, denn nur insofern hat der Theolog mit dem Menschen etwas zu thun; 2. hat der Lehrstand auch das heilsamste Mittel und Werkzeug, nämlich das Wort des lebendigen Gottes; 3. hat er das heilsamste und herrlichste Ziel, nämlich den Menschen hier wahrhaft glücklich und dort ewig selig zu machen; 4. hat er die allerheilsamste Beschäftigung, eine Beschäftigung, die seinen Geist ganz befriedigt und die ihn selbst fördert zu seiner eignen Seligkeit; (S. 275) 5. hat er die köstlichste Frucht, nämlich, daß der Mensch selig werde, und dabei 6. die allerherrlichste Verheißung, nämlich die Verheißung der Mitwirkung des HErrn, so daß des Lehrers Arbeit nie ganz vergeblich und verloren sein soll; 7. endlich hat er auch den allerherrlichsten Gnadenlohn, der da besteht in einer unaussprechlich großen, über Bitten und Verstehen großen Herrlichkeit in jener Welt. Ach, wenn das die Leute bedächten, so würden sie sich zum heiligen Predigt- und Lehramt gerade so herandrängen, wie man sich herandrängt zu den großen Staatsämtern, welche Ehre einbringen und mit großen Einnahmen verbunden sind. Die Eltern würden es für die höchste Ehre und Gnade halten, wenn sie ihre Söhne zu diesem heiligen Amt könnten vorbereiten lassen, und junge Theologen würden täglich gedrungen werden, auf ihre Kniee zu fallen und Gott zu loben und zu preisen dafür, daß er so Großes an ihnen gethan und schon von Ewigkeit sie bestimmt habe zu diesem hohen, heiligen Amt. Ja, was sage ich, wenn die heiligen Engel, die im Guten bestätigten Engel, des Neides fähig wären, so würden sie ohne Zweifel einen jeden Lehrer des Evangeliums beneiden, auch in ihrer himmlischen Herrlichkeit. Denn alles, was uns von ihnen berichtet wird in der Schrift, ist nicht etwas so Großes, als das Amt der Lehrer und Prediger, daß sie mithelfen sollen, die gefallenen Creaturen wieder zu ihrem Schöpfer zurückzubringen, die dann ohne Zweifel von Ewigkeit zu Ewigkeit demjenigen danken werden, durch dessen Dienst sie aus der Verdammniß errettet und zum ewigen Leben gebracht worden sind. – Aber je herrlicher der Lehrstand ist, desto treuer muß nun auch ein Prediger und Lehrer mit der Lehre umgehen, um so mehr muß er darauf sehen, daß seine Lehre rein und lauter sei und so vorgetragen werde, daß auch die armen Zuhörer ihr Elend und Gottes reiche Güte erkennen, zum Glauben kommen, im Glauben erhalten bleiben und endlich dahin kommen, wo sie Gott schauen und ihn ewig loben und preisen werden. Wir haben allbereits gesehen, daß die Hauptsache darin besteht, daß man das Wort der Wahrheit recht theile, und daß man nicht handelt wie ein Zimmermann, der einen Block behaut und nichts darum gibt, ob auch die Späne herunterfliegen, und sie dann ins Feuer wirft, sondern daß man handeln soll wie ein Goldschmied, der mit Gold arbeitet und daher auch die kleinsten Theilchen, welche etwa von seinem Arbeitstisch fallen, ganz sorgfältig aufhebt. Möge der HErr seinen Heiligen Geist Ihnen reichlich geben, daß Sie, wenn Sie nun ins Amt kommen, auch über den un- (S. 276) ermeßlichen Schätzen, welche Ihnen anvertraut sind, treu wachen, und die theuren Seelen, welche Gott Ihnen übergeben hat, recht versorgen, damit es einst auch von Ihnen heiße: „Ihre Werke folgen ihnen nach.“ Dann werden Sie es wahrlich nicht bereuen, daß Sie so mancherlei Armseligkeit haben übernehmen müssen, schon während Ihrer Studienzeit und dann im heiligen Amt. Sie werden Gott preisen, wenn Sie nun sehen, daß er Sie aus lauter Gnaden dann leuchten läßt wie des Himmels Glanz und wie die Sterne Gottes immer und ewiglich. Wir haben schon die Hauptgründe für die fünfzehnte Thesis gehört, auch schon einige Einwendungen dagegen zurückgewiesen. Ich erinnere Sie jetzt nur an zwei Einwände. Erstens sagt man: In der heiligen Schrift selbst werde ja das Evangelium ein Gesetz genannt, warum könne man also nicht das Evangelium eine Bußpredigt nennen? Denn das Gesetz sei ja da, den Menschen zur Buße zu bringen. Sie berufen sich hierbei auf Röm. 3,27.: „Wo bleibt nun der Ruhm? Er ist aus. Durch welches Gesetz? Durch der Werke Gesetz? Nicht also, sondern durch des Glaubens Gesetz.“ „Also“, spricht man, „ist doch nach des Apostels eigenem Ausdruck das Evangelium auch ein Gesetz!“ Aber man irrt sich, wenn man diesen Schluß daraus zieht. Es bedient sich der Apostel einer sogenannten Antanaklasis, daß man das Wort, welches der Gegner gebraucht, nun auch braucht, aber in einer andern Bedeutung, oder daß überhaupt dasselbe Wort nach einander in verschiedener Bedeutung gebraucht wird, um desto entschiedener den Gegner zurückzuweisen. Ein Beispiel haben wir an Folgendem: Als die Juden Christum fragten: „Was sollen wir thun, daß wir Gottes Werke wirken?“ – in selbstgerechter Gesinnung – was antwortet ihnen da der HErr Christus? Er sagt: „Das ist Gottes Werk, daß ihr an den glaubet, den er gesandt hat.“ Sie hatten das Werk Gottes ganz falsch verstanden; sie verstanden darunter Werke, die der Mensch thue, um Gott zu gefallen. So behält nun Christus dieses Wort, aber in einer ganz andern Bedeutung. Er will sagen: „Werke machen nicht selig, sondern daß man keine Werke thut, um sich dadurch etwas zu verdienen, daß man sich lediglich auf Christum, den Erlöser, und seine Gnade verläßt. Also durch Empfangen wird man vor Gott gerecht. Auch im gewöhnlichen Leben gebraucht man diese Redefigur. Wenn ein Sohn schlechte Arbeit gemacht hat und er tritt vor den Vater hin und sagt: „Nun bitte ich mir meinen Lohn aus“, und er ist ein leichtfertiger Bube, so sagt der Vater: „Jawohl, ich will dir den Lohn geben, aber mit der Ruthe.“ Das ist auch eine Antanaklasis. Diese Redefigur gebrauchen häufig ganz einfältige Leute. (S. 277) So auch, wenn der Tod genannt wird der Sünde Sold. Eigentlich ist doch der Tod keine Prämie, die Gott auf die Sünde gesetzt hat. Oder, wenn der HErr sagt, daß er dem sichern Knecht den Lohn geben werde mit den Heuchlern, und er meint die ewige Verdammniß. Also kann man gar nicht beweisen aus Röm. 3,27., daß das Evangelium eine Bußpredigt sei. Zum Beweis dafür kann nur der diese Stelle anführen, der nichts weiß von der Rhetorik. Und zum Verständniß der heiligen Schrift gehören auch die Regeln der Rhetorik, denn die Schrift ist sehr rhetorisch und hat viele Tropen. Daher sagt Quenstedt: „Das Evangelium ist eigentlich und sofern es dem Gesetz entgegengestellt wird, nicht eine Lehre, welche die anhaftende Gerechtigkeit gebietet, wovon der Glaube, als Werk betrachtet, entweder ein Theil oder eine Disposition ist, sondern es kündigt die ohne Werke durch den Glauben, als das empfangende Werkzeug, anzunehmende gnadenvolle Vergebung der Sünden und vor Gott gültige Gerechtigkeit an, daher es ein Amt der Gerechtigkeit heißt 2 Cor. 3,9.“ (Theol. did.-polem. cap. de ev. s. 2. q. 4.f. 1029.) Ferner führen sie an Röm. 10,16.: „Aber sie sind nicht alle dem Evangelio gehorsam.“ „Also“, spricht man, „ist das Evangelium nicht bloß eine Freudenbotschaft, sondern ein verbessertes Gesetz. Denn das Gesetz ist es ja eigentlich, welches Gehorsam verlangt.“ Aber es ist ganz verkehrt, mit einem solchen Grund vertheidigen zu wollen, daß das Evangelium im engeren Sinn eine Bußpredigt sei. Wir sollen nicht nur gehorsam sein dem göttlichen Gesetzeswillen, sondern auch dem Gnadenwillen Gottes. Das ist aber kein Gesetzeswille. Nach seinem Gnadenwillen bietet uns Gott an und schenkt uns alles. Das wird dann ein Gehorsam genannt, wenn wir das annehmen. Das ist Gottes Freundlichkeit, daß er das Gehorsam nennt. Und allerdings erfüllen wir da auch das erste Gebot. Im Gesetz ist der Glaube geboten, aber nicht im Evangelium. Denn Evangelium heißt eben „fröhliche Botschaft“; aber eine fröhliche Botschaft kann das nicht sein, welche nur etwas zu thun auflegt, sondern das ist eine gute Botschaft, die mir sagt, daß ich alle Furcht ablegen soll und daß Gott mir freundlich entgegenkommt. Gerhard schreibt: „Die Verklagung des Unglaubens gehört zum Gesetz, nämlich zu dem durch das Licht des Evangeliums erleuchteten; worauf Luther Rücksicht nimmt, wenn er sagt, daß das Werk des Glaubens an Christum und die Sünde des entgegenstehenden Unglaubens auf das erste Gebot gezogen werde.“ (Loc. de evang., § 111.) Wir haben schon gehört, daß Luther den Glauben nennt die Rückkehr zum ersten Gebot. Das ist die höchste Erfüllung des ersten Gebots, (S. 278) daß ich, sobald Gott mir Gnade verkündigt, dieselbe annehme, mich derselben tröste und ihm dafür danke, und daß ich nicht so frech bin, das selbst erwerben zu wollen, was der liebe Gott mir aus Gnaden anbietet. Hören Sie nun noch ein Zeugniß aus Luthers Vorrede zum Neuen Testament. Da sagt er, was Evangelium im engeren Sinne ist. Er schreibt: „Gleichwie das Alte Testament ist ein Buch, darinnen Gottes Gesetz und Gebot, daneben dann die Geschichte, beide derer, die dieselben gehalten und nicht gehalten haben, geschrieben sind: also ist das Neue Testament ein Buch, darinnen das Evangelium und Gottes Verheißung, daneben auch Geschichte, beide derer, die daran glauben, und nicht glauben, geschrieben sind. – Denn Evangelium ist ein griechisch Wort, und heißet auf Deutsch: gute Botschaft, gute Mär, gute neue Zeitung, gut Geschrei, davon man singet, saget und fröhlich ist.“ – Sonst sagt er auch, daß das Evangelium den Menschen strafe. Aber da meint er im synekdochischen Sinn das Gesetz. Aber das ist merkwürdig: Sie finden wohl häufig den Namen Gesetz für das Evangelium, aber niemals den Namen Evangelium für das Gesetz. Lesen Sie nach, ob die heilige Schrift das Gesetz je ein Evangelium nennt. Nie! – „Als da David den großen Goliath überwand, kam ein gut Geschrei und tröstliche, neue Zeitung unter das jüdische Volk, daß ihr greulichster Feind erschlagen und sie erlöset, zu Freude und Friede gestellt wären; davon sie sangen und sprangen und fröhlich waren. Also ist das Evangelium Gottes und neue Testament eine gute Mär und Geschrei, in alle Welt erschollen durch die Apostel, von einem rechten David, der mit der Sünde, Tod und Teufel gestritten, und überwunden habe; und damit alle die, so in Sünden gefangen, mit dem Tode geplaget, vom Teufel überwältiget gewesen, ohne ihr Verdienst erlöset, gerecht, lebendig und selig gemacht hat, und damit zu Frieden gestellet und Gott wieder heimgebracht; davon sie singen, danken, Gott loben und fröhlich sind ewiglich, so sie das anders fest glauben und im Glauben beständig bleiben.“ – Lassen Sie sich durch diese herrliche Stelle bewegen, es recht genau zu nehmen, wenn Sie vom Evangelium reden, daß Sie nichts Gesetzliches hineinmischen. Wir sollen das Gesetz gewaltig verkündigen, Blitz und Donner soll von unserer Kanzel herab ertönen. Aber sobald Sie an das Evangelium kommen, da soll das Gesetz schweigen. Moses hat ein Gehege um Sinai gemacht, aber Christus und die Apostel haben keins um Golgatha gemacht. Da hat jeder Zugang. Wer zum Gott des Gesetzes kommt, der muß gerecht sein; wer zum Gott der Versöhnung kommt auf Golgatha, kann kommen, wie er ist; ja, gerade weil er ein Sünder ist, ist er willkommen, wenn er nur kommt. – „Solch Geschrei und tröstliche Mär, oder evangelische gött- (S. 279) liche neue Zeitung heißet auch ein neu Testament, darum, daß, gleichwie ein Testament, wenn ein sterbender Mann sein Gut bescheidet, nach seinem Tode den benannten Erben ist auszutheilen: also hat auch Christus vor seinem Sterben befohlen und beschieden, solches Evangelium nach seinem Tode auszurufen in alle Welt; und damit allen, die da glauben, zu eigen gegeben alles sein Gut, das ist, sein Leben, damit er den Tod verschlungen, seine Gerechtigkeit, damit er die Sünde vertilget, und seine Seligkeit, damit er die ewige Verdammniß überwunden hat.“ – Also ist es nicht eine Lehre, wie wir es anfangen sollen, um Gottes würdig zu werden, sondern was wir empfangen sollen. Luther bedient sich sogar des Ausdrucks, daß schon jeder Mensch objectiv gerecht sei. Wenn nun Gott ihn rechtfertigt und er will das nicht nehmen, dann ist er freilich nicht gerechtfertigt, dann ist er ein verdammter Sünder und bleibt es auch. Aber gerade das wird einst seine Hölle sein, daß er weiß: „Ich war erlöst, ich war versöhnt, ich hatte einen versöhnten Gott, ich war gerecht, aber darum, weil ich es nicht habe annehmen wollen, bin ich jetzt hier am Ort der Qual.“ Sie müssen Ihrer Gemeinde die fröhliche Botschaft bringen: „Ihr seid erlöst, ihr seid versöhnt und gerechtfertigt, ja, ihr seid selige Leute. Die Seligkeit ist auch euch erworben. Glaubt es nur! Aber was hilft es euch, wenn ein Mann euch Millionen schenkt und reicht sie euch hin und ihr hieltet es nicht der Mühe werth, eure Hand darnach auszustrecken? Dann bliebet ihr doch Bettelleute bis an euren Tod.“ So bleiben denn auch unzählige Menschen, trotz der vollkommenen Erlösung Christi, die ihnen im Evangelium verkündigt und angeboten wird, in ihrer Verdammniß. – „Nun kann ja der arme Mensch, in Sünden todt und zur Hölle verstricket, nichts Köstlicheres hören, denn solche theure, liebliche Botschaft von Christo, und muß sein Herz von Grund lachen und fröhlich darüber werden, wo er’s glaubet, daß es wahr sei.“ – Man sagt zwar nicht mit Unrecht: „Das Evangelium für wahr halten, ist nicht der rechtfertigende Glaube“, aber Luther meint, daß einer glaubt, daß ihn das wirklich angehe. Denn wer sich nicht für erlöst hält, der hält auch das Evangelium nicht für wahr. Es ist eine Botschaft, die Gott jedem Menschen bringen läßt auf der ganzen Welt: „Du bist bei Gott in Gnaden, Gott zürnt nicht mehr mit dir! Sein Sohn hat alle deine Sünden getilgt, du mußt es nur annehmen.“ Das machen Sie sich doch zu Ihrem Grundsatz, daß, wenn Sie in ihre Gemeinde kommen, Sie fort und fort mit dieser fröhlichen Botschaft an heiliger Stätte auftreten, daß die arme Gemeinde doch fröhlich werde, daß sie einen Pastor hat, der wirklich ein Evangelist ist. Denken Sie ja nicht, indem Sie Ihrer Vernunft (S. 280) folgen: „Ja, da würden die Leute sicher werden!“ Es ist nicht so. Wenn den Leuten die Gnade und die Herrlichkeit des Evangeliums recht verkündigt wird, da wachen sie auf und werden fröhlich zu guten Werken, sie bekommen ein himmlisches Feuer in das Herz. Es ist nicht anders möglich. Wer mit Feuer umgeht, der brennt; und wer mit dem Feuer der göttlichen Liebe umgeht, der brennt auch von der Liebe zu Gott und dem Nächsten. Es versteht sich freilich von selbst, daß auch immer das Gesetz zwischenein gepredigt werden muß; denn wenn die Leute satt sind, hilft ihnen das Evangelium nichts. – „So ist nun das Evangelium nichts Anderes, denn eine Predigt von Christo, Gottes und Davids Sohn, wahrem Gott und Menschen, der für uns mit seinem Sterben und Auferstehen aller Menschen Sünde, Tod und Hölle überwunden hat, die an ihn glauben. Daß also das Evangelium eine kurze oder lange Rede mag sein, und einer kurz, der andere lang beschreiben mag. Der beschreibt’s lang, der viel Werke und Worte Christi beschreibet, als die vier Evangelisten thun. Der beschreibet’s aber kurz, der nicht von Christus Werk, sondern kürzlich anzeiget, wie er durch sein Sterben und Auferstehen Sünde, Tod und Hölle überwunden habe denen, die an ihn glauben, wie St. Petrus und Paulus sagt.“ – Seien Sie nur überzeugt, daß die lutherische Kirche sich von allen andern unterscheidet dadurch, daß sie eine vollkommene Erlösung lehrt und darum auch den Glauben zu keinem Werk macht, sondern zu einer bloßen Nehmehand, und daß sie alle Sünder, wie greulich sie auch sein mögen, wenn sie erschrocken sind über ihre Sünden, einladet: „Kommt nur, es ist alles bereit!“ Daher kommt auch die Lehre unserer Kirche von den Sacramenten, weil sie die rechte Lehre hat von der Seligkeit allein aus Gnaden. – „Darum siehe nun darauf, daß du nicht aus Christo einen Moses machest, noch aus dem Evangelio ein Gesetz- oder Lehrbuch“; – das Evangelium ist kein Gesetzbuch, auch nicht einmal ein Lehrbuch, sondern eine Freudenbotschaft. Du kannst dich nicht zu zeitig darüber freuen. Wenn du dich nur freuen kannst, so ist das eine himmlische, göttliche Freude. Wenn du aber immer sprichst: „Ach, was soll uns das helfen?“ dann ist es deine Schuld, wenn du leer ausgehst, weil du es nicht glauben willst. – „wie bisher geschehen ist, und etliche Vorreden, auch St. Hieronymi, sich hören lassen.“ – Hieronymus wußte blutwenig vom Evangelium, daher Luther ihn auch mit großem Widerwillen durchgelesen hat. Er hatte aber die größte Kenntniß der Sprachen nächst Origenes. – „Denn das Evangelium fordert eigentlich nicht unsere Werke, daß wir damit fromm und selig werden; ja, es verdammt solche Werke; sondern es fordert den Glauben an Christum, daß derselbige für uns Sünde, Tod (S. 281) und Hölle überwunden hat, Und also uns nicht durch unsere Werke, sondern durch sein eigen Werk, Sterben und Leiden, fromm, lebendig und selig macht, daß wir uns seines Sterbens und Sieges mögen annehmen, als hätten wir es selbst gethan.“ – Was hatten die Kinder Israel zu thun, als David den Goliath erlegt hatte? Nichts weiter, als daß sie ihre Freiheit gebrauchten. Die Feinde waren auf und davon gegangen, weil ihr Hauptmann getödtet war. So ist es auch hier. Christus hat meine Feinde überwunden, hat alles erworben, hat mich ganz frei gemacht. Darum habe ich nichts weiter zu thun, als was die Israeliten zu thun hatten, als David aus siegreicher Schlacht zurückkehrte. Die Israeliten sollten sich nicht mehr vor einem Feind fürchten, der besiegt war. Wir sollen uns auch nicht fürchten vor dem Gesetz, vor Sünde, Tod und Teufel, vor der ewigen Verdammniß. Das waren alle unsere Feinde und die sind alle in die Flucht geschlagen. Es ist eine Schmach, die Christo angethan wird, wenn wir uns immer noch fürchten. Da wird Gott auch zornig. Glaube ich, Gott ist zornig, so ist er mir auch zornig, und glaube ich, Gott ist freundlich, so ist er mir auch freundlich, und ich darf nicht denken: „Vielleicht ist er es aber doch nicht.“ – „Daß aber Christus im Evangelio, dazu St. Petrus und Paulus, viele Gebote und Lehren geben und das Gesetz auslegen, soll man gleich nehmen allen andern Werken und Wohlthaten Christi. Und gleichwie seine Werke und Geschichte wissen, ist noch nicht das wahre Evangelium wissen, denn damit weißt du noch nicht, daß er die Sünde, Tod und Teufel überwunden hat: also ist auch das noch nicht das Evangelium wissen, wenn du solche Lehre und Gebot weißest; sondern, wenn die Stimme kommt, die da sagt, Christus sei dein eigen mit Leben, Lehren und Werken, Sterben, Auferstehen, und Allem, was er ist, hat, thut und vermag.“ – Sie sehen also, daß Luther weit davon entfernt war, wenn er sagte, das Evangelium predige auch Buße und den Zorn Gottes, daß er da das Evangelium im wahren Sinn gemeint hat. Wie er vom Evangelium im engeren, eigentlichen Sinn redet, so redet er hier. Er hat das in den Zeiten seiner ersten Liebe geschrieben, im Jahre 1522. Da ist alles so brünstig und innig, daß, wer wirklich ein armer Sünder ist, hüpfen und springen möchte, wenn er solche Zeugnisse liest. Wer freilich ein elender Sündendiener ist und sich im Koth wälzt, dem schmeckt das nicht, sondern der ißt, wie ein gewisses Thier, lieber seine Eicheln. – „Also sehen wir auch, daß er nicht dringet, sondern freundlich locket und spricht: „Selig sind die Armen“ etc. Und die Apostel brauchen des Wort : „Ich ermahne, ich flehe, ich bittet“; daß man allenthalben siehet, wie das (S. 282) Evangelium nicht ein Gesetzesbuch ist, sondern eigentlich eine Predigt von den Wohlthaten Christi, uns erzeiget, und zu eigen gegeben, so wir glauben. Moses aber in seinen Büchern treibet, dringet, dräuet, schlägt und straft greulich; denn er ist ein Gesetz-Schreiber und Treiber.“ – Das wahrhaft köstliche Evangelium muß in einer lutherischen Gemeinde gepredigt werden. Dieser Geist muß in einer lutherischen Gemeinde wehen. Da werden die Leute nicht immer durch das Gesetz erschreckt, sondern da werden sie durch das Evangelium fröhlich. Wir predigen das Gesetz, nicht um die Leute zu Heiligen zu machen, sondern um sie zu Sündern zu machen. – „Daher kommt’s auch, daß einem Gläubigen kein Gesetz gegeben ist, dadurch er gerecht werde vor Gott, wie St. Paulus sagt 1 Tim. 1,9., darum, daß er durch den Glauben gerecht, lebendig und selig ist. Und ist ihm mehr nicht noth, denn daß er solchen Glauben mit Werken beweise.“ – Werke sind an sich nicht nöthig, vor Gott gar nicht. Aber um der Menschen willen sind sie nöthig, damit der Christ seinen Glauben beweise, und daß dann die Leute es sehen, den Vater im Himmel preisen und damit Gott annehmen. – „Ja, wo der Glaube ist, kann er sich nicht halten; er beweiset sich, bricht heraus durch gute Werke, bekennet und lehret solch Evangelium vor den Leuten und wagt sein Leben daran.“ – Darnach prüfen Sie sich! Der Glaube kann sich nicht halten. Er ist wie ein See, den man ableiten kann. Wenn da nur die richtige Oeffnung gemacht ist, dann bricht er heraus, dann kann das Wasser sich nicht halten. Und auch der Glaube in einem Menschen kann sich nicht halten. Jedermann ist er bereit zu dienen, wo er nur kann. Er kann auch nicht anders, als das Evangelium bekennen, mag er auch voraussehen, daß er nichts als Spott und Hohn erntet, ja, er wird auch bereit sein, sein Leben daranzusetzen. Er weiß, wenn er es nicht will thun, dann muß er Christum aufgeben. In dem Augenblick verlischt das Licht seines Glaubens, in dem er verleugnet. Er bekennt auch nicht nur deswegen, weil Christus gesagt hat: „Wer mich bekennet vor den Menschen, den will ich bekennen vor meinem himmlischen Vater“, sondern, weil er nicht anders kann. – „Und alles, was er lebt und thut, das richtet er zu des Nächsten Nutz, ihm zu helfen; nicht allein auch zu solcher Gnade zu kommen, sondern auch mit Leib, Gut und Ehre, wie er siehet, daß ihm Christus gethan hat, und folget also dem Exempel Christi nach. Das meinet auch Christus, da er zuletzt kein ander Gebot gab, denn die Liebe, daran man erkennen sollte, wer seine Jünger wären und rechtschaffene Gläubige. Denn wo die Werke und Liebe nicht herausbricht, da ist der Glaube nicht recht, da haftet das Evangelium noch nicht, und ist Christus noch nicht recht erkannt.“ (S. 283) Das ist Luthers Isagoge ins Neue Testament. Eine ganz kleine, die aber viel köstlicher ist, als sie die Gelehrten unserer Zeit geben, von denen die meisten sich die Aufgabe stellen, den Grund des Glaubens einzureißen, die Bibel ungewiß zu machen. Nun kommen wir zu den Bibelstellen, in welchen von dem Evangelium im engeren Sinn des Worts die Rede ist, und wollen sehen, woran man das erkennen kann. Es gibt da fünf Fälle. 1. Wenn das Evangelium dem Gesetz entgegengestellt wird, da ist ganz gewiß nicht das Evangelium im weiteren Sinn, sondern im engeren Sinn gemeint. Eph. 2,14-17.: „Denn Er ist unser Friede, der aus beiden Eins hat gemacht, und hat abgebrochen den Zaun, der dazwischen war, in dem, daß er durch sein Fleisch wegnahm die Feindschaft, nämlich das Gesetz, so in Geboten gestellet war; auf daß er aus zween Einen neuen Menschen in ihm selber schaffte, und Frieden machte, und daß er beide versöhnete mit Gott in Einem Leibe, durch das Kreuz, und hat die Feindschaft getödtet durch sich selbst. Und ist gekommen, hat verkündiget im Evangelio den Frieden, euch, die ihr ferne waret, und denen, die nahe waren.“ Das Gesetz geht voran und bringt keinen Frieden; dann kommt das Evangelium, das bringt Frieden! 2. Wenn das Evangelium als die Christo eigenthümliche und Christum verkündigende Lehre dargestellt wird, so kann das doch nicht das Gesetz mit sein. Denn Christus sagt selbst: „Das Gesetz ist durch Mosen gegeben; die Gnade und Wahrheit ist durch JEsum Christum worden.“ Er hat uns nicht erst das Gesetz gegeben, aber weil die rechte Erkenntniß des Gesetzes nöthig ist, bevor ein Mensch fähig ist, das Evangelium anzunehmen, hat er das Gesetz gereinigt von den falschen pharisäischen Auslegungen. Luc. 4,18.19.: „Der Geist des HErrn ist bei mir; derhalben er mich gesalbet hat und gesandt, zu verkündigen das Evangelium den Armen, zu heilen die zerstoßenen Herzen, zu predigen den Gefangenen, daß sie los sein sollen, und den Blinden das Gesicht, und den Zerschlagenen, daß sie frei und ledig sein sollen, und zu predigen das angenehme Jahr des HErrn.“ – Da sagt der HErr JEsus, wozu er in die Welt gekommen sei, was er eigentlich zu predigen habe als Christus, als Heiland der Welt. Daher er auch zuletzt noch sagt: „Heute ist diese Schrift erfüllet vor euren Ohren.“ Er hatte kein Wort vom Gesetz gesagt, sondern nur die Lehre nennt er, die gegeben ist den Armen, den Kranken, den zerstoßenen Herzen, denen, die in der Gefangenschaft der Sünde und des Teufels lagen. (S. 284) Apost. 17,18.: „Etliche aber der Epicurer und Stoiker Philosophen zankten mit ihm. Und etliche sprachen: Was will dieser Lotterbube sagen? Etliche aber: Es siehet, als wollte er neue Götter verkündigen. Das machte, er hatte das Evangelium von JEsu und von der Auferstehung ihnen verkündigt.“ Die Lehre, die JEsum Christum zum Object hat, ist das Evangelium im engeren Sinn. Hierher gehören noch folgende Stellen: 1 Cor. 15,1-4.: „Ich erinnere euch aber, lieben Brüder, des Evangelii, das ich euch verkündiget habe, welches ihr auch angenommen habt, in welchem ihr auch stehet, durch welches ihr auch selig werdet, welchergestalt ich es euch verkündiget habe, so ihr es behalten habt; es wäre denn, daß ihr es umsonst geglaubet hättet. Denn ich habe euch zuvörderst gegeben, welches ich auch empfangen habe, daß Christus gestorben sei für unsere Sünden, nach der Schrift; und daß er begraben sei, und daß er auferstanden sei am dritten Tage, nach der Schrift.“ Röm. 16,25.26.: „Dem aber, der euch stärken kann, laut meines Evangelii und Predigt von JEsu Christo, durch welche das Geheimniß geoffenbaret ist, das von der Welt her verschwiegen gewesen ist; nun aber geoffenbaret, auch kund gemacht durch der Propheten Schriften, aus Befehl des ewigen Gottes, den Gehorsam des Glaubens aufzurichten unter allen Heiden.“ Gal. 1,6.7.: „Mich wundert, daß ihr euch so bald abwenden lasset von dem, der euch berufen hat in die Gnade Christi, auf ein anderes Evangelium; so doch kein anderes ist; ohne daß etliche sind, die euch verwirren, und wollen das Evangelium Christi verkehren.“ Z 3. Wenn das Object die armen Sünder sind, so ist es gewiß das Evangelium im engeren Sinn. Matth. 11,5.: „Den Armen wird das Evangelium gepredigt.“ Luc. 4,18.: „Der Geist des HErrn ist bei mir, derhalben er mich gesalbet hat, und gesandt, zu verkündigen das Evangelium den Armen.“ Ferner ist das Evangelium im engeren Sinn gemeint: 4. Wenn die Wirkungen desselben Vergebung, Gerechtigkeit und Seligkeit aus Gnaden sind. Röm. 1,16.: „Ich schäme mich des Evangelii von Christo nicht, denn es ist eine Kraft Gottes, die da selig macht alle, die daran glauben.“ Eph. 1,13.: „Durch welchen auch ihr gehöret habt das Wort der Wahrheit, nämlich das Evangelium von eurer Seligkeit.“ 5. Wenn das Correlat der Glaube ist, so ist es ebenfalls das Evangelium im engeren Sinn. Marc. 1,15.: „Thut Buße und glaubet an das Evangelium.“ Marc. 16,15.16.: “Gehet hin in alle Welt und prediget das Evangelium aller Creatur. Wer da glaubet und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubet, der wird verdammet (S. 285) werden.“ Auch in dieser letzten Stelle ist gewiß das Evangelium im engeren Sinn gemeint. Zwar setzt der HErr hinzu: „Wer aber nicht glaubet, der wird verdammet werden.“ Das ist aber nicht ein Theil des Evangeliums, sondern Gesetz. Er will sagen: „Diejenigen, welche das Evangelium verwerfen, sollen wissen, daß sie damit das thun, wodurch sie sich selbst in die Hölle stürzen.“

 

- FORTSETZUNG -